07 Dezember 2019

Keller: Der grüne Heinrich - München

Künstlerthematik:
Erstes Zeichnen, Habersaat, Bilder von Anna, Naturstudien, Römer, Brief an Römer, der diesen ruiniert. Künstlerwelt in München 


München:
Erik (Norddeutscher groß, malt kleine Landschaften) und Lys (Niederländer, begabt und reich, Frauenheld)
Erik – Rosalie, Witwe (beim Fastnachtsauftritt: Venus), Lys– Agnes , Mädchen (beim Fastnachtsauftritt: Diana).


Münchner Fastnacht.
Lys umschwärmt Rosalie, vergisst Agnes. Heinrich hat Agnes zu betreuen, gemeinsames Schluchzen, "silberne Brust" des Dianakostüms.


Künstler auf dem Land

"Den Künstlern aber weckte die freie Natur, der erwachende Lenz den Witz in der tiefsten Seele; die frische Luft legte die beweglichsten Fühlfäden der Freude bloß, [...]"

Agnes in Liebesnöten
"Sie eilte, ihr Silbergewand zusammenfassend, den Stufenweg hinan und ging in das Kirchlein; der Kutscher nahm seinen Hut ab, stellte ihn neben sich auf den Bock, bekreuzte sich und betete, die fromme Muße benutzend, ein Vaterunser. So blieb mir nichts übrig, als verlegen unter die Kapellentür zu treten und zu warten, bis die unerwartete Zwischenhandlung vorüber war. An einem der Türpfosten sah ich ein gedrucktes Gebet hinter Glas gefaßt aufgehängt, welches ungefähr folgende Überschrift trug: Gebet zur allerlieblichsten, allerseligsten und allerhoffnungsreichsten heiligen Jungfrau Maria, der gnadenreichen und hilfespendenden Fürbitterin Mutter Gottes. Approbiert und zum wirksamen Gebrauch empfohlen für bedrängte weibliche Herzen durch den hochwürdigsten Herrn Bischof und so fort. Dazu war noch eine Gebrauchsanweisung gefügt, wie viele Ave und andere Sprüche herzusagen seien. Dasselbe Gebet lag auf Pappe gezogen auf einigen alten Holzbänken umher. Sonst zeigte das Innere der Kapelle nichts als einen einfachen Altar, der mit einer verblichenen veilchenfarbigen Decke behangen war. Das Altarbild zeigte den Englischen Gruß, von roher Hand gemalt, und vor demselben stand noch ein kleines Marienbildchen im starren Reifröckchen von Seide und Metallflittern in allen Farben. Rings um den Altar hingen an der Wand geopferte Herzen von Wachs, in allen Größen und auf die mannigfaltigste Weise verziert; im einen stak ein seidenes Blümchen, im andern eine Flamme von Rauschgold, das dritte durchbohrte ein Pfeil. Wieder ein anderes war ganz in rote Seidenläppchen gewickelt und mit Goldfaden umwunden, und eines war gar mit großen Stecknadeln besetzt wie ein Nadelkissen, wohl zur Schilderung der schmerzlichen Pein seiner Spenderin; dagegen schien ein mit grüner Farbe und vielen roten Röschen bemaltes Herz von der zur Zufriedenheit gelungenen Heilung Kunde zu geben. Leider versäumte ich, den Text des Gebetes selbst zu lesen, weil ich nur auf die Beterin sehen mußte, die in ihrem heidnischen Göttergewande, den keuschen Halbmond über der Stirne, auf der Altarstufe vor dem wächsernen Frauenbilde kniete, mit zitternden Lippen das Gebet von einem der Pappdeckel ablas, dann die Hände faltete, zu dem Bilde aufblickte und die vorgeschriebene Zahl der übrigen Sprüche, die zum Glücke nicht groß war, leise murmelte oder flüsterte. In dieser großen Stille und bei diesem Anblicke fühlte ich das Ineinanderweben der Zeiten, und es war mir fast zumut, als lebte ich vor zweitausend Jahren und stünde vor einem kleinen Venustempel irgendwo in alter Landschaft. Ich dünkte mich jedoch unendlich erhaben über die Szene, so artig sie war, und dankte meinem Schöpfer für das stolze und freie Gefühl, das mich beseelte. Endlich schien Agnes sich der Hilfe der Himmelskönigin genugsam versichert zu haben; sie erhob sich mit einem Seufzer und ging nach dem in meiner Nähe hängenden Weihkessel. Da sah sie mich in der Türe gelehnt, wie ich sie aufmerksam betrachtete, [...]"

Agnes wird durch Lieder von unglücklicher Liebe und Uhlands "Nun muss ich alles wenden" etwas getröstet:


"Um jene Zeit waren einige alte deutsche Volkslieder zuerst wieder hervorgezogen und von lebenden Komponisten sangbar gemacht worden. Ebenso wurde, was von Eichendorff, Uhland, Kerner, Heine, Wilhelm Müller im Tone jener Lieder vorhanden, von den Sangmeistern in mehr oder minder schwermütige Noten gesetzt und eben als das Neueste von der geschulten Männerjugend gesungen, ehe es, teils zum zweiten Male, ins Volk überging. Noch nie hatte Agnes dergleichen gehört. Soeben war das Lied »Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum« zu Ende, und es kam »Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht«. 
Alte Scheidelieder, Todeskundschaften, Klagen um entschwundenes Glück, Lenzverheißungen, die Lieder vom Mühlrad und vom Tannenbaum, Uhlands »Nun, armes Herz, vergiß der Qual, nun muß sich alles, alles wenden«, eins nach dem andern kam zum reinen und ausdrucksvollen Vortrag, wobei der Gottesmacher mit seinem hellen Tenor die Oberstimme führte, der Bergkönig den Baß sang und die Glasmaler andächtig dazwischen mitliefen, zuverlässig auf Ton und Takt haltend. Agnes lauschte unverwandt, und alles, was sie hörte, schien wie für sie gemacht und aus ihrer eigenen Brust zu kommen. Indem sie nach jedem Liede erleichternde Atemzüge tat, wurde sie zusehends ruhiger und freier. Ein sonniger Frohsinn ging um unsere kleine, halb verborgene Tafelrunde; es war, wie wenn alle stillschweigend fühlten, daß ein bedrängtes Herz sich entlastete, obgleich eigentlich außer mir keiner etwas wußte."

Danach wendet sich das Gespräch aber ins Frauenfeindliche.
Verspottung religiöser Traditionen: Geschichten vom Marientreffen. Die vielen Marien von den verschiedenen Wallfahrtsorten gönnen sich gegenseitig das Essen nicht und erwecken das gebratene  Geflügel zum Leben, so dass es davon fliegt. 

Drastische Erzählung dazu, wie es sich auswirkt, wenn eine Frau die Männerrolle übernehmen will: Ein Henkersknecht hat den Scharfrichter vergiftet, so dass der schwer krank darnieder liegt. Dessen Frau verkleidet sich als Mann, um den Auftrag, der an ihren Mann ergangen ist, zu übernehmen. Sie wird aber erkannt und schimpflich aus der Stadt vertrieben. Um sich ein Auskommen zu sichern, heiratet sie, als ihr Mann stirbt,  den Henkersknecht, der ihren Mann vergiftet hatte.

Im weiteren Festverlauf  freut Heinrich sich,  als Agnes, um sich zu aufzumuntern, im Übermaß dem Sekt zugesprochen hat, dass danach ein anderer sich um sie kümmert.

"Agnes ging also, um ihr Schicksal zu erfüllen, in ihrer Bewußtlosigkeit und überhaupt während des ganzen Festes von einer Hand in die andere, wie ehemals eine in die Sklaverei geratene Königstochter."

"Das war nun das Ende des schönen Festes! Der Mond warf meinen eigenen Schatten vor mir her, als ich mitten auf der Straße ging, und ich sah die Zipfel meiner Narrenkappe deutlich auf derselben abgezeichnet."

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