14 Februar 2020

Wie Frauen lieben - Darstellung einer Feministin des 19. Jh.

"[...] Er bewunderte Clara, aber er konnte ihre Entsagung kaum begreifen. Ja, einen Augenblick lang wagte er zu glauben, Claras Gefühl könne an Stärke dem seinigen nicht gleich sein; sie müsse ihn weniger lieben als er sie.
Das ist eine Ungerechtigkeit, deren man sich nur zu oft schuldig macht. Weil das Weib besser liebt, weil es nur an den Schmerz des Geliebten, nicht an sich selbst denkt und sich in dem Glück des andern vollkommen vergessen kann, schilt man es kalt und tröstet sich über den Gram, den man verursacht, mit dem alten Gemeinplatz, das Weib sei leidensfähiger als der Mann.
Die Schmach fühlt man gar nicht mehr, den Frauen, dem sogenannten schwachen Geschlecht, eine Stellung im Leben angewiesen zu haben, die sie von Jugend auf an Leiden und Entsagungen gewöhnt; man denkt nicht an jene schweren Stunden, in denen sie genötigt sind, sich zu beherrschen, wenn ihr Herz gepeinigt wird. Wer sieht die Tränen, die oft aus der innersten Seele hervorbrechen möchten, während ein Männerarm die schöne Gestalt umschlingt und mit ihr durch die fröhlichen Reihen des Walzers dahinfliegt? Ihr seht nur die schimmernden Tautropfen auf dem Rosenkranz in ihren Locken, nur die Perlen, die den schönen Nacken zieren, und ahnet nicht, dass hinter dem feuchten Blau des Auges, das euch entzückt, Perlen und Tautropfen hängen, viel kostbarer und reiner als der Tand, den ihr bewundert. Ihr preiset das süße Lächeln des holden Mundes, der nur zu oft traurig lächelt über ein Dasein, das so grelle Gegensätze in sich schließt.
Kommt dann einer einmal zu der Erkenntnis des Schmerzes, den solch ein heiteres Frauenantlitz birgt, dann schreit er über die Verstellung, die Unwahrheit des Geschlechts und vergisst, dass jeder, der ein Mädchen traurig sieht, ohne sich zu bedenken, auf eine unglückliche Liebe schließt und mit roher Hand das stille Geheimnis an das Licht ziehen möchte. Ein Frauenherz, in dem einmal der Strahl wahrer Liebe gezündet, erkennt seinen Besieger in dem Manne, fühlt sich ihm untertan, als Sklavin seines Willens, und möchte doch aus angeborenem Schamgefühl nicht dem Auge jedes Ungeweihten die Fessel zeigen, durch die es gebunden wird, die oft blutig drückt und selbst zerbrochen unvertilgbare Narben zurücklässt.
Geliebt werden ist das Ziel der Frauen. Ihr Ehrgeiz ist Liebe erwerben; ihr Glück lieben, und die Liebe, nach der sie gestrebt, nicht erlangen können, unglücklich lieben, eine Kränkung, welche nur die edelsten Frauennaturen ohne Schädigung zu tragen vermögen. So beruht die ganze Entwicklung der weiblichen Seele auf dem Verhältnis zum Manne; und man darf das Weib nicht der Falschheit anklagen, wenn es den geheimnisvollen Prozess seines geistigen Werdens schamhaft der Welt verbergen möchte. [...]"
Fanny Lewald Jenny (Volltext, S.175-176)

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