24 Februar 2020

Harald Jähner: Wolfszeit - meine Textauszüge

Harald JähnerWolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945 - 1955 Berlin 2019, ISBN 978-3-7371-0013-7.

Ich habe schon viel Lob über dies Buch gelesen und kenne einige Zitate daraus, die ich sehr interessant fand. 
Anarchie des Anfangs, SZ 19.2.19
Das Lachen im Elend, Deutschlandfunk 24.2.19
#Jähner
Andererseits dachte ich, angesichts der vielseitigen Literatur der Nachkriegszeit, "Trümmerliteratur", wie man sie auch nannte, könne das Buch etwas so Außergewöhnliches nicht sein.
Ich habe mein Urteil revidiert.  Von der ganzen Reihe von bemerkenswerten Stellen, die ich beim ersten Blättern gefunden habe, zitiere ich hier:

Stunde Null? (Kapitel 1, S.17-30)
Jähner sagt: Nein, es lief vieles weiter und überhaupt beeinflusst die Vorgeschichte natürlich alles.
In Trümmern (Kapitel 2, S.31-60)
Trümmerfrauen, Frauen kommen allein zurecht.

Das große Wandern (Kapitel 3, S.61-119)
"Insgesamt vierzig Millionen auf die eine oder andere Art Entwurzelte in den vier Besatzungszonen! Geflohene, Obdachlose, Desertierte, Gestrandete – eine erzwungene Mobilität und vorstellbaren Ausmaßes. Das heißt nicht, dass alle tatsächlich in Bewegung waren. Die meisten steckten fest, harrten in Lagern aus, kamen nur qualvoll langsam oder mit Unterbrechungen voran. Die einen mussten möglichst rasch nach Hause gebracht, die anderen erst einmal festgesetzt werden. Versorgt werden mussten sie alle – eine gigantische logistische Leistung, selbst wenn es oft nicht einmal das Nötigste war, das beschafft werden konnte. Die Zahl der vorübergehend zu internierenden deutschen Kriegsgefangenen war nach der Kapitulation derart, dass die Alliierten keine andere Möglichkeit sahen, als etwa eine Million von ihnen in den so genannten Rheinwiesenlagern unter freiem Himmel einzuzäunen und sie über viele Wochen ohne Dach über dem Kopf hinter Stacheldraht hausen zu lassen. Erst im Verlauf des Juni hatten die meisten der 23 Lager Latrinen, überdachte Küchen und Krankenbaracken erhalten. Im September 1945 wurde das letzte dieser Massencams aufgelöst, nachdem der Großteil der Internierten längst verhört und entlassen oder auf andere Lager verteilt worden war.
Die teils zu Hundertausenden zusammengepferchten Soldaten, auf dem Boden hockend und schutzlos Wind und Wetter ausgesetzt, boten ein schockierendes Sinnbild der puren Masse, zu der das NS-Regime und der Krieg die Gesellschaft herabgewürdigt hatten. Vielen, die jenseits dieser Zäune lebten, ging es kaum besser. Wer das Wagnis unternahm, in dieser Zeit eine Reise zu machen, obwohl er ein festes Dach besaß, begegnete den Umherziehenden auf den Straßen, den Bahnsteigen und Wartesälen." (Seite 62/63)


Ursula Trautmann wird auf ihrer Flucht von ihrer Mutter getrennt. 
"Die Witwe Harms, bei der sie wohnt, bringt die Flüchtlinge nur auf dem Heuboden im schmutzigen Stroh unter, obwohl ihr halbes Haus leer steht. [...] 
Als die englischen Besatzungssoldaten merken, dass ihre Aufforderungen, die Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen nichts fruchten, lassen Sie die Dorfbewohner auf dem Kirchplatz in Reih und Glied antreten und drohen mit Beschlagnahme und Enteignung der Häuser. Daraufhin kommt Ursula mit acht weiteren Flüchtlingen in einem Zimmer beim Dorfschmied unter. Dafür lässt man sie bei jeder Gelegenheit spüren, dass man sie zum Teufel wünscht. Es seien zu wenig Schiffe mit Flüchtlingen untergegangen, zischt man dem jungen Mädchen hinterher. Zum Glück findet wenigstens die versprengte Familie wieder zusammen. Das enge Netz von Nachrichten, dass die Vertriebenen über weite Entfernungen unterhalten, bewährt sich. [...] 
Da die Wullenkordts geschickte Landwirte sind, gelingt es ihnen, einen heruntergekommenen Hof, den sie 1955 pachten, wieder in Schuss zu bringen. Nun klettert allerdings die Pacht in unbezahlbare Höhen. Die Familie nimmt daraufhin den nächsten bankrotten Hof unter ihre Fittiche und päppelt ihn hoch, bis auch hier die Pacht steigt. Nach dieser Methode sanieren sie durch Fleiß und Geschick einen heruntergekommenen Hof nach dem anderen, ziehen "von Hardissen nach Roth, dann nach Ransbach-Baumbach, danach auf die Rheininsel Königklinger Aue, nach Birkenfeld an die saarländische Grenze, schließlich nach Neukirchen bei St. Wendel und am Ende nach Rheinhausen in der Pfalz" – eine Sanierungsodyssee, die sie durch ganz Westdeutschland führt und viele Leute reich macht, nur sie selbst nicht." (S.92/93)
"Die Einheimischen, ob in Bayern oder Schleswig-Holstein, wehrten sich teilweise so vehement gegen die Einquartierungen, dass die Vertriebenen nur unter dem Schutz von Maschinengewehren in ihre zugewiesenen Behausungen geleitet werden konnten." (S.94/95)
Der Rassismus lebte fort und richtete sich nun munter nach innen. [...] Nach dem Zusammenbruch hatte die Idee der Volksgemeinschaft an Strahlkraft verloren, der Hochmut aber keineswegs abgenommen. Das Volk war desavouiert, nun besann man sich plötzlich wieder auf die Region als das entscheidende Identitätsmerkmal. In der innerdeutschen Migration sahen viele eine Art multikulturellen Angriff auf sich selbst. Der Tribalismus blühte, man grenzte sich als Stammesangehörige durch Sitten, Gebräuche, Glaubensriten und Dialekte von den umliegenden ab und erst recht von den Deutschböhmen, Banater Schwaben, Schlesiern, Pommern und Bessarabiendeutschen – alles 'Polacken'. [...] 
Ob die Maiandacht auf dem Friedhof, im Freien oder in der Kirche gehalten wird, wie ein Maibaum auszusehen hat [...] all das führte zu Reibereien mit den Flüchtlingen (S.97)
"Der Kreisdirektor des bayrischen Bauernverbandes, Dr. Jakob Fischbacher, bezeichnete es in einer viel beachteten Rede als Blutschande, wenn ein bayrischer Bauernsohn eine norddeutsche Blondine heiratete, und forderte die Bauern auf, die eingefallenen Preußen wieder nach Osten zurückzutreiben [...] 
Der Hass auf die Zuwanderer, der solche Hetzreden beflügelte, hatten einen Grund in der unbestreitbaren Erosion der lokalen Traditionen, die der Zuzug ja tatsächlich bewirkte. Jahrhundertelang gewachsene regionale Eigenheiten waren bedroht. [...] Im Krieg waren Massen von ausgebombten und evakuierten Großstädtern aufs Land geströmt und von den Behörden oftmals mit der gleichen Militanz einquartiert worden wie die Vertriebenen. Die Städter hatten mit ihren freizügigen Sitten die Dörfler schockiert, andere aber auch beeindruckt. Die immerhin fünf Millionen Städter, die auf die deutschen Lande verteilt worden waren, darunter viele lebenslustige junge Frauen [...] hatten die tradierten Wertvorstellungen dort irritiert. [...]
Mischehen [...] kamen trotz des erbitterten Widerstands der Pfarrer bald immer häufiger zustande. Der katholische Partner wurde dabei allerdings in der Regel exkommuniziert, wenn der protestantische nicht seinen Glauben wechselte. [...] Manche Gläubige, hin und her gerissen zwischen Liebe und Kirchentreue, litten unter dem Ausschluss aus der Gemeinde ein Leben lang." (S. 98-100)

"Die Härte der Konflikte hing auch damit zusammen, dass die Flüchtlinge Deutschland tatsächlich veränderten. Vor dem Krieg hatten in Westdeutschland 160 Menschen auf einem Quadratkilometer gelebt, jetzt waren es 200. In den Großstädten war davon relativ wenig zu spüren, in Berlin und Hamburg betrug der Anteil der Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung gerade mal sechs und sueben Prozent. In Mecklenburg-Vorpommern aber waren es 45, in Schleswig-Holstein 33 und in Bayern immerhin noch 21 Prozent. Hier nacge die Einwanderung der Fremden beharrlich an der Gewissheit, die eigene Lebensweise sei die einzig gültige." (S.100/101)
Aufgrund der oft revanchistischen Töne ihrer Verbandsfunktionäre wurden die Vertriebenen lange zu den reaktionär Kräften der Bundesrepublik gezählt. Tatsächlich waren sie in hohem Maße bis in die siebziger Jahre hinein verantwortlich für rechtsradikale Umtriebe. (S.102) [...]
Das Paradoxe ist: so rückwärtsgewandt viele Vertriebene auch waren, in der Nachkriegs gesellschaft wirkten sie als Agenten der Modernisierung. Sie verursachten jene kulturelle und soziale Durchmischung maßgeblich mit, auf die die junge Republik sich später so viel einbildete. [...] So waren sie zum Beispiel – neben dem späteren Fernsehen – in vielen Regionen für den Mundartenschwund verantwortlich. [...]
Schnell wurden die Vertriebenen deshalb von einer Last zu einem Gewinn für die deutsche Wirtschaft. Sie waren meist schneller bereit, sich neuen Umständen anzupassen als die Alteingesessenen. [...]
Der rasche Aufschwung nach der Wirtschaftsreform 1948 wäre ohne die Arbeitsemphase der Vertriebenen nicht möglich gewesen. [...]
Trotz aller Integrationserfolge dauerte es bis 1966, bis die letzten großen Barackenlager für Vertriebene aufgelöst werden konnten. (S.103 -104)
Oft erhielten die Siedlungen von den Einwohnern der gewachsenen Stadtteile Spitznamen wie Kleinkorea, Neupolen, Mau-Mau oder kKeinmoskau, womit sie deutlich machten, wohin sie die Menschen dort am liebsten verbannt hätten. [...] Mau Mau markierte auf sprechende Weise den Punkt, an dem die Deutschen sich selber fremd worden, und das war bezeichnenderweise nicht der Moment, als sie den Holocaust begriffen. [...]
Der Historiker Friedrich Prinz resümierte: "Der zufriedene Rückblick auf die geglückte Integration der Vertriebenen verstellt heute manchmal die Einsicht, wie nahe wir der gesellschaftlichen Katastrophe waren (S. 105)
Die Vertreibung der Deutschen war ein gigantisches Enteignungsprogramm [...]" Irgendwie konnte man darin schon eine gerechte Strafe für das Unrecht ansehen, was NS-Deutschland den überfallenen Völkern angetan hatte. Aber: "Die Vertriebenen fragten sich jedoch zu Recht, warum sie diese Bußlast allein tragen sollten. [...] Von den zurechnungsfähigen Politikern verschloss sich auch niemand der abstrakten Einsicht, dass die Lasten gerechter verteilt werden müssten. In welchem Maße allerdings und wie das konkret bewerkstelligt werden könnte, darüber gingen die Meinungen erheblich auseinander.
Leichter hatte es das Regime in der sowjetischen Besatzungszone, weil es dirigistischer verfahren konnte. Der ab Herbst 1945 beschlagnahmte Großgrundbesitz wurde zu mehr als einem Drittel an Vertriebene verteilt. Die neue Bauernstellen die durch die Bodenreform entstanden, gingen sogar zu über 40 Prozent an die Flüchtlinge. Dafür durften sie sich jedoch nicht mehr Vertriebene nennen; das Regime nannte sie Neubürger oder Umsiedler [...] Das gelang relativ gut um den Preis, dass die Vertriebenen ihre Geschichte verleugnen mussten und sich im offiziellen Geschichtsbild der DDR nicht wiederfanden. [...] 400.000 Vertriebene, darunter etliche, die den Verlust ihrer Identität nicht hinnehmen wollten, zogen bis Jahresende 1949 allerdings in die Westzonen weiter – auch das erhöhte die Integrationschancen für die übrigen in der DDR.
In der Bundesrepublik hatte derweil eine quälende Diskussion um den so genannten Lastenausgleich begonnen. Ein entsprechendes Gesetz trat im September 1952 in Kraft. Es regeite wer welchen Anteil an den Kriegslasten zu tragen hatte. Das Lastenausgleichsgesetz liest sich so trocken und glanzlos, wie es sich anhört, und doch verkleidet der Begriff ein Wunderwerk an politischem Aushandlungsvermögen. [...]
Erich Ollenhauer formulierte: "Es ist das Gesetz der Liquidierung unserer inneren Kriegsschuld gegenüber von Millionen unserer eigenen Volkes genossen." [...]
Das Gesetz bestimmte, dass Eigentümer von Grundstücken, Häusern und sonstigen Vermögen fünfzig Prozent ihres Besitzes, über den sie am Stichtag, dem 21. Juni 1948, verfügt halten, abführen mussten. Die Summe konnte in vierteljährlichen Raten über 30 Jahre hin weg entrichtet werden Nutznießer waren die 'Kriegsgeschädigten': die Ausgebombten, Invaliden und Vertriebenen. [...]
Der Verlust großer Vermögen sollte prozentual weniger entschädigt werden als der Verlust kleineren Besitzes." (S. 106-108)


Tanzwut (4. Kapitel, S.121-148)
[...] Das Gefühl, der Katastrophe entronnen zu sein und die unvorhersehbare, ungeregelte Zukunft führten zu einer gesteigerten Lebensintensität. Viele existierten nur für den Moment; war dieser schön, wollten sie ihn bis zur Neige ausschöpfen." (S.121)


Liebe 47 (5. Kapitel, S.149-206)
"Ohne den Vater waren viele Familien zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen, die mehr denn je auf einander angewiesen war (S. 152) 
"Die Entfremdung zwischen Vätern und Kindern, vor allem den Söhnen, nahm oft dramatische Formen an. Kinder, die in den Nachkriegsmonaten beim Hamstern und Schwarzhandeln über sich hinaus gewachsen waren, sahen nicht ein, warum sie sich plötzlich einem nichtsnutzigen, kranken Tyrannen unterwerfen sollten. 
(S. 154/155)
In glücklichen Fällen endete der Ehekrieg in einem langen anhaltenden Waffenstillstand. Man lernt sich zu arrangieren, fügte sich, schloss Kompromisse. Meist ging es nüchtern zu in diesen mühsam konsolidierten Ehen." (Seite 160/161)


Frauenüberschuss

"Weit über fünf Millionen deutsche Soldaten waren im Krieg gefallen. Hinzu kamen 6,5 Millionen Männer, die Ende September 1945 noch in westlicher Kriegsgefangenschaft waren. Über 2 Millionen Gefangene hungerten in sowjetischen Lagern. Noch 1950 entfielen auf 1000 Männer 1362 Frauen.[...] Von den Jahrgängen 1920-1925 kehrten mindestens zwei Fünftel der jungen Männer nicht mehr aus dem Krieg zurück. Besonders spürbar wurde das zahlenmäßige Ungleichgewicht in den Großstädten. [...] 
Es ging ja nicht nur um Liebe, sondern auch um den Lebensunterhalt, und die Erwerbsarbeit erschien nicht allen Frauen als das größte Glück auf Erden, zumal die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt bald wieder schlechter wurden. In der Folge wurde der Frauenüberschuss zu einer Kampfvokabel auf dem Stellenmarkt. Auch hier konkurrierten Frauen gegen Frauen. Die Alleinstehenden wurden gegen die Verheirateten ausgespielt. [...] Mit dem Hinweis auf die Vielzahl unverheirateter Frauen, die zu beschäftigen waren, entspann sich eine staatlich geförderte Kampagne gegen die 'Doppelverdiener', denen man vorwarf, sich überproportional zu bereichern. (S.176/78) 
"In vielen Bundesländern wurden weibliche Beamte, die mit männlichen verheiratet waren, aufgrund ihrer guten Versorgungslage aus dem Dienst entlassen – vorgeblich auch zum Wohl der Kinder und einer  'gedeihlichen Atmosphäre'. [...]
"Die Tochter einer Sodatenwitwe erinnert sich: [...] Die Heilgebliebenen separierten sich von den Blessierten, die mannlosen Frauen gerieten ins Abseits, die Kluft zwischen den Sanierten und den Dauergeschädigten blieb unüberbrückbar. Freundschaften entwickelte meine Mutter nur zu anderen Kriegerwitwen." (Seite 179)
"In Berlin verteilte die Rote Armee zeitweise Tintenfässer an die Frauen mit der Aufforderung, Vergewaltiger zu kennzeichnen, um sie durch ihre Vorgesetzten bestrafen zu lassen. Doch welche Frau traute sich schon, durch solche Maßnahmen die enthemmten Männer zusätzlich zu reizen?" (Seite 187)
"Ein SMS-Obersturmbannführer berichtete im März 1945 während des amerikanischen Vormarschs an seine Dienststelle, was ihm nach der vorübergehenden Rückeroberung eines Ortes durch die Wehrmacht von dessen Bewohnern erzählt worden war: 'Die Amerikaner hätten durchweg versucht, durch V.erschenken von Konserven, Schokolade und Zigaretten ein gutes Verhältnis mit der Bevölkerung herzustellen.' [...] Allgemein wird behauptet, dass sie sich besser verhalten hätten als unsere deutschen Truppen." 

(S. 191/92)
Die amerikanische Militärführung hatte "ihre Soldaten auf eine schonungslose Unterwerfung des Feindes eingestimmt und Fraternisierung jedweder Art im April 1944 verboten. Kein Händeschütteln, keine Wortwechsel, nicht die geringste Annäherung sei erlaubt. Umso verblüffter reagierten die einrollenden GIs auf den freundlichen Empfang, der ihnen von hübschen Frauen und staunenden Jugendlichen bereitet wurde, und konnten sich an den dankbaren Reaktionen nicht sattsehen, die sie mit ihren Zigaretten und ihrer Schokolade ausgelösten, welche sie trotz des Verbotes aus den Jeeps reichten." (Seite 193)


"Der 24-jährige Daniel Militello aus Brooklyn war der erste amerikanische Soldat, der nach Kriegsende eine deutsche Frau heiratete". Er hatte freilich allerlei zu erdulden. Als er um Ausreise für seine Frau und den gemeinen Sohn einkam, wurde er verhaftet und in die UC`SA zurück gebracht. Nur dank des Einsatzes einen Kongressabgeordneten wurde nach Monaten erreicht, dass seine Frau ihm folgen durfte. 

"Bis 1988 sollten ihr auf diesem Weg schätzungsweise 170.000 deutsche Soldaten Bräute folgen." (S:201)
"Es waren bezeichnenderweise die Frauenzeitschriften, die sich am vehementesten gegen die Verurteilung der 'Fräuleins' wehrten. In dem Beitrag 'Veronika Dankeschön: Frauen und Mädchen – Die Vorwürfe gegen sie und wen sie in Wahrheit treffen' wendete sich das Blatt Die Frau – ihr Kleid, ihre Arbeit, ihre Freude  gegen die Unterstellung, es ginge Veronika vorrangig um Zigaretten. Vielmehr wolle die Frau, die der Krieg um so viele Tanzbälle, Dampferfahrten, Konzertabende und Liebesabenteuer betrogen habe, nun 'endlich mal leben'." (S.203)

Was Marta Hillers in ihrem Tagebuch beschrieben hatte, als sie in Berlin von mehreren russischen Soldaten vergewaltigt worden war, kommentiert Harald Jähner: 

"Ihr kaltblütiges Bestreben, sich in den oberen Militärrängen einen Leitwolf als Beschützer zu suchen, um fortan vor den Nachstellungen der rohen, einfachen Wölfe bewahrt zu werden, entspricht einer Urszene der Partnerwahl.Sie selbst ist erstaunt, wie das Gefühl der Dankbarkeit, inmitten der Anarchie einen gewissen Schutz gefunden zu haben, zu zärtlicher Anhänglichkeit führt. Es herrscht eben Wolfszeit; [...]" (S. 204)

Rauben, Rationierung, Schwarzhandeln – Lektionen für die Marktwirtschaft (6. Kapitel, S.207-250)
Die meisten Deutschen lernten den Hunger erst nach dem Krieg kennen. Bis dahin hatte man von der Ausplünderung der besetzten Gebiete einigermaßen gut gelebt." (S. 207)


"Besonders schwach ausgeprägt war das Unrechtsbewusstsein beim Verschieben von Kaffee. In den Dörfern an der belgischen Grenze wurde der Schmuggel zu einer Massenbewegung, die sich wegen der hohen Besteuerung in der britischen Zone extrem lohnte. Die polizeilichen Gegenmaßnahmen nahmen dort so militante Züge an, dass man bald von der "Kaffeefront" sprach. 31 Schmuggler und zwei Zöllner kamen bei den Auseinandersetzungen ums Leben. Da die Zöllner Skrupel hatten, auf Kinder zu schießen, kamen sie auch hier überall zum Einsatz. Dabei nutzten sie ihre schiere Überzahl. Zu Hunderten überrannten Kinder und Jugendliche die Grenze, die Taschen voller Kaffee, und wieselten zwischen den Zöllner Beinen hindurch. Gelang es den Grenzen aus dem Schwarm ein Kind herauszugreifen, mussten sie es am Abend wieder ziehen lassen, denn die Heime waren längst mit schweren Fällen überfüllt. Der Film "Sündige Grenze" von Robert A. Stemmle setzte 1951 den Schmuddelkindern von Aachen, die sich selbst "Rabatzer" nannten, ein eindrucksvolles, vom italienischen Neorealismus inspiriertes Spielfilmdenkmal. Stemmler hatte 500 Kinder und Jugendliche rekrutiert, die Hälfte davon aus Berlin, um an der deutsch-belgischen Grenze an den Originalschauplätzen zu drehen. Wie diese verwahrlosten Kindermassen die Bahndämme entern, gejagt von Zöllnern und Polizisten, sich unter anfahrenden Zügen hindurchzwängen und die Grenze befallen wie Heuschrecken, das gehört zu den packendsten Szenen, die der Nachkriegsfilm zustande brachte übrigens auch deshalb, weil er zeigte, wie unsicher die Grenze zwischen den Guten und Bösen verlief.
Ganz im Sinne von Kardinal Frings halten die Aachener Rabatzer das Verständnis der Kirche. Sie wandte sich mehrfach gegen den Schusswaffengebrauch an der

Die Generation Käfer stellt sich auf (7. Kapitel, S.251-302)
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Die Umerzieher
Drei Schriftsteller und Kulturoffiziere arbeiten für die Alliierten am deutschen Geist (8. Kapitel, S.303-336)

Hans Habe schuf rasch ein Zeitungsimperium und mit der Neuen Zeitung ein Blatt von Rang, das viele große Namen anzog und eine erstaunlich freie Diskussionskultur pflegte. Er schreib Bestseller um Bestseller und leistete sich gegenüber seinen Förderern von der amerikanischen Besatzungsmacht recht große Freiheiten. Einen guten Klang hat sein Name heute wohl aber deshalb nicht mehr, weil er Rudolf Augstein und Heinrich Böll als Verharmloser des RAF-Terrors "abkanzelte" (S.333). - Bemerkenswert, wie es Hildegard Knef gelang, Habe und Henri Nannen, der Habe übel angegriffen hatte, dazu zu bringen, sich in einem "kleinen Atlantikpakt" wieder zu vertragen. (S.331)
Alfred Döblin arbeitete in der französischen Zone, leistete gute Arbeit, wurde aber in der Öffentlichkeit nicht mehr akzeptiert. (Seinen letzten Roman musste er in der DDR anbieten, dort verlangte man von ihm, ihn umzuschreiben. Als man ihn dann in Westdeutschland druckte, nicht in der Originalfassung, sondern in der der DDR.)
Rudolf Herrnstadt wagte es 1948 im Neuen Deutschland etwas über die Barbarei der Roten Armee im Siegesrausch zu schreiben. Aber als idealistischer Kommunist stand er "so zweifelsfrei auf Seiten der Sowjets, dass er von Ulbricht sogar verdächtigt wurde, das Politbüro für die Russen ausgeforscht zu haben" (S.326). Dann setzte er sich für "die Forderungen der Bauarbeiter nach besseren Absprachen und gerechterer Entlohnung" (S.327) ein. Als die am 17. Juni 1953 den Aufstand probten, war sein Schicksal besiegelt. "Die SED war einen ihrer größten Idealisten los." (S.328)

Der Kalte Krieg der Kunst und das Design der Demokratie (9. Kapitel, S. 337-371)
Wie die abstrakte Kunst die soziale Marktwirtschaft ausgestattete
"[...] Bei der Documenta sah man Besucherinnen, deren Kleider so gemustert waren wie die Bilder, die sie betrachteten. Der Kunsthandel wollte jetzt genauer wissen, wer welche Kunst kauft, und beauftragte das junge Allensbach-Institut mit einer Umfrage. Das Ergebnis: Willi Baumeister und seine Kollegen von der tachistischene Avantgarde wurden von den Zukunftsorientierten gekauft, von Industrieunternehmen, Elektroingenieuren, Betriebsdirektoren und Managern. Bedenkentragende Bankdirektoren, Professoren und Anwälte hingegen, das klassische Bildungsbürgertum, kaufte die Moderne moderaten Typs, also Expressionismus und Impressionismus. [...] (S.353)

Kubiceks Wirken ist beispielhaft für die amerikanische Reeducation-Strategie. Eine überaus effektive Linie verläuft vom Genie des Jackson Pollock bis hin zu den Berliner Kindern, die sich in der Malschule des Amerika-Hauses mit großen Gesten buchstäblich frei malten. [...] Pollock [...] schien mit seinen eindrucksvollen, riesigen Tröpfelbildern geeignet, Amerikas beste Seiten zu verkörpern. (S. 358)
"Wenn das Kunst ist, bin ich ein Hottentotte", hatte Präsident Truman 1947 im MoMA gesagt und konnte sich dabei des stürmischen Beifalls der Mehrheit sicher sein. Seine Strategen des Kalten Krieges hinderte das nicht, in genau dieser Kunst das beste Mittel zu sehen, um Amerika wirksam in Szene zu setzen. (S.359)


Wie der Nierentisch das Denken veränderte
[...] 20 Jahre später erschien der fünfziger-Jahre-Chic vielen als verlogen und deplatziert. Und doch gehörte das schräge Mobiliar zur geistigen Gesundung der Deutschen unbedingt hinzu.(S.368)

Der Klang der Verdrängung (10. Kapitel, S.373-403)


Nachwort: Das Glück (S.405-409)


Dass sich trotz der verbreiteten Weigerung, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, und trotz der massiven Rückkehr der NS-Eliten auf ihre alten Positionen in beiden deutschen Staaten vom Nationalsozialismus geläuterte Gesellschaften durchsetzten, ist ein viel größeres Wunder als das so genannte Wirtschaftswunder. Fast so beunruhigend wie die Dimension, in der Deutschland zum globalen Albtraum werden konnte, ist die schlafwandlerische Sicherheit, mit der es danach seine Biederkeit wieder gewann. Das Wunder ist gerade deshalb eines, weil es so unspektakulär ausfiel. (S. 405)


Jaspers forderte auf:
"Wir wollen lernen, miteinander zu reden. Das heißt, wir wollten nicht nur unsere Meinung wiederholen, sondern hören, was der andere denkt. Wir wollen nicht nur behaupten, sondern im Zusammenhang nachdenken, auf Gründe hören, bereit bleiben, zu neuer Einsicht zu kommen. Wir wollen uns innerlich versuchsweise auf den Standpunkt des anderen stellen. Ja, wir wollen das uns Widersprechende geradezu aufsuchen. Das Ergreifen des Gemeinsamen im Widersprechenden ist wichtiger als die voreilige Fixierung von sich ausschließenden Standpunkten, mit denen man die Unterhaltung als aussichtslos beendet." 
(Karl Jaspers: Die Schuldfrage. Von der politischen Haftung Deutschland, 2012, Seite 8 – zitiert nach Harald Jähner: Wolfszeit 2019, S. 409)

Aus den Rezensionen (in der Wiedergabe durch Perlentaucher): 
Melanie Longerich im Deutschlandfunk: "Die Geschichte Deutschlands mit seinen Vertriebenen wiederum schildere Jähner als "Fremdheitserfahrung der Deutschen mit sich selbst" (so Jähners Formulierung), die das Land nach dem Krieg gegen den Nationalismus geimpft habe."
Thomas E. Schmidt in der ZEIT: "Welch große Rolle der Zufall in den ersten Jahren nach dem Krieg spielte, wie soziale Marktwirtschaft aus dem Geist des Schwarzmarktes erwuchs, wie Albernheit und Erotik Urständ feierten und schließlich in Kulturreaktion mündeten - all das kann Jähner zeigen. Laut Schmidt verpasst er dabei nur die Gelegenheit, den "Rückzug ins Verzagte" hinreichend zu erklären."

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