"Endlich war er angebrochen, der heilige Valentinstag, der den Karneval mit sich bringt. Den Karneval! den ganz Rom ersehnt, der jedem und wäre es auch nur eine frohe Stunde bringt. Aber was für ganz Rom der laute Künder froher Feste ist, das beginnt in Stille mit der sich ewig wiederholenden Kränkung der unglücklichen Bewohner des Ghetto. Der erste Akt des Karnevals spielt in dem Saale der Konservatoren auf dem Kapitol, wo die Abgeordneten der Judenschaft dem Senate und den Bürgern der Stadt Rom einen Tribut – jetzt nur noch figürlich in einem Blumenstrauße – entrichten und dafür die Erlaubnis erhalten, noch ein Jahr länger in Rom verweilen zu dürfen. Zwei Deutsche hatten dieser traurigen Zeremonie auf dem Kapitole beigewohnt. Der eine ein lebengeprüfter, doch heiterer Mann auf der Mittaghöhe des Daseins; der andere in jenem glücklichen Alter, in dem der Frohsinn des Jünglings, sich mit dem Nachdenken des Mannes verbindend, die Genußfähigkeit steigert. Der ältere hieß Alwyl, Hermann der jüngere. Ein zufälliges Begegnen auf der Reise hatte sie zueinandergeführt, ihre Seelen sich gefunden, sie waren Freunde geworden in der edelsten Bedeutung des Wortes. Und wie in dem Gefühl Alwyls sich etwas von der Liebe eines Vaters zeigte, der in dem Sohne die eigene Empfänglichkeit der Jugend widergespiegelt sieht, so mischte sich in die Freundschaft, welche Hermann für jenen hegte, eine Art von Sohneszärtlichkeit, die sich achtend und liebend unterzuordnen strebte. Tieferschüttert durch die auf dem Kapitole erlebte Szene, gingen sie schweigend einher, bis Alwyl in heftigen Worten seiner Erbitterung gegen diese, gegen jede Art von Unterdrückung Luft machte. Hermann fühlte wie er, hörte ihm aufmerksam zu, doch plötzlich flog ein Lächeln über sein Gesicht, und Alwyl, der es bemerkte, fragte nach der Ursache desselben. [...]
Hermann war schon im vorigen Jahre anwesend gewesen, und auf die wiederholte Frage des Freundes, was sein glückseliges Lächeln bedeute, gestand er, daß ihm plötzlich eine schöne Erinnerung des letzten Karnevals in der Seele auftauche. »Ich sah im vorigen Karneval gleich in den ersten Tagen eine junge Römerin in griechischer Maske«, sagte er. »Sie glauben nicht, Alwyl, wie schön sie war! Hoch, schlank, voll, flammend wie eine Italienerin und dabei doch der süßeste Liebesblick, den je ein weibliches Auge gehabt hat. So mag Julia ausgesehen haben –« »Und Sie möchten den Romeo machen!« ergänzte Alwyl. »Warum denn nicht?« fragte Hermann fröhlich. »Sie, bester Freund, würden sich ebenfalls nicht lange besinnen, die Rolle zu übernehmen, wenn Sie die Griechin sähen. Ich warf ihr mein schönstes Bukett zu, sie dankte mir mit einem Veilchenstrauße, den ich aufhob und den – lachen Sie mich nicht aus – ich aufbewahrt habe. Ich sagte mir damals, es geschähe, weil es der erste Strauß sei, den mir eine Römerin zugeworfen habe. Frage ich mich aber ehrlich, so bewahrte ich ihn um des Mädchens willen.« [...]
»Sehen Sie das schöne Mädchen, die oben auf dem zurückgeschlagenen Wagen sitzt«, rief Hermann. »Diese reizende Tochter des Regimentes in ihrer kleidsamen Uniform ist die Schwester meines Wirtes, eines ehrbaren Schuhmachers, und die starke Frau neben ihr ist die Mutter des –«
Ein lautes Lachen der Umstehenden unterbrach die Rede. Mit großer Leichtigkeit war ein gewandter Wilder auf den Wagentritt gesprungen und hatte der starken Padrona ein paar große Orangen auf den Busen gelegt. Der Einfall ward belacht. Die Donna Romana lachte mit den andern, ließ die Orangen einen Moment liegen, steckte dann Blumen in die Früchte und warf sie dem kecken Burschen wieder zu, der sich in einiger Entfernung gehalten hatte, den Erfolg seiner dreisten Neckerei abzuwarten. Die Männer aus dem Wagen sendeten dem Übermütigen reiche Ladungen von Konfetti nach, denen er sich durch die Flucht entzog, während er die zurückerhaltenen, blumengeschmückten Orangen einer andern schlankeren Schönheit verbindlich überreichte. [...]
Alwyl hatte einen Balkon erreicht, von dem er dem Pferderennen zusehen wollte, als Hermann heraufkam und freudestrahlend ausrief: »Meine Griechin ist da und schöner als je!«
»Wo denn?« fragte der andre.
»An der Ecke der Via Frattina! Und nun leben Sie wohl, denn ich muß hin, ich muß wissen, wer sie ist, wo sie wohnt. Sie hat mich erkannt. Dies ist der Strauß, den sie mir zugeworfen hat. Adieu!«
Vergebens rief Alwyl ihn zurück, um einige Verabredungen für den Abend mit ihm zu treffen; er war nicht zu halten und eilte die Straße hinauf, in der bereits die Dragoner zweimal vorübergesprengt waren, um Bahn zu machen für das Rennen der Pferde. [...]
Alwyl bemerkte den Wagen und die Buketts zuerst. »Ob das nicht unsere Dominos sind?« fragte er lebhaft.
»Das ist Giuditta!« rief Hermann, und die lange gesparten Sträuße flogen als ebenso viele Liebesgrüße dem schönen Mädchen entgegen. Sie empfing sie mit freundlichem Blick, mit jenem anmutigen Gruß der Hand, der nur den Italienerinnen eigen ist; als darauf Hermann hinzutrat, ihr einen schönen Zweig künstlicher Rosen zu bieten, wählte sie lange unter den Blumen, die sie in ihrem Körbchen hatte, und reichte ihm den schönsten ihrer Sträuße, während sie, zu dem Herrn gewendet, der hinter ihr saß, mit schelmischem Lächeln einige Worte sprach.
Dann zog der Wagen in der Fila weiter, Hermanns Blicke folgten ihm lange. Er war ganz ernsthaft geworden, als Alwyl ihm gestand, nie ein schöneres Mädchen gesehen zu haben, und ihm Glück zu der Eroberung wünschte.
»Spotten Sie nur!« rief Hermann, »ich verdiene das. Warum mußte ich Ihnen auch erzählen, daß ich mich wie ein Knabe in ein hübsches Lärvchen vergafft habe. Aber denken Sie davon, was Sie wollen, ich fühle es jetzt an meinem Zorn, an meinem Unwillen, ich habe Giuditta geliebt, und ich liebe sie noch.«
Er sprach die Worte in so gereiztem Tone, daß Alwyl ihn befremdet ansah und ihn fragte, weshalb er denn zornig und unwillig sei gegen das schöne Mädchen mit den großen, schuldlosen Kinderaugen.
»Grade deshalb!« sagte Hermann. »Sieht sie nicht aus, daß man sie für einen Engel des Lichtes halten müßte, und da kommt der Quacksalber, der mir ihren Namen entgegenruft; da begegnen wir ihr selbst, wie sie verkleidet zu einem Rendezvous geht, und nun sitzt der gezierte Dandy hinter ihr, mit dem sie lächelnd spricht, während sie doch gestern tat, als suchte sie nur mich in der Menge. Es wird wohl der schöne Fremde sein, der jetzt das Haus ihrer Tanten soviel besucht.« [...]
Ein schönes Bukett, ein Körbchen mit Naschwerk flogen in das Fenster; das bleiche Mädchen, die sich nicht vorbereitet haben mochte auf solchen freundlichen Gruß, schien verlegen, ihn nicht erwidern zu können. Plötzlich nahm sie eine schwarze Schleife von ihrer Brust, brach eine rote Nelke von dem Blumentopfe auf dem Fenster, und beides ineinanderknüpfend, warf sie es Alwyl zu, der es grüßend an seinen Hut befestigte und weiterziehen wollte, als ihm ein Doktor den Weg vertrat, der mit einigen Damen in einem Wagen scharmutzierte.
Alwyl sah ihn an, es war derselbe Mann, der am vorigen Tage Giuditta begleitete, es mußte nach Hermanns Beschreibung derselbe sein, der diesen mit dem Namen Giudittas beunruhigt und gereizt hatte. Alwyl fing an, ein wohlberechnetes Spiel zu vermuten, und wünschte um Hermanns willen der Sache auf den Grund zu kommen. Er trat, sobald der Wagen vorüber war, der die Aufmerksamkeit des Doktors gefesselt hatte, an diesen heran und fragte: »Seid Ihr der Doktor, der neulich einem jungen Deutschen Heilung seiner Blindheit versprach?«
»Der bin ich. Ich wollte ihn mit dem Wunderbalsam lacrime della Giuditta heilen, aber der Törichte entschlüpfte mir, und ich glaube, er ist so stockblind, daß ihm nicht zu helfen sein wird.«
»Kennt Ihr den jungen Deutschen?« fragte Alwyl.
»Sehr wohl. Er heißt Hermann D., ist seit zwei Jahren in Rom und denkt noch lebhaft des verwichenen Karnevals und einer schönen Griechin. Ihr seid sein Freund?«
»Gewiß! das bin ich; und deshalb darf ich fragen, was bewog Euch, den Verhältnissen eines Fremden nachzuspähen?«
»Die Lust und die Pflicht, einer schönen Frau zu dienen.«
»Die schöne Frau ist Giuditta Marchetti!« sagte Alwyl.
»Vielleicht ist sie's«, entgegnete der Gefragte und wollte sich entfernen.
Aber Alwyl hielt ihn fest. »Nein!« sagte er, »so entkommen Sie mir nicht. Das geht über den Maskenscherz hinaus. Wer sind Sie, mein Herr? Was ist Ihnen Signora Marchetti? Was wollen Sie mit dem Spiele, das Sie offenbar leiten?«
»Sie fragen viel auf einmal«, meinte der andre. »Indes ich bin zu antworten bereit.« Er reichte Alwyl eine Karte hin, auf welcher der Name Horazio Viviano stand, und sagte: »Ich bin Advokat in Bologna und seit drei Wochen wegen einer Familienangelegenheit, die mich und meine Cousine Giuditta nahe angeht, in Rom. Das Spiel, das ich – um mich Ihres Ausdruckes zu bedienen – leiten soll, hängt damit genau zusammen.«
»Aber wie das?« fragte Alwyl.
»Das zu erörtern ist hier nicht der Platz. Sie sehen, ich bin Ihnen mit Vertrauen entgegengekommen. Ihr junger Freund gefällt mir und gefällt, was wohl die Hauptsache ist, auch einer andern mir werten Person. Wollen Sie mir die Auskunft über ihn geben, die ich bedarf?«
»Zu welchem Zwecke?« sagte Alwyl.
»Um zwei Glückliche zu machen! Meine Wohnung ist auf meine Karte geschrieben. Darf ich Sie morgen in den Frühstunden erwarten?« [...]
Zur verabredeten Stunde begab sich Alwyl in Horazios Wohnung. [...] Horazio sagte: »Damit Ihnen, mein Herr, mein Betragen gegen Ihren jungen Freund und Sie sowie das Verhalten meiner Cousine nicht zu befremdlich und zu auffallend erscheinen, müssen Sie mir erlauben, Ihnen einen kleinen Abriß der Verhältnisse zu geben, in denen meine Cousine und ich uns befinden. Ein älterer Bruder der beiden Fräulein Marchetti hat bei seinem Tode diesen beiden Schwestern sein sehr bedeutendes Vermögen zu lebenslänglichem Nießbrauche vermacht mit der Bedingung, daß sie es später mir und Giuditta hinterlassen und daß wir uns miteinander verheiraten sollten, um das Erbe, welches aus Gütern in der Mark besteht, zusammenzuhalten. Wer von uns beiden sich weigert, diese Ehe einzugehen, ist, wenn die Tanten es wollen, seines Anteils verlustig, und sie dürfen darüber nach Gefallen zugunsten des andern oder sonst nach ihrem Ermessen verfügen.
Nun werden Sie es begreiflich finden, daß die Herzen sich nicht immer den Verordnungen eines gestorbenen Onkels fügen können. Ich liebe eine junge Römerin, deren Vater sie mir geben würde, wenn ich das Erbteil meines Onkels besäße. Er verweigert mir die Hand seiner Tochter, wenn ich es verliere, obgleich er reich ist und ich auch ohne dasselbe imstande wäre, mit der Zeit meiner Frau ein behagliches Leben zu schaffen. Ich kam nach Rom, um zu versuchen, ob es mir nicht gelänge, meine Tanten für meine Wünsche zu gewinnen, die sich bis jetzt dagegen erklärt hatten. Ich sprach mit Giuditta davon, fand sie, nicht ohne eine kleine Verletzung meiner Eitelkeit, sehr geneigt, der Verbindung mit mir zu entsagen, und es kam mir vor, als ob irgendeine andere Neigung sich ihres Herzens bemächtigt hätte. Als ich in sie drang und ihr erklärte, daß für uns beide die Hoffnung auf Freiheit der Wahl am größten sei, wenn auch sie die Heirat mit mir ablehne, gestand sie endlich, daß sie einen jungen Deutschen zwar nicht liebe, denn sie habe ihn nie gesprochen, aber doch nicht vergessen könne, seit sie ihn im vorigen Karneval gesehen. Diese Mädchengrille schien mir sehr unbedeutend; indes als sie mir am ersten Karnevalsabende erzählte, der junge Deutsche sei wieder da und ebenso galant für sie als im vorigen Jahre, als sie ihn mir am Montag zeigte und der Doktor, der zufällig in meiner Nähe war, ihn einen braven jungen Mann nannte, da entstand in mir der Gedanke, ob man nicht die Freiheit des Karnevals dazu benutzen könnte, mir und Giuditta volle Freiheit zu verschaffen und vier Menschen glücklich zu machen.«
Alwyl hatte ihm aufmerksam zugehört; nun, als jener geendet hatte, sagte er: »Und welchen Eindruck, glauben Sie, würde Giudittas Erklärung, daß auch sie der Heirat mit Ihnen abgeneigt sei, auf die alten Damen machen?«
»Ich glaube, einen günstigen. Träte ich allein zurück, so möchte es vielleicht dem Einfluß des Abbate Luigi gelingen, die Hälfte des Vermögens der Kirche zu- und mir abzuwenden. Will aber auch Giuditta sich nach eigener Wahl verheiraten, so fügen die Tanten, in denen ein leiser Anflug von Romantik aus ihrer Jugendzeit fortlebt, sich wohl in das Unvermeidliche und teilen das Vermögen einst ganz ruhig zwischen Giuditta und mir. Sie sehen, ich gehe offen zu Werke und bekenne, daß mich, obgleich ich Giuditta wie eine Schwester liebe, hier ganz selbstsüchtige Motive lenken. Sagen Sie mir nun, ob Sie Ihren Freund mit meinen Absichten einverstanden glauben, ob er meine Cousine liebt und daran denkt, sich ihr zu nähern, sie zur Frau zu begehren?«
Von hier an entwickelt Fanny Lewald eine kleine Komödienhandlung, in deren Verlauf es gelingt, die ursprünglich widerstrebenden Tanten und den Abbate dafür zu gewinnen, dass sie die geplante Heirat zugunsten einer Doppelheirat mit ausgewechselten Partnern akzeptieren.
Das kann man hier nachlesen. Doch den Schluss der Erzählung, die Lewald sicher nur erfunden hat, um ihren ausführlichen Bericht vom römischen Karneval lebendiger zu gestalten, biete ich auch hier schon zur Lektüre an:
Nur noch vierundzwanzig Stunden hatte der Karneval zu leben, überall hörte man seinen nahen Tod beklagen. Wie toll und wild drängte man sich am Dienstagnachmittag in den Corso, um den geliebten Karneval noch einmal zu sehen, um bei ihm zu bleiben bis an sein Ende und ihn mit den Moccolilichtchen zu Grabe zu tragen. Niemand will das erste Lichtchen anzünden, denn wenn das letzte verlöscht, ist die Lust vorüber; und doch blickt jeder umher, ob noch nirgend ein Flämmchen erglänze. Endlich taucht eins auf! ganz fern, ganz unten an der Ecke der Via dei Greci. Wie es so einsam, so scheu durch die Dämmerung flimmert, als fürchte es den noch anwesenden Tag, als traue es sich nicht recht hervor, solange der da sei. Aber der Tag scheidet, und das Lichtchen brennt; da wagt sich ein zweites hervor und ein drittes, und nun folgt die ganze Schar. Von den Balkonen des Mezzanin durch den ersten Stock bis hinauf zu den Fenstern unter den Dächern schlingen sie sich empor. Die einzelnen kleinen Glühwürmchen verwandeln sich wie im Märchen blitzesschnell in große, funkelnde Feuerschlangen, welche sich rastlos über den ganzen Corso fortwälzen. Alles strahlt in Licht und Flammen. Licht! ist das Losungswort dieser Stunden, nur im Flammentod kann der göttliche Frohsinn des Karnevals sein Ende finden. Nicht bang, nicht müde schleicht er dem Ende zu. Frisch, freudig, in höchster Lebensfülle verschwindet er, taucht er unter in ein Meer von Licht und Flammen. Das ist schön. Jeder will sein Teil dazu bringen, jeder muß ein Lichtchen in Händen haben. Aber die Fülle des Glanzes verwirrt, man fürchtet zu erblinden, wenn es ewig so währte, und die bangen Menschen fangen an, hier und dort ein Flämmchen zu löschen. Toren, die ihr seid! Glaubt ihr, es gäbe hienieden eine Lust ohne Ende? Eine Flamme ohne Erlöschen und Sichverzehren? Laßt nur die Lichtchen brennen, laßt nur die Feuerschlange sich schillernd und flimmernd über den Corso wälzen und die Flämmchen den Sankt-Elms-Feuern gleich über Wagen und Fußgängern leuchten. Nur eine kurze Frist, und die Pracht ist zu Ende, und der Flammenstrahl der Freude hüllt sich ein in das matte Grau, in das Halbdunkel gleichgültiger Alltäglichkeit. War der Eifer groß, mit dem man die Moccoli anzündete, so ist die Leidenschaft des Auslöschens und Wiederanzündens noch stärker. Aus den obern Stockwerken herab, von der Straße hinauf schlägt man mit Tüchern, die an Stangen befestigt sind, nach den Moccoli auf den Balkons. Dreiste Burschen springen auf die Wagen und suchen die Lichtchen zu erreichen, welche man, auf die Sitze steigend, vor ihrer Vertilgungswut zu retten strebt. Hie und da flammt ein Taschentuch, eine Fenstergardine in hellem Feuer auf; aber die Menschen sind Salamander geworden, sie leben nur noch im Feuer, Feuer erschreckt sie nicht, stört nicht den wahrhaft bacchantischen Taumel. Und käme ein Cato, eine Magdalene auf den Corso, sie könnten sich dem allgemeinen Jubel, der überwältigenden Lust nicht entziehen. Wäre man blind, hörte man nur den jauchzenden, immer wachsenden Lärm der unzähligen Menschenmenge, man würde mit Schaudern das furchtbarste Ereignis hereingebrochen wähnen. Kein Bild, keine Beschreibung geben eine Vorstellung dieser Stunden.
Jedes Bedenken, jede gewohnte Schicklichkeitsregel verschwindet. Mit den kostbarsten Schals schlagen vornehme Frauen nach dem Lichtchen des Straßenbuben, das ihnen erreichbar scheint. Dreist gemacht durch die allgemeine Tollheit, sicher gemacht durch den Eifer, in dem jeder nur mit sich und seinem Lichtchen beschäftigt ist, sprang Hermann die Treppen in dem Eckhause der Via Frattina hinauf, schlug mit seinem Tuche die Moccoli der Tanten, Alwyls und des Abbate zu Tode, und ehe diese noch den kecken Störenfried erkannten, zog er die überraschte Giuditta in seine Arme, und sie ruhte an seiner Brust.
Die Tanten wußten nicht gleich, was sie dazu sagen sollten. Den ganzen Nachmittag hatte Alwyl ihnen auseinandergesetzt, daß es der Wille des Erblassers gewesen sei, ein glückliches Paar zu machen; wie es jetzt aber in ihrer Macht stehe, mit denselben Mitteln vier Menschen zu beglücken, also den Willen des Gestorbenen doppelt schön zu erfüllen. Er hatte ihnen Horazios und Giudittas Dank, ein ganzes Idyll von Familienglück geschildert und nicht vergessen, hinzuzufügen, daß er, wenn er Hermann verliere, sich wieder recht einsam vorkommen werde. Die Herzen der Tanten waren erweicht. Der Abbate wurde vernachlässigt um Alwyls willen.
Nun stand das junge, liebende Paar zärtlich umschlungen vor den Tanten da. Die Keckheit Hermanns gefiel ihnen wohl. Sie konnten nicht länger widerstehen. Mitten in dem allgemeinen Jubel ward der Bund der Herzen gesegnet, und als die letzten Moccoli auf dem Corso verlöschten, zogen zwei schönere Sterne, die Augen Giudittas, für immer an dem Lebenshorizonte des glücklichen Hermann empor.