04 April 2020

Fanny Lewald: Die Bettler

Das Betteln ist ein Monopol in Rom, das man aber weniger streng überwacht als das Tabaksregal der Regierung. »Sono privilegiato! – Ich habe ein Privilegium«, sagten mir alte Männer, welche ein Messingschild auf der Brust trugen, wie in Preußen die Gerichtsboten, und unter dieser Ägide die Mildtätigkeit ansprachen. [...]
Mürrische, den Hartherzigen verfluchende Bettler, wie man ihnen bei uns begegnet, habe ich in Italien nicht gesehen. Da sich die meisten an bestimmten Punkten aufhalten, kommen diejenigen, welche diese Punkte vorzugsweise besuchen, bald in ein ganz vertrauliches Verhältnis mit ihnen. Mitten auf der Spanischen Treppe fand man immer einen wohlgenährten Mann, der keine Beine hatte und sich auf den Händen mit großer Schnelligkeit fortbewegte. Er galt für reich, sollte im Laufe der letzten Zeit einer Tochter ein Haus in Trastevere als Mitgift geschenkt haben und das Haupt der Bettler vom Monte Pincio sein. Morgens und abends ritt er auf einem Esel von und nach seiner Wohnung, den ihm ein wohlgekleideter Knabe führte. [...]
Jeder dieser Bettler betrachtet das Terrain, auf dem er sein Gewerbe treibt, als eine Domäne, auf die kein anderer Ansprüche hat; [...]
So gibt es in Italien Bettler von den verschiedensten Privilegien. Die vornehmsten sind die Bettelmönche, die ihr Privileg von Gott zu haben behaupten, dafür einen Eid der Armut leisten und, da sie doch essen und trinken, sich kleiden und ein Obdach haben wollen, aus Pflichterfüllung betteln müssen. Dann kommen die von der Regierung privilegierten Bettler, welche immer alte, kranke, arbeitsunfähige Leute sind und Anspruch auf die Milde der Gesunden, Arbeitsfähigen haben. Darauf folgen die unprivilegierten Krüppel, denen aber die Natur mit der mangelhaften Gestalt das wahre Privilegium gab, auf fremde Hilfe zu rechnen; und den Schluß machen die Bettler, welche nicht Arbeit fanden in der schlecht eingerichteten Gesellschaft oder welche nicht arbeiten wollen. Diese letztern sind es, gegen die sich die Erbitterung der Fremden richtet. Man nennt sie faul, unverschämt, man weigert ihnen die Gabe, man droht ihnen mit Schlägen – und warum? Weil sie nicht geschworen haben, nichts zu tun und zu betteln, sondern dies ohne Eid tun. [...]"
(Fanny Lewald: Die Bettler)

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