11 April 2020

Fanny Lewald: Ein Besuch im Frauenkloster Trinità dei Monti und eine Jesuitenpredigt

Rom hat das Eigentümliche, daß in ihm noch eine Menge von Charakteren, von Zuständen, von Einrichtungen existieren, welche uns im protestantischen Norden so ferngerückt sind, daß wir kaum noch an ihr Vorhandensein glauben. [...]
Heiligenbilder, Mönche, Kardinalsequipagen, Prozessionen, das sind alles Dinge, von denen wir zwar hören, die uns aber doch ziemlich fern und unklar vorschweben. Man glaubt daran, weil es nicht der Mühe verlohnt, daran zu zweifeln; oder man denkt nicht daran, weil es so in gar keiner Beziehung zu uns steht. In Italien und namentlich in Rom tritt aber der Katholizismus in seiner ganzen riesenhaften Größe und Festigkeit auf. Er mahnt mich oft an den schönen Gigantenbau, an das Colosseum, das aus so festen Quadern nach so weisem Plane gebaut ist, daß es fast unzerstörbar scheint. Soviel die Zeit und die Menschen daran gerüttelt haben, soviel schon davon vernichtet ist, noch immer überragt es an Schönheit und Tüchtigkeit alle andern Bauten, und man fühlt, daß es doch noch innere Haltbarkeit und lange Dauer in die Zukunft haben wird. Es ist eine tiefe, weise Konsequenz in dem Bauplan, und alles, was konsequent ist, hat Dauer. [...]
Dieses momentane klösterliche Sichzurückziehen findet in Rom ebenfalls noch statt unter dem Namen der esercizii spiritoali, und zwar kurz vor Ostern als Vorbereitung auf dies größte Fest der Kirche. [...]
Durch Vermittlung einer Dame, die früher einmal ein paar Wochen zu gleichem Zwecke im Kloster gelebt hatte, ward mir der Zutritt zu einer dieser Vorübungen gestattet, und ich will versuchen, die Eindrücke, welche ich dabei empfing, für andere zugänglich zu machen, denen sie vielleicht ebenso fremdartig erscheinen dürften als mir. [...]
Es war Mittag vorüber. Eine Nonne von gutmütigem Aussehen führte fünf kleine Mädchen im Alter von acht bis zwölf Jahren in eine der Kapellen, setzte jeder einen Schemel zurecht, auf dem die Kleinen niederknieten, und ließ sie sich zur Beichte vorbereiten. Es war die Kapelle, in der die beiden Magdalenen von Veit gemalt sind. Die Mädchen trugen weltliche Kleidung, hatten aber schwarze Kreppschleier und sahen, was mir auffallend war, alle bleich und schwächlich aus. Während die Kinder beteten, standen wir vor der anstoßenden Kapelle und betrachteten die schöne Kreuzabnahme von Daniel di Volterra, welche der Hauptschmuck dieser Kirche ist. In unserer Bewunderung des schönen Bildes unterbrach uns der Eintritt eines Priesters, der sich mit jener behaglichen Sicherheit in den Beichtstuhl setzte, mit der ein Präsident sich am Sessionstisch niederläßt, und bald darauf erschien eines der kleinen Mädchen, kniete demütig nieder und fing seine Geständnisse an. Ob sich der kälteste Priester nicht beschämt an die Brust schlagen mag, wenn er hört, er, der Welt und Leben kennt, was solch ein achtjähriges Kind für Sünde hält? Ob er nie die Versuchung fühlt, die kleine Unschuld auf den Altar zu setzen und in tiefer Beschämung vor dem reinen Wesen zu knien, das von ihm Absolution verlangt? Wir gingen fort, um die kleine Andächtige nicht zu stören. [...]
Die Dame, welche früher einmal im Kloster gewesen war, küßte der Oberin die Hand und stellte uns vor mit dem Bemerken, daß wir der Andacht beizuwohnen wünschten. Die Oberin bewillkommte uns freundlich, und man führte uns nach der Kapelle, in der die Nachmittagsandacht gehalten werden sollte. Ehe ich zu dieser selbst übergehe, will ich ein paar Worte über die Weise berichten, in der die Damen während dieser Osterandacht leben. Die Bußzeit, wenn man es so nennen darf, dauert zehn Tage. Es werden zwei esercizii spiritoali abgehalten, der erste in italienischer und vierzehn Tage später ein zweiter in französischer Sprache. Die Damen leben nach der Vorschrift des heiligen Ignatius, und ein Jesuit leitet die Übungen. Jetzt war es Pater Rillo, ein Pole, der ausgezeichnetste Kanzelredner des Jesuitenordens. Man hatte mir schon früher viel von ihm und seiner unermüdlichen Tätigkeit für die Kirche, seiner rastlosen Ausdauer auf den beschwerlichsten Reisen und von seiner gänzlichen Hingebung für seine Überzeugung gesprochen. [...]
Die Büßerinnen stehen sehr früh auf, wohnen der Messe bei, haben am Tage mehrere Betübungen und hören vier Predigten, zwei am Morgen, zwei am Nachmittage. Während der Mahlzeiten, welche diese Pensionäre des Klosters gemeinsam, jedoch getrennt von den Nonnen halten, liest eine Nonne aus dem Leben der Heiligen vor. Jede Unterhaltung aus Lust am Plaudern ist ihnen verboten; sie dürfen nur das Unerläßlichste sprechen, um zu fordern, was sie bedürfen, oder um auf die Fragen der Oberin zu antworten. An dem Tage, an welchem sie das Kloster verlassen, nehmen sie das Abendmahl, die Nonnen singen die Messe, und man sagte uns, die Abschiedszeremonie sei ebenso ergreifend als schön und prächtig. – Das Kloster nimmt die Pensionäre, von denen es verlangt wird, unentgeltlich auf, verschmäht aber auch die Bezahlung nicht, die man freiwillig, so groß oder so klein sie sein mag, bietet. Das ist menschlich und verständig. Es waren augenblicklich etwa vierzig Damen zur Andacht im Kloster. Dies vorausgeschickt, kehre ich zu unserm Eintritt in die Kapelle zurück. Nach dem heitern Eindruck, welchen die Kirche auf mich gemacht, hatte ich mir ein ebenso lachendes Bild von der Kapelle entworfen. Wie erstaunte ich daher, als man den Vorhang, den alle italienischen Kirchentüren haben, aufhob, eine Glastüre öffnete und uns in einen Raum hineinwies, der so finster war, daß ich anfangs fast gar nichts unterscheiden konnte. Man führte uns zu unsern Plätzen, und erst nachdem sich das Auge an das Dunkel gewöhnt hatte, fing ich an, die Gegenstände um mich her zu erkennen. Die Kapelle, lang und schmal bei mäßiger Höhe, hat ganz den Anstrich eines Gartensaales. Sie ist wie ein gewöhnliches Zimmer in grauen Arabesken auf blaßblauem Grunde gemalt. Palmen- und Lorbeerzweige umschlingen das »In hoc signo vinces«. Ein hübscher Teppich bedeckt den Fußboden. An der einen Seite der Kapelle sind, wie ich an den Bronzeschlössern bemerken konnte, verkleidete Türen nach dem Garten; an der andern Fenster, die von außen mit Läden geschlossen waren. [...]
Ein Kruzifix steht neben dem Altar, die Ewige Lampe hing leuchtend darüber. Nur an dieser Stelle war durch ein Fenster dem Tageslichte Eingang gestattet. Es war totenstill und schwül in der Kapelle, und dies hatte etwas Beängstigendes für mich, als ich aus dem hellen, frischen Sonnenschein hineintrat in dies tiefe, plötzliche Dunkel. Etwa vierzig bis fünfzig Damen waren sitzend oder kniend in Andacht versunken. Sie befanden sich in Bänken zu beiden Seiten des Gemachs, das Gesicht gegen den Altar gewendet. In der Mitte war ein freier Gang, in dem sich ein paar Nonnen geräuschlos und anmutig hin und her bewegten, um den Neuankommenden ihre Plätze anzuweisen. Als alle versammelt waren, trat die Oberin mit vier Nonnen herein, nahm mit ihnen der Tür zunächst Platz, der Vorhang vor dem Eingang wurde heruntergelassen, die schwere Holztüre geschlossen. Die Stille und Dunkelheit waren nun vollkommen, nur am Altar konnte man deutlich unterscheiden. Nach einigen Minuten öffnete sich hinter demselben eine Türe, die ich nicht bemerkt hatte, Pater Rillo trat schnell und sicher herein und nahm auf einem Sessel vor dem Altar seinen Platz. Er sprach das gewöhnliche Gebet, die Damen hörten es kniend mit an. Währenddessen konnte ich den Pater betrachten, soweit das zitternde Lampenlicht es zuließ. Er scheint ein Mann von vierzig Jahren und von edler, apostolischer Gesichtsbildung zu sein. Das Profil, das von der Seite des nicht verhängten Fensters Licht empfing, zeichnete sich in schöner Form in der Dunkelheit ab. Es gewinnt durch reiches Haar und reichen Bart eine anziehende Würde. Nach beendigtem Gebete fing die Predigt an. Ob und inwiefern sie sich an die vorhergegangenen Reden anschließen mochte, das konnte ich nicht beurteilen, doch vermute ich, daß es der Fall gewesen ist. Sie handelte über den Beruf für das geistliche Leben in klösterlicher Zurückgezogenheit. Die Weise, in welcher der Pater sprach, gefiel mir sehr. Ich habe sie bei allen katholischen Predigern Italiens gefunden, welche ich zufällig gehört. Sie ist fern von dem hohlen, zur Manier gewordenen Pathos der protestantischen Geistlichen, die uns durch ihr Niederdonnern von der Kanzel, durch das gleichmäßig rhythmische Fallen und Steigen der Stimme von ihrer Begeisterung für die Sache überzeugen wollen. Der heutige protestantische Prediger kämpft für seine Überzeugung, weil er weiß, daß viele daran zweifeln; [...]

Nur einer ist da, der, unberührt von irdischen Absichten, gesondert von der Welt und ihren Beziehungen, kein anderes Ziel, keinen andern Zweck haben kann als Ihr Seelenheil: es ist der Seelsorger! – il direttore!« Gewöhnlich sind die Jesuiten die Seelsorger der vornehmen Damen. Nun waren wir am Ziele. Er sagte, daß alles darauf ankäme, einen zuverlässigen Seelsorger zu haben und ihm die innersten Falten des Herzens zu enthüllen, damit er urteilen könne, was seiner Pflegebefohlenen heilsam sei, was nicht. Er sprach mit großer Wärme, seine weiche Stimme hatte etwas ungemein Beruhigendes, Einschmeichelndes, Zutrauen Erweckendes. Es lag die ganze sorgliche Teilnahme eines liebevollen Freundes darin, und sein Gesicht war voll schöner, ruhiger Heiterkeit. In der Kapelle war es drückend schwül. Das Sacré-Coeur leuchtete hell in dem Dunkel, weil die Strahlen der einzigen Lampe sich darauf konzentrierten. Pater Rillo schloß seine Betrachtung mit leisem Gebet, die kleine, verborgene Türe öffnete sich, und er verschwand geräuschlos, wie er gekommen war. Die tiefste Stille lag über der Versammlung, die nach dem Gebet kniend sich ihren Betrachtungen überließ. Nur zuweilen hörte man das tiefe Seufzen oder das leise Schluchzen einer Dame. Die Szene hatte etwas sehr Beklemmendes. Ich sehnte mich nach Licht und Luft und war herzlich froh, als die Oberin die Türe öffnete, den Vorhang aufhob und ich hinauskam in die freie, schöne Gotteswelt. So tief war das Dunkel der Kapelle gewesen, daß ich mehrere Minuten lang die Augen schließen mußte, weil ich das Licht nicht ertragen konnte. Im Gespräch mit der sehr liebenswürdigen weltgewandten Nonne, welche uns geführt hatte, durchwanderten wir den Garten. Er hat eine schöne Aussicht über Rom, bis hinüber zum Monte Mario, von dem Villa Madama in koketter Schönheit herabschaut. Umhergehend betrachtete ich die büßenden Damen, welche um diese Zeit schweigend wie immer die einzige Erholungsstunde des Tages im Garten genießen. Der größere Teil schienen mir Fremde, nur wenige Italienerinnen zu sein. Ich erkannte ein paar junge, unverheiratete Engländerinnen, denen ich sonst in der Gesellschaft begegnet war. Sie grüßten mich schweigend. Was mögen die blonden Kinder mit den frischen, etwas einfältigen Gesichtern in dieser Zurückgezogenheit denken? Welche Entschlüsse mögen sie fassen? Welche Wirkung mag es auf sie machen, wenn der Seelsorger ihnen sagt, daß er ihnen ein sichererer Freund, ein unfehlbarerer Ratgeber sei als die treue, zärtliche Mutter, unter deren schützendem Auge sie ihre harmlose Kindheit verlebten? Und ob die Mutter ihre Töchter dem Kloster anvertraute, auch nur für die kurze Zeit von zehn Tagen, wenn sie es wüßte und bedächte, wie eine fremde Gewalt sich zwischen sie und die Lieblinge ihres Herzens stellt?
Ich mußte immer wieder die guten, blonden Kinder ansehen, und eine ganze Kontroverspredigt drang mir aus dem Herzen fast bis an den Rand der Lippen, während ich zu unserer Führerin sagte: »Sie sind um diesen Aufenthalt zu beneiden. Ihr Kloster und Ihr Garten sind so schön gelegen, daß ich mit Freude hier einen längern Besuch machen würde.« Und in der Tat, wäre man nicht im Kloster, man könnte sich keinen anmutigeren Aufenthalt wünschen. Die Nonne hatte kaum meine Bemerkung vernommen, als sie im gewähltesten Französisch und mit dem feinen Lächeln einer vornehmen Frau mir entgegnete: »Wir werden nach vierzehn Tagen einen zweiten Kursus in französischer Sprache haben. Der Pater Rillo verläßt uns, aber es kommt ein anderer Jesuit, ein Franzose und vortrefflicher Prediger. Sie haben nur zu bestimmen, damit man Ihnen eine Zelle einrichten und Sie von dem Beginn des neuen Kursus benachrichtigen kann. Dürfen wir auf Sie zählen?« Bei diesen Worten zog sie ein kleines Etui und Bleistift hervor für den Fall, daß ich meinen Namen einzuschreiben wünschte.
Ich fand die Nonne so liebenswürdig, Luft und Aussicht waren auf der Höhe so schön, daß ich mir nach dem Geräusch des Karnevals, nach der Ermüdung in den heißen Gesellschaftssälen zehn Tage in Ruhe und Stille bei diesen freundlichen Klosterfrauen recht sehnsüchtig wünschen und sehr erquicklich denken konnte.
Die Nonne begleitete uns höflich und gastlich bis an die Ausgangstüre. Als wir das Kloster verließen, war grade die Promenadenstunde auf dem Monte Pincio. Das ganze bunte Gewühl der Fremden von allen Nationen wogte an uns vorüber, und unter ihnen bewegten sich unscheinbar und ruhig paarweise die Schüler des Loyola. In schwarzer, schlichter Tracht wandeln sie neben den jungen Dandys, den schönen Frauen auf und nieder; und die wenigsten von diesen denken daran, daß jene schwarzen Gestalten Glieder sind einer geheimnisvollen Macht, deren Einfluß noch unberechenbar groß ist und deren Geschosse das Ziel grade so sicher treffen als die unsichtbaren Pfeile Apollos die Herzen der unbeschützten Niobiden.

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