44.
Kapitel
»Schiff ahoi,
hast du den weißen Wal gesehen?« So schrie Ahab und rief noch
einmal ein Schiff an, das die englische Flagge trug. Es sank am Heck
tief ein. Der Alte stand mit dem Schallrohr am Munde in dem
aufgeheißten Kapitänsboot. Der fremde Kapitän konnte das
künstliche Bein deutlich erkennen; er lehnte sich nachlässig gegen
den Bug seines eigenen Bootes. Er war dunkelfarbig, stämmig und sah
gutmütig aus. Er hatte feine Gesichtszüge, mochte gegen sechzig
sein und trug eine weite Jacke, die wie ein blaues Lotsentuch um ihn
herumflatterte. Ein freier Ärmel hing ihm hinten aus der Jacke, wie
der gestickte Ärmel eines Husarenmantels.
»Hast du den
weißen Wal gesehen?«
»Können Sie
das sehen?«
Er zog aus den
Falten, die ihn verborgen hatten, einen weißen Arm hervor, der aus
den Knochen eines Pottwals angefertigt war und der wie ein Hammer in
einen Holzstiel auslief.
»Mann, mein
Boot!« rief Ahab gebieterisch und stieß an die Ruder in seiner
Nähe. »Klar bei Boote! Herunterlassen!«
In weniger als
einer Minute wurden er und seine Mannschaft, ohne daß er das kleine
Schiff zu verlassen brauchte, zu Wasser gelassen. Bald waren sie
längsseits des Fremden. Aber da zeigte sich eine merkwürdige
Schwierigkeit. In der Aufregung hatte Ahab vergessen, daß er
niemals, seitdem er sein Bein verloren hatte, auf ein fremdes Schiff
gegangen war. Dann ist es nicht ganz einfach – die Walfischer, die
stündlich daran gewöhnt sind, bilden eine Ausnahme –, vom Boote
aus auf offener See ein Schiff zu erklettern. Die großen Wellen
heben das Boot mal hoch bis zur Reling, mal lassen sie es bis zum
Innenkiel herabfallen. Da Ahab des einen Beines beraubt war und das
fremde Schiff die Einrichtung des »Pequod«, die des Kapitäns wegen
da war, nicht kannte, kam sich Ahab wie ein ungeschickter
Landbewohner vor. Als er die Höhe des anderen Schiffes betrachtete,
hatte er kaum Hoffnung, hinaufzukommen.
Ich habe schon
darauf hingewiesen, daß jeder unvorhergesehene Umstand, der aus
seinem Mißgeschick indirekt abzuleiten war, Ahab reizte und bis zur
Verzweiflung brachte. Das wurde noch durch den Anblick der beiden
Offiziere des fremden Schiffes, die sich über die Seite lehnten,
gesteigert, ebenso durch die hin und her schwingende Schiffsleiter
und durch die beiden schmuckvollen Geländerseile. Daß ein Mann mit
einem Bein sich bewußt werden mußte, daß er ein Krüppel war, wenn
er diese Geländerdocke benutzen sollte, daran dachten sie natürlich
nicht. Aber das dauerte nur eine Minute. Der fremde Kapitän sah mit
einem Blick, wie sich die Sache verhielt. Er schrie: »Ich sehe es!
Weg mit dem Zeugs! Los, Jungens, und werft den Flaschenzug hinüber!«
Das Glück
wollte es, daß sie vor ein paar Tagen einen Wal längsseits gehabt
hatten. Die großen Flaschenzüge hingen noch oben, und der kolossale
Speckhaken, der nun rein und trocken war, war auch noch am Ende dran.
Der wurde nun schnell für Ahab heruntergelassen. Er begriff es
schnell, was er damit sollte. Er steckte das gesunde Bein in die
Krümmung des Hakens – so, wie man in den Ankerflügel oder in die
Gabelung eines Apfelbaumes klettert –, dann gab er das Stichwort,
hielt sich fest und half durch sein eigenes Gewicht mit, daß er
hochgezogen wurde, und zog mit übereinandergreifenden Händen an den
Seilen des Flaschenzuges. Dann wurde er behutsam über die hohe
Reling gelassen und landete unversehrt oben auf dem Gangspill. Der
andere Kapitän warf seinen künstlichen Arm in jovialer Weise zum
Gruß vor, ging auf Ahab zu, der sein künstliches Bein vorstreckte,
und indem sie die künstlichen Glieder übereinander kreuzten, wie
zwei Sägefische ihre Sägen, rief Ahab rauh wie ein Walroß: »Nun
wollen wir uns mal gegenseitig die Knochen reichen, den Arm und das
Bein! Einen Arm, der niemals zusammenschrumpfen kann, und ein Bein,
das nicht laufen kann. Wo hast du den weißen Wal gesehen? Wie lang
ist das her?«
»Den weißen
Wal?« sagte der Engländer und zeigte mit dem künstlichen Arm nach
Osten. Dabei glitt er mit einem traurigen Blick daran entlang, wie an
einem Fernrohr. »Da sah ich ihn, auf dem Äquator, in der letzten
Walfischzeit.«
»Und er hat
dir den Arm abgerissen, nicht wahr?« fragte Ahab, der nun von dem
Gangspill herunterglitt und sich auf die Schulter des Engländers
stützte.
»Ja, der war
schuld daran, und der war auch wohl schuld an dem Bein da?«
»Erzähl' mir
die Geschichte!« sagte Ahab. »Wie kam das?«
»Das war das
erstemal, wo ich auf dem Äquator kreuzte«, sagte der Engländer.
»Ich wußte damals noch nicht, daß es einen weißen Wal gibt. Nun,
eines Tages ließen wir wegen einer Herde von vier oder fünf Walen
die Boote herunter. Mein Boot kriegte einen fest. Das war ein
richtiges Zirkuspferd. Er ging in einer Tour mit einem herum, daß
meine Mannschaft sich nur dadurch im Gleichgewicht halten konnte, daß
sie sich mit dem Hintern auf das äußerste Dollbord setzte. Auf
einmal kam von tief unten ein großer Wal hervorgeschossen. Hatte
einen Kopf und einen Höcker von milchweißer Farbe, hatte Krähenfüße
und ebensolche Runzeln!«
»Das war er,
das war er!« schrie Ahab und gab plötzlich den angehaltenen Atem
frei.
»Und Harpunen
steckten nahe bei der Steuerbordflosse.«
»Ja, ja! Die
waren von mir. Meine Eisen!« schrie Ahab ganz außer sich vor
Aufregung. »Aber weiter!«
»Einen
Augenblick doch mal,« sagte der Engländer in guter Laune:
»Nun, dieser alte Urgroßvater mit dem weißen Kopf und weißen
Höcker schießt mit tollem Schaum zwischen die Herde und schnappt
wie ein Blödsinniger an meiner festgemachten Leine.«
»Ja, ich
verstehe es; er wollte sie losmachen, er wollte den festen Fisch
befreien. Das ist sein alter Trick, den kenne ich wohl!«
»Wie es genau
war,« fuhr der Kapitän mit dem einen Arm fort, »weiß ich nicht.
Aber er mußte wohl mit seinen Zähnen in die Leine gebissen haben:
sie war mit einemmal ab und fing sich irgendwo fest. Aber wir wußten
das damals nicht. Als wir dann an der Leine zogen, plumpsten wir mit
einemmal gegen seinen Höcker, und der andere Wal ging windwärts
davon und machte eine riesige Dünung. Als ich sah, wie sich die
Sache verhielt und erkannte, was das für ein edles großes Tier war
– es war wohl der edelste und größte Wal, den ich jemals in
meinem Leben gesehen habe –, nahm ich mir vor, ihn zu fangen –
trotz der großen Wut, in der er sich offenbar befinden mußte. Und
da ich dachte, daß die verunglückte Leine losgehen würde oder sich
um den Zahn gewickelt hätte, und daß es deshalb leicht wäre, daran
zu ziehen – ich habe eine verteufelte Mannschaft, die sich auf
Walleinen versteht –, da sprang ich in das Boot meines ersten
Maaten. Das ist Mister Mountopp hier – (nebenbei, Kapitän-Mountopp;
Mountopp-Kapitän). Wie gesagt, sprang ich in das Boot von Mountopp,
das dicht neben mir war, kriegte die erste Harpune zu fassen und warf
sie dem alten Urgroßvater ins Gesicht. Aber, Herr du meines Lebens,
in einem Augenblick konnt' ich nichts mehr sehen, beide Augen waren
mit dickem Schaum umgeben und beinah erblindet. Der Schwanz des Wals
baumelte hoch in der Luft wie ein Pendel und sah wie ein marmorner
Kirchturm aus. Es hatte keinen Sinn, kehrt zu machen. Ich starrte in
eine Sonne von leuchtenden Kronenjuwelen, durch die man blind werden
konnte. Ich griff nach der zweiten Harpune, und gerade sollte es
losgehen, da kam der Schwanz wie ein Turm von Lima herab, schlug
mir das Boot in zwei Stücke und es gab tausend Splitter. Der weiße
Höcker ging mit den Schwanzflossen rückwärts durch das Wrack, als
ob es lauter Schiffe wären, und wir flogen aus dem Boot. Um den
gefährlichen Dreschflegeln zu entgehen, hielt ich mich am
Harpunenstiel fest und klebte daran wie ein Fisch. Aber ein
Wellenkamm riß mich fort, und zu gleicher Zeit machte der Fisch
einen guten Satz vorwärts. Tauchte unter wie ein Blitz, und die
Spitze der verdammten zweiten Harpune ging mir hier vorbei (er schlug
mit seiner Hand an eine Stelle unterhalb seiner Schulter!) Ja, ging
bis hierher und riß mich in die Flammen der Hölle hinunter. Da ging
zum Glück die Spitze an dem Fleisch entlang und kam dicht an meinem
Handgelenk wieder heraus. So kam ich wieder nach oben, und dieser
Herr hier wird Ihnen das übrige erzählen. (Nebenbei, Kapitän –
Doktor Bunger, der Schiffsarzt, mein lieber Bunger – der Kapitän.)
Nun, mein lieber Bunger, packen Sie mal aus, was Sie wissen.«
Der so familiär
bezeichnete Herr hatte die ganze Zeit daneben gestanden und hatte
durch nichts verraten können, was seine Beschäftigung an Bord war.
Er hatte ein ungewöhnlich rundes, aber ehrbares Gesicht und trug
einen abgetragenen blauen Wollrock und geflickte Hosen.
»Es war eine
furchtbare Wunde,« so fing der Arzt des Walschiffes an, »und auf
meinen Rat ließ Kapitän Boomer hier unseren alten Sammy –«
»›Samuel
Enderby‹ ist der Name meines Schiffes«, unterbrach der einarmige
Kapitän und wandte sich an Ahab.
»Weiter,
Junge!«
»Ließ unseren
alten ›Sammy‹ den Kurs nordwärts nehmen, um aus dem
glühendheißen Wetter des Äquators wegzukommen. Aber es hatte
keinen Zweck. Ich tat alles, was ich konnte. Ich saß die Nächte mit
ihm zusammen und hielt sehr strenge auf Diät!«
»Oh, sehr
streng, sehr streng!« rief der Patient dazwischen. Dann änderte er
den Ton der Stimme. »Er trank mit mir jede Nacht heiße Grogs,
bis er nicht mehr die Binden unterscheiden konnte.«
»Was wurde
denn aus dem weißen Wal?« rief nun Ahab, der ungeduldig dies
Intermezzo zwischen den beiden Engländern mit angehört hatte.
»Oh,« rief
der einarmige Kapitän, »ja, ja. Nachdem er untergetaucht war, sahen
wir ihn eine Zeitlang nicht wieder. Wie ich schon sagte, wußte ich
damals nicht, welcher Wal mir diesen Streich gespielt hatte! Erst
einige Zeit später, als wir wieder zurück zum Äquator kamen,
hörten wir von Moby-Dick, wie einige ihn nennen, und dann wußte
ich, wer es gewesen war.«
»Hast du denn
nicht sein Kielwasser wieder gekreuzt?«
»Zweimal.«
»Aber konntet
ihr ihn denn nicht festkriegen?«
»Das wollt'
ich nicht wieder versuchen. Ist es nicht an einem Glied genug? Was
sollte ich mit dem anderen Arm machen? Und ich glaube, Moby-Dick kann
noch besser schlucken als beißen!«
»Nun,«
unterbrach Bunger, »dann geben Sie ihm doch den linken Arm als
Köder, um den rechten wiederzukriegen. Wissen Sie auch, meine
Herren?« dabei verbeugte er sich mit mathematischer Exaktheit vor
den Kapitänen nacheinander, »wissen Sie auch, meine Herren, daß
die Verdauungsorgane des Wales von der göttlichen Vorsehung so weise
eingerichtet sind, daß es ihnen ganz unmöglich ist, den Arm eines
Menschen vollständig zu verdauen? Das weiß er auch selbst. Was man
für Bosheit hält, ist nur seine Ungeschicklichkeit. Er will niemals
ein einziges Glied verschlingen. Er will nur durch Verstellung Furcht
einjagen. Aber manchmal ist er wie der alte Gaukler, der mal in
Ceylon mein Patient war, und der so tat, als ob er Messer schlucken
könnte. Einmal schluckte er wirklich eines herunter, wo es dann ein
Jahr und mehr steckenblieb. Und als ich ihm ein Brechmittel gab,
holte er es in kleinen Rucken herauf. Er hatte keine Möglichkeit,
das Messer zu verdauen und es seinem allgemeinen Körpersystem
einzuverleiben. Nun, Kapitän Boomer, wenn Sie den Arm als Pfand
geben wollen, um den anderen anständig zu beerdigen, dann haben Sie
Ihren Arm wieder.«
»Nein, danke,
Bunger«, sagte der englische Kapitän. »Den Arm, den er hat, kann
er behalten, da ich es doch einmal nicht ändern kann, und ich ihn
damals noch nicht kannte. Aber den anderen soll er nicht haben! Die
weißen Wale können mir überhaupt gestohlen bleiben! Ich habe
einmal die Boote herabgelassen seinetwegen, und das genügt mir. Es
wäre ja recht schön, wenn man ihn töten könnte, und er hat eine
ganze Schiffsladung voll prächtigen Walratöls. Aber man läßt ihn
am besten zufrieden. Meinen Sie es nicht auch, Kapitän?« und warf
dabei einen Blick auf das künstliche Bein.
»Das schon.
Aber man muß ihn trotzdem jagen. Was man verflucht und was man am
besten in Ruhe ließe, verlockt einen am meisten. Er ist wie ein
Magnet! Wie lange ist es her, daß du ihn das letztemal gesehen hast?
Welche Richtung nahm er?«
»Herrgott
nochmal!« schrie Bunger, der sich verbeugte und um Ahab herumging,
wobei er merkwürdig schnupperte, wie ein Hund. »Man fühle sich das
Blut dieses Menschen an, das Thermometer her! Es ist ja siedend heiß!
Die Schiffsplanken werden ja durch diesen Puls geschlagen!« Er nahm
eine Lanzette aus der Tasche und ging auf den Arm Ahabs zu.
»Wegbleiben!«
brüllte Ahab und stieß ihn gegen die Reling. »Klar bei Boot!
Welchen Weg nahm er?«
»Herrgott
nochmal!« schrie der englische Kapitän, an den die Frage gerichtet
war. »Was ist denn los? Er ging ostwärts, glaube ich. Ist Euer
Kapitän verrückt?« flüsterte er Fedallah zu.
Aber Fedallah
legte einen Finger auf die Lippen, schlüpfte über die Reling, um
das Steuerruder zu nehmen. Ahab ließ den Flaschenzug herankommen und
befahl den Matrosen des Schiffes, beim Herablassen behilflich zu
sein.
Einen
Augenblick stand er im Heck des Bootes, und die Manilaleute
sprangen mit einem Satz an die Ruder. Vergeblich rief der englische
Kapitän ihm etwas zu. Ahab hatte dem fremden Schiff den Rücken
gekehrt und blickte starr nach seinem eigenen. So stand er aufrecht
da, bis er längsseits des ›Pequod‹ kam.
54.
Kapitel
»Schock
und Schwerenot!« sagte Ahab, der sich tastend an dem Schiffsgeländer
entlang nach seinem gewöhnlichen Standort einen Weg suchte. Aber
plötzlich fand er sich zurecht, als vorspringende Feuerlanzen von
Blitzen ihn alles deutlich erkennen ließen.
Wie
der an einem Kirchturm angebrachte Blitzableiter zu Lande das
gefährliche Fluidum in den Boden fortleiten soll, so ist der Leiter,
den einige Schiffe auf der See an jedem Mast tragen, dazu bestimmt,
es in das Wasser zu leiten. Aber dieser Leiter muß bis in eine
ziemliche Tiefe reichen, und das Ende desselben darf mit dem
Schiffskörper nicht in Berührung kommen. Wenn er dort dauernd
befestigt wäre, würden viele Mißhelligkeiten eintreten. So könnte
er mit Teilen des Takelwerkes in Berührung kommen und in höherem
oder geringerem Grade dem Schiff auf seinem Wege hinderlich sein.
Daher hängen die unteren Teile der Blitzableiter eines Schiffes
nicht immer über Bord. Sie haben im allgemeinen die Form von langen,
dünnen Kettengliedern, damit sie um so leichter in die Ketten an der
Außenseite aufgeholt werden können und man sie in die See werfen
kann, wenn es die Umstände erfordern.
»Die
Blitzableiter, die Blitzableiter!« rief Starbuck der Mannschaft
zu, da er plötzlich durch den mächtigen Blitzstrahl zur Wachsamkeit
ermahnt wurde, der gerade Flammenbündel ausgestrahlt hatte, um Ahab
nach seinem Posten zu leuchten. »Sind sie über Bord? Werft sie vorn
und hinten aus! Aber schnell!«
»Laß
das!« rief Ahab. »Wir wollen fair sein, wenn wir auch die
Schwächeren sind. Ich will mitmachen, wenn es sich darum handelt,
Blitzableiter auf dem Himalaja und den Anden anzubringen, auf daß
die ganze Welt etwas davon hat, aber wir wollen nichts besonderes für
uns haben! Laßt das!«
»Sieh
nach oben!« rief Starbuck. »Das Elmsfeuer! das Elmsfeuer!«
Alle
Rahenenden hatten an der Spitze ein bleiches Feuer. Die Blitzableiter
gingen in drei Spitzen aus und zeigten drei weiße Flammen, und jeder
der drei großen Mäste brannte in der phosphoreszierenden Luft in
aller Stille wie drei riesige Wachskerzen vor einem Altar.
»Das
verdammte Boot! Laßt es zum Teufel fahren!« rief Stubb in diesem
Augenblick, als eine Sturzwelle hochkam und das eigene kleine
Fahrzeug berührte, wobei das Dollbord desselben ihm gehörig die
Hand quetschte, als er an einem Zurring vorbeiging. »Verdammt noch
mal!« Als er aber rückwärts an Deck schlich, erblickte er oben die
Flammen, und sofort änderte er den Ton und schrie: »Mag sich das
Elmsfeuer unser erbarmen!«
Bei
Matrosen sind Flüche etwas Gewöhnliches. Sie fluchen, wenn sie vor
lauter Windstille irrsinnig werden und auch dann, wenn sie der Gewalt
des Sturmes ausgeliefert sind. Aber auf allen meinen Reisen habe ich
selten erlebt, daß jemand geflucht hätte, wenn der brennende Finger
Gottes auf das Schiff gelegt und sein »Mene, Mene, Tekel Upharsin«
in die Wanten und Taue des Schiffes hineingewebt war.
Als
dies bleiche Feuer hoch oben brannte, hörte man von der besessenen
Mannschaft kaum ein Wort. Sie standen in einem dichten Haufen auf dem
Vorderdeck und stierten in das bleiche, phosphoreszierende Licht wie
nach einem Sternbild in der Ferne. In dem geisterhaften Licht ragte
der riesige Neger Daggoo mit seiner pechschwarzen Farbe in seiner
dreifachen Größe hervor. Er schien die schwarze Wolke zu sein, aus
der der Donner herabgekommen war. Der geöffnete Mund Tashtegos
machte die haiweißen Zähne frei, die seltsam glänzten, als ob sie
Elmsfeuer ausstrahlten. Und von dem übernatürlichen Licht
angezündet, brannten die Tätowierungen Queequegs wie blaue Flammen
des Satans auf seinem Körper.
Als
das bleiche Licht oben ausging, schwand auch dies Gemälde ganz und
gar. Und so war denn der »Pequod« und jede Seele auf dem Deck in
ein Leichentuch eingehüllt. Als einige Augenblicke vergangen waren,
rannte Starbuck auf seinem Wege gegen jemand. Es war Stubb. »Wie
kommst du dir nun vor, Mann? Ich hörte dich schreien. Das klang
nicht so wie in deinem Liede!«
»Nein,
nein! So war das nicht. Ich sagte, das Elmsfeuer möchte mit uns
Erbarmen haben. Und ich hoffe, daß es das tun wird. Aber hat
es nur Erbarmen
mit Leuten, die vor Angst lange Gesichter machen? Hat es keinen Sinn
für ein richtiges Lachen? Aber sehen Sie her, Mister Starbuck; es
ist zum Hersehen zu dunkel. Hören Sie mich denn! Die Flamme oben am
Mast nehme ich für ein gutes Zeichen, das uns Glück bringt; denn
die Maste stecken in einem Schiffsboden, der mit seinem Walratöl
eine Art Staukeil werden kann. Und so wird denn das ganze Pottwalöl
in den Masten aufsteigen wie der Saft in einem Baum. Unsere drei
Maste werden wie drei Kerzen aus Walfischöl werden, und so haben wir
denn ein gutes Vorzeichen gesehen.«
In
demselben Augenblick erblickte Starbuck das Gesicht von Stubb, das
anfing zu leuchten. Und als er nach oben sah, rief er: »Sieh da!
Sieh da!!«
Und
noch einmal erkannte man die spitz zulaufenden Flammen in der Höhe,
und die bleiche Farbe schien doppelt übernatürlich zu sein.
»Mag
das Elmsfeuer mit uns allen Erbarmen haben!« rief Stubb wieder.
Unten
am Hauptmast, gerade unter der Dublone und der Flamme kniete der
Parse an der Vorderseite von Ahab. Aber das gebeugte Haupt war von
ihm abgewandt. In der Nähe hatten verschiedene Matrosen eine Spiere
festmachen wollen und hingen nun, von dem Lichtschein beunruhigt, wie
Pendel nebeneinander, wie ein Haufen betäubter Wespen an einem
herabhängenden Baumzweig. Andere waren in verschiedenen
Zauberstellungen wie an Deck festgewurzelt, mal stehend, mal
schreitend, mal laufend, wie die Menschenskelette in Herkulanum. Aber
alle hatten die Augen nach oben gerichtet.
»Leute,«
rief Ahab, »seht hinauf und merkt es euch wohl! Die weiße Flamme
leuchtet uns den Weg nach dem weißen Wal. Reicht mir die
Kettenglieder für den Hauptmast! Ich möchte gern diesen Puls fühlen
und meinen dagegen schlagen lassen; Blut gegen Feuer!«
Als
er sich umdrehte, hielt er das letzte Kettenglied in der linken Hand
und setzte den Fuß auf den Parsen.
Mit
starren, nach oben gerichteten Augen und mit dem emporgeworfenen
rechten Arm stand er aufrecht da vor der Dreieinigkeit der drei
Flammenspitzen.
»Du
klarer Geist des reinen Feuers, den ich wie ein persischer
Feueranbeter einstmals auf diesen Meeren verehrt habe, bis ich von
dir in dem feierlichen Akt das Mal eingebrannt bekam, das ich bis zur
Stunde trage, ich erkenne dich nun, und ich weiß, daß die richtige
Verehrung der Trotz ist! Der Liebe und der Ehrfurcht bist du nicht
zugänglich. Und wenn man dir Haß entgegenbringt, so kannst du nur
töten, und alle werden getötet. Der dir jetzt Trotz bietet, ist
kein Narr, der die Furcht nicht kennt.
Ich
besitze deine Macht, die ohne Worte ist und keinen Ort kennt. Ich
habe sie mir nicht entwinden lassen und gebe auch die Kettenglieder
in meiner Hand nicht frei. Du kannst mich blenden, aber dann finde
ich tastend meinen Weg. Du kannst mich verzehren, aber dann kann
ich doch wenigstens zu Asche werden. Nimm die Verehrung meiner
armseligen Augen und geschlossenen Hände entgegen. Ich würde sie
nicht annehmen!
Der
Blitz saust mir durch den Schädel. Die Augen schmerzen mich. Das
besiegte Hirn kommt mir wie gerädert vor und treibt auf betäubendem
Grunde. Wenn ich auch hundertmal geblendet bin, so will ich doch zu
dir reden. Aber ich bin Finsternis, die vom Licht herkommt, und das
Licht kommt von dir! Die Pfeile des Blitzes lassen nach. Die Augen
auf! Sehe ich oder sehe ich nicht? Dort brennen die Flammen! Du Wesen
voll Großmut und Hochherzigkeit! Nun erhöhe ich den Ruhm meines
Geschlechts! Aber du mit dem Feuergeist bist mein Vater oder meine
sanfte Mutter. Ich weiß nicht, welches von beiden! Das ist mein
Geheimnis; aber das deinige ist größer.
Du
weißt nicht, wie du entstanden bist, daher nennst du dich ungezeugt.
Du weißt gewiß nicht, wann dein Anfang war. Daher nennst du dich
ohne Anfang.
Was
du nicht von dir weißt, das weiß ich von mir, Allmächtiger! Hinter
dir, klarer Geist, liegt etwas, das nicht auszuschöpfen ist, und im
Vergleich dazu ist alle deine Ewigkeit nur Zeit und deine
Schöpfungskraft nichts als Mechanik.
Durch
dich, durch dein flammendes Selbst, erkennen meine versengten Augen
undeutlich diese Macht.
Auch
du, Feuer, das wie der Findling seine Herkunft nicht kennt, du
Einsiedler außer allem Zusammenhang mit der Zeit, hast dein Rätsel,
das niemand mitgeteilt werden kann, und dein Leid, das du allein
tragen mußt!
Hier
lese ich mit Stolz und Angst in dem Schicksalsbuch meines Allvaters.
Spring' gegen den Himmel und schlag' ihn! Ich will dir nachspringen
und mit dir brennen! Ich möchte zu einem Wesen mit dir
zusammengeschweißt werden. Voller Trotz verehre ich dich!«
»Das
Boot, das Boot!« rief Starbuck. »Siehe dir dein Boot an, Alter!«
Die
Harpune Ahabs, die er am Feuer von Perth geschmiedet hatte, blieb an
den bekannten Haken festhängen, so daß sie über dem Bug des
Walfischbootes hinausragte. Aber die See, die den Boden desselben
eingeschlagen hatte, hatte auch den losen Lederüberzug beseitigt.
Aus der scharfen Stahlspitze der Harpune kam nun eine wagerechte,
bleiche Feuerflamme von der Form einer Gabel. Als die Harpune wie die
Zunge einer Schlange brannte, faßte Starbuck Ahab an den Arm und
sagte: »Gott ist gegen dich. Gib es auf! Es ist eine üble Reise,
schlecht angefangen und schlecht fortgesetzt! Laß mich die Rahen
vierkant brassen, wenn es geht, und laß uns versuchen, einen
günstigen Wind für die Heimreise zu bekommen. Wir wollen dann eine
bessere Reise unternehmen, als die, auf der wir jetzt sind.«
Die
von einer wilden Panik befallene Mannschaft hörte nicht auf Starbuck
und stürzte sich an die Brassen, obwohl nicht ein Segel oben
übriggeblieben war. Einen Augenblick schien es, als ob die Gedanken
des erschrockenen Maaten auch die ihrigen wären. Sie stießen einen
Ruf aus, der beinahe wie Meuterei klang. Aber Ahab schleuderte die
klirrenden Kettenglieder und Blitzableiter auf das Deck, packte die
brennende Harpune und schwenkte sie wie eine Fackel unter ihnen. Und
schwor, daß er den ersten Matrosen damit durchbohren würde, der
nicht das Tauende losließe. Vor diesem Anblick wie zu Stein
erstarrt, und von dem Feuergeschoß, das er in der Hand hielt,
zurückschaudernd, fielen die Leute wieder in Entsetzen, und Ahab
sagte ihnen wieder: »Was ihr geschworen habt, daß ihr den weißen
Wal jagen wolltet, ist ebenso bindend, wie das, was ich gesagt habe.
Der alte Ahab ist mit Herz, Seele und Körper, mit seiner Lunge und
seinem Leben dazu verpflichtet. Und damit ihr erkennt, wie es mit
meinem Mute bestellt ist, so seht her! So blase ich den letzten Rest
von Furcht aus.« Und mit einem einzigen Stoß seines Atems löschte
er die Flamme aus.
55.
Kapitel
Ahab
stand lange Zeit für sich allein, wie unter dem Bann einer
innerlichen Stille. Wenn das schwankende Schiff seinen Bugspriet
senkte, wandte er sich um, die Strahlen der leuchtenden Sonne vorn am
Bug zu betrachten. Und wenn das Schiff am Heck tief niederging,
wandte er sich nach hinten um, und sah sich die Sonne von rückwärts
an. Und beobachtete, wie dieselben gelben Lichtstrahlen mit dem
Kielwasser des Schiffes verschmolzen.
Plötzlich
wurde er durch einen Gedanken aufgeschreckt. Er stürmte an das
Steuer und erkundigte sich schroff, in welcher Richtung denn das
Schiff fahre.
»Ostsüdost,
Kapitän«, sagte der erschrockene Steuermann.
»Du
lügst«, und er hielt ihm die geballte Faust entgegen. »Du hast den
Kurs nach Osten zu dieser Morgenstunde, und die Sonne steht am Heck!«
Jedermann
war über diese Erscheinung entsetzt; denn was Ahab gerade bemerkt
hatte, war den anderen entgangen.
Ahab
steckte den Kopf halb in das Kompaßhäuschen und streifte mit einem
Blick die Kompasse. Der Arm, der drohend in die Höhe gehalten war,
fiel langsam herunter; einen Augenblick lang schien er zu schwanken.
Starbuck stand hinter ihm und sah auch hin. Wahrhaftig! Die beiden
Kompasse zeigten nach Osten und der »Pequod« fuhr unfehlbar nach
Westen!
Aber
bevor der erste wilde Schrecken draußen unter den Leuten Fuß fassen
konnte, rief der Alte mit einem kalten Lachen aus:
»Ich
hab' es! Das ist schon früher vorgekommen. Mister Starbuck, das
Gewitter von gestern abend hat unsere Kompasse umgedreht. Das ist
alles. Du hast doch früher schon von solchen Dingen gehört?«
»Ja,
aber ich habe das nie vorher erlebt, Kapitän«, sagte der bleich
gewordene Maat in düsterer Stimmung.
An
dieser Stelle muß gesagt werden, daß derartige Vorfälle bei
Schiffen, die heftige Stürme durchgemacht haben, mehr als einmal
vorgekommen sind. Der Magnetismus der Kompaßnadeln ist, wie alle
wissen, mit der Elektrizität identisch, die wir im Gewitter
wahrnehmen. Daher ist es kein Wunder, daß solche Dinge vorkommen.
Wenn der Blitz das Schiff gehörig geschüttelt hat, so daß einige
Spiere und Teile vom Takelwerk zerschmettert sind, dann ist die Nadel
manchmal in Mitleidenschaft gezogen worden. Es ist vorgekommen, daß
der ganze Magnetismus vernichtet wurde und der Magnetstahl so
überflüssig geworden war, wie der Strickstock eines alten
Frauenzimmers. Aber in dem einen wie dem anderen Fall bekommt die
Magnetnadel aus eigener Kraft niemals wieder den früheren
Magnetismus.
Ahab
stand nachdenklich vor dem Kompaßhäuschen und betrachtete die
umgerichteten Nadeln. Da nahm er mit der ausgebreiteten Hand den
genauen Stand der Sonne, und als er beruhigend festgestellt hatte,
daß die Nadeln tatsächlich umgekehrt waren, rief er, daß man den
Kurs des Schiffes demzufolge ändern sollte. Die Rahen wurden
gerichtet, und noch einmal stieß der »Pequod« seine Kiele
unerschrocken in den Gegenwind; denn der vermeintliche günstige Wind
hatte das Schiff betrogen.
Starbuck
ließ nicht erkennen, wie er im geheimen darüber dachte. Er sagte
nichts und führte in aller Ruhe die notwendigen Befehle aus. Stubb
und Flask, die im geringen Grade seine Gefühle zu teilen schienen,
beruhigten sich ebenfalls, ohne zu murren. Was die übrige Mannschaft
betraf, so war ihre Furcht vor Ahab, wenn auch einige leise knurrten,
größer als ihre Furcht vorm Schicksal.
Wie
bei früheren Gelegenheiten, machten die Vorgänge auf die
heidnischen Harpuniere fast gar keinen Eindruck. Wenn sie überhaupt
einem Eindruck unterlagen, so war es ein gewisser Magnetismus, der
von dem unerschütterlichen Ahab in ihre verwandten Herzen
überströmte.
Eine
Zeitlang spazierte der Alte in rollenden Traumbildern an Deck herum.
Zufällig stieß er mit seinem Fuß aus Walfischbein auf die
zerschmetterten Kupfer-Fernrohre des Quadranten, den er am Tage
vorher gegen das Deck geschleudert hatte.
»Du
armseliger und eingebildeter Himmelsgucker und Sonnenlotse! Gestern
habe ich dich zerschmettert, und heute hätten mich die Kompasse
liebend gern zerschmettert, so, so! Aber Ahab ist noch Herr über den
Magneten. Mister Starbuck, eine Lanze ohne Stange her, einen
Seemannshammer und die allerkleinsten Nadeln des Segelmachers! Aber
schnell!«
Was
er nun vorhatte, entsprang einer gewissen Vorsicht, um vielleicht den
Mut seiner Mannschaft durch eine Äußerung seiner schlauen
Geschicklichkeit neu zu beleben. Durch eine Handlung, die ebenso
wunderbar war wie die umgekehrten Kompaßnadeln. Der Alte wußte
wohl, daß man mit umgekehrten Nadeln, wenn es auch möglich war,
nicht steuern konnte, und man auf den Aberglauben der Matrosen
Rücksicht nehmen mußte, die darüber erschraken und es als übles
Vorzeichen auffaßten.
»Leute,«
sagte er, und wandte sich gefaßt an die Mannschaft, als der Maat ihm
die verlangten Dinge übergab, »Leute, der Donner hat die
Nadeln des alten Ahab umgedreht, aber aus diesem bißchen Stahl kann
Ahab eine eigene Nadel machen, die ebensogut wie eine andere zeigen
wird.«
Die
Matrosen tauschten verlegene Blicke als Zeichen erstaunter
Unterwürfigkeit untereinander aus, als er dies sagte. Mit
faszinierten Augen warteten sie darauf, was für ein Wunder folgen
würde. Aber Starbuck sah fort.
Ahab
schlug mit einem Hammer den Stahlteil der Lanze ab, überreichte das
lange Eisenteil dem Maaten und forderte ihn auf, es senkrecht zu
halten, ohne daß es das Deck berührte. Dann legte er die stumpfe
Nadel mit dem Ende oben darauf, nachdem er den oberen Teil der
Eisenrute wiederholt mit dem Hammer geschlagen hatte. Dann hämmerte
er nicht mehr so stark, und der Maat hielt das Eisen noch gerade so
wie vorhin. Er machte dann verschiedene seltsame Bewegungen mit
derselben – ob das zum Magnetisieren des Stahles notwendig war oder
nur die Ehrfurcht der Mannschaft erhöhen sollte, war ungewiß –
und verlangte dann einen Zwirnsfaden. Er ging nach dem
Kompaßhäuschen, nahm die beiden umgekehrten Nadeln heraus und
hängte die Segelnadel in horizontaler Richtung mitten über eine der
Bussolen auf. Zunächst ging der Stahl rundherum und zitterte an
beiden Enden. Aber schließlich kam er an der richtigen Stelle zum
Stehen, als Ahab, der auf dieses Ergebnis ausdrücklich gewartet
hatte, von dem Kompaßhäuschen zurücktrat, mit ausgestrecktem Arm
darauf zeigte und ausrief: »Nun seht selbst hin, ob Ahab keinen
Magneten machen kann! Die Sonne steht im Osten, und der Kompaß zeigt
es euch!«
Da
starrte einer nach dem anderen die Nadel an, denn nur mit ihren Augen
konnten sie solch eine Dummheit bezeugen, und einer nach dem anderen
schlichen sie davon.
Dann
konnte man Ahab mit seinen feurigen Augen voller Verachtung und
Siegesbewußtsein in seinem verhängnisvollen Stolz sehen.
56.
Kapitel
Als
der »Pequod« nach der magnetisierten Nadel Ahabs südostwärts
steuerte und den zurückgelegten Weg allein mit Hilfe des Logs und
der Leine feststellte, nahm er den Kurs in der Richtung des Äquators.
Wie er nun durch unbefahrene Meere fuhr, wo er keine Schiffe
erblickte, und wie er durch unveränderliche Winde, die für
Handelsschiffe günstig sind, seitwärts getrieben wurde, und
eintönige und milde Wellen ihn bespülten, war diese merkwürdige
Stille ein Vorzeichen für eine Szene voll Aufruhr und Verzweiflung.
[...]
Die
Felseninseln, an denen das Schiff vorbeigefahren war, wurden von
großen Mengen Seehunden aufgesucht. Einige junge Seehunde, die ihre
Muttertiere verloren hatten, vielleicht waren es auch Muttertiere,
die ihre Jungen verloren hatten, gingen in der Nähe des Schiffes in
die Höhe und leisteten ihnen Gesellschaft, wobei sie schrien und in
der Art der Menschen wehklagten. Das machte auf einige Matrosen einen
um so größeren Eindruck, als die meisten den Seehunden ein
abergläubisches Gefühl entgegenbringen. Nicht nur, weil sie so
merkwürdig schreien; wenn sie in Not geraten, sondern auch weil sie
wegen ihrer runden Köpfe und ihres halbintelligenten
Gesichtsausdrucks wie Menschen aussehen, wenn man sie, Umschau
haltend, längsseits aus dem Wasser auftauchen sieht. Auf der See hat
man unter bestimmten Umständen die Seehunde mehr als einmal für
Menschen gehalten.
Die
Vorahnung der Mannschaft erfüllte sich in dem Schicksal, das einen
Matrosen aus ihrer Mitte am Morgen ereilte. Bei Sonnenaufgang ging
ein Mann von seiner Hängematte nach dem Mast oben am Vorderdeck. Ob
er nun noch halb im Schlafe war – denn die Matrosen gehen manchmal
in einem halben Schlafzustand hinauf – oder ob sonst etwas los war,
genug, er befand sich noch nicht lange an seinem Sitz, als man einen
Schrei und ein Klatschen hörte. Als man aufsah, erblickte man in der
Luft eine fallende Erscheinung. Und als man in die See sah, stiegen
mehrere weiße Blasen in der blauen See auf.
Die
Rettungsboje, eine lange, dünne Tonne war vom Heck gefallen, wo sie
immer, eines Federdrucks gewärtig, hing. Keine Hand erhob sich, um
sie zu packen. Als die Sonne lange genug auf die Tonne geschienen
hatte, war sie zusammengeschrumpft. Langsam füllte sie sich mit
Wasser, und das ausgedörrte Holz war bis zu jeder Pore vollgesogen.
So kam es denn, daß die eisenbeschlagene Tonne dem Matrosen in die
Tiefe nachfolgte, als ob ihm ein weiches Kissen, das sich sehr hart
anfühlen mußte, nachgetragen wurde.
So
war denn der erste Mann vom »Pequod«, der nach dem weißen
Wale vom Maste aus hatte Umschau halten wollen, auf dem eigenen
Grunde des weißen Wales in der Tiefe untergegangen.
Man
mußte nun für die verlorengegangene Rettungsboje Ersatz schaffen.
Starbuck wurde damit beauftragt. Aber da man kein Faß fand, das
leicht genug gewesen wäre, und da bei der fieberhaften Tätigkeit in
Erwartung der kommenden Krise alle Hände mit großem Eifer an Dinge
angelegt wurden, die mit dem Schluß derselben direkt in Verbindung
standen (und was das auch für ein Schluß sein mochte!), wollte man
am Heck des Schiffes keine Rettungsboje wieder anbringen lassen.
Da
wies Queequeg mit seltsamen Handbewegungen auf seinen Sarg hin. »Eine
Rettungsboje aus einem Sarg!« rief Starbuck und schoß auf.
»Das
kommt mir aber sehr merkwürdig vor«, sagte Stubb.
»Das
wird schon gehen,« sagte Flask, »der Zimmermann kann ihn leicht
zurechtmachen.« [...]
Am
nächsten Tage wurde ein großes Schiff, die »Rachel«, gemeldet,
die direkt auf den »Pequod« losfuhr. – Auf allen Spieren
derselben wimmelte es von Menschen. Der »Pequod« sauste gerade mit
großer Geschwindigkeit durchs Wasser. Als aber das fremde Schiff mit
den weit ausgebuchteten Segeln windwärts dicht auf ihn zuschoß,
klappten seine prahlerischen Segel zusammen wie weiße, platzende
Wasserblasen.
»Schlechte
Nachrichten! Das Schiff bringt schlechte Nachrichten«, brummte der
alte Mann von der Insel Man. Aber bevor der Kapitän mit dem
Schallrohr am Mund im Boot stand, und bevor er hoffnungsvoll etwas
zurufen konnte, hörte man die Stimme Ahabs.
»Hast
du den weißen Wal gesehen?« –
»Ja,
gestern. Habt ihr ein Walboot treiben sehen?« –
Mit
erstickter Freude verneinte Ahab diese unerwartete Frage. Gern wäre
er an Bord des Fremden gegangen. Da sah man, wie der fremde Kapitän
selbst, der sein Schiff gestoppt hatte, an der Seite ausstieg. Nach
einigen kräftigen Ruderschlägen machte man den Bootshaken an den
Hauptketten des »Pequod« fest, und der Kapitän sprang an Deck.
Sofort erkannte Ahab ihn als einen Bekannten aus Nantucket. Eine
formelle Begrüßung fand nicht statt.
»Wo
war er denn? Er ist nicht getötet! Nicht getötet!« schrie Ahab und
kam näher. »Wie ging das zu?«
Anscheinend
war es spät am Nachmittag des vorhergehenden Tages gewesen, als drei
von den Booten mit einer Walfischherde beschäftigt waren, wobei die
Mannschaft etwa vier oder fünf Meilen vom Schiff abgekommen war. Und
als sie windwärts auf scharfer Jagd waren, war Moby-Dick mit seinem
weißen Höcker und Kopfe plötzlich aus dem Wasser aufgetaucht, an
der Leeseite in nicht zu großer Entfernung vom Schiff. Darauf hatte
man das vierte aufgetakelte Boot, das als Reserve diente, sofort
herabgelassen, um die Verfolgung aufzunehmen.
In
weiter Entfernung hatte man das Boot in Punktgröße gesehen, dann
war schnell ein Strahl von aufzischendem weißen Wasser gekommen. Und
weiter war nichts mehr zu sehen gewesen. Man hatte aus dieser
Tatsache geschlossen, daß der getroffene Wal mit seinen Verfolgern,
wie es oft der Fall ist, aufs Geratewohl fortgeeilt war. Man war wohl
etwas besorgt gewesen, war aber bis jetzt noch nicht bestürzt. Man
hatte im Takelwerk Signale aufgesteckt, die zur Rückkehr
aufforderten. Dann war die Dunkelheit gekommen, und man war gezwungen
gewesen, die drei Boote, die weit windwärts waren, aufzunehmen.
Bevor man das vierte in der genau entgegengesetzten Richtung
aufgesucht hatte, war das Boot bis Mitternacht
notgedrungenerweise seinem Schicksal überlassen worden. Man hatte
sich sogar im gegenwärtigen Augenblick von dem Boot weit entfernt.
Als aber die Mannschaft endlich sicher an Bord gebracht war, hatte
das Schiff alle Segel beigesetzt, um das fehlende Boot aufzusuchen.
Man hatte in den Schmelzhäfen Feuer angemacht, das als Signal dienen
sollte, und jedermann hatte sich oben auf dem Ausguckposten befunden.
Als das Schiff weit genug gesegelt war und den vermutlichen Platz der
fehlenden Matrosen erreicht hatte, wo sie zuletzt gesichtet waren,
hatte das Schiff haltgemacht und alle übrigen Boote herabgelassen,
um in der unmittelbaren Umgebung herumzusuchen. Da man nichts
vorgefunden hatte, war man weiter gestürmt. Man hatte wieder
haltgemacht, hatte die Boote herabgelassen. Obwohl nun dies Verfahren
bis zum Morgenanbruch gedauert hatte, hatte man von dem fehlenden
Boot keine Spur entdeckt!
Als
der fremde Kapitän den Sachverhalt erzählt hatte, ging er sofort
dazu über und teilte mit, weshalb er an Bord des »Pequod« gekommen
wäre. Er wünschte, daß das Schiff mit seinen eigenen Leuten das
verlorene Boot aufsuchte. Man wollte einige vier oder fünf Meilen
parallel zueinander über das Meer fahren und so eine doppelte Fläche
bestreichen.
»Ich
wette,« flüsterte Stubb Flask zu, »daß einer in dem fehlenden
Boot den besten Rock vom Kapitän mit hat. Vielleicht auch seine Uhr,
und daß er es deshalb so verdammt eilig hat. Hat man schon mal
gehört, daß zwei Walschiffe in aller Eintracht einem fehlenden Boot
mitten in der Walfischzeit nachgefahren wären? Sieh nur mal hin, wie
bleich er aussieht! Und bleich sind auch die Pupillen in seinen
Augen. Es war nicht der Rock. Es muß wohl –«
»Mein
Junge, mein eigener Junge ist dabei! Um's Himmels willen. Ich bitte
Sie, ich beschwöre Sie!« rief der fremde Kapitän aus, da Ahab
seiner Bitte bisher mit eisiger Kälte begegnet war. »Lassen Sie
mich für achtundvierzig Stunden Ihr Schiff chartern. Ich will
das gerne zahlen, und es soll mir nicht darauf ankommen, wenn es
keinen anderen Weg gibt. Für achtundvierzig Stunden nur! Das müssen
Sie tun!«
»Seinen
Sohn hat er verloren,« schrie Stubb, »seinen eigenen Sohn. Ich
nehme das mit dem Rock und der Uhr zurück. Was sagt Ahab? Wir müssen
den Jungen retten.«
»Er
ist gestern abend mit den anderen ertrunken«, sagte der alte Matrose
von der Insel Man, der hinter ihm stand. »Ich hab' es gehört; ihr
alle habt die Geister gehört.«
Wie
es sich bald herausstellte, wurde der Unglücksfall, der die »Rachel«
betroffen hatte, noch durch den Umstand vergrößert, daß sich nicht
nur ein Sohn des Kapitäns unter der fehlenden Bootsmannschaft
befand, sondern daß unter der Mannschaft des anderen Bootes sich
noch ein Sohn befunden hatte. So befand sich denn der unglückliche
Vater in der allerfurchtbarsten Situation. In derartigen Fällen
entscheidet sich der Obermaat immer dafür, daß das Boot mit der
stärksten Mannschaft zuerst aufgenommen wird.
Aber
der Kapitän hatte aus unbekannten Gründen alles dies nicht erwähnt.
Erst als er durch das eiskalte Verhalten Ahabs dazu gezwungen wurde,
sprach er von dem einen Jungen, der immer noch fehlte. Es war ein
kleiner Kerl, erst zwölf Jahre alt. Sein Vater hatte ihn mit aller
Kühnheit der Vaterliebe eines Nantucketer, ohne etwas Böses zu
ahnen, mit den Gefahren und Herrlichkeiten seines Berufes vertraut
machen wollen, und hatte kaum an das Geschick, dem sein ganzes
Geschlecht ausgeliefert war, gedacht. Es kommt häufig vor, daß die
Kapitäne von Nantucket einen Sohn in solch zartem Alter auf ein
anderes Schiff für eine Fahrt schicken, die drei oder vier Jahre
dauert. Die ersten Eindrücke, die sie von dem Leben eines
Walfischers aufnehmen, sollen nicht durch die natürliche und
unpassende Parteilichkeit des Vaters und ebensowenig durch
unangebrachte Angst und Sorge verwischt sein.
Inzwischen
bemühte sich der Fremde immer noch um die Gefälligkeit Ahabs. Ahab
stand immer noch wie ein Amboß da, der jeden Stoß aufnahm, aber
nicht im geringsten selbst dadurch erschüttert wurde.
»Ich
gehe nicht,« sagte der Fremde, »bis Sie ›Ja‹ gesagt haben.
Handeln Sie so, wie Sie es von mir in einem ähnlichen Fall erwarten
würden. Sie haben doch auch einen Jungen, Kapitän Ahab, wenn er
auch noch ein zartes Kind ist und nun zu Hause sicher und geborgen
ist. Sie geben nach. Ich sehe es. Lauft, Leute, und helft, die Rahen
vierkant brassen!«
»Hütet
euch und rührt nicht das Kabelgarn an!« brüllte Ahab. Und dann
sagte er mit einer Stimme, wobei jedes Wort besonders geformt wurde:
»Kapitän Gardiner, ich mache es nicht. Gerade jetzt kann ich keine
Zeit verlieren. Adjö, adjö! Gott möge dir helfen, Mann, und möge
ich mir selbst vergeben. Aber ich muß gehen. Mister Starbuck, sieh
nach der Kompaßuhr und sage in drei Minuten allen Fremden ab! Laß
dann vorwärtsbrassen und das Schiff segeln wie vorher.« [...]
Mal
kämpfte das Schiff gegen einen Wellenberg, mal wurde es von der See
weitergeschleudert. Und indessen saßen auf den Masten und Rahen,
dicht gedrängt, Menschen wie auf drei hohen Kirschbäumen, wenn
die Jungen am Kirschenpflücken sind und sich bis zu den Zweigen
hinauswagen.
Aber
da es immer noch von Zeit zu Zeit stoppte und beidrehte, konnte man
daraus schließen, daß das Schiff, das vom Meeresschaum wie von
Tränen gebadet war, immer noch keine Ruhe gefunden hatte.
Es
war wie Rahel, die um ihre Kinder weinte, weil sie fehlten.
58.
Kapitel
[...]
Und
so ging er denn Tag für Tag und Nacht für Nacht nicht mehr unter
die Planken. Was er aus der Kabine brauchte, ließ er sich von dort
holen.
Er
aß in derselben offenen Luft; er nahm nur zwei Mahlzeiten. Frühstück
und Mittag. Das Abendessen rührte er nie an. Er schnitt sich auch
nicht den Bart, der dunkel und ganz knorrig geworden war, so wie
nicht in der Erde steckende Baumwurzeln, die fortgeweht sind, an
einer freien Stelle weiterwachsen, aber im grünen Gebüsch umkommen.
Obwohl
sein ganzes Leben nun eine Wache an Deck geworden war, und obwohl die
geheimnisvolle Wache des Parsen ebensowenig unterbrochen wurde,
schienen die beiden niemals miteinander zu reden, wenn nicht in
langen Unterbrechungen eine vorübergehende Sache es erforderte; und
obwohl die zwei durch einen mächtigen Zauber insgeheim verbunden zu
sein schienen, so machten sie vor der angsterfüllten Mannschaft den
Eindruck, als ob sie jeder einen Pol darstellten. Wenn sie bei Tage
durch Zufall ein Wort miteinander sprachen, so waren sie in der Nacht
so gut wie taub, soweit der leiseste Austausch eines Wortes in Frage
kam. Manchmal standen sie lange Stunden, weit voneinander getrennt,
im Sternenlicht, ohne sich etwas zuzurufen; Ahab in seiner Luke und
der Parse an dem Hauptmast. Aber ihre Blicke waren starr aufeinander
gerichtet, als ob Ahab in dem Parsen seinen vorangeworfenen
Schatten, und der Parse in Ahab seine aufgegebene Substanz erblickte.
Sobald
der erste Schimmer der kommenden Dämmerung sichtbar wurde, hörte
man seine eisenharte Stimme vom Achterdeck: »Die Mastspitzen
bemannen!« So ging es den ganzen Tag bis nach Sonnenuntergang, und
nach dem Dunkelwerden hörte man alle Stunden, wenn die Glocke des
Steuermanns ertönt: »Was seht ihr? Scharf aufpassen! Scharf
aufpassen!«
[...]
»Ich
werde den Wal wohl selbst zuerst zu sehen kriegen«, sagte er. »Ja,
Ahab muß sich selbst die Dublone verdienen!« Und dann wickelte er
mit seinen eigenen Händen ein Bündel Bugleinen, die an einen Korb
gebunden waren, los und schickte jemand mit einem einrolligen
Flaschenzug hinauf, um sie oben an der Hauptmastspitze festzubinden.
Er selbst nahm dann die beiden Enden des nach unten gehenden Seiles
in Empfang. Er band das eine Seilende an den Korb und das andere Ende
an einen Pflock, um es an der Reling zu befestigen. Als das geschehen
war, hatte er das eine Ende noch in der Hand und stand so neben dem
Pflock, wobei er nach der Mannschaft sah, die von einem Ende zum
anderen sauste. Er betrachtete Daggoo, Queequeg und Tashtego sehr
lange, wich aber Fedallah aus. Als er dann einen festen,
vertrauensvollen Blick auf den Obermaaten richtete, sagte er: »Nimm
das Seil, ich übergebe es dir, Starbuck.«
Als
er sich dann mit seiner Person in den Korb verfügt hatte, gab er den
Befehl, daß sie ihn zu seinem Sitz hinaufziehen sollten. Starbuck
gab dann schließlich auf das Seil acht und stellte sich später
daneben. Und indem Ahab sich so mit der einen Hand an der
Oberbramstange festhielt, hielt er meilenweit in der Runde auf die
See Umschau, nach vorn, nach hinten und nach der Seite und nach dem
weiten, ausgedehnten Horizont, der von einer so außerordentlichen
Höhe beherrscht wird.
Ahabs
Verfahren war daher nicht ungewöhnlich. Es schien nur recht
merkwürdig zu sein, daß Starbuck, der ja der einzige war, der es
gewagt hatte, ihm in der schonendsten Weise entgegenzutreten, als er
seinen Entschluß faßte, – und er war noch einer von denen, deren
Zuverlässigkeit auf dem Ausguckposten er etwas in Zweifel gezogen
hatte – es war recht merkwürdig, sage ich, daß er gerade diesen
Mann gewählt hatte, und er so sein Leben den Händen eines Menschen
aus freien Stücken anvertraute, dem er sonst nicht ganz traute.
Als
Ahab zum erstenmal dort oben hockte, – und es waren kaum zehn
Minuten vergangen, kam einer von den wilden Seefalken mit den roten
Schnäbeln, die so oft dicht um die bemannten Mäste der Walfischer
in jenen Breiten kreisen, flog mit großem Geschrei in einem Wirrwarr
von geschwind gezogenen Kreisen, deren Spur man nicht feststellen
konnte, um seinen Kopf, schoß dann tausend Fuß hoch in die Luft,
ließ sich spiralförmig herunter, und wirbelte dann wieder um seinen
Kopf herum.
Aber
Ahab hielt den Blick starr auf den trüben und fernen Horizont
gerichtet und bemerkte den wilden Vogel einscheinend nicht.
»Achten
Sie auf Ihren Hut, Kapitän«, schrie plötzlich der Matrose von
Sizilien, der auf dem Besanmast postiert war und unmittelbar hinter
Ahab stand, wenn es auch etwas tiefer war.
Aber
schon war die düstere Schwinge vor den Augen des Alten und der lange
hakenförmige Schnabel an seinem Kopf. Und mit einem kreischenden
Schrei schoß der schwarze Falke mit seiner Beute fort.
Ein
Adler flog dreimal um den Kopf des Tarquinius, nahm ihm die Mütze ab
und ersetzte sie ihm durch eine andere, worauf Tanaquil, seine
Gemahlin, erklärte, daß er König von Rom werden würde. Aber nur
dadurch, daß die Mütze durch eine andere ersetzt wurde, wurde das
Omen für gut befunden. Ahab bekam seinen Hut nicht wieder. Der wilde
Falke flog damit immer weiter und immer weiter ab vom Schiffsbug.
Schließlich verschwand er, während von der Stelle aus, wo er mit
dem Hut verschwunden war, ein ganz kleiner schwarzer Fleck undeutlich
erkennbar wurde, der von gewaltiger Höhe in das Meer fiel.
59.
Kapitel
Der
»Pequod« segelte mit starker Geschwindigkeit weiter. Die rollenden
Wogen gingen wie die Tage an ihm vorüber. Der zur Rettungsboje
umgeformte Sarg schwang immer noch leicht hin und her. Da wurde ein
neues Schiff gemeldet, das in seinem Elend den falschen Namen
»Delight« führte. Als es näher kam, waren alle Augen auf die
breiten Deckbalken gerichtet, die bei einigen Walschiffen in einer
Höhe von acht oder neun Fuß über das Achterdeck gehen. Sie dienen
dazu, die übrigen unfertigen und nicht gebrauchsfähigen Boote zu
tragen.
Auf
den Deckbalken des fremden Schiffes sah man die zerschlagenen weißen
Schiffsrippen und ein paar zersplitterte Schiffsplanken von einem
ehemaligen Walboot. Aber nun sah man durch das Wrack hindurch wie
durch das abgezogene, kaum noch zusammenhängende und bleichfarbige
Gerippe eines Pferdes.
»Hast
du den weißen Wal gesehen?«
»Sieh
da!« erwiderte der hohlwangige Kapitän von seinem Heckbord und wies
mit seinem Schallrohr auf das Wrack.
»Hast
du ihn getötet?«
»Die
Harpune ist noch nicht geschmiedet, die das zustande bringt«,
antwortete der andere und sah mit traurigen Blicken auf eine
ausgefüllte Hängematte auf Deck, deren zusammengesuchte Teile
einige Matrosen in aller Stille zusammennähten.
»Nicht
geschmiedet?« damit faßte Ahab nach dem Eisen Perths, nahm es vom
Haken und streckte es mit den Worten hin: »Sieh her, Nantucketer,
seinen Tod halte ich in dieser Hand! Diese Harpune ist in Blut und
vom Blitz gehärtet, und ich schwöre, daß ich sie dreifach an der
heißen Stelle hinter der Flosse härten werde, wo der weiße Wal
sein verfluchtes Leben spürt.«
»Möge
dich Gott beschützen, Alter, siehst du da,« – und er zeigte auf
die Hängematte – »daß ich einen von fünf wackeren Leuten
beerdige, die gestern noch am Leben, aber heute noch vor Abend tot
waren. Ich beerdige nur den einen, die übrigen wurden beerdigt,
bevor sie starben. Ihr segelt auf ihrem Grabe.« Dann wandte er sich
an seine Mannschaft. »Seid ihr fertig? Legt die Planke auf die
Reling und hebt den Toten darauf! Möge denn Gott dir« – worauf er
mit aufgehobenen Händen auf die Hängematte zuschritt – »die
Auferstehung und das Leben –«
»Nach
vorn brassen! Das Ruder hoch!« fuhr Ahab wie ein Ungewitter seine
Leute an.
Aber
mochte der »Pequod« auch noch so plötzlich losgefahren sein, es
war doch nicht schnell genug, um dem Geräusch des Klatschens zu
entgehen, das der Leichnam machte, als er auf die See fiel. Er war
auch nicht schnell genug, daß nicht einige von den fliegenden
Wasserblasen seinen Schiffsrumpf mit ihrer geisterhaften Taufe
bespritzt hätten.
Als
Ahab nun dem Bereich des verworfenen »Delight« entglitt, wurde die
merkwürdige Rettungsboje, die am Heck des »Pequod« hing, sichtbar.
»Seht
da, Leute!« rief eine ahnungsvolle Stimme im Kielwasser des
Schiffes. »Vergeblich flieht ihr Fremden vor unserem traurigen
Begräbnis davon. Ihr wendet uns euer Heck zu und zeigt uns euren
Sarg!«
60.
Kapitel
Es
war ein klarer Tag und blau wie Stahl. Luft und See konnte man in dem
alles durchdringenden Azurblau kaum auseinanderhalten. Die
nachdenkliche Luft war durchleuchtend und so rein und sanft wie der
Blick einer Frau. Das Meer dünte in seiner männlichen Stärke mit
seinen langen und starken Atemzügen und hob sich wie Simsons Brust
im Schlaf.
[...]
»Starbuck!«
–
»Kapitän?«
–
»Ach,
Starbuck! Es weht ein sanfter Wind und der Himmel sieht milde aus.
Grad an solch einem Tage – es war gerade so mildes Wetter –
tötete ich meinen ersten Wal. Ich war damals Harpunier, ein
Junge von achtzehn Jahren. Das war vor vierzig – ja vierzig Jahren!
Vierzig Jahre lang bin ich nun ununterbrochen auf der Waljagd!
Vierzig Jahre lang habe ich Entbehrungen, Gefahren und stürmische
Zeiten durchgemacht! Vierzig Jahre lang bin ich auf der See, die kein
Mitleid kennt! Vierzig Jahre lang hat Ahab das friedliche Land
verlassen, und vierzig Jahre lang hat er mit den Schrecken der Tiefe
Krieg geführt.
Ja,
ja! Was für ein Narr, was für ein großer Narr ist der alte Ahab in
diesen vierzig Jahren gewesen! Wozu dieser Kampf bei der Jagd? Wozu
diese Müdigkeit und wozu ist der Atem am Ruder, am Eisen und an der
Lanze erlahmt? Ist Ahab nun dadurch reicher oder besser geworden?
Sieh her, Starbuck! Ist mein Leid, an dem ich trage, nicht schwer,
daß das eine Bein mir unter dem Leibe weggerissen ist? Streich mein
altes Haar zur Seite! Es blendet mich, und es kommt mir so vor, als
ob ich weinte. Wenn man solche grauen Haare hat, so können sie nur
aus Asche entstanden sein! Aber sehe ich so alt, so furchtbar alt
aus, Starbuck? Ich komme mir todesschwach, vor Alter gebeugt wie mit
einem Buckel vor, als ob ich Adam wäre, der unter der Last von
Jahrhunderten, die seit dem Paradiese verflossen sind,
umherschwankte. Gott! Du lieber Gott, laß mein Herz zerbrechen und
meine Stirn zerschellen! Welcher Spott, welch bitterer Spott, daß
ich graue Haare habe! Habe ich denn Freude genug erlebt, um ihrer
würdig zu sein? Und nun komme ich mir so unerträglich alt vor!
Komm! komm dicht zu mir, Starbuck, laß mich in das Auge eines
Menschen sehen. Es ist besser, als wenn man in die See oder in den
Himmel sieht und besser noch, als wenn man in das Auge Gottes sieht.
Bei der grünen Farbe des Landes, bei dem leuchtenden Schein des
heimatlichen Herdes! Dies ist der Zauberspiegel! Mann, wenn ich in
dein Auge sehe, so sehe ich mein Weib und mein Kind. Bleibe an Bord,
nein, bleibe an Bord! Gehe nicht ins Boot, wenn ich es tue, wenn Ahab
mit seinem Brandmal Moby-Dick jagt. Du sollst nicht diesem Wagespiel
zum Opfer fallen! Nein, keinesfalls! Ich will nicht an die
Heimat in der Ferne denken, wenn ich in das verruchte Auge sehe!« –
–
»Mein
lieber Kapitän! Hat man es denn nötig, daß man den verhaßten
Fisch jagt! Fahr mit fort, laß uns aus diesen todesgeweihten
Gewässern entfliehen! Laß uns nach Hause fahren! Auch Starbuck hat
Weib und Kind. Und hat gerade so wie du in deinem liebebedürftigen
Alter, als Vater nach Weib und Kind Verlangen. Laß uns fortfahren!
Laß mich noch in diesem Augenblick den Kurs umstellen! In welcher
Stimmung und in welcher Fröhlichkeit wollen wir dann auf unserem Weg
dahinrollen, um das alte Nantucket wiederzusehen! Es kommt mir so
vor, als ob sie in Nantucket gerade so sanfte, blaue Tage hätten,
wie wir hier!«
–»Es
ist so. Ich habe mal einige Sommermorgen erlebt. Um diese Zeit, wo
man gerade seinen Mittagsschlaf hält, wacht der Junge mit seinem
Strampeln auf. Richtet sich in seinem Bett auf, und die Mutter
erzählt ihm von mir, dem alten Kannibalen, wie ich in der Fremde auf
der tiefen See bin, und daß ich doch wiederkomme und ihn auf den
Armen schaukeln werde.«–
»Genau
so ist meine Mary. Sie hat mir gesagt, daß sie meinen Jungen alle
Morgen nach den Dünen tragen würde, damit er als erster das Segel
seines Vaters sehen sollte. Nun wollen wir aber nicht mehr daran
denken! Wir wollen den Kurs nach Nantucket nehmen! Komm, Kapitän,
nimm den richtigen Kurs und laß uns fortfahren!« –
Aber
Ahabs Blick kehrte sich um; er schüttelte sich wie ein verdorrter
Obstbaum und warf den letzten aschenfarbigen Apfel herab auf den
Boden.
»Was
für ein namenloses, unerforschbares und unirdisches Ding, was für
ein betrügerischer, im Verborgenen wirkender Herr, und welcher
grausame, gewissenlose Tyrann beherrscht mich? – Daß ich, allen
natürlichen Gefühlen der Liebe und der Sehnsucht entgegen,
fortwährend auf dem Sprunge bin und mich dazu dränge und mich auf
die Dinge stürze! Daß ich mich unbekümmert zu dem bereit
erkläre, was ich in meinem eigenen natürlichen Herzen nicht wagen
dürfte? Ist Ahab denn wirklich Ahab? Bin ich es denn, lieber Gott,
oder ist es ein anderer, der diesen Arm hochhebt? – Wenn die
erhabene Sonne sich nicht aus eigener Kraft bewegt, sondern nur ein
Wanderer am Himmelsgewölbe ist, und kein einziger Stern ohne Hilfe
einer unsichtbaren Kraft sich um sich selbst drehen kann – wie kann
dann dies kleine Herz schlagen und wie kann dieses kleine Gehirn
denken, wenn nicht Gott im Herzen schlägt und nicht Gott im Gehirn
denkt! Beim Himmel! Wir werden in dieser Welt herumgewirbelt, wie das
Windspill dort drüben, und das Schicksal ist die Handspeiche. Und
sieh die ganze Zeit den lächelnden Himmel und die bodenlose See an,
sieh dir den Albicore da drüben an! Wer hat ihn gelehrt, den
fliegenden Fisch zu jagen und zu fangen? Wie weit werden es noch die
Mörder treiben, Mann! Wen soll man verurteilen, wenn der Richter
selbst vor die Schranken des Gerichts geschleppt wird? Aber es ist
ein sanfter, milder Wind, und der Himmel sieht recht ruhig aus. Die
Luft duftet so, als ob sie von einer Wiese in der Ferne käme. Sie
haben wohl irgendwo an den Abhängen der Anden Heu gemacht, Starbuck,
und die Schnitter halten unter dem frischgemähten Gras ihren
Mittagsschlaf? Arbeiten wir, solange wir können! Wir werden
schließlich alle mal auf dem Felde schlafen. Und wir werden in dem
grünen Gras einrosten, so wie die Sensen des vorigen Jahres
zerklirren und in den halbgeschnittenen Grasschwaden liegenbleiben,
nicht wahr, Starbuck!«
Aber
Starbuck, der vor Verzweiflung bleich geworden war wie ein Leichnam,
hatte sich inzwischen davongemacht.
Ahab
ging über das Deck, um an der anderen Seite hinüberzusehen. Aber
vor zwei nachdenklichen starren Augen, die in das Wasser sahen, fuhr
er zurück. Es war Fedallah, der bewegungslos sich über dieselbe
Reling lehnte.
61.
Kapitel
Als
der Alte in jener Nacht in der mittleren Wache aus der Luke, in der
er angelehnt dastand, gewohnheitsgemäß in gewissen Zwischenräumen
hervortrat und nach seinem Standort an Deck ging, fuhr er plötzlich
mit dem Gesicht erregt auf. Und er schnüffelte in der Seeluft herum,
wie ein Hund mit seiner Spürnase, als er in die Nähe einer
Barbareninsel kam. Er erklärte, daß ein Wal in der Nähe sein
müßte. Bald spürte die ganze Wache den eigentümlichen Geruch, der
manchmal in einer großen Entfernung von dem lebendigen Pottwal
ausgeht. Kein Matrose war daher überrascht, als Ahab, nachdem er die
Kompaßnadel aufmerksam betrachtet und sich überzeugt hatte, daß
der Geruch aus unmittelbarer Nähe kommen müßte, sofort befahl, daß
der Kurs des Schiffes ein wenig geändert und die Segel eingezogen
werden sollten.
Bei
Tagesanbruch bekam diese scharfe Weisung, die diese Bewegungen
anordnete, durch den Anblick einer langen Glätte auf der See, ihre
Erklärung. Man sah sie unmittelbar in der ganzen Länge vorn vom
Schiff. Sie war glatt wie Öl und glich mit den gefalteten
Wasserrunzeln, die ihre Grenzen bildeten, dem metallischglänzenden
Zeichen eines mit aller Plötzlichkeit erfolgenden Gezeitenrisses,
der dicht vor einer tiefen, reißenden Strömung erfolgt.
»Die
Mastspitzen bemannen! Alle Mann rufen!« [...]
Als
alle Segel gesetzt waren, warf er die Rettungsleine aus, die dafür
bestimmt war, um ihn oben an die Oberbramstange zu befördern, und in
wenigen Augenblicken wurde er hinaufgezogen. Als nur zwei Drittel des
Weges nach oben zurückgelegt waren und Ahab von oben her auf eine
freie Stelle am Horizont zwischen dem Hauptmarssegel und dem oberen
Segel hindurchschaute, schrie er wie eine Möve in der Luft: »Dort
bläst sie! dort bläst sie! Ein Höcker, wie ein Schneeberg, es ist
Moby-Dick!«
Von
dem Ruf angefeuert, der gleichzeitig von den drei Ausgucksposten
aufgenommen wurde, stürmten die Leute an Deck und nach dem
Takelwerk, um den berühmten Wal von Angesicht zu sehen, den sie
solange verfolgt hatten. Ahab war nun oben an seinem Sitz angekommen
und befand sich einige Fuß über den anderen Ausgucksposten.
Tashtego stand gerade unter ihm auf der höchsten Spitze des
Obermastes, so daß der Kopf des Indianers mit Ahabs Fersen in
gleicher Höhe war. Von dieser Höhe aus konnte man den Wal in einer
Entfernung von einer Meile ungefähr beobachten. Wenn die See Wellen
schlug, wurde jedesmal der hohe leuchtende Höcker sichtbar, und
regelmäßig spritzte seine Fontäne in aller Ruhe in die Luft. Die
abergläubischen Matrosen bildeten sich ein, daß es dieselbe ruhige
Fontäne gewesen wäre, die sie solange vorher in dem mondglänzenden
Atlantischen und Indischen Ozean gesehen hätten.
»Hat
es denn keiner von euch vorher gesehen?« schrie Ahab den Leuten zu,
die rund um ihn herum in den Masten saßen.
»Ich
hab' ihn in demselben Augenblick gesehen wie der Kapitän! Und ich
hab' ihn gemeldet«, sagte Tashtego.
»Nicht
im selben Augenblick! Das ist nicht wahr! Die Dublone gehört mir.
Das Schicksal hat die Dublone für mich aufbewahrt. Keiner von euch
hätte den weißen Wal zuerst erblicken können, dort bläst sie,
dort! Wieder dort! da!« schrie er in langgezogenem, systematischen
Tonfall, der zu den allmählichen Verlängerungen der sichtbaren
Fontäne des Wales paßte. »Er taucht gleich! In die Stunsegel!
Die oberen Segel herunter. Drei Boote bereithalten, Starbuck. Denk
daran und bleib an Bord und paß auf das Schiff! Das Steuerruder!
Einen Strich anluven! So! Feste Mann, feste! Da sind die
Schwanzflossen! Nein, nein. Es ist nur dunkles Wasser! Ist alles
fertig an den Booten? Bereithalten! Laß mich herab, Starbuck! Herab!
Herab, schnell, schneller!« Und er glitt durch die Luft auf Deck.
»Er
geht gerade leewärts nach vorn, Kapitän«, schrie Stubb. »Er
schwenkt von uns rechts ab; er kann das Schiff noch nicht gesehen
haben.« –
»Halt
den Mund, Mann. Stehe an den Brassen! Halt! das Steuer herunter!
Aufbrassen! Boote her! Boote!« [...]
So
schwamm denn Moby-Dick in der heiteren Stille des tropischen Meeres
durch Wellen, die mit ihrem klatschenden Geräusch eine ungewöhnliche
Raubgier verdeckten, weiter und ließ den Schrecken seines
untergetauchten Rüssels nicht erkennen, der das Entsetzen seines
zermalmenden häßlichen Kiefers ganz und gar verbarg. Aber bald
erhob sich der Vorderteil langsam aus dem Wasser. In einem Augenblick
bildete sein marmorweißer Körper einen hohen Bogen wie die
Naturbrücke in Virginia; wie zur Warnung hob er sein Bannerzeichen,
die Schwanzflossen, in die Luft, und der große Gott zeigte sich in
voller Größe, tauchte unter und war nicht mehr zu sehen. Die weißen
Seevögel suchten sich noch zu halten, tauchten mit den Flügeln ins
Wasser und beugten sich dann verlangend über die schwankende Stange,
die noch zu sehen war. [...]
»Die
Vögel! die Vögel!« rief Tashtego. In einer langen Reihe flogen die
weißen Vögel, wie Reiher in der Luft, auf Ahabs Boot zu. Und als
sie einige Yards davon entfernt waren, flatterten sie über das
Wasser und zogen mit lustigem, erwartungsvollen Schrei einen Kreis um
ihn. Ihre Sehkraft war stärker als die eines Menschen; Ahab konnte
in der See nichts erkennen. Als er aber plötzlich in die Tiefe
schaute, sah er einen lebendigen Fleck dort unten, der nicht größer
als ein weißes Wiesel war. Mit einer unglaublichen Schnelligkeit
stieg er auf und vergrößerte sich, als er höher kam, drehte sich
dann mit einem Mal um, und es zeigten sich ganz deutlich zwei lange,
krumme Reihen von weißen, glitzernden Zähnen, die aus dem
unerkennbaren Meeresgrund auftrieben. Es war der offene Mund von
Moby-Dick und der geschnörkelte Unterkiefer! Sein riesenhafter, vom
Schatten bedeckter Rumpf zerschmolz noch mit dem Blau des Meeres zur
Hälfte. Der glitzernde Mund sperrte sich unter dem Boot auf wie ein
geöffnetes Marmorgrab. Ahab gab dem Boote mit dem Steuerruder
seitwärts einen Stoß, um es dieser furchtbaren Erscheinung zu
entreißen. Dann forderte er Fedallah auf, den Platz mit ihm zu
wechseln, ging auf den Bug los, faßte die Harpune von Perth und
befahl seinen Leuten, die Ruderstangen festzuhalten und am Heck
bereitzustehen. Ahabs Absicht war, dem Bug des Bootes durch eine
rechtzeitig erfolgte Drehung eine dem Kopf des Wales entgegengesetzte
Richtung zu geben, solange er sich noch unter Wasser befand. Aber,
als ob er diese List bemerkt hätte, glitt Moby-Dick mit der ihm
zugeschriebenen boshaften Schlauheit seitwärts und schoß in einem
Nu seinen Kopf mit den vielen Falten in der ganzen Länge unter das
Boot.
In
jeder Planke, in jeder Rippe und in jeder Fuge krachte es in einem
Augenblick; der Wal lag schräg auf dem Rücken, wie ein
zubeißender Hai und nahm langsam und spürbar den ganzen Bug in das
Maul, so daß der lange, schmale, schneckenförmige Unterkiefer bis
hoch in die offene Luft ragte und ein Zahn in ein Ruderloch faßte.
Das bläuliche, perlweiße Innere des Kiefers war sechs Zoll von
Ahabs Kopf entfernt und reichte wohl noch höher hinauf. In dieser
Stellung schüttelte nun der weiße Wal das dünne Zedernboot, wie
eine nicht übermäßig grausame Katze eine Maus. Fedallah starrte
mit ruhigen Augen die Szene an und kreuzte die Arme. Aber die
Mannschaft mit den tigergelben Gesichtern taumelte übereinander und
suchte das äußerste Heck zu erreichen. Während nun die beiden
elastischen Dollborde hin und her schnellten, als der Wal mit dem
todgeweihten Schiff auf teuflische Weise spielte, und der Wal, der
mit seinem Körper unterhalb des Bootes getaucht war, so daß er von
dem Bug aus nicht getroffen werden konnte – denn die Buge waren
gleichsam in ihm drin – und während die anderen Boote
unwillkürlich stoppten, wie vor einer schnellen Krise, der man nicht
widerstehen kann, da geschah es, daß der monomanische Ahab, der die
furchtbare Nähe seines Feindes nicht ertragen konnte, und lebendig
und hilflos den verhaßten Kiefern preisgegeben war, in seiner Wut
mit seinen bloßen Händen den langen Kieferknochen anpackte und ihn
mit wilder Kraft loszureißen suchte. Als er nun diesen vergeblichen
Versuch machte, entglitt ihm der Kiefer; die gebrechlichen Dollborde
bogen sich zurück, krachten und zerbrachen, und die beiden Kiefer
des Wals glitten, wie ein riesiger Querbalken, weiter achterwärts,
rissen das Boot vollständig in zwei Teile und schlossen sich schnell
wieder in der See in der Mitte zwischen den beiden treibenden Wracks.
Als diese abtrieben und die gebrochenen Teile niedergingen, hielten
sich die Leute an dem Heck des Wracks an den Dollborden fest und
griffen nach den Ruderstangen, um sich weiterzubringen.
Bevor
das Boot zerbrochen war, hatte Ahab an dem schlauen Aufschnellen des
Kopfes die Absicht des Wales erkannt. Bei dieser Bewegung
lockerte sich der feste Griff des Wales einen Augenblick, sofort
machte er mit der Hand seinen letzten Versuch, das Boot dem Biß des
Wales zu entreißen. Aber da das Boot noch tiefer in das Maul
gerutscht und dabei seitlich umgekippt war, hatte es die Lockerung
des Kiefers bewirkt. Als Ahab sich dabei nach vorn beugte, wurde er
aus dem Boot geworfen und fiel so mit dem flachen Gesicht auf das
Meer.
Moby-Dick
hatte sich unter kräuselndem Wellenschlag von seiner Beute
zurückgezogen und lag nun in geringer Entfernung da und streckte
seinen schrägen weißen Kopf senkrecht in den Wellen nach oben und
nach unten; dabei drehte sich sein ganzer Körper wie eine Spindel
gleichzeitig langsam um, und als nun seine riesige Stirn mit den
vielen Falten aus dem Wasser kam – wohl bis zu einer Höhe von
zwanzig Fuß und darüber –, schlugen die nun anhebenden Dünungen
der gleichzeitig kommenden Wellen stürmisch dagegen. Rachsüchtig
spritzten sie ihren Schaum noch weit höher in die Luft.
Er
nahm bald seine horizontale Lage wieder ein und schwamm schnell um
die schiffbrüchige Mannschaft herum. Er ließ rachsüchtig das
Kielwasser seitwärts aufschäumen, als ob er sich zu einem noch
furchtbareren Todesangriff aufraffen wollte. Der Anblick des
zersplitterten Bootes schien ihn toll zu machen, wie der Saft der
Weintrauben und Maulbeeren, die in dem Buch der Makkabäer den
Elefanten des Antiochus vorgeworfen werden. Inzwischen wurde Ahab
halb erstickt im Schaum des Schwanzes des unverschämten Wales
herumgetrieben. Um schwimmen zu können, war er zu sehr Krüppel.
Immerhin konnte er sich sogar mitten in solch einem Strudel oben
halten. Man erkannte den Kopf des hilflosen Ahabs, dem wie eine hin
und her gestoßene Wasserblase bei der geringsten Kleinigkeit das
Allerschlimmste passieren konnte. Aus dem Heck des Bootes, das nur
noch ein Wrack war, sah ihn Fedallah uninteressiert und sanft an. Die
am anderen Ende treibende Mannschaft konnte ihm keine Hilfe bringen.
Es war schon viel, daß sie sich selbst helfen konnten. Der
Anblick des weißen Wales war so schrecklich, und er trieb sich wie
ein Planet in dem sich immer mehr zusammenziehenden Kreise um sie
herum, daß es so schien, als ob er in wagerechter Richtung auf sie
zustoßen wollte. Obwohl die anderen Boote unbeschädigt waren und
immer noch in nächster Nähe hielten, wagten sie dennoch nicht, sich
in den Strudel zu begeben, damit das nicht das Zeichen für die
völlige Vernichtung der wagehalsigen Schiffbrüchigen würde. Und
wenn das geschah, so hatten sie selbst kaum Hoffnung, sich zu retten.
Mit starren Blicken hielten sie sich an dem äußeren Rande der Zone
des Entsetzens, deren Mittelpunkt nun der Kopf des Alten geworden
war.
Inzwischen
hatte man von den Masten des Schiffes aus diese Vorgänge beobachtet;
das Schiff hatte vierkant gebraßt und nahm nun den Kurs auf die
Szene zu und war nun so nahe, daß Ahab ihm vom Wasser aus zurief:
»Auf den –« aber in demselben Augenblick trieb ihn eine hohe See
von Moby-Dick ab, und er wurde für eine Zeit überwältigt. Er
kämpfte sich aber daraus hervor und rief dann, als er zufällig oben
auf einen riesig hohen Wellenkamm kam: »Auf den Wal zusegeln! Treibt
ihn zurück!«
Die
Schiffsbuge des »Pequod« wurden gerichtet. Das Schiff zerbrach den
Zauberkreis und trennte tatsächlich den weißen Wal von seinem
Opfer. Als der Wal mürrisch davonschwamm, flogen die Boote zur
Rettung herbei.
Ahab
wurde mit blutunterlaufenen, nahezu geblendeten Augen in das Boot von
Stubb gezogen, und weißer salziger Schaum bedeckte seine Falten. Nun
ließ ihn die lange körperliche Spannung zusammenbrechen. Hilflos
wie einer, der von den Beinen von Elefantenherden zertreten ist, lag
er unten in Stubbs Boot wie zerschlagen. Aus seinem Innern kamen
namenlose Klagerufe aus weiter Ferne, schmerzhafte Laute aus einer
Schlucht.
»Ist
die Harpune noch ganz?« sagte Ahab, der sich soeben aufrichtete und
den einen Arm gebeugt hielt, auf den er sich stützte.
»Ja,
Kapitän; sie ist nicht abgeschossen. Da ist sie«, sagte Stubb und
zeigte sie.
»Leg'
sie vor mich hin! Fehlen Leute?«
»Eins,
zwei, drei, vier, fünf – es waren fünf Ruder und fünf Leute sind
da, Kapitän.«
»Es
ist gut. Hilf mal, Mann. Ich will stehen. So, so. So sehe ich ihn. Da
ist er. Er ist noch immer an der Leeseite. Die Fontäne spritzt ja
furchtbar! Die Hände von mir weg! Das Blut steigt wieder in meinen
alten Knochen auf. Die Segel setzen! Die Ruder 'raus! Und das
Steuer!«
Es
geschieht oft, daß, wenn ein Boot eingeschlagen ist, die Mannschaft
desselben, sofern sie von einem anderen Boot aufgefischt ist, beim
zweiten Boot mithilft. Die Jagd wird dann mit doppelsitzigen Rudern
fortgesetzt. Das war auch hier der Fall. Aber die vereinte Kraft des
Bootes war der vereinten Kraft des Wales nicht gewachsen; man hatte
den Eindruck, als ob seine Flossen »dreisitzig« wären. Er schwamm
mit einer Geschwindigkeit, woraus deutlich hervorging, daß, wenn es
auf diese Weise weiterging, die Jagd bis ins Unermeßliche dauern
würde, sofern sie überhaupt Aussicht auf Erfolg hatte. Dann konnte
es keine Mannschaft wegen der ununterbrochenen übermäßigen
Anstrengung an den Rudern solange aushalten.
Das
Schiff stand unter den besten Vorbedingungen einer erfolgreichen
Jagd. Die Boote, die gerade bereitgestellt waren und bald an den
Rollenzügen hochgezogen wurden – man hatte die beiden Teile des
zerbrochenen Bootes vorher in Sicherheit gebracht –, streckten ihre
Sturmsegel nach der Seite aus wie die doppelten Schwingen eines
Albatros. So nahm denn der »Pequod« seinen Kurs auf das Kielwasser
an der Leeseite des Moby-Dick. Nach den wohlbekannten methodischen
Zwischenzeiten wurde die glitzernde Fontäne des Wales von der
Bemannung der Mäste regelmäßig gemeldet.
Und
als man die Meldung brachte, daß er gerade untergetaucht wäre, sah
Ahab auf die Uhr, ging über Deck und hatte die Kompaßuhr in der
Hand. Als die letzte Sekunde der veranschlagten Stunde vorüber
wir, hörte man seine Stimme.
»Wem
gehört denn nun wohl die Dublone? Seht ihr ihn?« Und wenn die
Antwort war: »Nein, Kapitän«, befahl er ihnen unverzüglich, ihn
an seinen Sitz hochzuziehen. Auf diese Weise ging der Tag zu Ende.
Mal war Ahab oben in der Luft, ohne sich zu bewegen, mal schritt er
ruhelos über die Schiffsplanken. [...]
»Können
die Fontäne jetzt nicht sehen, Kapitän, zu dunkel!« rief eine
Stimme aus der Luft.
»Wohin
ging sie denn, als ihr sie zuletzt saht?«
»Wie
vorhin, gerade nach der Leeseite.«
»Gut!
Der Wal wird heute nacht langsamer schwimmen. Das Oberbramsegel und
die Stunsegel am oberen Mars einziehen! Starbuck! Vor morgen werden
wir kaum auf ihn stoßen. Er macht jetzt seine Rundreise und wird
wohl jetzt eine Weile beilegen. Ans Ruder! Das Ruder vor dem Wind in
acht nehmen! Ihr da oben, kommt herunter! Stubb, schick' einen neuen
Mann oben an den Vordermast und bemanne ihn bis zum Morgen.« Dann
ging er auf die Dublone am Hauptmast zu. »Leute, dies Goldstück
gehört mir, ich hab' es verdient. Aber ich lasse es hier, bis der
weiße Wal tot ist. Und wer ihn dann zuerst sichtet an dem Tage, wo
er getötet werden soll, dem soll das Goldstück gehören. Wenn ich
ihn an diesem Tage wieder sichte, so will ich die zehnfache Summe
unter euch allen verteilen. Los jetzt! Du hast die Aufsicht auf
Deck.«
Als
er das sprach, stellte er sich auf halbem Wege in die Luke, zog den
Hut über den Kopf und blieb bis zum Morgengrauen dort stehen,
höchstens, daß er von Zeit zu Zeit sich aufreckte, um zu sehen, ob
die Nacht nicht bald vorüber wäre.
62.
Kapitel
Als
der Tag anbrach, wurden die drei Mäste auf die Minute neu bemannt.
»Seht
ihr ihn?« schrie Ahab, nachdem er abgewartet hatte, bis sich das
Licht ausbreitete.
»Sehe
nichts, Kapitän.« [...]
Als
die beiden Mannschaften in dem Strudel herumgetrieben wurden und die
sich drehenden Seiltrommeln, die Ruder und das sonstige schwimmende
Mobiliar zu fassen suchten, während der kleine Flask auf
abschüssiger Bahn wie eine leere Flasche auf- und niedertanzte und
seine Beine hochhob, um den gefürchteten Kiefern der Haie zu
entgehen, und Stubb nach jemand Ausschau hielt, der ihn aus dem
Wasser fischte, und die Leine des Alten die Möglichkeit bot, aus dem
schäumenden Pfuhl einen x-beliebigen Mann herauszuziehen, und das
unbeschädigte Boot Ahabs von unsichtbaren Drähten gen Himmel
gezogen zu werden schien, da kam der weiße Wal mit einem Male wie
ein Pfeil aus der See herausgeschossen, schlug mit seiner breiten
Stirn von unten gegen das Boot und warf es kopfüber in die Luft. Bis
es dann wieder herunterfiel – mit dem Dollbord nach unten – und
Ahab und seine Leute sich aus dem umgekehrten Boot herauskämpften
wie Seehunde aus einem am Meeresufer stehenden Käfig.
Bei
dem ersten Aufsteigen war der Wal, als er die Meeresoberfläche
berührte, aus der Richtung gekommen, und so wurde er wider
Willen eine kleine Strecke von dem Ort seiner Zerstörung
abgetrieben. Dieser befand sich in seinem Rücken; so blieb er denn
einen Augenblick liegen und fühlte mit seinen Flossen in der Gegend
herum. Und jedesmal, wenn ein herrenloses Ruder, ein Plankenstück
oder der geringste Überrest von den Booten seine Haut streifte, zog
er geschwind den Schwanz zurück und schlug von der Seite gegen die
See.
Aber
als er sich zu seiner Zufriedenheit davon überzeugt hatte, daß
seine Arbeit diesmal getan war, trieb er seine Stirn mit den vielen
Falten durch den Ozean und zog die verwickelten Leinen hinter sich
her; er setzte dann seinen Weg an der Leeseite fort, wie es ein
Reisender tut, der nach einer bestimmten Methode reist.
Wie
früher hatte das aufmerksame Schiff den ganzen Kampf mitangesehen.
Nun kam es wieder zur Rettung herangefahren. Man ließ ein Boot
herunter, fischte die herumtreibenden Matrosen auf, ebenso die
Seiltrommeln, die Ruder und was man sonst fassen konnte. Es wurde
alles sicher an Deck untergebracht: einige verstauchte Schultern,
Handgelenke und Knöchel, bleich aussehende Leute mit Quetschungen,
verbogene Harpunen und Lanzen, nicht mehr auseinanderzubringende
Stücke der Leine und zersplitterte Ruder und Planken. Alles das war
reichlich vorhanden. Aber niemand schien einen ernsthaften Schaden
genommen zu haben. Wie es am Tage vorher bei Fedallah der Fall
gewesen war, so fand man nun Ahab; er hielt sich an seinem halben,
zerbrochenen Boot wutverzerrt fest. So kam er noch verhältnismäßig
leicht davon, und außerdem war er nicht so erschöpft wie an dem
unglücklichen vorhergehenden Tage.
Aber
als man ihm beim Besteigen des Decks behilflich war, richteten sich
alle Augen fest auf ihn. Statt auf eigenen Füßen zu stehen, hing er
halb an der Schulter von Starbuck, der ihm zu allererst Hilfe
gebracht hatte. Das Bein aus Walfischknochen war ihm abgerissen, und
es blieb nur noch ein kurzer, scharfer Splitter übrig.
»Ja,
ja, Starbuck, es ist schön, wenn man sich manchmal anlehnen kann,
und mag das auch sein, wer will. Es wäre besser gewesen, wenn der
alte Ahab sich öfter mal angelehnt hätte.«
»Der
Eisenring hat nicht gehalten, Kapitän«, sagte der Zimmermann, der
nun herankam. »Ich habe mir bei dem Bein große Mühe gegeben.«
[...]
Die
Befürchtung des Alten erfüllte sich. Als sich die Mannschaft
versammelte, war der Parse nicht da.
»Der
Parse –«, rief Stubb. »Der Parse muß wohl –«
»Das
gelbe Fieber soll dich fressen! Lauft alle nach oben, nach unten, in
die Kabine, auf das Vorderdeck, und sucht, wo er ist! Er kann doch
nicht fort sein!«
Aber
bald kamen sie mit der Nachricht wieder, daß der Parse nirgends zu
finden wäre. »Er muß wohl zwischen Ihre Leine gekommen sein. Mir
kommt es so vor, als ob ich ihn gesehen hätte, wie er
heruntergezogen wurde.«
»Unter
meine Leine! meine Leine? Er ist wirklich fort? Was kann dies eine
Wort bedeuten? Was für eine Totenglocke kann nur darin klingen, daß
der alte Ahab zusammenfährt, als ob er ein Glockenturm wäre? Wo ist
denn die Harpune? Werft mal das Gerümpel da durcheinander! Seht ihr
sie? Ich meine das geschmiedete Eisen, Leute, die Harpune des weißen
Wals! Nein, nein, nein! Ich blöder Narr! Ich hab' sie ja mit dieser
Hand abgeschossen! Sie steckt ja im Fisch drin! Ihr da oben! Habt ihn
gut im Auge! Schnell, alle Mann an das Takelwerk der Boote! Die Ruder
her, Harpuniere, die Eisen! die Eisen! Zieht die Oberbramsegel höher!
Ran an die Schotten! Ans Ruder! Arbeitet, was ihr könnt! Ich will
zehnmal um den unermeßlichen Erdball herumfahren, ja, und in ihm
untertauchen, bis ich ihn erschlagen habe!« [...]
63.
Kapitel
[...]
Er
gab ein Zeichen, und indem er immer noch um sich in die Runde
blickte, wurde er durch die aufgeklaffte blaue Luft auf das Deck
niedergelassen.
In
entsprechender Zeit wurden die Boote herabgelassen, aber als Ahab im
Heck seiner Schaluppe stand und vor dem Hinabsteigen etwas zögerte,
winkte er dem Maaten, der eins von den Rollenseilen an Deck hielt,
und bat ihn, einen Augenblick einzuhalten.
»Starbuck!«
»Kapitän?«
»Zum
drittenmal tritt das Schiff meiner Seele diese Reise an, Starbuck.«
»Ja,
Kapitän, du willst es so haben.«
»Einige
Schiffe segeln aus ihren Häfen ab und immer fehlen sie später,
Starbuck.«
»Das
ist Wahrheit, Kapitän, furchtbare Wahrheit.«
»Einige
sterben zur Ebbezeit, einige im niedrigen Wasser und einige mitten in
der Flut. Ich komme mir jetzt wie eine Welle vor, die nur ein
riesiger einziger weißer Kamm ist, Starbuck. Ich bin alt, gib mir
die Hand, Mann!«
Ihre
Hände begegneten sich, ihre Blicke lagen fest ineinander, und aus
Starbucks Augen leuchtete eine Träne.
»Ach,
Kapitän, du edler Mensch, geh nicht fort. Sieh, es ist ein tapferer
Mensch, der weint. Wie groß muß da der Schmerz seines Glaubens
sein!«
»Niederlassen!«
schrie Ahab. Und er stieß den Arm des Maaten von sich. »Sei der
Mannschaft behilflich!«
Im
Augenblick ruderte das Boot dicht an der Heckseite.
»Die
Haifische! die Haifische!« schrie eine Stimme aus dem unteren
Kabinenfenster. »Herr, mein Herr, komm doch zurück!«
Aber
Ahab hörte es nicht, denn seine eigene Stimme wurde hoch in die Luft
geworfen; dann tanzte das Boot weiter. [...]
Als
er wieder an ihnen vorbeischoß, ertönte ein kurzer Schrei. Ganz und
gar an den Rücken des Wales festgebunden und von den Leinen mehrfach
gefesselt, die dieser während der vergangenen Nacht um ihn gewickelt
hatte, wurde nun mit einem Male der halbzerrissene Körper des Parsen
sichtbar!! Seine schwarzen Kleider waren in Fetzen zerrissen, und
seine starren weiten Augen sahen den alten Ahab an.
Als
er das sah, fiel ihm die Harpune aus der Hand.
»Ich
werde verrückt, verrückt!« Und er atmete lang auf. »Ja, Parse!
ich sehe dich wieder. Ja, und du gehst vor mir! und das – ist also
die Totenbahre, die du versprochen hast, aber ich halte dich an den
genauen Wortlaut deiner Rede. Wo ist die zweite Totenbahre? Fort,
Maate, nach dem Schiff! Diese Boote sind jetzt nutzlos! Repariert sie
rechtzeitig, wenn es möglich ist – und kehrt zu mir zurück. Wenn
nicht, so genügt es, wenn Ahab hier allein stirbt. – Los, Leute,
wer zuerst den Versuch macht, aus dem Boot zu springen, in dem ich
stehe, den harpuniere ich! Ihr seid nicht etwas anderes! Ihr seid nur
meine Arme und meine Beine, und so müßt ihr mir denn gehorchen. Wo
ist der Wal? Ist er wieder untergegangen?« [...]
Einen
Augenblick lang stand die im Erstarrungszustand befindliche
Mannschaft still, dann wandte sie sich um. »Wo ist das Schiff? Um's
Himmels willen, wo ist das Schiff?« Bald sahen sie durch trübe,
beunruhigende Luft hindurch ein seitlich dahinschwimmendes Phantom
wie bei einer gasförmigen Fata Morgana. Nur die höchsten Enden der
Mäste standen aus dem Wasser hervor. Erstarrt hielten die
heidnischen Harpuniere aus Eitelkeit, aus Treue oder aus
Schicksalsergebenheit auf ihren einstmals so hohen Sitzen aus, die
nun in die See sanken. Nun faßten konzentrische Ringe das
übriggebliebene Boot und die ganze Mannschaft; jede Ruderstange,
jeder Lanzenschaft und jedes belebte und unbelebte Wesen wurde nun in
einen Strudel gezogen, und langsam kam der kleinste Überrest vom
»Pequod« außer Sicht.
Aber
als die Flut allmählich über den gesunkenen Kopf des Indianers am
Hauptmast zu schlagen drohte, blieben noch ein paar Zoll der
emporgerichteten Spiere sichtbar, wie auch von den langen flackernden
Yards der Flagge, die in aller Ruhe mit ironischer Begleitung über
den verheerenden Wellen wogte, die sie fast berührten. In demselben
Augenblick wurden ein roter Arm und ein Hammer an der Backbordseite
in die offene Luft gehoben, der sich alle Mühe gab, die Flagge an
der nachgebenden Spiere immer fester zu schlagen. Ein vom Himmel
kommender Seefalke, der höhnischerweise dem Flaggenknopf am
Hauptmast von seiner natürlichen Heimat unter den Sternen nach unten
gefolgt war, hackte an der Flagge und belästigte dort Tashtego.
Dieser Vogel schlug nun mit seiner breiten, flatternden Schwinge
zwischen den Hammer und das Holz. Vielleicht fühlte der
untergetauchte Wilde darunter zu gleicher Zeit den ätherischen
Schauer, und so hielt er denn in der Umklammerung des Todes seinen
Hammer mit eingefrorener Faust fest. Der Vogel des Himmels stieß mit
erzengelhaften Rufen und seinem majestätischen Schnabel nach oben,
wobei er mit seiner ganzen Gestalt in der Flagge Ahabs eingeschlossen
und gefangen war. So ging er denn mit dem Schiff unter, das wie Satan
nicht zur Hölle sinken wollte, ohne daß es ein lebendes Stück
Himmel mit in die Tiefe gerissen und damit sein Haupt bedeckt hätte.
Nun
flogen kleine Vögel schreiend über den Schlund, der sich noch immer
weit auftat. Eine weiße Brandung schlug mürrisch gegen die steilen
Ufer derselben. Dann krachte alles zusammen, und das große
Leichentuch des Meeres rollte weiter, wie es schon vor fünftausend
Jahren gerollt war.
»Und
ich bin allein entkommen, um es dir zu sagen.«
Hiob.
Das
Drama ist zu Ende. Wozu will denn einer noch weitergehen? Weil ein
einziger das Wrack überlebt hat.
Das
ging so zu. Nach dem Untergang des Parsen war ich derjenige, den das
Schicksal dazu bestimmte, den Platz des Bootsmannes von Ahab
auszufüllen. Ich war derselbe, der am Heck niederging, als an dem
letzten Tage die drei Leute aus dem schaukelnden Boot geworfen
wurden. Angesichts der darauffolgenden Szene, als die saugende
Bewegung des Meeres, die das versunkene Schiff schon verschlungen
hatte, an mich herankam, wurde ich langsam auf den Strudel zugezogen,
der allem ein Ende machte. Als ich ihn erreicht hatte, war ein
schäumender Pfuhl an die Stelle getreten; so bewegte ich mich denn
um die Achse des sich langsam drehenden Kreises auf die knopfartige
schwarze Wasserblase zu wie ein zweiter Ixion. Bis dann schließlich
die schwarze Wasserblase, als sie gegen das lebendige Zentrum stieß,
oben barst. Ich war nun infolge dieses günstigen Umstandes befreit
und dank der Tatsache, daß der zur Rettungsboje umgeformte Sarg
infolge seines leichten Auftriebs der Länge nach aus dem Meer
hervorgeschossen kam, überkippte und neben mir hertrieb. Als ich von
jenem Sarg gerettet war, trieb ich fast einen ganzen Tag und eine
ganze Nacht auf einem unruhigen und grabähnlichen weiten Meer umher.
Die
Haifische taten mir nichts und glitten an mir vorüber, als ob
sie Schlösser vor ihren Mäulern hätten. Die wilden Seefalken
flogen vorbei, als ob ihre scharfen Schnäbel in der Scheide
steckten. Am zweiten Tage kam ein Segler heran und nahm mich
schließlich auf. Es war die in falschen Zonen kreuzende »Rachel«,
die auf der immer noch währenden Suche nach ihren verlorengegangenen
Kindern nur ein anderes Waisenkind fand.