03 Dezember 2020

Edita Morris: Die Blumen von Hiroshima

 

Das Buch in grobem Leinen gebunden, in das Kanji eingeprägt

sind, hat als Kapitelüberschriften jeweils Kanji, die auf das 

jeweilige Kapitel-Deckblatt wie auf dem Einband nur Kanji  

in senkrechter Anordnung am rechten Rand zeigen.

So zeigt das Buch dem kanji-unkundigen Leser als Erstes 

jeweils eine unverständliche Seite.



Ich hätte vorgewarnt sein können. Aber als die Erzählerin, eine japanische Frau, ihre jüngere Schwester Ohatsu einen Amerikaner fragen lässt: "Walum bitte? Mögen Sie Japan lieberer als Amelika?" (S.20) ließ ich mich täuschen. Hatte sie doch auf der Seite zuvor schon erklärt: "Wir Japaner verwechseln ja immer das L und das R." Eine leichte Lektüre also, mit Klischees über Japan spielend. Wenn die Erzählerin immer betont, dass sie stets lächelt, um ihre Gefühle nicht erkennen zu lassen, passt das ins Bild. 

Wenn sie dann berichtet, dass es "Fischaugen auf Kissen von duftendem Seetang" als Delikatessen gibt "Und Bienen, in Teig getaucht, knusprig gebacken" (S.120) verstärkt sich der Eindruck: Klischee. Freilich längst hat es Hinweise gegeben, dass ihr Mann an einer gefährlichen Krankheit leiden könnte, was er aber allen zu verbergen sucht, auch seiner Frau. Es stimmt da etwas nicht. Dass die Erzählerin den Amerikaner nicht ihren bloßen Arm sehen lassen will, scheint zunächst noch unverdächtig, doch dann wird deutlicher, dass es um ein Geheimnis geht, was sie zu verbergen sucht. Ihre große Armut, die sie dazu bringt, einem Amerikaner die Hälfte ihres Einraumhauses zu vermieten, nachdem sie den Raum schnell mit einer Schiebewand getrennt hat, ist es offenbar nicht allein. 

Denn jetzt wird dem Leser bewusst gemacht, dass es eine besondere Rolle spielt, dass der Roman in Hiroshima spielt und in einem Viertel, dass sich von den Neubauvierteln unterscheidet.

Der Roman der Schwedin Edita Morris, geb. Toll, wurde 1958 veröffentlicht. 14 Jahre nachdem die Atombombe auf Hiroshima gefallen war.

Edita Morris (Wikimedia Commons)

Die Wikipedia teilt mit:
"Ihr Sohn Ivan Morris (1925–1976) studierte Japanologie, wurde Soldat im Pazifikkrieg und gehörte zu den ersten US-amerikanischen Soldaten, die das zerstörte Hiroshima betraten."

Mit einem US-Bürger verheiratet lebte E. Morris also in den USA, als sie das Buch schrieb, und hatte über ihren Sohn eine besondere Beziehung zu Japan und Hiroshima und dem Thema Atomkrieg. 


Im ersten Kapitel hat Ohatsu einen Strauß mit weißen Stiefmütterchen gepflückt.

Immer wieder ist von weißen Blumensträußen die Rede, die im Fluss schwimmen.

Der Leser ahnt, worum es geht. Jetzt folgt sehr deutlich die Aufklärung. Die Erzählerin hält sich darin nicht zurück: 

" 'Ja' sage ich. 'Sie legt jeden Morgen, auf ihrem Weg zur Arbeit, frische Blumen in den Fluss.'

Und nun berichte ich Sam-san [dem Amerikaner], was zu beschreiben mir noch vor wenigen Tagen ganz unmöglich gewesen wäre. Ich habe bisher mit keinem Menschen darüber gesprochen, mit keinem, in allen diesen Jahren. Ich sage ihm, dass dies die Stelle ist, an der unsere Mutter, zur lebenden Fackel geworden, in den Fluss sprang, nachdem die Bombe explodiert war. In unserem Fluss liegen die Überreste von 20.000 solchen lebenden Fackeln, sage ich zu ihm. Und dann und wann kommen Leute, um Blumen aus Wasser zu legen. Es ist das einzige Grab, das Sie schmücken können." (S.174)

Das vorletzte Kapitel handelt von Ko, der Verehrung, die Japaner ihren Eltern, besonders ihrem Vater entgegenbringen, und davon dass der Vater von Hiroo, dem Geliebten von Ohatsu, die Ehe mit Ohatsu verbietet, weil diese als Strahlenkranke vermutlich missgebildete Kinder gebären wird. 

Das letzte Kapitel berichtet über den Tod des Mannes von Yuka, der Erzählerin.

Er stirbt trotz schrecklicher Schmerzen in Würde und bittet sie, sie solle die Liebe, die sie ihm gegeben habe, weiterzuschenken. "Ein jeder braucht dich, genau, wie ich dich gebraucht habe ..." [Über ihre Kinder sagt er nichts.]

Im Nachwort berichtet Robert Jungk von dem "Haus der Ruhe", wo strahlenkranke Überlebende des Atombombenabwurfs versorgt werden. "Hier ist ein wahrer 'Friedensherd' entstanden." (S.207)


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