13 Dezember 2020

Kalevala 15. Gesang: Wie Lemminkäinen getötet und wieder zum Leben erweckt wird.

 Lemminkäinen, zunächst nur ein übermütiger Frauenheld, wandelt sich zum mächtigen Zauberer, doch ein Blinder kann ihn töten [vgl. die germanische Göttersage von Balders Tod], seinen Leichnam zerstückeln und in den Totenfluss werfen.  

Lemminkäinens Mutter erfährt durch das Bluten einer Bürste vom Tod ihres Sohnes, fischt die Stücke seines Körpers mit einer Harke aus dem Fluss:


Doch die Mutter Lemminkäinens

Wirft den Sohn nicht in das Wasser,

Ziehet noch mit frischem Mute

Durch das Wasser ihre Harke

Nach der Läng' des Tuoniflusses,

Nach der Länge, nach der Breite,

Fängt die Hand, des Kopfes Hälfte,

Fängt den halben Rückenknochen,

Fängt des Hüftbeins eine Seite,

Viele andre mindre Glieder,

Setzt daraus den Sohn zusammen,

Ihn, den muntern Lemminkäinen.


Füget Fleisch dann zu dem Fleische,

Paßt die Knochen aneinander,

Bindet ein Glied an das andre,

Preßt die Adern fest zusammen.


Selber bindet sie die Adern,

Knüpft die Enden aller Adern,

[...]

Doch trotz aller Mühe und aller Zauberkraft kann sie ihn nicht zum Leben erwecken. Da ruft sie eine Biene zu Hilfe:


Bienchen, du mein liebes Vöglein,

Fliege du nach andern Seiten,

Fliege über neun der Meere,

Zu der Insel in den Fluten,

Zu den honigreichen Fluren,

Zu den neuen Stuben Tuuris,

Zu Palwoinens unbedeckten,

Dort ist wonniglicher Honig,

Dort sind wundergute Salben,

Welche jeder Ader dienen,

Den Gelenken Nutzen schaffen;

Bringe mir von diesen Salben,

Bring' von diesen Zaubermitteln,

Daß den Schaden ich bedecke,

Ich die Wunden wohl bestreiche!


Bienchen, dieses flinke Männlein,

Flattert nun empor nach hinten,

Flieget über neun der Meere,

Fliegt zur Hälft' des zehnten Meeres,

Flieget einen Tag, den zweiten,

Flieget auch am dritten Tage

(Läßt sich nicht im Schilfe nieder,

Ruhet nicht auf einem Blättchen)

Zu der Insel auf dem Meere,

Zu den honigreichen Fluren,

Zu des Wasserfalles Brausen,

Zu des heil'gen Stromes Wirbeln.[199]


Dorten ward gekocht der Honig,

Ward die Salbe angefertigt

In den kleinen Tongefäßen,

In den hübschen Kupferkesseln

Von der Größe eines Daumens,

Von der Fingerspitze Breite.


Bienchen, dieses flinke Männlein,

Sammelt fleißig diese Salben;

Wenig Zeit war hingegangen,

Kaum ein Augenblick verflossen,

Kommt es schon herbeigesummet,

Eifrig kommt's herbeigeeilet,

Sechs der Schalen in den Armen,

Ihrer sieben auf dem Rücken,

Randgefüllt mit guter Salbe,

Voll von starkem Zaubermittel.


Selber Lemminkäinens Mutter

Schmierte dann mit diesen Salben,

Ihn mit neun verschiednen Salben

Und mit acht der Zaubermittel;

Ohne Wirkung blieben alle,

Hilfe konnten sie nicht bringen.


Trotzdem gibt die Mutter nicht auf, sondern gibt der Biene neue präzise Anweisungen und die lässt sich von der scheinbaren Unmglichkeit des Auftrags nicht abschrecken und fliegt los:


Bienchen, du, der Lüfte Vöglein,

Fliege nun zum dritten Male

In die Höhe auf zum Himmel,

Fliege über neun der Himmel,

Honig gibt es dort in Fülle,

Süßen Seim soviel man wünschet,

Den der Schöpfer hat gesegnet,

Jumala behaucht, der Reine,

Als er seine Kinder salbte

Bei dem Leid durch böse Mächte;

Tauch' die Flügel in den Honig,

Deine Federn in die Süße,

Bringe Honig auf den Flügeln,

Süßen Seim auf deiner Hülle,

Um die Schmerzen hier zu stillen,

Um die Wunden auszuheilen.


Bienchen nun, das liebe Vöglein,

Redet Worte solcher Weise:

Wie soll ich dahingeraten,

Ich, ein Männlein ohne Kräfte?


Wirst gar gut von hinnen fliegen,

Wirst gar schön nach oben rauschen,

Über Mond und unter Sonne,

Durch des Himmels schöne Sterne;

Fliegend wirst am ersten Tage

Du Orions Schläf' umfächeln,

An dem zweiten kommst du nahe

An des Bären Schulterblätter,

Hebst sodann dich an dem dritten

Auf der sieben Sterne Rücken;

Kurz ist dann der Weg von dorther,

Gar gering nur ist die Strecke

Zu dem Sitz des heil'gen Gottes,

Zu des Sel'gen Aufenthalte.


Bienchen hebt sich von der Erde,

Mit den Flügeln von dem Rasen,

Flattert auf mit sanftem Fächeln,

Flieget mit den kleinen Flügeln,

Streift des Mondes Hof im Fluge,

Wandert an dem Saum der Sonne,

An des großen Bären Schultern,

Auf der sieben Sterne Rücken,

Schwebet zu des Schöpfers Keller,

In des Machterfüllten Kammern;

Dort bereitet man das Mittel,

Dort zerreibet man die Salbe

In den silberreichen Töpfen,

In den Kesseln lautern Goldes;

In der Mitte kocht der Honig,

An den Seiten sanfter Balsam,

Nektar auf der Mittagseite

Und gen Mitternacht die Salben.


Bienchen nun, der Lüfte Vöglein,

Sammelt Honig dort in Fülle,

Süßen Seim nach Wunsch des Herzens;

Wenig Zeit war hingegangen,

Kommt es schon herbeigesummet,

Kommt es schon herangesäuselt,

Hundert Hörnchen in den Armen,

Tausend andre Traggefäße,

Voll von Honig, voll von Wasser,

Voll der allerbesten Salben.


Lemminkäinens Mutter selber

Nahm sie in den Mund behende,

Kostete mit ihrer Zunge,

Prüfte streng in ihrem Sinne:

Dieses ist die rechte Salbe,

Ist des Mächt'gen Zaubermittel,

Womit Gott der Höchste salbet,

Selbst den Schmerz der Schöpfer stillet.


Darauf salbte sie den Schwachen,

Heilte sie den Schlechtgefahrnen,

Salbt die Knochen längs den Fugen,

Streicht die Spalten der Gelenke,

Salbet oben, salbet unten,[202]

Streicht sodann des Leibes Mitte,

Redet Worte solcher Weise,

Läßt sich solcherart vernehmen:

Stehe auf von deinem Schlafe,

Hebe dich aus deinem Schlummer

Von der Stätte des Verderbens,

Von dem unheilvollen Lager!


Es erwacht der Mann vom Schlafe,

Er erhebt sich aus dem Schlummer,

Ist jetzt schon der Worte mächtig,

Redet selber mit der Zunge:

Freilich hab' ich fest geschlafen,

Hab' ich, Fauler, lang geschlummert,

Habe wundersüß geschlafen,

War in tiefen Schlaf versunken.


Sprach die Mutter Lemminkäinens,

Redet selber diese Worte:

Länger hättest du geschlafen,

Hätt'st noch länger so gelegen

Ohne deine arme Mutter,

Ohne mich, die dich getragen.


Sage nun, mein armes Söhnchen,

Sage mir, damit ich's höre:

Wer denn bracht' dich nach Manala,

Sandte dich zum Flusse Tuonis?


Sprach der muntre Lemminkäinen,

Gab zur Antwort seiner Mutter:

Naßhut, er, der Herdenhüter,

Aus dem Schlummerland ein Blinder

Hat gebracht mich nach Manala,

Mich gesandt zum Flusse Tuonis,

Schickt' die Schlange aus dem Wasser,[203]

Schickt' die Natter aus den Fluten

Gegen mich, den Schwergeplagten,

Konnte mich vor ihr nicht schützen,

Kannte nicht die Pein der Schlange,

Nicht die Qual der Wassernatter.


Sprach die Mutter Lemminkäinens:

O du Mann geringer Einsicht,

Wähntest Zaubrer zu bezaubern,

Lappensöhne fest zu bannen,

Kennest nicht die Pein der Schlange,

Nicht die Qual der Wassernatter:

In dem Wasser ist ihr Ursprung,

In der Flut entstand die Schlange,

Aus dem guten Hirn der Ente,

Aus dem Mark der Meeresschwalbe;

Syöjätär spie in das Wasser,

Warf den Speichel auf die Wogen,

Wasser trieb ihn in die Länge,

Weich beschien ihn dann die Sonne,

Wurde von dem Wind gewieget,

Von der Wasserluft geschaukelt,

Von der Flut zum Strand getrieben,

Von der Brandung ausgeworfen.


Lemminkäinens Mutter wiegte

Nun im Schoße ihren Liebling

Wiederum zum frühern Leben,

Wiegt' ihn ins gewohnte Dasein,

Daß er noch ein wenig besser,

Schöner noch als einstens wurde;

Fragt den Sohn dann, ob es ihm wohl

Noch an irgend etwas mangle.


Sprach der muntre Lemminkäinen:

Mangelt mir an vielen Dingen,[204]

Dort ist meines Herzens Ruhstatt,

Dort verweilen meine Sinne:

Immer bei des Nordlands Jungfraun,

Bei den schöngelockten Mädchen;

Nordlands schimmelohr'ge Alte

Gibt mir nimmer ihre Tochter,

Wenn den Vogel ich nicht schieße,

Nicht den Schwan gefangen nehme

Aus dem Flusse von Tuoni,

Aus des heil'gen Stromes Wirbeln.


Sprach die Mutter Lemminkäinens

Selber Worte solcher Weise:

Laß die Schwäne du in Frieden,

Laß die Enten ruhig schwimmen

In dem schwarzen Flusse Tuonis,

In den wilden Wasserwirbeln,

Gehe nach der Heimat Grenzen

Mit der schmerzgeprüften Mutter;

Sollst dein Glück vor allem preisen,

Gott, den Offenkund'gen, loben,

Daß er rechte Hilf' gewähret,

Dich zum Leben hat erwecket

Von Tuonis sichern Pfaden,

Aus den Gründen von Manala;

Selber hätt' ich nichts vollführet,

Nicht das Kleinste ausgerichtet

Ohne Jumalas Erbarmen,

Ohne Hilf' des wahren Schöpfers!


Lemminkäinen leichtgemutet

Ging gerades Wegs nach Hause

Mit der vielgeliebten Mutter,

Mit der übermächt'gen Alten.


Dort nun lasse ich den Kauko,

Ihn, den muntern Lemminkäinen,

Lass' ihn aus dem Liede lange,

Wende meinen Sang geschwinde,

Lenke ihn zu andern Dingen,

Sende ihn auf neue Bahnen.


(15. Gesang)


Am Ende des ersten Lemminkäinen-Zyklus wendet sich der Sprecher wieder Väinämöinen zu.

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