"Die Handlung beginnt mit einem angeblichen und einem wirklichen Meineid. Der Kunsthistoriker und Münchner Museumsdirektor Martin Krüger gerät in den frühen 1920er Jahren in die Kritik, weil er mehrere anstößige Gemälde angeschafft und ausgestellt hat. Daraufhin wird er in einem politisch motivierten Meineid-Prozess zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Krüger wird nachgesagt, dass er nach einem Fest einer Dame in ihre Wohnung gefolgt sei, was dieser unter Eid bestritten hatte. Die Verurteilung beruht auf der eidlichen Falschaussage des Chauffeurs Ratzenberger. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass es sich um einen Vorwand der konservativen bayerischen Staatsregierung handelt, um den politisch der Linken zuzurechnenden Krüger seines Amtes zu entheben.
In den folgenden Jahren versucht Krügers Freundin Johanna Krain, seine Begnadigung zu erwirken. Zu diesem Zweck sucht sie den Kontakt zu hochgestellten Persönlichkeiten, zu den Politikern, zu den Oberen in Wirtschaft und Kirche und zu der abgedankten Monarchenfamilie. Nach und nach entsteht so ein Sittengemälde des „Landes Bayern“ in jener Zeit. [...]
Feuchtwanger verwendet in seinem Roman oft bairische Dialektausdrücke, um das Lokalkolorit zu erhöhen. Gleichzeitig fingiert Feuchtwanger, der Roman sei aus großem zeitlichen Abstand geschrieben, indem er allgemein Bekanntes erklärt (etwa dass Schiller ein damals bekannter Dichter war) oder indem er von „damals“ spricht, wenn er seine Gegenwart meint. Das Buch ist als historischer Roman für Leser aus dem Jahre 2000 komponiert. In einer Information, die der Autor in der ursprünglich zweibändigen Ausgabe dem zweiten Band vorausstellt, nimmt er die Position großer zeitlicher Ferne ein und formuliert:
„Material über die Sitten und Gebräuche der altbayrischen Menschen in jener Epoche findet sich in einer Zeitung, die damals in einem altbayrischen Ort namens Miesbach erschien; dem ‚Miesbacher Anzeiger‘. Diese Zeitung ist in zwei Exemplaren erhalten, das eine befindet sich im Britischen Museum, das andere im Institut zur Erforschung primitiver Kulturformen in Brüssel.“[2]"
(Wikipedia: Feuchtwanger: Erfolg )
Wikipedia: "Viele der Romanfiguren sind erkennbar Persönlichkeiten der damaligen bayrischen Gesellschaft nachgebildet. Als erstes entdeckte das Bertolt Brecht, der sich in dem Ingenieur und Dichter Kaspar Pröckl wiedererkannte."
Der Museumsdirektor Krüger zu zu 3 Jahren Haft verurteilt. Er versucht sich mit einer kunsthistorischen Arbeit abzulenken. Kaspar Pröckl besucht ihn.
"Kaspar Pröckl wurde hereingeführt. Der junge Ingenieur schaute aus tief liegenden brennenden Augen missbilligend auf das Bild des Alonso Kano. [...] Er, Kaspar Pröckl , sah die Aufgabe der Kunstwissenschaft in dieser Epoche in ganz anderen Dingen. Angefüllt von den Theorien des Jahrzehnts, die in der Wirtschaft Basis und Mitte alles Weltgeschehens sahen, war er überzeugt, die Kunstwissenschaft müsse zunächst einmal die Funktion der Kunst in der Gesellschaft in einer sozialistischen Gesellschaft erforschen. Der Marxismus hatte, denn er hatte Wichtigeres zu tun, verzeihlicher Weise keine Vorstellung dieser Funktion geschaffen. Hier lag die Bedeutung der Kunstwissenschaft in diesem Jahrzehnt, dass sie zum ersten Mal seit ihrem Bestehen erlöst aus trockenem Herbarismus, in Verbindung mit der Staatswissenschaft lebendig werden, der Kunst des proletarischen Staates den Boden urbar machen konnte. Er, jung, brennend, volltatwilligen Kunstverstandes, mühte sich, dem Mann Krüger, den er liebte, den rechten Weg zu zeigen. [...] Finster also aus hagerem unrasierten Gesicht zwischen starken Jochbogen starten seine tiefliegenden Augen auf das Bild. Aber er sagte nichts. Kam vielmehr gleich auf den Zweck seines Besuchs. Der Chef der bayerischen Kraftfahrzeugwerke, wo er angestellt war, der Baron Reindl, war ein zuwider Bursche; aber er interessierte sich für Kunstdinge. Er war von großem Einfluss. Vielleicht kannst konnte Kaspar Pröckl ihn dazu bringen, für Krüger zu intervenieren. Der Mann Krüger versprach sich nicht viel davon. Er kannte Herrn von Reindl und hatte den Eindruck, dass der ihn nicht recht leiden mochte. Sehr bald, wie oft bei ihren Gesprächen, gerieten Martin Krüger und Kaspar Pröckl von ihrem unmittelbaren Gegenstand ab, erörterten angeregt Möglichkeiten und Wirklichkeiten der Kunst bolschewistischen Staat. Als die Besuchszeit Kaspar Pröckls abgelaufen war, mussten sie in zwei Minuten eilig das Notwendigste über die Schritte besprechen, die Kaspar Pröckl für Krüger unternehmen sollteDer junge Mensch gegangen, fühlte sich Krüger ungewohnt frisch und lebendig. Mit einer Handbewegung wischte er die Reproduktion des Bildes vom Tisch. Er brachte einige Gedanken zu Papier, die die Unterredung in ihm geweckt hatte. Das Wichtigste war im natürlich hernach erst eingefallen. Er lächelte: das war kein schlechtes Zeichen. Er schrieb frisch, männlich, überzeugend, wie es ihm selten glückte. Er war so eifrig bei der Arbeit, dass er erst, als der Wärter ihm das Abendessen hereinstellte wieder daran erinnert wurde, wo er war." (S. 69/70) - [Er war im Gefängnis in Zelle 134.]
Der Komiker Baltasar Hierl ist nach dem Vorbild von Karl Valentin gestaltet.
"Auf billige Art geschminkt, die Gurkennase kläglich weiß, zwei feuerrote Clownflecken auf den Backen, klebte er wie eine Fliege auf einem armseligen Stuhl; die hageren Waden aus viel zu weiten Stiefeln herausstelzend, hatte er kunstvoll um die Stuhlbeine gewickelt. Es galt eine Orchesterprobe. Der Komiker Hierl spielte zunächst Geige, aber da der Kollege an der Pauke fehlte, hatte er es übernommen, auch dessen Part zu vertreten. Das war schwierig. Das ganze Leben war schwierig. Es kamen einem harmlosen, friedfertigen Menschen überall Türken dazwischen, und gemeine Ablenkungen, mit denen man sich herumschlagen musste. Da rutschte zum Beispiel dem Kapellmeister die Krawatte, darauf musste man ihn doch aufmerksam machen. Das war schwierig so mitten im Spielen. Man konnte zwar schnell und eifrig mit dem Geigenbogen auf die Krawatte deuten, doch das verstand der Kapellmeister nicht. Man musste also aussetzen. Da kam das ganze Orchester in Unordnung; man musste von vorne anfangen. Da rutschte wieder die Krawatte. Überhaupt war es hoffnungslos, sich zu verständigen. [...] Dazu sollte man zwei Instrumente spielen. Die Hände reichten nicht, die Füße reichte nicht, die Zunge reichte nicht. Es war eine schwierige Welt. Man konnte nur traurig und beschäftigt darin sitzen und wohl auch etwas eigensinnig und verstockt. [...]
Jetzt aber ging es ganz wild auf, es kam die Ouvertüre zu "Richter und Bauer". Die ging furchtbar schnell, gleich war man aus dem Takt. Allein man war gewissenhaft, man steckte die weißgeschminkte, bebrillte Gurkennase in die Notenblätter, geriet in einen Strudel, mühte sich, zappelte, versank im Strudel. Die anderen rasten über einen fort: man ließ nicht locker, man arbeitete für sein Geld, arbeitete für drei. [...] Das Publikum schrie, brüllte, tobter vor Lachen, fiel von den Stühlen, japsend, sich an Bier und Speisen verschluckend.
Seltsam, wie vor der simplen Eindringlichkeit dieses Schauspielers hier die Zuschauer gleich wurden. Ihre Einzelsorgen, Einzelfreuden versanken. Nicht mehr dachte Johanna an den Mann Krüger, nicht mehr Heßreiter an die kitschigen, langbärtigen Gnomm und die gigantischen Fliegenpilze seiner Fabrik, der Minister Klenk nicht mehr an gewisse in nächster Zeit vorzunehmende Personalveränderungen [...].
Unterdessen schminkte in seiner Garderobe der Komiker Balthazar Hierl sich ab. Mit Vaseline entfernte er das klägliche Weiß von seiner Nase, das giftige Rot von seinen Backen [...]. Leise dabei schimpfte er vor sich hin, das Bier sei nicht warm genug [...]. Man hatte ihm natürlich gesagt, was für prominentes Publikum er heute gehabt hatte, und er, bei aller gespielten Verschlafenheit, hatte aufmerksam jede Wirkung beobachtet, wütend, wenn der winzigster Teil an der Pointe unter den Tisch fiel. Jetzt schimpfte er auf die Hammel, die sich an ihm ergötzt hatten. Er hatte nichts davon. Glaubte man etwa, dass ihm seine Späße Spaß machten? Einen Schmarren. Er war erfüllt von seiner Vaterstadt München; er sehnte sich nach einer großen Komödie, in der er sich, die Stadt München und die Welt hätte ausdrücken können. Aber das verstanden sie nicht die Zwetschgenschädel, die blöden. Das ließen sie nicht zu."
In Dr. Matthäi zeichnet Feuchtwanger ein wenig schmeichelhaftes Bild des Autors Ludwig Thoma. Dessen, ihm in Hassliebe verbundener, Berufskollege Josef Pfisterer erinnert deutlich an Ludwig Ganghofer. Der Schriftsteller Tüverlin trägt nicht nur Züge Lion Feuchtwangers selbst, sondern auch solche von Thomas Mann. Besonders deutlich wird dies im Kapitel Die Funktion des Schriftstellers im zweiten Buch, als sich Pröckl mit Tüverlin über Literatur streitet und ihm vorwirft, er mache „Sanatoriums-, Winterkurortpoesie“, „während der Planet zerrissen“ werde (eine Anspielung auf Manns Roman Der Zauberberg), und meint: „Während die Welt brannte“, habe er „die Seelenregungen von Haustierchen beobachtet“ (eine Anspielung auf Manns Erzählung Herr und Hund).
Die
Funktion des Schriftstellers
"Der
Ingenieur Pröckl verlangte von Tüverlin gebieterisch, dass er
aktivistische politische revolutionäre Literatur mache oder keine.
Hatte es Sinn, während der gewaltigsten Umstellung der Welt
läppische, kleine Gefühlchen einer sterbenden Gesellschaft
festzuhalten? Sanatoriums-, Winterkurortpoesie zu machen, während
der Planet zerrissen wurde vom Klassenkampf? "Wenn einmal
gefragt wurde und was hast du während dieser Zeit gemacht?",
was hatte man dann aufzuweisen? Verwinkelte nach altemodischen
duftende, erotische Spielereien, rein modische, in zehn Jahren nicht
mehr begreifbare. Vom Sinn der Zeit hatte man nichts kapiert. Während
die Welt brannte, hatte man die Seelenregungen von Haustierchen
beobachtet. Schriftstellerei, wenn sie bleiben soll, muss den Wind
der Zeit im Rücken haben. Oder eben sie wird nicht bleiben.
Dokumente der Zeit machen müsse der Schriftsteller. Das sei seine
Funktion. Sonst sei seine Existenz ohne Sinn.
Diese
Thesen stellte der Ingenieur Kaspar Pröckl auf, während er in
seiner verschwitzten, und zweckmäßigen Lederjacke mit dem
Schriftsteller Tüverlin spazierenging auf der Hauptstraße, die von
Garmisch-Partenkirchen südwärts führte. Er wurde sehr aggressiv,
schrie Herrn Tüverlin seine Forderungen ins Gesicht, mehrmals
auskgleitend, manchmal vor einem entgegenkommenden oder überholenden
Schlitten in die schmutzigen Schneehaufen des Straßenrandes
springend.
Tüverlin
hörte ihm aufmerksam zu, ließ ihn ausreden, ließ sogar zweimal
eine kleine Pause vorbeigehen, ohne sie zu einer Erwiderung zu
benutzen. Dann erst, vorsichtig, setzte er an. Der Herr sehe also die
Funktion des Schriftstellers darin, Dokumente der Zeit aufzuzeichnen,
zu konservieren, was in der Zeit historisch Geschichte wirkend,
wesentlich sei. Aber woher nehme der Herr seine Maßstäbe? Er für
seinen Teil zum Beispiel sei nicht so unbescheiden, seine Wertung
dessen, was Geschichte wirkend sei, für normativ zu halten. Für
noch viel weniger normativ freilich halte eher die Wertung des Herrn.
Sei er doch von seiner Geschichtsauffassung so besessen, dass er gar
nicht erst bedenke, ob einer nicht außerhalb seiner Kategorien das
Bewegungsmoment der Zeit sehen können. Ihm, Tüverlin, zum Beispiel
scheine der Zusammenstoß der alten asiatischen Kulturen mit der
jungen barbarischen Europas, die durch den erleichterten Verkehr
bewirkt der neue Völkerwanderung mit allen ihren
Begleiterscheinungen viel wesentlicher als die soziologische
Umschichtung Europas. Er müsse den Herrn ernstlich auffordern, das
Jahrzehnt mal nicht unter dem beliebten Sehwinkel der ökonomischen
Neuordnung Europas anzuschauen, sondern eben unter dem dieser neuen
Völkerwanderung und Kulturmischung. Er müsse ihn erst ernstlich
auffordern, unter diesem, und nur unter diesen Sehwinkel zu arbeiten.
Dies brachte er vor mit seiner gequetschten, etwas komische Stimme,
doch nicht ohne Entschiedenheit. Er wollte hinzufügen, so gewiss
sich der Herr diese Zumutung entschieden verbitten werde, so
entschieden müsse er sich verbitten, dass man ihm die
Grundanschauung vorschreibe, aus der er seine Visionen beziehe. Seine
Weltanschauung sei für niemanden verbindlich, nur für ihn, aber für
ihn sei sie es. Es sei Anmaßung, ihm das bestreiten zu wollen. Er
für seinen Teil sei nicht so anmaßend, seine Auffassung des
Epochemachenden als verbindlich auch für andere zu erklären. Solche
Prätension überlasse er Machtmenschen, Politikern, Pfaffen,
Hohlköpfen." (S.
248/249 )
"Neben Hitler (Rupert Kutzner)* und Ludendorff (General Vesemann) sind weitere historische Politiker erkennbar. Minister Flaucher verhält sich während des Putsches wie der wirkliche Gustav Ritter von Kahr. In Geheimrat Bichler lässt sich der Landesökonomierat Georg Heim (Bayerische Volkspartei) erkennen. Die Figur des Otto Klenk erinnert an Generalstaatsanwalt Christian Roth. Hinter dem „Kronprätendenten“ oder „Kronprinzen Maximilian“ schließlich verbirgt sich niemand anderer als der Sohn des letzten Bayernkönigs, Ludwigs III., der Kronprinz Rupprecht von Bayern. Er erscheint bei Feuchtwanger als einflussreiche Persönlichkeit, die zu kennen von Nutzen sein kann."
*S.539-544
Vgl. auch: Brecht und Feuchtwanger