Goethes Farbenlehre (Wikipedia)
"[...] Hermann von Helmholtz, der Goethe nicht nur als Dichter, sondern auch wegen seiner sonstigen naturwissenschaftlichen Arbeiten hoch schätzte, hielt die Hauptthese der Farbenlehre für schlichtweg falsch. Zugleich sah er, was Goethe veranlasste, sich auf diese These zu versteifen: „Weiss, welches dem Auge als der einfachste, reinste aller Farbeneindrücke erscheint, sollte aus dem unreineren Mannigfaltigen zusammengesetzt sein. Hier scheint der Dichter mit schneller Vorahnung gefühlt zu haben, dass durch die Consequenzen dieses Satzes sein ganzes Princip in Frage komme, und deshalb erscheint ihm diese Annahme so undenkbar, so namenlos absurd. Seine Farbenlehre müssen wir als den Versuch betrachten, die unmittelbare Wahrheit des sinnlichen Eindrucks gegen die Angriffe der Wissenschaft zu retten. Daher der Eifer, mit dem er sie auszubilden und zu vertheidigen strebt, die leidenschaftliche Gereiztheit, mit der er die Gegner angreift, die überwiegende Wichtigkeit, welche er ihr vor allen seinen anderen Werken zuschreibt, und die Unmöglichkeit der Ueberzeugung und Versöhnung.“[14]
Heisenberg schrieb 1941,[15] dass die Einteilung der Welt in eine objektive, durch Naturwissenschaft erforschbare, und eine subjektive, unserem ursprünglichen Welterleben zugängliche Wirklichkeit vom Standpunkt der modernen Physik nicht haltbar sei.[16] Newton und Goethe gingen demnach von unterschiedlichen Schichten der Wirklichkeit aus, der Einsatz seiner Messtechnik liefert bei Newton eine intersubjektive Vergleichbarkeit der Versuchsdaten, Goethes Farbstudien seien dagegen lediglich subjektiv real im Gegensatz zur objektiven Realität der Newtonschen Studien.[17] Friedrich Steinle betont, dass trotz unterschiedlicher Versuchsmethodik beide paradigmatisch für ein unterschiedliches experimentelles Arbeiten stehen, beide aber klar innerhalb des Systems der modernen Naturwissenschaft. Ähnlich wie Goethe seien auch Michael Faraday und David Brewster vorgegangen.[18]"
Goethe: Zur Farbenlehre (Text bei Zeno)
Von Personen welche gewisse Farben nicht unterscheiden können
Jena am 19 Nov. 1798
Erste Versuche mit Herrn Güldemeister wegen des nicht Unterscheidens der Farben
Seine Augen sind grau und haben etwas mattes doch ist der Stern zusammengezogen. Er sieht weit, gut, kann kleinen Druck bei Nacht lesen Sein Vater und Oheim ist in demselbigen Falle.
Abstufung von Hell und Dunkel bemerkt er sehr zart. Weiß sieht er rein und ohne Beimischung. Ein lichtes Grau erklärt er für schön hellblau überhaupt die drei ersten Stufen von grau auf meiner optischen Tafel für blau. Das dunkelste grau so wie schwarz erklärt er für braun und gibt dieser Farbe hauptsächlich die Unterscheidung von der vorigen daß sie gar nichts blaues haben. Das Blaue erkennt er für blau sowohl das dunkle als das helle. Gelb nennt er gelb. Im Orange unterschied er gelb und rot, und bezeichnete auch dabei daß er nicht das mindeste blau sehe. Zinnober erklärt er für entschieden rot. Auf die Frage ob er nichts gelbes darinne sehe, sagte er ja denn allem roten läge gelb zum Grunde. Im blauen hingegen sehe er nichts rotes. Rosenfarb aber freilich nicht schön gefärbtes Papier erklärt er für blau auch etwas rotes fand er darinne, und erklärte es für einen Übergang von Zinnober zum blauen. Karmin, in einer weißen Porzellantasse aufgestrichen nannte er rot. Bei näherer Beobachtung wollte er auch etwas bläuliches daran sehen. Bis hierher klingt alles (verständlich) besonders wenn man es nach den Deduktionen unserer Farbenlehre ansieht. Aber nun erscheint das Hauptphänomen, welches seine ersten Äußerungen die ich bisher nicht aufgezeichnet habe sondern nur nachhole, so paradox macht. Er scheint nämlich kein grün zu sehen sondern an dessen Stelle ein gelbrot. Sehr gelb grün erklärt er für gelb in ziemlich rein gemischtem grün wollte er kaum etwas blauliches erkennen hingegen appuierte er immer auf das rot was er sehe. Seine ersten Äußerungen klingen daher immer höchst sonderbar und sind konfuser als seine Ansicht der Farben. So nannte er orange zuerst grün denn er sagte daß ihm die Bäume also erschienen; von der Rose, behauptete er sie sähe ihm völlig so blau aus als ein blauer Himmel. Doch zweifle ich hieran, weil er doch den Karmin für rot erkannte und nur wenig blau darinne finden konnte. Freilich sähe er das schwach rosenfarbe Papier auch für blau an. [...]
Jena am 14 Febr. 1799 Abermalige Unterhaltung mit Herrn Güldenmeister
Auf die Frage welche Farbe ihm am angenehmsten wäre? welche er zum Beispiel wählen würde um sein Zimmer zu tapezieren gab er zur Antwort ein helles blau Ich zeigte ihm die Fensterstäbe durch das Prisma. Den schmalen, der sich uns blau purpur gelb zeigt sah er dunkelblau hellblau gelb. Den breitern, der sich uns blau violett unverändert rot gelb zeigt sah er blau stark rot gelb
NB. Das starke rot sah er an dem Platz wo uns der Stab unverändert erscheint. Es hat dieses einen Bezug auf den prismatischen Versuch wo er das schwarze Kreuz braun sah Reine Schatten an der Stubendecke sah er grau hingegen grau angestrichnes Papier hellblau Er bemerkt den Unterschied zwischen hell und dunkel sehr genau. Bei der Fleischfarbe des Menschen bemerkt er das gelbe sehr stark. Das Rote der Wangen und Lippen wenn es nicht seht lebhaft ist sieht er blau. Die Schminke völlig blau. Was sich dem Schwarzen nähert sieht er braun, deswegen ihm auch dunkelgrün braun vorkommt, indem dieses letzte auch noch einen Schein vom gelben hat. Durch das Prisma wenn er das schwarze braun sah, verlor das graue etwas von seinem blauen. Eine schöne rotbraune Tinktur nannte er vollkommen grün und versicherte daß er bei heitern Tagen die Bäume eben so sähe; bei dunklern näherten sie sich dem braunen.
Zur Einleitung
Die Farbenlehre soll aus der engen Beschränktheit in der sie bisher durch mancherlei Umstände gehalten worden, in das freie Feld der Beobachtungen und Betrachtungen versetzt, aus der Zerstreuung zur Einheit gebracht werden. Sie soll, da sie bisher in dem weiten Umfange der Naturlehre isoliert und in sich selbst verschlossen gestanden als Glied der großen Kette von Wirkungen aufgenommen werden. Sie soll sich an die Tätigkeit der Kunst und Technik anschließen. Die Einrichtung des Werks wird hier mit Wenigem dargelegt. Nur das nötigste Allgemeine wird hier vorausgeschickt, sodann folgen sogleich die Erfahrungen selbst. Vorübergehende Erscheinungen, konstante Phänomene, sichere Versuche werden aufgezählt. Man muß hierbei dem Streben unsres Geistes widerstehen, der solche Elementarphänomene sich zu schnell in einer Einheit vorzustellen begehrt und ihrer Mannigfaltigkeit daher Abbruch tut. Es ist notwendig sie durch Kunst und gleichsam mit Gewalt auseinander zu halten. [...]
Geschichte der Farbenlehre
Die Wissenschaften werden selten nach dem was sie zu ihrer Aufklärung bedürfen sondern meist nur nach dem Bedürfnis der Zeit behandelt, in welcher sie zur Sprache kommen, denn die besten Köpfe erhalten doch gewisse Richtungen von ihrer Zeit. Manchmal auch zeigt sich bei Behandlungen der Wissenschaften das individuelle Bedürfnis eines Menschen. In diesen beiden Rücksichten will ich flüchtig die Geschichte der Farbenlehre durchgehen.
Ein Grieche, ganz im Sinne seines Meisters Aristoteles! freie, weite Übersicht über die Phänomene, gute Theoretische Enunziationen, die auf einzelne Abteilungen passen, die aber nicht glücklich zu weit ausgedehnt werden. [...]
Descartes 1637
Genie, aufmerksam auf die Masse der Phänomene die nach und nach bekannt geworden. Allzustarke hypothetische Neigung! seine Ansicht der Farben atomistisch, mechanisch und grell.
Kircher 1646
Jesuit, aus der aristotelischen Schule, Neigung zum sonderbaren er macht auf schöne Phänomene aufmerksam, doch liebt er sie vorzüglich weil sie seltsam sind. Er fördert die Lehre nicht, hat übrigens große Neigung zu Kunststückchen.
Grimaldi 1665
Ein Jesuit und Aristoteliker, der sich aber, wie mehrere dieser Schule, schon dahin neigt das Licht für eine Substanz zu erkennen, eine Meinung die er aber nicht öffentlich bekennen darf. Sein Buch hat daher die seltsamste Form von der Welt. In dem ersten sehr starken Teile stellt er Versuche und Räsonnement so, daß daraus hervorgehen möchte das Licht sei eine Substanz; nun schreibt er aber noch einen ganz kurzen zweiten Teil worin er sich selbst wiederlegt und beweist das Licht sei ein Akzidens. Wahrscheinlich ist dieser zweite Teil geschrieben damit der erste die Zensur passieren konnte. Es kam nach seinem Tode heraus. Seine Versuche zeigen viel Sachinteresse.
Boyle 1663
Ein trefflicher Kopf geht von chemischen Versuchen aus, ist der erste seit dem Theophrast der Anstalt macht eine Übersicht der Phänomene aufzustellen, eine Augenkrankheit hindert ihn, er ordnet seine Erfahrungen so gut es gehen will zusammen, in der Form als wenn er das unvollständige einem jungen Freunde zu weiterer Bearbeitung übergäbe. Seine hypothetische Tendenz ist sehr leise und mäßig. Wäre man auf diesem Wege fortgegangen so wäre der Sache geholfen gewesen.
Newton 1704
Genie. Das Bedürfnis die Fernröhre zu verbessern führt ihn auf die Betrachtung der Farben die bei Gelegenheit der Refraktion vorkommen. Er übereilt sich in seinem vier und zwanzigsten Jahre eine Hypothese fest zu setzen woraus folgt daß die dioptrischen Fernröhre nicht verbessert werden können, er erfindet sein Spiegelteleskop und gibt sich 38 Jahre lang eine unglaubliche Mühe seine Hypothese als theoretisches Gebäude aufzustellen. Diese Lehre gewinnt nach manchem Widerstand in den Schulen das Übergewicht, alle farbige Phänomene werden aus dem Gesichtspunkte der Refraktion betrachtet und die Phänomene der Refraktion nicht nach der Natur sondern nach der Hypothese dargestellt und so dauert es in allen Kompendien fort bis auf den heutigen Tag. Mariotte Trefflicher Beobachter zeigt aufs deutlichste daß Newton die Phänomene falsch darstellt. Er wird nicht gehört, seine Erklärungen schmecken nach dem Cartesianismus und können kein Glück machen.
Algarotti 1737
Schöngeist, möchte Fontenellen in galanter Darstellung einer wichtigen Naturmaterie nacheifern, er wirkt mit zur Ausbreitung des Buchstabens der Newtonischen Lehre. Das siebenfache Licht gefällt Dichtern und Rednern als Instanz und Gleichnis. [...]
Euler regt eine frühere Frage wieder auf: ob man nicht die Refraktion farblos machen könne? indem man sie durch Mittel von verschiedner Dichtigkeit bewirken ließe. Dollond leugnets, macht aber Versuche welche den Satz bejahen und bringt so ohne es zu wissen und zu bemerken der Newtonischen Theorie einen tödlichen Stoß bei. Die dioptrischen Fernröhre werden verbessert, Newtons Irrtum anerkannt und doch ist die Gewalt der Gewohnheit so groß, daß niemand der Sache auf den Grund sieht und man die neue Entdeckung so gut als möglich an die alte anzuflicken sucht. Die nähere Auseinandersetzung der Personalitäten die in diesem Zeiträume gewirkt und eine Darstellung des Zeitgeistes wird künftig interessant sein.
[Einschub: Apochromat]
Marat
1779 Kommt bei Gelegenheit als er die Eigenschaften des Lichtes und des Feuers untersucht auch auf die prismatischen Farbenphänomene, sieht die falsche Darstellung der Newtonianer ein, bleibt aber in so fern bei der Theorie daß er annimmt das weiße Licht sei aus farbigen Lichtern zusammengesetzt, werde aber durch Inflexion an den Rändern dekomponiert und zwar nur in drei farbige Lichter. Bei manchem guten und richtigen Blick ist doch seine Richtung ganz hypothetisch, die Versuche sind mit unnötigen Bedingungen überladen, die Methode auf den hypothetischen Zweck gerichtet und doch verworren. Kein Wunder daß die Arbeit ohne Wirkung blieb. [...]