21 April 2024

Heliand

Heliand (Wikipedia)

"Der Heliand ist ein frühmittelalterliches altsächsisches Großepos. In fast sechstausend (5983) stabreimenden Langzeilen wird das Leben Jesu Christi in der Form einer Evangelienharmonie nacherzählt. Den Titel Heliand erhielt das Werk von Johann Andreas Schmeller, der 1830 die erste wissenschaftliche Textausgabe veröffentlichte. Das Wort Heliand kommt im Text mehrfach vor (z. B. Vers 266) und wird als altniederdeutsche Lehnübertragung von lateinisch salvator („Erlöser“, „Heiland“) gewertet.

Das Epos ist nach dem Liber evangeliorum des Otfrid von Weißenburg das umfangreichste volkssprachige literarische Werk der „deutschen“ Karolingerzeit und damit ein wichtiges Glied im Kontext der Entstehung der niederdeutschen Sprache, aber auch der deutschen Sprache und Literatur.[1]"


E-Text des altsächsischen Textes (Bibliotheca Augustana)

Text in der Übersetzung von Karl Simrock (Projekt- Gutenberg.de

Inhalt:

Eingang

Manche waren,   die ihr Gemüt dazu trieb,
Daß sie Gottes Wort   beginnen wollten,

Das Geheimnis zu enthüllen,   das der heilige Christ
Hier unter Menschen   herrlich vollendete
Mit Worten und Werken.   Uns wollten viel weiser
Leute Kinder loben   die Lehre Christs,
Des Herren heilig Wort,   und mit Händen schreiben
Offenbar in ein Buch,   wie seinen Geboten
Die Völker folgen sollten.   Doch viere nur fanden sich
Unter der Menge,   die Macht von Gott hatten,
Hilfe vom Himmel,   heiligen Geist
Und Kraft von Christ.   Sie kor er dazu
Von allen allein,   das Evangelium
In ein Buch zu bringen,   die Gebote Gottes,
Das heilige Himmelswort.   Das hatten nicht andre noch
Aus dem Volke zu fördern,   da nur diese viere
Durch die Kraft Gottes   dazu gekoren wurden.
Matthäus und Markus   hießen die Männer,
Lukas und Johannes:   sie waren Gott lieb
Und des Werkes würdig:   der waltende Gott
Hatt ihren Herzen   heiligen Geist
Fest anbefohlen   und frommen Sinn,
Weise Worte verliehen   und großes Wissen,
Daß sie erheben möchten   mit heiligen Stimmen
Die gute Gotteskunde,   die ihr Gleichnis nicht hat
In Worten dieser Welt,   die so den waltenden
Herrscher verherrlichten,   und heillose Tat,
Frevelwerk fällten   und dem tückischen Feind
Im Streit widerstünden;   denn starken Sinn hatte,
Milden und guten,   welcher der Meister war,
Der edle Urheber,   der allmächtige.
Sie viere sollten   mit Fingern schreiben,
Setzen und singen   und gründlich sagen,
Was sie von Christi   Kraft, der großen,
Gesehen und gehört,   das er selber gesprochen,
Gewirkt und gewiesen,   des Wunderbaren viel,
Vor den Menschen und mancherlei,   der mächtige Herr.
Was von Anbeginn   durch seine einige Kraft
Der Waltende sprach,   da er die Welt erschuf,
Und da alles befing   mit einem Wort,
Himmel und Erde   und alles, was darin
Gewirkt war und gewachsen:   das ward mit Gottes Wort
All fest befangen   und zuvorbestimmt,
Welcher Leute Volk   des Landes sollte
Am weitesten walten   und wie die Welt dereinst
Ihre Alter enden sollte.   Deren eins nur stand
Noch bevor den Völkern:   fünfe waren hin;
Das sechste sollte   nun seliglich kommen
Durch die Kraft Gottes   und Christi Geburt,
Des besten Heilands,   daß sein heilger Geist
In dieser Mittelwelt   den Menschen helfe
Und vielen fromme   wider der Feinde Drang,
Böser Geister Zauber.

                                        Zu der Zeit lieh Gott
Den Römerleuten   der Reiche größtes:
Er hatt ihrem Heergeleit   das Herz gestärkt,
Daß sie Zins zu zahlen   alle Völker zwangen.
Von Romburg aus hatten sie   das Reich gewonnen,
Den Helm auf dem Haupte.   Ihre Herzoge saßen
In jeglichem Lande,   der Leute gewaltend
Über alle Reiche.   Herodes war
In Jerusalem   über der Juden Volk
Zum König gekoren:   der Kaiser von Rom
Hatt ihn dahin,   der mächtige Herrscher,
Mit dem Gesinde gesetzt,   obwohl nicht gesippt
Israels Abkommen,   noch durch edle Geburt
Ihrem Geschlecht entstammt:   nur des Kaisers Bestimmung
Von Romburg hatt ihm   das Reich verliehen,
Daß ihm gehorchten   die Heldengeschlechter,
Die kraftkundigen   Nachkommen Israels,
Unwankende Freunde,   dieweil da waltete
Herodes, des Reiches   und Gerichtes pflegend
Über die Leute.

Zacharias und Elisabeth

                                     Nun war da ein alter Mann,
Ein vielerfahrener   mit frommweisem Sinn,
Der war von den Leuten   aus Levis Stamm,
Des Sohnes Jakobs,   von gutem Geschlecht.
Zacharias geheißen   war der selige Mann,
Der gerne jederzeit   diente Gott dem Herrn
Und seinen Willen wirkte.   So tat auch sein Weib,
Die alternde Frau;   kein Erbwart sollte
In ihrer Jugend   ihnen gegeben werden.
Doch lebten sie lasterlos   und lobten Gott,
Den Gehorsam haltend   dem Himmelskönig,
Dessen Ruhm sie verherrlichten,   und ruchlose Tat,
Schuld und Sünde mieden.   Sorge befing sie zwar,
Daß sie ohne Erben   altern sollten,
Der Kinder bar verblieben.

                                                Er sollte Gottes Gebot
In Jerusalem tun:   wenn die Reih ihn traf
Und die heiligen Zeiten   dazu ermahnten,
So sollt er im Weihtum   des Waltenden Opfer,
Das heilige, halten,   des Himmelskönigs,
In Gottes Jüngerschaft:   eifrig begehrt' er,
Daß er es frommen Sinns   vollbringen möchte.



In einer Ausgabe von 1916 für Studenten im Kriegsdienst findet sich ein handschriftlicher Text aus den 1930er oder 1940er Jahren, aus dem hervorgeht, dass der Heliandtext zu Christi Geburt für eine Weihnachtsfeier verwendet wurde, vermutlich für eine Kriegsweihnacht im Zweiten Weltkrieg an der Front. (Der Verfasser war in den 40er Jahren Soldat. 

Aus der uns allen vertrauten Weihnachtsgeschichte hören wir heute einen Abschnitt in der deutschen Prägung, die die Botschaft Jesu vor über 1000 Jahren in einer niedersächsischen Dichtung, dem Heliand, gefunden hat.
Dabei wollen wir einmal nicht so sehr auf die äußere Form achten, auf den germanischen Stabreim und auf altdeutsche Begriffe wie Herzog, Fronbote, Mahlhof, Hochsitz, sondern wir wollen versuchen, hinter den Worten die Sprache der deutschen Seele zu hören, wie sie zu uns spricht in der Schilderung der Mutter und ihres Kindes. Wer von uns recht zu lauschen versteht, der wird darin etwas wiederfinden von der Innigkeit und Tiefe, die uns aus dem Weihnachtsbildern der alten deutschen Meister so warm anspricht.

Da brachte man von Rom aus   des mächtigen Manns
Über all dies Erdenvolk,   Octavians,
Bann und Botschaft:   über sein breites Reich
Kam es von dem Kaiser   an die Könige all,
Die daheim saßen,   soweit seine Herzoge
Über all den Landen   der Leute gewalteten.
Die Ausheimischen hieß er   die Heimat suchen,
Ihre Mahlstatt die Männer,   daß männiglich vor dem Fronboten
Bei dem Stamme stünde,   von dem er stammte,
In der Burg seiner Geburt.   Das Gebot ward geleistet
Über die weite Welt:   die Leute wanderten
Jedes zu seiner Burg.   Die Boten fuhren hin,
Die von dem Kaiser   gekommen waren,
Schriftverständige Männer,   und schrieben in Rollen ein,
Genau nachforschend,   die Namen alle
Des Lands und der Leute,   und keinem erließen sie
Den Zins und den Zoll,   den sie zahlen sollten
Männiglich von seinem Haupt.

Zum Vergleich der altsächsische Text: 

Thô uuar{d} fon Rûmuburgrîkes mannes


o{b}ar alla thesa irminthiodOctauiânas

ban endi bodskepio{b}ar thea is brêdon giuuald

cuman fon them kêsurecuningo gihuilicun,

hêmsitteandiun,sô uuîdo sô is heritogon

o{b}ar al that landskepi[liudio] giuueldun.

[Hiet man] that [alla] thea elilendiun maniro ô{d}il sôhtin,

[heli{d}os] iro handmahalangegen iro hêrron bodon,

quâmi te them cnôsla gihue,thanan he cunneas uuas,

giboran fon them burgiun.That gibod uuar{d} gilêstid

o{b}ar thesa uuîdon uuerold.Uuerod samnoda

[te] allaro burgeo gihuuem.Fôrun thea bodon o{b}ar all,

thea fon them kêsuracumana uuârun,

bôkspâha uueros,[endi] an brêf [scri{b}un]

[suî{d}o] niudlîconamono gihuilican,

ia land ia liudi,that im ni [mahti alettian] mann

gumono sulica gambra,sô [im] scolda geldan gihue

heli{d}o fon is hô{b}da.Thô giuuêt im ôc [mid] is hîuuisca

Ioseph the gôdo,sô it god mahtig,

uualdand uuelda:sôhta im [thiu uuânamon] hêm,

                                                      Da schied mit den Hausgenossen
Auch Joseph der gute,   wie Gott der mächtige,
Der Waltende wollte,   sein wonnig Heim zu suchen,
Die Burg in Bethlehem,   wo beider war,
Des Mannes Mahlhof   und der Jungfrau zumal,
Maria der guten.   Da war des Mächtigen Stuhl
In alten Tagen,   des Edelkönigs,
Davids des hehren,   solang er die Herrschaft durfte
Unter den Ebräern   zu eigen haben
Und den Hochsitz behaupten.   Seines Hauses waren sie,
Seinem Stamm entsprossen,   aus gutem Geschlecht
Beide geboren.   Da hört ich, daß der Schickung Gebot
Marien mahnte   und die Macht Gottes,
Daß ihr ein Sohn da sollte   beschert werden,
In Bethlehem geboren,   der Geborenen stärkster,
Aller Könige kräftigster.   Da kam an der Menschen Licht
Der mächtige Held,   wie schon manchen Tag
Davon der Bilder viel   und der Zeichen geboten
Waren in dieser Welt.   Da ward das alles wahr,
Was spähende Männer   vordem gesprochen,
Wie er in Niedrigkeit   hernieder auf Erden
Durch seine einige Kraft   zu kommen gedächte,
Der Menschen Mundherr.   Da ihn die Mutter nahm,
Mit Gewand bewand ihn   der Weiber schönste,
Zierlichen Zeugen,   und mit den zweien Händen
Legte sie liebreich   den lieben kleinen Mann,
Das Kind, in eine Krippe,   das doch Gottes Kraft besaß,
Der Menschen mächtigster.   Die Mutter saß davor,
Die wachende Frau,   und wartete selber
Und hütete das heilige Kind.   In ihr Herz kam Zweifel nicht,
In der Magd Gemüt.


Buchschmuck und Einführung dieser Ausgabe von 1916:




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