11 September 2010

Der Kampf zwischen Turnus und Pallas

Fürst Turnus

sprang von dem Wagen, er wollte den Zweikampf zu Fuße bestehen.

Ganz wie ein Löwe, der fern von der Höhe hernieder im Felde

einen zum Kampfe entschlossenen Stier erspähte und grimmig

gegen ihn stürmt, so bot sich der nahende Turnus den Blicken.



Als ihn Pallas in Wurfweite wähnte, gedachte den Anfang

kühn er zu wagen; er hoffte, als Schwächerem werde ein Zufall

Hilfe ihm bringen, und flehte innig zum mächtigen Äther:

»Enkel des Alkeus, bei meines Vaters gastlichem Tische,

den du einst aufsuchtest, hilf mir, bitte, beim schweren Beginnen!

Sähe mich Turnus, noch lebend, die blutigen Waffen ihm rauben!

Müßte er, sterbenden Auges, den Anblick des Siegers ertragen!«

Herkules hörte den Jüngling, er unterdrückte die bittre

Klage im tiefsten Herzen, vermochte nur hilflos zu weinen.

Aber da sprach sein Vater zu ihm die tröstlichen Worte:

»Jeden erwartet sein Tag, die Lebensfrist dehnt sich für alle

kurz nur und unwiederholbar. Doch rühmlich zu glänzen durch Leistung,

bleibt des Tapfren Verpflichtung. Vor Trojas ragenden Mauern

[397] fielen so zahlreiche Söhne von Göttern, mit ihnen mein eigner

Sprößling sogar, Sarpedon. Den Turnus auch wird noch sein Schicksal

rufen, auch er gelangt noch zum Schluß der verliehenen Spanne.«

Damit wandte er seine Augen vom Rutulerlande.



Pallas jedoch entsandte den Speer mit Anspannung aller

Kräfte und riß dann sogleich das funkelnde Schwert aus der Scheide.

Über der Schulter ritzte die Waffe im Fluge den Panzer,

hatte zuvor schon den oberen Schildrand durchschlagen und streifte

schließlich, gehemmt schon, nur leicht den Riesenkörper des Turnus.

Seinerseits schwang jetzt dieser den Schaft mit der schneidenden Spitze

längere Zeit, dann rief er, und schleuderte los ihn auf Pallas:

»Schau jetzt, ob unsere Waffe nicht kraftvoller durchdringt zum Ziele!«

Quer durch den Schild, durch so zahlreiche Schichten von Eisen und Bronze,

auch durch so zahlreiche Lagen von Rindsfellen bohrte im starken

Schwung sich die Lanze, genau in der Mitte, durchschlug auch den Panzer,

drang in die Brust dann des jungen stattlichen Helden. Vergeblich

riß der Getroffene noch das warme Geschoß aus der Wunde:

Gleich mit der Spitze entströmten dem Körper das Blut und das Leben.

Jäh auf die Wunde stürzte der Held, ihn umklirrten die Waffen,

schlug noch, im Sterben, ins feindliche Erdreich die blutigen Zähne.

Über ihn stellte sich Turnus und rief:

»Hört, ihr Arkader, und meldet mein Wort dem König Euander:

Wie es die Sühne erheischt, so schicke zurück ich ihm Pallas.

Ehren des Grabes und Trost der Bestattung will ich gewähren.

Teuer bezahlt er die Gastfreundschaft, die er Aeneas gewährte.«

Danach setzte er seinen linken Fuß auf den Leichnam,

zog das gewichtige Wehrgehenk ab mit dem Bild des Verbrechens,

[398] der in der Brautnacht vollzognen Ermordung der eben vermählten

Jünglinge und der mit Blut besudelten Hochzeitsgemächer,

kunstreich getrieben in Gold von dem Sohn des Eurytus, Clonus.

Dieses gewann jetzt Turnus frohlockend als Beute des Sieges.

Nichts von den künftigen Schicksalen ahnen die menschlichen Herzen,
wissen im Übermaß reichlichen Glückes das Maß nicht zu wahren.
Turnus erlebt noch die Stunde, da vieles er gäbe für einen
lebenden Pallas, da er den Sieg von heute verabscheut!

Diese letzten Worte sind eine epische Vorausdeutung auf den Kampf zwischen Turnus und Aeneas, der aufgrund dieses vorausgegangenen Kampfes Turnus den Tod bringt.

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