29 September 2010

Es gibt keine zwei Seelen in der Brust, sondern nur eine, die in sich unschlüssig ist. - Wider die Manichäer

Augustinus wehrt sich gegen die manichäische Vorstellung, dass in jedem Menschen stets das Böse und das Gute miteinander kämpfen und vertritt die Position, dass auch eine einzelne Seele unsicher darüber sein kann, wie sie sich entscheiden soll.

IX.
[190] Woher und warum diese Unnatürlichkeit? Laß leuchten dein Erbarmen, denn fragen will ich, ob die verborgenen Strafgerichte der Menschen und die dunklen Bedrängnisse der Söhne Adams mir Antwort geben können. Woher diese Unnatur und warum? Die Seele gebeut dem Körper, und sogleich wird ihr gehorcht; die Seele befiehlt sich selbst und ihr wird widerstanden. Die Seele befiehlt, daß die Hand sich bewegen soll, und so leicht geschieht es, daß Befehl und Folge kaum sich unterscheiden laßen. Die Seele befiehlt, daß die Seele es wollen soll, und keine andere ist's und thut es doch nicht. Woher diese Unnatur und warum? Die Seele befiehlt, daß sie es wolle, sie würde es nicht befehlen, wenn sie es nicht wollte, und doch geschieht nicht, was sie befiehlt. Aber sie will es nicht mit ganzer Kraft, daher befiehlt sie es nicht mit ihr, denn nur so weit befiehlt sie es, als sie es nicht will. Der Wille befiehlt, weil er es will und kein anderer; befiehlt er nicht mit ganzer Kraft, so hat er nicht, da er zu befehlen hätte; und befähle er mit ganzer Kraft, so brauchte er nicht zu befehlen, daß etwas geschehe, denn schon wäre es geschehen. So ist dies Schwanken zwischen Wollen und nicht Wollen nichts Unnatürliches, sondern eine Krankheit der Seele, weil sie, von der Gewohnheit belastet, sich nicht ganz an der Wahrheit Hand erheben kann. Und zweierlei Willen hat sie, weil der deine Wille nicht ihr ganzer Wille ist, und der eine nur das hat, was dem andern fehlt.


X.
Vergehen müßen vor deinem Angesicht, o Gott, als die da Eitles reden und Herzen verführen, welche, da sie zwei [191] Willen in ihres Herzen Rath vernehmen, zwei geistige Naturen, eine gute und eine böse, und zweierlei Geist behaupten. Derselbe Mensch ist böse, so lange sein Trachten böse ist, und gut, wenn er nach deiner Wahrheit trachtet, wie dein Apostel sagt: »ihr waret einst Finsterniß, und seid nun Licht im Herrn geworden.« (Eph. 5, 8) – Wollen sie Licht werden in sich und nicht in Gott, da sie wähnen, die natürliche Seele sei das, was Gott ist, so werden sie nur dichtere Finsternis, weil sie in gräulichem Stolz nur weiter weg von dir wandten, von dir, dem wahren Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt. Merket auf eure Rede und erröthet über sie, erhebet euch zu ihm, und ihr werdet Licht und euer Antlitz wird nimmer erröthen. – Da ich mit mir zu Rathe gieng, ob ich nun dienen wollte dem Herrn meinem Gott, wie ich so lange schon mir vorgenommen, so war ich es, der da wollte, ich, der da nicht wollte, ich, ich war es. Nicht wollte ich völlig, noch wollte ich völlig nicht; so stritt ich mit mir selbst und wurde von mir selbst verwirrt; und ob ich selbst auch diese Verwirrung nicht wollte, so kann sie doch nicht aus einem fremden Gemüthe, sie war die Strafe des meinen. Und so habe nicht ich sie versucht, sondern die Sünde, die in mir wohnte; vom ersten Sündenfalle her, denen ich war Adams Sohn. Wenn so viele einander entgegengesetzte Naturen sind, als sich Willen widersprechen, so sind nicht nur zwei, sondern mehrere. Wenn einer Anstand nimmt, ob er in den Conventikel der Manichäer oder ins Theater gehen soll, so schreien die Manichäer: da siehst du die zwei Naturen! die eine ist gut und führt dahin, die andere ist böse und führt dorthin; denn woher jenes Zaudern der beiden einander widersprechenden Willensrichtungen? In meinen Augen sind die beide schlecht, sowohl diejenige, welche in den Conventikel, als diejenige, die ins Theater will. Aber das [192] glaube sie nicht, wenn man den Willen nicht gut nennt, der zu ihnen führt. Und wie nun, wenn Einer der Unsern unter dem Streit seiner beiden Willensrichtungen mit sich beräth, ob er ins Theater gehe oder in unsere Kirche, werden nicht auch diejenigen, die ihm rathen sollen, in Ungewißheit schwanken? Entweder werden sie bekennen, was sie nicht wollen, es werde mit vollem Willen in unsere Kirche gegangen, wie es diejenigen thun, welche von ihren Gnadengütern hingerißen sich an sie gebunden fühlen, oder sie werden glauben, in einem und demselben Menschen seien zwei böse Naturen und zwei böse Gemüther mit einander im Streit, und es wird nicht wahr sein, was sie zu behaupten pflegen, daß eine Natur gut, die andere böse sei; oder sie werden sich zur Wahrheit bekehren und anerkennen, wenn Jemand mit sich zu Rathe gehe, so sei es nur eine und dieselbe Seele, welche in verschiedenen Willensrichtungen sich umtreibe. So sollen sie also nicht behaupten, wenn sie zwei einander widersprechende Willen in sich spüren, zwei verschiedene Gemüther, ein gutes und ein böses, streiten miteinander, weil sie aus zwei entgegengesetzten Grundlagen kommen. Denn du, wahrhaftiger Gott, verwirrst die und überweisest sie gleichsam an ihre beiden bösen Willen. Jemand geht mit sich zu Rathe, ob er in Menschen mit Gift oder mit dem Schwerte morden soll; ob er in dieses oder in jenes Landgut einbreche, da er nicht in beide zugleich kann; ob er in verschwenderischen Lüsten lebe oder sein Geld habsüchtig zusammenhäufe; ob er auf die Rennbahn oder in's Schauspielhaus gehe, wenn beide an Einem Tage offen sind; ob er noch zu diesen Beiden als Drittes einen gelegenen Hausdiebstahl, als Viertes einen Ehebruch begebe, der sich ihm eben darbeut; wünscht er das Alles nicht mit gleicher böser Lust, wenn er auch nicht Eines nach dem Andern üben kann, weil sie alle auf Einen Augenblick zusammenkommen? Sie zerreißen [193] sich das Herz mit dem einander widerstrebenden vier Willensrichtungen oder mit mehreren, da so vielerlei begehrt werden kann, und doch behaupten sie keine so große Zahl von Grundlagen der Seele, sondern nur ihrer zwei. Dasselbe findet statt bei guten Willen: frage ich, was besser sei, sich an Paulus, am Evangelium oder an den Psalmen mit Lesen zu erquicken, so wird man wohl von jedem sagen, es sei gut. Wie nun, wenn sie alle zu gleicher Zeit in gleichem Grad uns erfreuen? Bringen da nicht verschiedene Willensansichten das Herz mit sich selbst in Zwiespalt, wenn wir berathen, was wir zuerst ergreifen sollen? Alle sind gut und streiten doch unter sich, bis das Eine erwählt wird, an das der ganze, eine Wille komme, der zuvor in mehrere Willen getheilt war. – Wenn nun die Ewigkeit das Höhere, die Erdenlust das Niedere in uns reizt, so trifft der Reiz dieselbe Seele, die nur nicht mit ganzem, vollem Willen Dieses oder Jenes will und so zerrißen wird in schwerem Druck, das Höhere vorziehend, dessen Wahrheit sie erkannte und noch das Niedere nicht laßend, mit dem sie so vertraut ist.
Augustinus: Bekenntnisse, 8. Buch, Kapitel 9 u. 10, S.190-193

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