22 April 2011

Die Zuchtmittel des Stavenhagener Rektors

Fritz Reuters hochdeutsche Schriften sind weniger bekannt als seine plattdeutschen, sind auch gewiss weniger charakteristisch, aber auch interessant. Sein Bericht über Meine Vaterstadt Stavenhagen ist kulturhistorisch und biographisch interessant. Zunächst der Blick in die Schulstube eines Rektors:

In der Mitte der Stube, mehr nach den Fenstern hin, so daß er Alles mit einer gelinden Halsdrehung gut übersehen konnte, saß der Herr Rektor auf einem hölzernen, rundlehnigen Stuhle, der von ihm ‘Katheder’, von den Jungen aber ‘Kantheder’ genannt wurde. Diese letztere Benennung war sehr alt, sie stammte noch von seinem Vorweser im Amte, dem Kantor Bewernitz – vor ihm gab’s in Stavenhagen nur Kantoren, er war der erste Rektor – und ‘Kantheder’ sollte also weiter nichts bedeuten, als Sitz des Kantors. Man sieht, wie sinnreich auch plattdeutsche Jungen sein können. Rechts von ihm saßen die Jungen, links von ihm die Mädchen, und an einem Mitteltisch die überschüssigen Jungen und überschüssigen Mädchen in gemischter Ordnung. Vor ihm lagen drei Instrumente – und nun komme ich auf das, was ich oben versprochen habe nachzuweisen, daß in Stavenhagen wenigstens in einer Schule nach Methode geprügelt wurde – diese mehr oder weniger langen, hölzernen Instrumente hatten verschiedene Namen und Anwendung. Da war erstens der Gelbe, lang und dünne, er fand seine Anwendung bei Plaudern, Butterbrod- und Apfel-Essen und Klecksen im Schreibebuch; dann war da zweitens der Braune, kürzer und dicker, wurde verwandt bei notorischer Faulheit, bei Widerrede, oder wenn nachgewiesen wurde, daß ein Junge dem andern heimlich das Tintenfaß ausgesoffen hatte; und endlich war drittens da der Dachs, kurz, dick und schwer, von gewisser Aehnlichkeit mit einem eichenen Schemelbeine. zum Ruhme des Herrn Rektor muß ich gestehen, daß dieser letztere nur in den alleräußersten Fällen von Verstocktheit, Verruchtheit und offenbarer Widersetzlichkeit in Anwendung gebracht wurde; aber er war doch da und, wie das mecklenburgische Sprichwort sagt: ‘De Furcht wohrt de Haid’.’ – Mit dem armen Dachs nahm’s ein kläglich Ende. Ein schon längst verstorbener Bösewicht sollte wegen verschiedener Missethaten den Dachs schmecken; frech entriß er den Händen des Rektors den geschwungenen Dachs und schleuderte ihn in die Ecke; der Herr Rektor ward blaß; nach dieser gräßlichen Beleidigung seiner Autorität konnte er nicht weiter dociren; er schloß die Schule. Aber am folgenden Morgen wurde ein feierliches Vehmgericht über den Verbrecher gehalten; der primus scholae mußte als Ankläger vortreten, die erste Knabenbank wurde zu Vehmrichtern ernannt, und es wurde von diesem collegium abgestimmt, ob der Verbrecher noch länger die Schule besuchen dürfe, oder ob er cum infamia in perpetuum zu relegiren sei. Eine Stimme, die meines alten guten Freundes Karl Nahmacher, der schon seit Jahren seinen Sitz als ultimus der Bank beharrlich festgehalten hatte, und nun als der Letzte zur Abstimmung kam, rettete ihn; er blieb. – Ja, er blieb – aber in stiller Verachtung. Den andern Morgen jedoch war der Dachs verschwunden. Allerlei dunkle Gerüchte liefen in der Schule und auf der Straße um; Frau Rektorin habe die Unzweckmäßigkeit seiner früheren Verwendung eingesehen und ihn zweckmäßig zum Kaffeekochen verwandt; wir wissen’s aber besser. Ein ebenso großer Bösewicht, wie der vorher erwähnte, den ich jedoch ebenfalls nicht nennen werde, weil er von Jugend auf mein Freund gewesen ist, hatte ihn in ein Mauseloch gesteckt. Da wäre er nun wohl für immer in seiner Höhle geblieben, wär der alte, gute Herr Rektor nicht eines Tages gestorben, wäre das alte, gute Schulhaus nicht an meinen Freund Bunsen verkauft, und hätte dieser nicht eine neue Versohlung und Verdielung für gut befunden. Und da geschah es denn, daß eines schönen Tages der alte vergessene Dachs zum Vorschein kam und in seiner alten treuherzigen Weise die Zimmerleute fragte: "Gu’n Morgen ok! Kennt Ji mi woll noch?" Und siehe da! sie kannten ihn wieder, denn es waren Stavenhäger Kinder. – Er ist jetzt in meinem Besitz, er hat mir auf meiner Laufbahn als Schulmeister wesentlich weiter geholfen und wird von mir als Reliquie aus einer schönen Zeit hoch geschätzt. (Fritz Reuter: Meine Vaterstadt Stavenhagen)

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