16 November 2011

J. Fischer: Die Rückkehr der Geschichte

Ich beginne gerade - zwischen Wichtigerem - die Lektüre von Fischers "Die Rückkehr der Geschichte".
Das Urteil der Rezensenten geht erstaunlich weit auseinander. Für mich ist es das Buch eines Politikers zu einem historischen Thema, mit schönen Formulierungen und sehr undifferenziert.
Dankbar bin ich für die vielen Zitate, die das Auswärtige Amt geliefert haben dürfte; denn Fischer war bei der Abfassung, 2005, noch im Amt und hatte keine Zeit für eigene Recherchen.
Aus heutiger Sicht bemerkenswert ist, dass er großen Wert darauf legt, dass die Politik und nicht etwa die Wirtschaft die zukünftige Entwicklung bestimme.

Ein paar Zitate:
"In den Ersten Weltkrieg ritten die Armeen noch hoch zu Pferde hinein, und aus dem Zweiten Weltkrieg kam die Menschheit mit der Atombombe heraus." (S.10) - Eine Welt von Änderungen wird damit angedeutet: Die Entscheidungen von Militärs hätten in den Ersten Weltkrieg geführt, die Atombombe sei ein Phänomen, das die Situation der Menschheit präge, das ihr aber wie von außen zugekommen sei. Dazu ließe sich sehr viel sagen, doch hieße das, mehr in eine anschauliche Formulierung hineinstecken, als Fischer aussagen wollte.
"Heraklit, jener vorsokratische Philosoph im alten Griechenland, der bereits im 5. Jahrhundert vor Christus vermeldet hatte, daß der Krieg der Vater aller Dinge sei, war plötzlich wieder weitaus aktueller geworden als all die vielen Investmentbanken und Börsenkurse." - Nun ja, Krieg bringt sehr aktuelles und konkretes Leid über Menschen, während Investmentbanken und Börsenkurse immer nur abstrakte Entscheidungen und Augenblicksphänomene hervorbringen, über deren Bedeutung erst der Zusammenhang entscheidet. Eine sofortige Börsenschließung und ein weltweites konsequent keynesianistisches Programm hätten die Weltwirtschaftskrise verhindern oder doch zumindest erheblich abmildern können und so die grauenhaftesten historischen Folgen, den Aufstieg des Nationalsozialismus und den Holocaust vielleicht noch abwenden können. Aber das meint Fischer sicher nicht. Und dass Heraklit bei seiner Formulierung sicher an ein allgemeineres Phänomen gedacht hat als an den Angriff der Nato auf Serbien, den Fischer als von ihm mit zu verantworten zu "vermelden" hat, ist ohnehin außer Frage.
Unter Berufung auf Yehuda Bauer spricht Fischer vom dritten Totalitarismus, diesmal ohne seine Aussagen in einer griffigen Formulierung zu verdichten. Das zeugt zwar von einem erheblich analytischeren Zugriff als der "Kreuzzug", von dem Bush junior gesprochen hat, doch die Vergleichbarkeit mit Nationalsozialismus und Stalinismus ist doch höchst beschränkt und eröffnet kein verbessertes Verständnis des Phänomens. Denn die Gewalthandlungen der al-Qaida und die religiös-politische Fanatisierung in Gesellschaften, in denen der Islam die vorherrschende Religion ist, stehen gewiss nicht in dem engen Zusammenhang, wie es die Herrschaftsmechanismen in Nationalsozialismus und Stalinismus taten.

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