05 Dezember 2013

Hofleben

Nun, an jedem Privilegium hängt ein alter Fluch, der die meisten trifft, welche daran teilhaben. Das mag auch von den Vorrechten des Hofes gelten. Das Leben unserer Fürsten ist in den Bann bestimmter Kreise eingeschlossen, Anschauung und Vorurteil einer Umgebung, die sie sich nicht frei wählen dürfen, umgibt sie vom ersten Tage ihres Lebens bis zum letzten. Daß sie nicht stärker und freier sind, rührt zum großen Teil von der engen Atmosphäre, in welche sie durch die Etikette gebannt sind. Das ist ein Unglück nicht nur für sie selbst, ist für uns alle ein Leiden, daß unsere Fürsten so häufig die bürgerliche Gesellschaft mit den Augen eines Kammerjunkers betrachten. Diesen Übelstand mag man als Mitlebender schmerzlich fühlen. Und ich meine allerdings, der Kampf, welcher in unserm Vaterlande auf verschiedenen Gebieten entbrannt ist, wird nicht eher mit einem guten Frieden enden, als bis die Gefahren beseitigt sind, welche die alte Hofordnung der Erziehung unserer Fürsten bereitet. [...]
Ich begreife, daß die Arbeit der Gelehrten für jeden, der zu ihrer stillen Gemeinde gehört, einen unwiderstehlichen Reiz ausüben muß.  [...]

die Menschen, von denen ich umgeben bin, auch die guten, sie alle denken und sorgen behaglich um sich selbst und schließen bequeme Verträge zwischen ihrem Pflichtgefühl und ihrem Egoismus. Hier aber erkenne ich eine Selbstlosigkeit und eine unablässige Hingabe des eigenen Daseins an die höchste Arbeit des Menschen.

Gustav Freytag: Die verlorene Handschrift

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