29 Dezember 2014

Fontane, Historiker der Mark Brandenburg, über Alexander Gentz

Über seinen Romanen sind Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg im literarischen Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückgetreten, obwohl sie als - ein nicht ganz origineller - Geheimtipp weiterhin gelten können. Sie sind zu Recht zurückgetreten, weil manche Passagen an Trockenheit einen Reiseführer übertreffen und dabei nicht einmal den Vorzug genießen, genau über Öffnungszeiten und Eintrittsgelder zu informieren. 
Wer sie aber nicht zur Kenntnis nimmt, kann Fontanes Leistung nicht wirklich gerecht werden. Denn sie sind in bestem Sinne Historienmalerei: Anhand eines Blickes auf die Zeugnisse der Geschichte breitet Fontane die Geschichte der einzelnen Orte aus und lässt uns die Adelssitze, Dörfer und Städte der Mark in ihrer historischen Wirklichkeit im 19. Jahrhundert so lebendig erstehen, wie es seitdem wohl für keine deutsche Landschaft - für die Mark schon gar nicht - gelungen ist.

Den vollständigen Abschnitt über Gentzrode liest man am besten anderswo nach (z.B. in Zeno.org), nur den Schluss, der Fontane als urteilenden Historiker zeigt, möchte ich hier vorstellen. 

Alexander Gentz stand nicht als einfacher Alexander Gentz, sondern als eine Art Karl Stuart vor seinen Richtern, der bekanntlich, als ihm während der Verhandlung sein Stöckchen aus der Hand fiel, sich wunderte, daß niemand der Richter zusprang, das Stöckchen wieder aufzuheben und ihm zu überreichen.
Und mit diesem charakteristischen Zug aus der Zeit des gegen Alexander Gentz angestrengten Prozesses bin ich nunmehr bei dem Prozesse selber angelangt und habe zu diesem, der seinerzeit soviel Staub aufwirbelte, Stellung zu nehmen. Wie stand es damit? Zunächst mit dem Konkurs selbst? Von befreundeter Seite wird mir darüber geschrieben: »Daß ihn (Gentz), wie fast jeden, der zur Bankrotterklärung gezwungen wird, ein bestimmtes Maß von Schuld trifft, ist wohl nicht zu leugnen. Ein vorsichtiger Kaufmann muß rechtzeitig für Reservegelder sorgen und auf den Wandel der Zeiten achten. Beides unterließ er. Er war nicht weitsichtig genug. Dazu kam, daß der ihm angeborene Hang, alles nach Möglichkeit schön und künstlerisch zu gestalten, ihn zu ganz unnützen Mehrausgaben veranlaßte. Nicht bloß seine Parkanlagen sind ein vollgültiger Beweis dafür, derselbe Zug prägte sich auch bei den Kanalbauten im Luch aus, wo er sich's beispielsweise nicht nehmen ließ, erst die lange Wasserstraße selbst und dann die Torfgräberhäuser mit niedlichen Anpflanzungen zu umgeben. Diese künstlerische Liebhaberei verschlang ein Vermögen.«
Ich habe dieser trefflichen und selbst in ihrem Tadel noch in gewissem Sinne verbindlichen Schilderung nichts hinzuzufügen. Er raste, jeder Warnung unzugänglich, in sein Verderben hinein, durch nichts berechtigt oder entschuldigt, als durch den Glauben[517] an seinen Stern. Und so war es denn weder verwunderlich, noch auch die Betätigung eines besonderen staatsanwaltlichen Rigorismus, ihn schließlich zur Verantwortung gezogen zu sehn. Nur der Modus konnte vielleicht in diesem und jenem ein anderer sein. Es war ein Vorgehen, das in vielen Stücken an den berühmteren Professor Gräfschen Prozeß erinnert, bei welcher Gelegenheit auch die von Gräfs Schuld Überzeugtesten sich mit einzelnen Details des Verfahrens nicht einverstanden erklären konnten. Ähnlich im Prozeß Gentz. Das Richtige, das was sein soll, kam schließlich in jedem Anbetracht zu seinem Recht, er war schuldig, und das Maß der ihm zudiktierten Strafe wurde sicherlich nicht zu hoch bemessen, aber in das, was der eigentlichen Prozeßverhandlung voraufging, mischte sich wohl manches ein, was besser gefehlt hätte; lange bevor ihn das Gericht verurteilen konnte, war er schon verurteilt durch die Gefühle seiner Mitbürger. Daß diese Gefühle durchweg die richtigen gewesen wären, kann ich nicht zugeben. Es brauchte seine Schuld nicht beschönigt, am wenigsten geleugnet zu werden, aber wenn jemals »mildernde Umstände« da waren und mitsprechen durften, so war hier ein solcher Fall gegeben. Alexander Gentz war das Opfer großer Unternehmungen, die, wenn auch vorwiegend zum eigenen Nutzen unternommen, doch schließlich der Gesamtheit von Stadt und Land zugute gekommen waren. Dem trug man nicht Rechnung. Sein Fall, statt Mitleid zu wecken, weckte nur Freude, denn kein Jubel ist größer, als der Jubel derer, die – nachdem man über sie gelacht – sich schließlich als die Klügeren oder doch jedenfalls als die Siegreichen erweisen.
Jetzt, wo das Grab ihn deckt und das furchtbare Leid, durch das er ging, viele seiner alten Gegner mit ihm ausgesöhnt haben wird, wird auch sein Name wieder wachsen, und wenn abermals ein Menschenalter verflossen und der Letzte seiner Mitlebenden heimgegangen sein wird, wird sich das dann lebende Geschlecht seiner als eines Wohltäters der Grafschaft erinnern, als eines Mannes, der in manchem als eine Warnung, in vielem aber auch als ein Vorbild gelten kann.
In seiner Schöpfung Gentzrode lebt er fort.

(Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Die Grafschaft Ruppin. Gentzrode, 4. Kapitel, S.516 - 517)

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