04 Dezember 2014

Jamil Ahmad: Der Weg des Falken

Hier festgehalten zunächst nur der Link zu den Rezensionen bei Perlentaucher.

Ich stimme darin überein, dass die einfühlsame Sprache und die herbe Atmosphäre dieses Berichtes über Belutschistan, das Grenzland zwischen Afghanistan, Pakistan und Iran für den Text einnehmen.

Es heißt, dass der pakistanische Beamte Jamil Ahmad seinen Text erst nach vierzig Jahren veröffentlichte. In Wirklichkeit waren es wohl ein paar Jahre weniger.
Das mag daran liegen, dass in der westlichen Welt Nomaden fast nur aus Romanen und Filmen über die Indianer des Wilden Westens und aus den Berichten in der Bibel bekannt sind. Denn über das Volk Israel heißt es, dass es vierzig Jahre in der Wüste war: 4. Buch Mose, 14,33:
Und eure Kinder sollen Hirten sein in dieser Wüste vierzig Jahre und eure Untreue tragen, bis daß eure Leiber aufgerieben werden in der Wüste.
Für mich ist in diesem Kontext bemerkenswert, dass  man im 19. Jahrhundert, wenn man den Kulturkreis ansprechen wollte, den wir heute als den Westen bezeichnen, meist von der zivilisierten Welt sprach. (sieh Osterhammel: Die Verwandlung der Welt, S.144:):
"Im langen 19. Jahrhundert war viel häufiger als vom 'Westen' von der 'zivilisierten Welt' die Rede. [...] In Japan wurde es sogar zum Ziel nationaler Politik, als zivilisiertes Land akzeptiert zu werden." (S.144)
Nomadisierende Lebensweise ist Sesshaften verdächtig. Das ist heute noch an der in Scheu oder Angst begründeten Ausgrenzung von Sinti und Roma zu fassen.

Wer sich vorstellt, er würde in diesem Buch den Weg von Tor Baz, dem Falken, mitverfolgen können, hat sich getäuscht. Nicht ein einheitlicher Erzählstrang, sondern eine Folge von Episoden bilden das Buch, in dem uns Tor Baz in immer neuen Kontexten begegnet.
Da sind Mehbub Khan und Ghairat Gul, die beide dafür bezahlt werden, ihren Stamm zum Kampf gegen die Kolonialherren zu gewinnen. Die Deutschen bezahlen Khan für den Kampf gegen die Briten, die Briten Gul dafür, dass er den Stamm für sie gewinnt. Khan glaubt schon verloren zu haben, da erfährt er Unterstützung durch Gul, seinen Gegenspieler. Der hat nämlich herausgefunden, dass die Briten Khans Partei fürchten. Sobald Khans Seite schwächer würde, so ist Guls Kalkulation, würden die Briten ihr Interesse an ihm verlieren. Als die Briten gewonnen haben, werden Khan und Gul gute Freunde, jeder hat dank der Bezahlung durch die Kolonialmacht gut verdient.
Nicht so vorausschauend ist der Bergführer Sher Beg. Er ist der Star seines Ortes, so lange ständig neue Seilschaften kommen, um den Bergriesen Tirich Mir zu besteigen. Doch dann
"Irgendwann wurde der Gipfel des Tirich Mir endlich bezwungen. Zunächst begriff Sher Beg nicht, was das bedeutete. Tatsächlich feierte er zusammen mit den übrigen Expeditionsteilnehmern und platzte schier vor Glück über den Erfolg. Erst als er es im folgenden Jahr schwierig und im Jahr darauf unmöglich fand, Arbeit zu bekommen, erkannte er, was wirklich geschehen war, Nicht der Tirich Mir war besiegt worden. Es war seine Niederlage gewesen." (S.147)
Vom Glück der Familien, die für eine Tochter einen stattlichen Brautpreis erhalten, und vom Elend der Frauen, die die Demütigung durch ihren Mann nicht vertragen, handeln die sich anschließenden Episoden, die mit dem Verkauf der Frauen schließen, die ihre Familie verlassen haben.
Eine der Frauen kauft Tor Baz. Will er sesshaft werden oder weiter wandern?
Der Text schließt offen.
Und die Leser haben Einblicke in Verhältnisse getan, die ihnen als Touristen vor Ort völlig undurchschaubar geblieben wären.

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