08 September 2016

Abenteuer mit dem bezauberten Kopfe

[...] Man stand vom Tische auf, und Don Antonio faßte den Don Quixote bei der Hand und ging mit ihm in ein abgelegenes Zimmer, in welchem sich keine andere Verzierung befand als ein Tisch, dem Anscheine nach von Jaspis, der auf einem Fuße von dem nämlichen Steine ruhte und auf den nach Art der Köpfe von römischen Kaisern eine Büste gestellt war, die von Bronze zu sein schien. Don Antonio ging mit Don Quixote im Zimmer auf und ab, indem sie oftmals um den Tisch gingen; endlich sagte er zu ihm: »Jetzt, Herr Don Quixote, da ich überzeugt bin, daß uns keiner sehen oder hören kann und daß diese Tür verschlossen ist, will ich Euch, mein Herr, eins der wunderbarsten Abenteuer oder, richtiger zu reden, eine Seltsamkeit erzählen, die man kaum wunderlicher ersinnen könnte, doch unter der Bedingung, daß dasjenige, was ich Euch sagen will, in den letzten Tiefen des Geheimnisses aufbewahrt werden muß.«
»Das schwöre ich Euch«, antwortete Don Quixote, »ja, ich will zu größerer Sicherheit einen Grabstein darüber wälzen, so daß Ihr wissen müßt, Herr Don Antonio« – denn sein Name war ihm schon bekannt –, »daß derjenige, mit dem Ihr sprecht, zwar ein Ohr hat, zu hören, aber keine Zunge, um zu sprechen, so daß Ihr mit Sicherheit dasjenige in meinen Busen ausschütten könnt, was Ihr in dem Eurigen habt, und zugleich überzeugt sein, daß Ihr es alsdann zu den Abgründen des Stillschweigens hinunterstürztet.«
»Im Vertrauen auf dieses Versprechen«, antwortete Don Antonio, »will ich Euch durch das, was Ihr sehen und hören werdet, in Verwunderung versetzen und mir selbst eine Erleichterung meiner Qual verschaffen, die dadurch entsteht, daß ich niemanden habe, dem ich meine Geheimnisse mitteilen kann, denn sie sind von der Art, daß man sie nicht allen vertrauen darf.«[433]
Don Quixote war gespannt, indem er erwartete, wo diese Einleitungen hinauswollten. Indes faßte Don Antonio seine Hand und führte sie über den Kopf von Bronze, über den ganzen Tisch und über das Fußgestell von Jaspis, auf welchem er ruhte, und sagte hierauf: »Dieser Kopf, Herr Don Quixote, ist ausgearbeitet von einem der größten Zauberer und Hexenmeister, die die Welt noch gehabt hat; ich glaube, er war seiner Geburt nach ein Pole und ein Schüler des berühmten Scoto, von dem so viele Wunder erzählt werden; er war hier in meinem Hause und hat mir für die Belohnung von tausend Talern, die ich ihm gab, diesen Kopf verfertigt, der die Eigenschaft und Tugend besitzt, daß er auf alles antwortet, worüber man ihn ins Ohr befragt. Er machte seine Zirkel, malte Charaktere, beobachtete die Gestirne, zeichnete seine Punkte, und kurz, brachte ihn mit der Vollkommenheit hervor, die wir morgen an ihm sehen werden, denn alle Freitage ist er stumm, und da heute dieser Tag ist, so müssen wir notwendig bis morgen warten. Indessen könnt Ihr darüber nachdenken, was Ihr ihn fragen wollt, denn ich weiß aus Erfahrung, daß er in allen seinen Antworten die Wahrheit spricht.«
Don Quixote war über die Tugend und Eigenschaft des Kopfes in Verwunderung und konnte dem Don Antonio keinen Glauben beimessen; da aber nur ein so kurzer Zwischenraum war, um die Erfahrung zu machen, so wollte er nichts weiter sagen, außer daß er ihm dafür dankte, daß er ihm ein so großes Geheimnis anvertraut habe. Sie verließen das Zimmer, Don Antonio verschloß die Tür mit einem Schlüssel, worauf sie sich in den Saal begaben, in welchem sich die übrigen Ritter befanden. Indessen hatte Sancho diesen viele Abenteuer und Begebenheiten erzählt, die seinem Herrn zugestoßen waren. Am Abend nahmen sie Don Quixote, um mit ihnen auszugehen, nicht bewaffnet, sondern zum Spazierritt, bekleidet mit einem langen Talar von lichtbraunem Tuche, in welchem der Frost damals Schweiß hätte vergießen können. Sie befahlen ihren Dienern, den Sancho so zu unterhalten, daß er durchaus nicht aus dem Hause käme. Don Quixote ritt nicht auf dem Rozinante, sondern auf einem ansehnlichen Maultiere, das bequem ging und schön aufgeschmückt war. Sie legten ihm den Talar an und hefteten ihm, ohne daß er es gewahr wurde, auf dem Rücken ein Pergament fest, auf dem mit großen Buchstaben geschrieben stand: Dieses ist Don Quixote von la Mancha. Sowie sie ihren Ritt anfingen, zog der Zettel die Augen aller auf sich, die ihn betrachten wollten, und sowie sie lasen: Dieses ist Don Quixote von la Mancha, verwunderte sich Don Quixote, daß alle, die ihn sahen, ihn nannten und kannten, er wendete sich zu Don Antonio, der an seiner Seite ritt, und sprach zu ihm: »Groß ist der Vorzug, den die irrende Ritterschaft in sich begreift, denn derjenige, der sich ihr widmet, wird dadurch in allen Teilen der Erde bekannt und berühmt: denn seht nur, Herr Don Antonio, daß selbst die Gassenjungen dieser Stadt mich kennen, ohne mich jemals gesehen zu haben.«
»So ist es, Herr Don Quixote«, antwortete Don Antonio, »denn wie das Feuer nicht verschlossen und verborgen bleiben kann, so kann auch die Tugend nicht unbekannt bleiben, und der Ruhm, der durch die Ausübung der Waffen erworben wird, überleuchtet und überglänzt jeden andern Ruhm.« [...]
Am folgenden Tage schien es Don Antonio gut, die Probe mit dem bezauberten Kopfe anzustellen, deshalb verschloß er sich mit Don Quixote, Sancho und zwei andern Freunden, nebst den beiden Damen, die Don Quixote zu Boden getanzt hatten und die in dieser Nacht bei der Gemahlin des Don Antonio geblieben waren, in dem Zimmer, in welchem der Kopf war. Er sagte ihnen die Eigenschaft, welche er besäße, empfahl ihnen die Verschwiegenheit und erklärte, daß dieses der erste Tag sei, an welchem er[435] die Kraft des bezauberten Kopfes versuchen wolle; außer den beiden Freunden des Don Antonio wußte keiner weiter um das Wesen mit dem Kopfe, und wenn es diesen Freunden Antonio nicht entdeckt hätte, so würden sie unvermeidlich in dasselbe Erstaunen verfallen sein, in welches die übrigen gerieten: so geschickt und künstlich war die Einrichtung.
Der erste, der sich dem Ohre des Kopfes näherte, war Don Antonio selbst, dieser sagte mit leiser Stimme, doch so laut, daß es alle hören konnten: »Sage mir, Kopf, durch die Kraft, welche du besitzest, welche Gedanken habe ich jetzt?«
Und der Kopf antwortete, ohne die Lippen zu bewegen, mit einer hellen und deutlichen Stimme, so daß alle folgendes vernehmen konnten: »Ich urteile nicht über Gedanken.«
Als sie dies hörten, waren alle erschrocken, da sie wohl sahen, daß weder im ganzen Zimmer noch in der Gegend des Tisches sich eine menschliche Person befand, welche hätte antworten können. »Wieviel sind wir hier«, fragte Don Antonio noch einmal, und zugleich wurde auf die nämliche Weise geantwortet: »Du nebst deiner Gemahlin und zwei Freunden von dir nebst zwei Freundinnen von ihr und ein berühmter Ritter, welcher Don Quixote von la Mancha heißt, und sein Stallmeister, Sancho Pansa mit Namen.«
Von neuem wohl verwunderten sich alle; von neuem richteten sich allen die Haare vor Entsetzen empor. Don Antonio trat vom Kopfe zurück und sagte: »Dies ist mir genug, um einzusehen, daß ich von demjenigen nicht betrogen bin, der dich mir verkauft hat; o du weiser Kopf, redereicher Kopf, antwortsvoller Kopf und bewundernswürdiger Kopf. Jetzt trete ein anderer hin und frage, was er Lust hat.« Da nun die Weiber gewöhnlich voreilig und fürwitzig sind, so war die erste, die hinzutrat, eine von den Freundinnen der Gemahlin des Don Antonio, welche fragte: »Sage mir, Kopf, was muß ich tun, um recht schön zu sein?« Und die Antwort war: »Sei recht tugendhaft.«
»Ich frage nicht mehr«, sagte die Fragerin.
Ihre Gefährtin trat sogleich hinzu und sagte: »Ich möchte wissen, Kopf, ob mein Mann mich liebt oder nicht.«
Und man antwortete: »Sieh, wie er dir begegnet, und du wirst es wissen.«
Die Verheiratete entfernte sich und sagte: »Dieser Antwort wegen war keine Frage nötig, denn aus der Begegnung kann man allerdings den Willen dessen erkennen, von dem sie kommt.«
Jetzt kam einer von den Freunden des Don Antonio und fragte: »Wer bin ich?«
Und er erhielt zur Antwort: »Du weißt es.«
»Das frage ich nicht«, antwortete der Ritter, »sondern du sollst mir sagen, ob du mich kennst.«
»Ich kenne dich«, war die Antwort, »du bist Don Pedro Noriz.«
»Mehr will ich nicht wissen, denn daraus, o Kopf, kann man abnehmen, daß du alles weißt.«
Er trat zurück, und der andere Freund legte ihm die Frage vor: »Sage mir, Kopf, was wünscht mein Sohn, der Majoratsherr?«
»Ich habe schon gesagt«, wurde geantwortet, »daß ich über Wünsche nicht urteile; dessenungeachtet kann ich dir sagen, die deines Sohnes laufen darauf hinaus, dich zu beerdigen.«
»Das«, sagte der Ritter, »kann ich mit Augen sehen und mit Händen greifen, und ich frage nicht mehr.«
Die Gemahlin des Don Antonio trat hinzu und sagte: »Ich weiß nicht, Kopf, was ich fragen soll, nur das will ich von dir wissen, ob ich meinen lieben Mann noch viele Jahre behalten werde.«
Die Antwort war: »Ja, denn seine Gesundheit und seine Mäßigkeit versprechen ihm noch viele Lebensjahre, welche viele durch Unmäßigkeit zu verkürzen pflegen.«
Nun trat Don Quixote hinzu und sagte: »Sage mir, du, der du antworten kannst, war es Wahrheit oder war es ein Traum, was ich von dem erzählt habe, was mir in der Höhle des Montesinos begegnet ist?Werden sich die Hiebe meines Stallmeisters Sancho erfüllen? Wird die Entzauberung der Dulcinea zustande kommen?«
»Was die Höhle anbetrifft«, wurde geantwortet, »so läßt sich viel darüber sagen, von allem ist darunter; die Streiche des Sancho werden mit der Zeit vollbracht werden; die Entzauberung der Dulcinea wird in die gehörige Ausübung kommen.«
»Mehr will ich nicht wissen«, sagte Don Quixote, »denn wenn ich Dulcinea nur entzaubert sehe, so bin ich überzeugt, daß mir alles übrige Glück zufallen wird, welches ich mir nur wünschen kann.«
Der letzte Fragende war Sancho, und er fragte folgendes: »Kriege ich vielleicht, Kopf, ein ander Regiment? Werde ich aus der Armseligkeit eines Stallmeisters herauskommen? Werde ich meine Frau und meine Kinder wiedersehen?«
Worauf die Antwort war: »In deinem Hause wirst du das Regiment führen, und wenn du dahin zurückkommst, wirst du deine Frau und Kinder sehen, und wenn du nicht mehr dienst, wirst du aufhören, Stallmeister zu sein.«
»Bei Gott, trefflich«, sagte Sancho Pansa, »das hätte ich sonst auch nicht gewußt, der Prophet Pero Grullo hätte nicht schöner sprechen können.«
»Vieh!« sagte Don Quixote, »was willst du denn für Antworten haben? Ist es denn nicht genug, daß die Antworten, welche dieser Kopf erteilt hat, auf die Fragen passen?«
»Es ist genug«, antwortete Sancho, »aber ich wünschte, er erklärte sich deutlicher und sagte mir etwas mehr.«
Hiermit hörten die Fragen und die Antworten auf; aber nicht die Verwunderung, in welcher sich alle befanden, die beiden Freunde des Don Antonio ausgenommen, welche den Zusammenhang wußten. Diesen will es auch sogleich Cide Hamete Benengeli erklären, um die Welt nicht in der Ungewißheit zu lassen, weil sie sonst glauben könnte, daß es irgendeine Zauberei oder ein außerordentliches Geheimnis mit diesem Kopfe gewesen sei. Er sagt daher, daß Don Antonio Moreno, zur Nachahmung eines andern Kopfes, den er zu Madrid sah, der von einem Künstler gearbeitet war, diesen in seinem Hause einrichtete, um sich zu unterhalten und Unwissende in Erstaunen zu setzen; die Einrichtung aber war folgende. Die Platte des Tisches war von Holz, das wie Jaspis gemalt und lackiert war, der Fuß, der ihn trug, war ebenso, mit vier Adlersklauen, die aus ihm herauskamen, um für die zu tragende Last desto stärker zu sein. Der Kopf, der von Erz schien und wie ein römischer Kaiser aussah, hatte die Farbe von Bronze, er war durchaus hohl, und ebenso die Platte des Tisches, der er so genau eingefugt war, daß man keine Spur der Verbindung sehen konnte. Der Fuß des Tisches war ebenfalls hohl und hing also mit dem Halse und der Brust des Kopfes zusammen; alles aber hing mit einem andern Zimmer zusammen, welches unter dem Gemache war, in welchem der Kopf stand. Durch diese ganze Höhlung des Fußes, Tisches, des Halses und der des Bildes ging eine genau passende Röhre von Blech, die von keinem gesehen werden konnte. In dem untern Zimmer, welches mit dem obern zusammenhing, stand der, welcher antworten wollte, er legte seinen Mund an diese Röhre, so daß, wie durch ein Sprachrohr, die Stimme von oben nach unten und von unten nach oben in deutlichen Tönen ging, wobei es zugleich nicht möglich war, den Betrug zu bemerken. Ein Neffe des Don Antonio, ein kluger und scharfsinniger Student, war der Antwortende; dieser wußte von seinem Oheim, wer an diesem Tage mit ihm in dem Zimmer beim Kopfe sein würde, und darum war es ihm leicht, die erste Frage schnell und passend zu beantworten; auf die übrigen antwortete er aufs Geratewohl und als ein Verständiger verständig. Cide Hamete sagt, daß sich an zehn bis zwölf Tagen diese seltsame Maschine erhalten habe; da es sich aber in der Stadt ausbreitete, daß Don Antonio in seinem Hause einen bezauberten Kopf habe, der auf alles, was man ihn frage, antworte, so fürchtete er, daß es[439] endlich vor die Wächter des heiligen Gerichts kommen könne, darum erklärte er die Sache den Herren Inquisitoren selbst, und sie befahlen ihm, das Ding zu vernichten und nicht fortdauern zu lassen, damit der unwissende Haufe keinen Anstoß daran nehme. In der Meinung des Don Quixote und Sancho Pansa blieb es immer ein bezauberter und antwortender Kopf, doch mehr zur Zufriedenheit des Don Quixote als des Sancho.
(Cervantes: Don Quijote 2. Teil 10. Buch 10. Kapitel)

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