04 September 2016

Don Quijote lobt die Freiheit

Als Don Quixote sich im freien Felde sah, von den Bestürmungen der Altisidora erlöst, war es ihm, als wenn er sich wieder in seinem Elemente befinde, sein Geist erwachte von neuem, die Bahn der Ritterschaft zu verfolgen, und indem er sich zu Sancho wandte, sagte er: »Die Freiheit, Sancho, ist eins der köstlichsten Geschenke, welches der Himmel nur immer den Menschen verliehen hat; mit ihr dürfen sich weder die Schätze vergleichen, welche die Erde verschließt, noch welche das Meer bedeckt; für die Freiheit wie für die Ehre kann und soll man das Leben wagen; und als ihr Gegenteil ist die Sklaverei das größte Unglück, welches dem Menschen zustoßen kann. Ich sage dieses, Sancho, weil du wohl die Pracht und den Überfluß gesehen hast, welche uns in diesem Schlosse zu Gebote standen, das wir verlassen haben; allein, mitten unter diesen wohlschmeckenden Gerichten und abgekühlten Getränken schien es mir doch, ich sei vom Hunger umlagert, weil ich nichts mit derjenigen Freiheit genoß, mit der ich es getan hätte, wenn alles das Meinige gewesen wäre: denn die Verbindlichkeiten, die uns erzeigte Wohltaten auflegen, sind ebenso viele Fesseln, welche die Freiheit der Seele beschränken. Glücklich ist derjenige, welchem der Himmel sein Brot gibt, ohne daß er wem anders als dem Himmel Dank schuldig ist!«
»Aber trotz allem«, sagte Sancho, »was Ihr da gesagt habt, ist es nicht gut, wenn wir für die zweihundert Dukaten nicht dankbar wären, die mir der Haushofmeister des Herzogs in einem Beutel gegeben hat und die ich als Stärkung und Pflaster auf meinem Herzen trage, um für alle Fälle etwas zu haben; denn wir finden wohl nicht immer Schlösser, wo man uns verpflegt, sondern geraten auch leicht in Schenken, wo sie uns prügeln.« [...]
Das Schicksal aber, welches seine Sachen aus dem Guten in das Bessere lenkte, veranstaltete es so, daß sich bald darauf auf dem Wege eine Anzahl von Leuten zu Pferde sehen ließ, von denen viele Lanzen in den Händen hatten, die alle in einem Trupp zusammengedrängt waren und in großer Eile reisten. Diejenigen, die bei Don Quixote waren, hatten sie kaum erblickt, als sie umkehrten und sich ziemlich weit vom Wege entfernten, denn sie sahen ein, daß, wenn sie dablieben, sie sich einer Gefahr aussetzten; nur Don Quixote blieb mit unerschrockenem Herzen stehen, und Sancho Pansa beschirmte sich hinter dem Rozinante. Der Trupp der Lanzenträger kam herbei, und einer, der voranritt, schrie dem Don Quixote mit lauter Stimme zu: »Fort, du Teufelskerl, aus dem Wege, die Stiere reißen dich ja in Stücke.«
»Heda, Kanaille«, antwortete Don Quixote, »für mich gibt es keine Stiere, die mir Trotz bieten, und wenn es auch die stärksten wären, die der Xarama an seinen Ufern erzeugt. Bekennt, ihr Spitzbuben, daß das die Wahrheit sei, was ich hier bekanntgemacht habe, wollt ihr nicht, so macht euch zum Kampfe fertig.«
Der Ochsentreiber hatte keine Zeit, zu antworten, und Don Quixote ebenso wenige, aus dem Wege zu gehen, wenn er auch gewollt hätte; und so geschah es, daß der Trupp der starken Stiere sowie der zahmen Ochsen, nebst der Menge von Ochsentreibern und andern Leuten, die sie umgaben, um sie nach einer Stadt zu treiben, wo sie am folgenden Tage ein Stiergefecht geben wollten, ihren Weg über Don Quixote und Sancho, Rozinante und den Grauen nahmen, indem sie sie zur Erde warfen und über sie hinwegrannten. Sancho war zerquetscht, Don Quixote betäubt, der Graue zerschlagen und Rozinante nicht unbeschädigt; endlich aber standen alle auf, und Don Quixote lief mit großer Eile, bald stolpernd und[400] bald fallend, der Ochsenherde nach und rief mit lauter Stimme: »Haltet an, ihr niederträchtiges Gesindel, denn ein einziger Ritter er wartet euch hier, der nicht die Gesinnung hegt oder der gewöhnlichen Meinung ist, daß man dem fliehenden Feinde silberne Brücken bauen müsse.«
Aber die flüchtigen Renner ließen sich dadurch nicht zurückhalten, auch achteten sie seine Drohungen nicht mehr als die Wolken vom vorigen Jahre; Don Quixote blieb endlich aus Müdigkeit zurück und setzte sich, mehr erbost als gerächt, im Wege nieder, um zu warten, bis Sancho, Rozinante und der Graue zu ihm kämen. Sie kamen; Herr und Diener stiegen wieder auf, und ohne umzukehren, um von dem erdichteten oder nachgeahmten Arkadien Abschied zu nehmen, setzten sie mehr mit Scham als Vergnügen ihre Reise fort.
(Cervantes: Don Quijote 2. Teil 10. Buch 6. Kapitel)

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