12 September 2016

Wie Sancho Pansa zur Erweckung einer Toten beitragen soll

Don Quijote uns Sancho Pansa werden von einer großen Zahl Bewaffneter überwältigt. Da Don Quijote versprochen hat, nicht mehr zu den Waffen zu greifen, kann er sich nicht dagegen wehren.
Sie werden zum herzoglichen Schloss gebracht. Dort finden sie einen Katafalk vor, auf dem  Altisidora liegt, deren Liebesanträge Don Quijote zurückgewiesen hatte. Ein Sänger trägt ein Trauerlied vor, als er plötzlich unterbrochen wird:


»Genug!« rief hierauf einer von denen, die wie Könige aussahen; »genug, göttlicher Sänger, denn es würde kein Ende nehmen, wollten wir uns jetzt den Tod und die Reize der unvergleichlichen Altisidora vorstellen, die nicht tot ist, wie die unwissende Welt glaubt, sondern die durch die Zungen des Ruhms und durch die Strafe lebt, welche, um sie wieder zum Lichte zurückzuführen, Sancho Pansa erleiden wird, der hier gegenwärtig ist; deshalb, o Rhadamanthus, der du mit mir in den dunkeln Höhlen des Pluto richtest, da dir alles bekannt ist, was das unerforschliche Verhängnis beschlossen hat, um diese Jungfrau wieder zu erwecken, sage und verkündige es alsbald, damit das Glück nicht verschoben werde, welches wir von ihrem neuen Erwachen erwarten.«
Kaum hatte Minos, der Richter und Gefährte des Rhadamanthus, dieses gesprochen, als Rhadamanthus aufstand und sagte: »Auf, ihr Diener dieses Hauses, hohe und niedrige, große und kleine, kommt einer nach dem andern und drückt dem Gesichte des Sancho vierundzwanzig Fratzen ein und zwölf Zwicke und sechs Nadelstiche gebt ihm in den Armen und in den Seiten, denn in dieser Zeremonie besteht die Belebung der Altisidora.«
Als Sancho Pansa dies hörte, brach er sein Stillschweigen und sagte: »Ich schwöre, daß ich mir soviel Fratzen aufdrücken oder im Gesicht hantieren lassen werde, wie ich ein Mohr werden will! Bei meiner Seele, was hat denn das Hantieren in meinem Gesichte mit dem Aufleben dieses Mädchens zu tun? Mag der Henker doch den ganzen Kram holen! Dulcinea wird bezaubert, und sie geißeln mich, daß sie entzaubert werde; Altisidora stirbt an einer Krankheit, die ihr Gott zuschickt, und ich soll sie damit erwecken, daß ich mir vierundzwanzig Fratzen aufdrücken und meinen Körper von Nadelstichen durchbohren und meine Arme von Zwicken zerfleischen lasse. Sucht Euch einen andern Spaßvogel, denn ich weiß, was die Glocke geschlagen hat und wo Barthel Most holt.«
»Sterben sollst du«, rief mit lauter Stimme Rhadamanthus; »erweiche dich, Tiger, demütige dich, stolzer Nimrod, dulde und schweige, denn nichts Unmögliches wird von dir gefordert, und unterfange dich nicht, das Unbegreifliche dieses Vorfalls zu ergründen! Du sollst die Fratzen bekommen, du sollst gestochen werden, du sollst gezwickt seufzen. Auf, sage ich, ihr Diener, erfüllt meine Gebote; oder, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, ihr sollt sehen, was daraus entsteht.«
Hierauf sah man über den Hof her sechs Dueñas erscheinen, die wie in einer Prozession eine hinter der andern gingen, vier davon mit Brillen und alle die rechten Arme gerade ausgestreckt, die Ärmel vier Fingerbreit vom Gelenke zurück, um die Hände länger scheinen zu machen, wie es jetzt gebräuchlich ist. Sancho hatte sie nicht so bald wahrgenommen, als er wie ein Stier brüllte und schrie: »Ich will mir von der ganzen Welt im Gesichte hantieren lassen; aber daß Dueñas mich anrühren sollen, das kann ich nicht zugeben! Man mag mir das Gesicht zerkratzen, wie man es meinem Herrn hier im Schlosse getan hat; man mag mir den Leib mit scharfgeschliffenen Dolchen durchbohren; man mag mir die Arme mit glühenden Zangen kneifen, und ich will es mit Geduld ertragen, oder um diesem Herrn gefällig zu sein; aber daß mich Dueñas anrühren, das werde ich nicht zugeben, und wenn mich auch der Teufel holen sollte.«
Auch Don Quixote brach sein Stillschweigen und sagte zu Sancho: »Habe Geduld, mein Sohn, vergnüge diese Herren und sage dem Himmel vielfachen Dank, daß er deiner Person eine solche Kraft mitgeteilt, daß du durch ihre Zermarterung Bezauberte entzaubern und Tote erwecken kannst.«
Die Dueñas waren dem Sancho schon nahe gekommen, und er setzte sich besänftigt und überredet im Sessel zurecht, hielt Gesicht und Bart der vordersten hin, welche ihm eine Fratze derb eindrückte und ihm dann eine tiefe Verbeugung machte. »Weniger Höflichkeit und weniger Schminke, Frau Dueña«, sagte Sancho, »denn, bei Gott, Ihr habt Hände, die nach Weinessig riechen.«[479]
Hierauf drückten ihm alle Dueñas das Gesicht zusammen, und viele Leute aus dem Hause zwickten ihn; was er aber nicht aushalten konnte, war das Stechen mit den Nadeln, sondern er stand wütend vom Stuhle auf und nahm eine brennende Fackel, womit er auf die Dueñas und alle seine Peiniger schlug, und laut rief: »Fort, ihr Diener der Hölle, denn ich bin nicht von Erz, um diese ungeheuern Zermarterungen nicht zu fühlen.«
Altisidora, die wohl müde sein mußte, so lange ausgestreckt zu liegen, kehrte sich indessen nach der Seite; als dieses die Umstehenden sahen, riefen alle aus einem Munde: »Altisidora lebt, es lebt Altisidora!« Rhadamanthus befahl dem Sancho, seinen Zorn zu besänftigen, denn die beabsichtigte Wirkung sei nun schon erreicht. Wie Don Quixote sah, daß Altisidora sich rührte, kniete er vor Sancho nieder und sagte zu ihm: »Jetzt ist es Zeit, o mein Herzenssohn und nicht mein Stallmeister, daß du dir einige von den Streichen gebest, die du dir wegen der Entzauberung der Dulcinea geben mußt. Jetzt, sage ich, denn jetzt ist die Zeit, in welcher deine Kraft am wirksamsten ist und in der sie das Glück hervorbringen wird, welches ich von dir erwarte.«
Worauf Sancho antwortete: »Ja, ja, aus dem Regen in die Traufe, und hier kann man wohl mit Recht sagen, dem Reichen wird gegeben; das wäre schön, wenn nun noch nach diesen Zwicken, Fratzen und Stichen die Hiebe kommen sollten; nun fehlt nichts weiter, als daß man einen großen Stein nimmt und mir den um den Hals bindet und mich so vollends in einen Brunnen schmeißt, worüber ich mich auch nicht sonderlich grämen würde, wenn ich, um andere zu kurieren, immer der Pfingstochse sein muß. Laßt mich gehen, oder, bei Gott, ich schmeiße den ganzen Kram in den Dreck, mag doch dann draus werden, was will.«
Altisidora hatte sich indessen auf ihrem Grabmale schon hingesetzt, und zugleich erklangen Hoboen, von Flöten und den Stimmen aller begleitet, welche riefen: »Es lebe Altisidora! Altisidora lebe!«
Die Herzoge standen auf, auch die Könige Minos und Rhadamanthus, so wie alle übrigen, nebst Don Quixote und Sancho, um Altisidora zu empfangen und sie vom Grabmale heruntersteigen zu lassen, welche die noch halb Ohnmächtige spielte und sich gegen die Herzoge und gegen die Könige verneigte, den Don Quixote aber von der Seite ansah und zu ihm sagte: »Gott vergebe dir, unliebender Ritter, denn durch deine Grausamkeit bin ich in der andern Welt gewesen, und, wie es mir scheint, über tausend Jahre; dir aber, mitleidigster Stallmeister, der auf dem Erdkreise zu finden ist, verdanke ich das Leben, welches ich besitze. Du hast von heute an, liebster Sancho, über sechs von meinen Hemden zu befehlen, die ich dir schenke, um dir sechs andere für dich daraus machen zu lassen, welche, wenn auch nicht durchaus ganz, doch wenigstens alle rein sind.«
Sancho küßte ihr dafür die Hände, mit der Mütze in der Hand und den Knien auf der Erde. Der Herzog befahl, sie ihm abzunehmen und ihm seinen Hut wiederzugeben, auch sollten sie ihm seinen Rock geben und das Kleid mit Flammen wieder ausziehen. Sancho bat den Herzog, ihm das Kleid und die Mütze zu lassen, denn er wolle sie zum Andenken und zum Wahrzeichen einer so unerhörten Begebenheit mit nach Hause nehmen. Die Herzogin antwortete, er möge sie behalten, denn er wisse wohl, daß sie seine große Freundin sei. Der Herzog befahl, den Hof aufzuräumen und daß alle sich auf ihre Zimmer begäben, Don Quixote und Sancho möchten sie aber auf diejenigen führen, die sie schon als die ihrigen kannten. (Cervantes: Don Quijote 2. Teil 11. Buch 4. Kapitel)

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