11 September 2016

Silke Scheuermann: Wovon wir lebten

Hinweisen möchte ich auf Silke Scheuermann: Wovon wir lebten schon bevor ich den Roman gelesen habe. Als so überzeugend empfinde ich die Kritik von Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau.
"[...] „Wovon wir lebten“ ist glücklicherweise wirklich sehr weit entfernt von einem lustigen, tragischen, überkandidelten (und leicht verfilmbaren) Coming-of-Age-Roman – obwohl es neben lustigen und tragischen auch überkandidelte Szenen gibt, schon durch den Drogenkonsum. Stattdessen hat Silke Scheuermann offensichtlich den guten alten Entwicklungsroman im Sinn, gar den Erziehungsroman. [...]
Als Marten für einige Tage in Haft muss – nach einem Gerangel wird gleich Einzelhaft daraus –, hat er nur ein einziges Buch dabei, rasch noch aus dem Regal der Mutter gezogen. „Charles Dickens. Erwartungen, nein: Große Erwartungen. Irgendwie ironisch. ... Gebe ich diesem Dickens also eine Chance. Quäle ich mich durch die erste Seite. Es geht um einen Jungen, der sich auf einem Friedhof herumtreibt. Okay. Auf dem Friedhof liegen nicht nur seine Eltern, sondern auch, unter kleineren Steinen begraben, seine fünf Brüder. Fünf! Na toll, das macht richtig Laune.“ [...]
„Große Erwartungen“ ist eine grandiose Folie, die Motive aus „Wovon wir lebten“ zum Leuchten bringt – Kleinigkeiten wie Angewohnheiten, böse Blicke, Berufswahl, Todesursachen, aber auch die Konstruktion als solche, das Epische, das man von Silke Scheuermann bisher überhaupt nicht gewöhnt ist. Aber mehr als eine Folie soll der Roman nicht sein, [...]
„Wovon wir lebten“ ist zudem (wieder) ein solider, die Zeitläufte aufmerksam beobachtender Offenbach- und Frankfurt-Roman. Der Trend zum Osten wird literarisch manifestiert. Man kann Marten ins Robert Johnson begleiten und mit ihm ein hippes Restaurant auf der Hanauer Landstraße aufmachen. [...]"

Dem, der Dickens: Great Expectations (dt. Große Erwartungen) zuerst lesen will, kann ich nicht davon abraten. Doch von Sternburg meint dazu: " „Wovon wir lebten“ ist weder eine Nacherzählung noch eine unmittelbare Modernisierung. Nichts ist enthalten, was man nicht auch ohne „Große Erwartungen“ verstehen könnte."

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