Hier der Schluss:
"Zum Schluss reflektiert Marcuse, warum einer sein Leben erzählt (S. 383 ff.). Dazu findet er mehrere Gründe, wie es sich für einen Skeptiker gehört, und er legt sich für sich selber auf keinen fest.
Fazit: ein Buch, das zu lesen sich lohnt, wenn man viel Zeit aufwendet und immer wieder in der Wikipedia unbekannte Namen nachschlägt."
Denn die Haltung, mit der Marcuse auf die beiden vergangenen Jahrhunderte zurückblickt, eröffnet Einsichten, die man ohne Zeitgenossenschaft sonst auch durch die Lektüre vieler anderer Werke kaum erwerben kann. Denn Marcuse versucht gerade nicht, mit vielen berühmten Namen zu imponieren, sondern macht seine ganz persönliche Beziehung zu wichtigen Persönlichkeiten deutlich.
Mehr dazu bei norberto42 und in den folgenden Zitaten:
"Ich erzähle aber nicht weiter, weil das Leben bisweilen eine hässliche Neigung zeigt, nach dem Happy End nicht den Vorhang fallen zu lassen." (S.202)
"In einem populären Führer las ich: "Vor der Ankunft der Missionare aus Neu-England hatten die Hawaiier eine Religion, die wir für Aberglauben halten."
Die amtliche Skepsis gegenüber dem Unterschied von Glauben und Aberglauben verlockt mich, zu denken, dass sogar die offizielle Touristen-Literatur sich dem Paradiesischen nähert." (S. 323)
"Der fünfzigste amerikanische Staat hat zwei Vorgeschichten und eine Historie. Was noch auf die Zeit vor Adam zurückgeht, sieht man sehr gut vom Flugzeug aus und noch besser im Museum. Man schaut aus dem Flugzeug: tote Krater, erloschene Lava, ausgestorben, nackt, eine Felsen-Wüste. Im Museum, vor dem Glaskasten, sieht man tiefer: über dem Glas unsere Inselchen – I-Pünktchen im Verhältnis zu dem, was vom Meeresgrund heraufwuchs: ein gewaltiges vulkanisches Gebirgsmassiv, 1600 Meilen lang, das nur an einigen winzigen Stellen das Licht des Tages erblickte.
Vorgeschichte zwei: Auf diesen I-Pünktchen, die sich inzwischen ganz gut herausgemacht hatten, landeten vor tausend Jahren Leute aus Tahiti [...]
"Der fünfzigste amerikanische Staat hat zwei Vorgeschichten und eine Historie. Was noch auf die Zeit vor Adam zurückgeht, sieht man sehr gut vom Flugzeug aus und noch besser im Museum. Man schaut aus dem Flugzeug: tote Krater, erloschene Lava, ausgestorben, nackt, eine Felsen-Wüste. Im Museum, vor dem Glaskasten, sieht man tiefer: über dem Glas unsere Inselchen – I-Pünktchen im Verhältnis zu dem, was vom Meeresgrund heraufwuchs: ein gewaltiges vulkanisches Gebirgsmassiv, 1600 Meilen lang, das nur an einigen winzigen Stellen das Licht des Tages erblickte.
Vorgeschichte zwei: Auf diesen I-Pünktchen, die sich inzwischen ganz gut herausgemacht hatten, landeten vor tausend Jahren Leute aus Tahiti [...]
Ein Volk aber, das keine Historiker hat, hat auch keine Geschichte. (S. 324)
"Die Weltgeschichte scheint die Insulaner fast tausend Jahre lang in Frieden gelassen zu haben, bis ein Engländer entdeckte, auf was er gar nicht aus war (wie Kolumbus und manche andere große Entdecker). Im Jahre 1778 segelte Kapitän Cook, der so angesehen war, dass während des englisch-amerikanischen Krieges die Feinde seines Landes seine Schiffe unbehelligt ließen, im Pazifik herum. Er suchte, wie mancher Zeitgenosse, die Nordwest-Passage, die nördliche Durchfahrt zwischen der Neuen Welt und Asien. Da stieß er aus Versehen auf die Insel Kauai. Man ist also erst kurze Zeit in dem Bereich, den wir reichlich übertrieben Weltgeschichte nennen." (S. 325)
"Der Stille Ozean ist immer noch das weiteste Wasser der Welt, auch wenn ich mit einer Studentin aus Indochina über Max Scheler spreche. Aber da gibt es neun Inseln zwischen Kalifornien und Korea – sie sind nicht ein Treffpunkt, sondern eine Lebensgemeinschaft der Rassen. Und es ist vielleicht nicht ganz unerlaubt, auf diesen Inseln in der vorwegnehmenden Phantasie eine Welt anzusiedeln, die schon einmal da war: vor dem Turmbau zu Babel." (S.327)
"Wie sehr die individuelle Geschichte des Körpers eines der tabuisiertesten Themen der Darstellung und Selbstdarstellung ist, zeigt gerade Sigmund Freud. Indem er die genitale Sphäre nobilisierte zugunsten [gemeint: zuungunsten] der anderen Körperlichkeiten, trug er nicht wenig dazu / bei, das literarische Ignorieren zu rechtfertigen, das den nicht-genitalen Funktionen zuteil geworden ist. Und selbst die Literatur, die dem Sexus gewidmet wurde – von Apulejus und Lukian bis zu Wieland, D.H. Lawrence und Henry Müller – ist recht ähnlich. Bisweilen wurden die kräftigsten Vokabeln der kräftigsten Brautnächte gedruckt; aber das ist doch nicht mehr, als was auf Alt-Herren-Abenden (und nicht nur dort) in ewiger Monotonie herausgelassen worden ist. Das sehr profilierte Leben eines individuellen Geschlechts findet sich auch bei den Klassikern der erotischen Literatur kaum. Mich aber hat es nicht gelockt, orgiastisches Geflüster wieder einmal gedruckt zu sehen – und mehr habe ich nicht gewagt.
Ich hab’s erst recht nicht gewagt, die soziale Geschichte meines Fleisches aufzuschreiben: seine Wirkung mit zehn, zwanzig, dreißig, vierzig ... auf Männer, Frauen und Kinder, auf Aristokraten, Bürger und Dienstmädchen. Die Wirkung (vielmehr: die Vorstellung davon) ist eine der mächtigsten Triebkräfte in jedem Leben." (S.387/389) [Seitenangaben nach der gebundenen Ausgabe von 1960]
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