01 März 2020

Fanny Lewald: Italienisches Bilderbuch,, Erste Eindrücke von Italien

Am Simplontunnel

"Nicht fern von dem Hospiz, das auf der Höhe liegt, passiert man eine jener Galerien, die durch den Fels gesprengt sind. In der Mitte der einen Wand ist ein großer Quaderstein eingemauert, der folgende Inschrift trägt: »Aera Italica. Napol. Imperat. 1805.« Ein Pole, der in der Reisegesellschaft war, jauchzte auf. Meine Seele neigte sich vor dem Riesengenius des Kaisers. Es macht stolz und freudig, wenn man sieht, wie der Wille des Menschen die Naturgewalten bändigte hier gerade an dieser Stelle, wo unter der Brücke von Gondo einer der gewaltigsten Wasserfälle sich donnernd in die Tiefe stürzt. [...]
Paß- und Douanebeamte empfingen uns am Landungsplatze und geleiteten uns in einen großen, wüsten Schuppen, wo unsere Pässe und Sachen visitiert werden sollten. Dies muß man sich gefallen lassen, das ist ganz in der Ordnung und wird es bleiben, solange Regierung und Volk sich ebenso wie die verschiedenen Staaten untereinander als feindliche Mächte betrachten. [...]
Aber in Italien lernt man die Paßbüros und Zollämter als Institute kennen, die ihren Beamten all die Freiheit gönnen, welche den Reisenden entzogen wird. Die Beamten kommen und gehen, sind abwesend oder in den Büros anwesend, je nachdem es ihnen gut scheint.

Mailand

"Der Charakter Mailands, wie er mir an jenem Morgen erschien und sich mir später immer mehr herausstellte, ist der einer ruhigen, modernen Vornehmheit, wie man sie in deutschen Residenzen findet. Man sieht weder Handel noch Gewerbe, es ist reinlich und verhältnismäßig still für die Menschenmasse, die sich in den Straßen bewegt. In den Hauptstraßen ist die Mehrzahl der Häuser groß und stattlich, mit Höfen in der Mitte, um welche die Häuser im regelmäßigen Viereck gebaut sind. Die Gebäude sind wohlerhalten, die Fenster nach der Straße mit Vorhängen geschlossen, während wir, in das Innere hineinblickend, schöne Frauen an den Balkontüren und häusliches Treiben oder elegante Dienerschaft auf den Höfen sahen. Diese geschlossenen Fenster geben der Stadt etwas Unbelebtes, das durch die Stille erhöht wird. Die Straßen sind mit kleinen Kieseln gepflastert, für die Fußgänger Trottoirs, für die Wagen Reihen von großen Sandsteinquadern, auf denen sie geräuschlos dahinrollen. [...]
Die Leute bewegten sich so leise und schweigend, als ob sie in einem Krankenzimmer wären."
(Fanny Lewald: Italienisches Bilderbuch, 1847)

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