09 Mai 2020

Fanny Lewald: Italienisches Bilderbuch - Eine Soiree

Wahrhaft schöne und förderliche Geselligkeit ist nur möglich in freien Ländern, das heißt jene Geselligkeit, durch welche das geistige Leben zu erhöhter Tätigkeit angeregt wird.

Tanzen und den Frauen schmeicheln, Karten spielen, dinieren, rauchen und trinken kann man überall, so gut in Rußland als in Deutschland und in Italien. Aber alle diese Vergnügungen halten nicht dauernd vor, sie sind kein rechtes Bindungsmittel für die einzelnen, es liegt kein wahrhaftes Interesse darin für denjenigen, der von seiner Zeit mehr fordert, als daß sie ihm so schnell als möglich vergehe. Die Bessren unter uns sind längst aus der Kindheit des Menschenalters zur Männlichkeit desselben übergegangen und verlangen auch von ihrer Erholung einen gewissen geistigen Ernst, dem deshalb die verschönende Grazie der Heiterkeit und des geselligen Verkehrs nicht zu fehlen braucht.

Die Italiener haben von ihrer Vergangenheit die schönsten, leichtesten Umgangsformen ererbt. Sie sind Kinder einer vornehmen Familie, wohlerzogen und edel gewöhnt. Sie wären imstande, eine vortreffliche Geselligkeit in sich auszubilden, hätten sie geistige Motive, durch die sie als »Gesellschaft« geistig zusammengehalten würden. Aber in Italien ist der Geist und mit ihm das Leben der Gesellschaft gewaltsam in Fesseln geschlagen worden, und die Gesellschaft macht den Eindruck jener unbewohnten Prachtpaläste, deren mit Staub bedeckte Bilder und Möbel trotz ihres noch vorhandenen Reichtums traurig und veraltet erscheinen. In Frankreich führen politische, religiöse und literarische Interessen die verschiedenen Parteien zusammen, weil man sich über alle diese Gegenstände frei unterhalten kann; weil ein Wort oft schneller Mißverständnisse und Zwiespalt beendet als bogenlange Broschüren und Kontroversen, weil die Meinungsverschiedenheit, welche sich in freier Unterhaltung kundgibt, eine immer neue Quelle der Anregung und des Fortschrittes wird. In Italien aber ist eine solche geistig bewegende Geselligkeit in großem Maßstabe unmöglich. Es gibt Männer genug, die mit wachem Auge, mit hoffender Seele der freien Bewegung und dem Fortschritte des Auslandes folgen und ihn für Italien herbeisehnen; aber nicht nur ihre Tat ist gefesselt, sondern auch ihr Wort. Die Gesellschaft wird unsichtbar überwacht, selbst auf die Fremden erstreckt sich diese Aufmerksamkeit. Der Salon einer Italienerin aus großer Familie, welcher den Ausländern leicht geöffnet ward, sollte, so behauptete man, von päpstlichen Geldern unterhalten werden und die Hausfrau im Dienste der Polizei stehen. Ein geistreicher Abbate nannte mir einen Chevalier, welcher Ritter der höchsten päpstlichen Orden war, als einen Spion; ein Deutscher, lange ansässig in Italien, warnte mich vor dem Abbate mit ähnlichen Bezeichnungen. Ob eine der angeschuldigten Personen diesen Vorwurf verdiente, lasse ich dahingestellt sein; indes der bloße Gedanke, man werde überwacht, es gebe Spione, muß für Menschen, welche irgendein inneres Leben haben, hinreichend sein, sie von der Gesellschaft zurückzuscheuchen. Wie leicht es aber ist, in einem Lande Spione zu erwerben, in dem jeder freisinnig religiöse Gedanke eine Ketzerei und jeder, welcher diese enthüllt, ein gottgefälliges Werkzeug ist, das läßt sich leicht berechnen.
Im ganzen leben die Italiener des Bürgerstandes, die Beamten und der niedere Adel nur unter sich, und die Fremden gleichen Ranges kommen nur ausnahmsweise mit ihnen in Berührung. Unter der Aristokratie der verschiedenen Nationen ist der Verkehr wohl lebhafter, beschränkt sich aber auch dort auf Einladungen zu Festen und Bällen, zur Loge und zu einer Corsofahrt. Das Innere des Familienlebens bleibt den Fremden verschlossen. Zu einer rechten geistigen Annäherung kommt es deshalb selten; um so mehr, als man über die tieferen Interessen, über religiöse, soziale, politische und literarische Fragen in der Gesellschaft die Unterhaltung absichtlich vermeidet, weil dies leicht in verbotene Gebiete hinüberstreifen könnte.
So habe ich, wenn ich bisweilen im Kreise von Italienern war, das Gespräch sehr oberflächlich gefunden, anmutig spielend in dem Scherz einer herkömmlichen Galanterie, in welchem namentlich die Geistlichkeit ziemlich frei ist, und die Tagesereignisse behandelnd in der Art einer Hofzeitung. Das Kommen und Gehen fürstlicher Personen, Veränderungen im genealogischen Kalender, Wassersnot, Kornteuerungen und Feuersbrünste, Theater, Sängerinnen und vor allen Dingen das Ballett, das sind die Achsen, um welche sich die Unterhaltung bewegt. Nur hie und da findet man eine Gruppe, welche leise flüsternd wichtigere Gegenstände behandelt, und von einer solchen erfährt man gelegentlich Nachrichten, die nicht aus den Büchern und Schriften geschöpft sind, welche die Zensur passieren. Man sagte mir, daß die Kardinäle im Besitze aller verbotenen Schriften seien und daß man sie sich auch hier wie überall durch Unterschleif zu schaffen wisse. Es ist aber doch etwas anderes um den freien Mann, welcher sein Stück gesundes Brot im Sonnenschein vor seiner Haustüre ruhig genießt, oder den Unglücklichen, der die gestohlene Frucht scheu im Dunkel eines Winkels verschlingt. [...]
Dann wendete er sich zu meiner Nachbarin, welche von dem bevorstehenden Karneval sprach, und machte uns Vorschläge, den Corso einmal zu Fuß zu besuchen. Die Dame, eine Italienerin, schalt ihn, daß er ihr dergleichen zumute, und ich sagte, wie ich von andern gehört, daß keine ehrbare Frau der höhern Stände dies täte. »Bah!« meinte ein Abbate, »man gesteht es nicht ein, aber man tut es.« »Das ist eine bequeme Moral!« »Und ebendarum eine weitverbreitete«, sprach lachend Monsignore L. »Den Frauen dünkt der Karneval nur darum so paradiesisch, weil sie dabei die verbotene Frucht der Freiheit pflücken. Es hat doch jede einen Mann, einen Bruder, einen Freund, den sie einmal unsichtbar überwachen, dessen Verbindungen sie kennen möchte, um danach für den Rest des Jahres ihre Maßregeln zu nehmen.«
(Fanny Lewald: Italienisches Bilderbuch  -  Eine Soiree )

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