15 Mai 2020

Pompeji und Herculanum

Gleich dem weisesten Künstler liebt es die Natur, bisweilen durch das Zusammenstellen greller Gegensätze eine bedeutende Wirkung, einen besondern Eindruck hervorzubringen; so hat sie neben dem lebensprudelnden Neapel Herculanum und Pompeji verschüttet, ein mahnendes Memento mori! [...]
 Resina ist über den Trümmern von Herculanum gebaut. Man steigt eine Treppe hinab durch kellerartige Gänge, um in das verschüttete Theater zu kommen, wie man ebenfalls eine lange, schmale Straße abwärts geht, die ausgegrabenen, dem Sonnenlicht wiedergewonnenen Stadtteile von Herculanum zu sehen. Der Eindruck, welchen das verschüttete Theater gewährt, ist einer der entsetzlichsten, die man sich zu denken vermag. Unsere Führer gingen uns die hohe Treppe hinunter mit Fackeln voraus. Es war feucht und kalt in den Gewölben; Todesschauer schienen darin zu wohnen; immerfort wähnte ich, der Angstschrei der Menschen müsse ertönen, die hier, im Theater versammelt, ihr Ende fanden, als das Unheil hereinbrach. [...]
Zwischen diesen Säulen, zwischen dem Schmuck und der Pracht eines durch Kunst verfeinerten Lebens, in dem der menschliche Geist sich schöpferisch tätig bewies, brach sich die wilde Naturgewalt verräterisch ihren zerstörenden Weg. Die kleinsten Zwischenräume, die geringsten Lücken des Baues sind mit der erstarrten, schwarzen Lava ausgefüllt, ein menschliches Gebiß sah an einer Stelle zähnefletschend daraus hervor, ein grauenhafter Anblick. Alles Interesse an dem Bau, an dem Altertume verschwand in mir vor der Idee dieses furchtbaren Ereignisses. Ich atmete erst auf, als ich dies Riesengrab verlassen hatte und mich im Sonnenlicht dem Leben angehörend empfand. [...]
Hätten wir nicht so große Freude am Dasein, faßte uns das Glück der Gegenwart nicht in seiner ganzen ausfüllenden Seligkeit, wir könnten, in jedem Augenblick von Todesgefahr umgeben, uns des Lebens niemals erfreuen. So unerläßlich, so notwendig erscheint uns unsere Existenz, daß wir den Tod vergessen und leben müssen, als ob das Dasein kein Ende nähme, wenn wir Großes leisten oder auch nur das Leben genießen sollen. Diese zuversichtliche Sorglosigkeit tritt nirgends auffallender hervor als hier in den verschütteten Städten. Zwischen dem Theater und den ausgegrabenen Teilen von Herculanum zieht sich eine Straße von Resina hin. Rechts und links die Bilder des entsetzlichsten Verderbens, hoch über der Stadt die Rauchsäule des Flammenberges, und wohin man in Resina blickt, die sicherste Lebensgewißheit.

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