16 Januar 2022

Multatuli über sein Werk Max Havelar

"Ja, ich, Multatuli, »der ich viel getragen habe,« ich nehme jetzt die Feder in die Hand! Ich verlange keine Nachsicht für die Form meines Buches ... diese Form schien mir geeignet, mein Ziel zu erreichen.

Dies Ziel ist doppelt.

Zum ersten wollte ich etwas schaffen, was als heilige Pusaka wird bewahrt werden können von dem »kleinen Max« und seinem Schwesterchen, wenn ihre Eltern werden umgekommen sein vor Elend.

Ich wollte diesen Kindern einen Adelsbrief geben von meiner Hand.

Und zum zweiten: ich will gelesen werden!#

Ja, ich will gelesen werden! Ich will gelesen werden von Politikern, deren Pflicht ist, auf die Zeichen der Zeit zu achten, – von Litteraten, die doch wohl auch einmal das Buch zur Hand nehmen müssen, von dem man so viel Schlechtes spricht; – von Händlern, die Interesse haben an den Kaffeeversteigerungen; – von Kammerjungfern, die mich für wenige Cent aus der Leihbibliothek entnehmen, – von General-Gouverneuren im Ruhestande und von Ministern im Amte, – von den Lakaien dieser Excellenzen, – von Bittpredigern, die »nach altem Brauche« sagen werden, daß ich den allmächtigen Gott angreife, wo ich doch nur gegen den Gott ausstehe, den sie sich machten nach ihrem Vorbild, – durch die Mitglieder der Volksvertretung, die wissen [292] müssen, was da vorgeht in dem großen Reiche über See, das gehört zu dem Reiche Niederland ..

Ja, ich werde gelesen werden!

Wenn das Ziel erreicht ist, werde ich zufrieden sein. Denn es war mir nicht darum zu thun, gut zu schreiben – ich wollte schreiben, sodaß es gehört wird; – wie einer, der »Halt den Dieb!« ruft, sich wenig um den Stil seiner improvisierten Anrede an das Publikum kümmert, so ist es auch mir ganz gleichgültig, wie man die Art und Weise beurteilen wird, auf die ich mein »Halt den Dieb!« hinausgeschrien habe.

 »Das Buch ist bunt zusammengewürfelt – es fehlt an Disposition – Effekthascherei – der Stil ist schlecht – der Schreiber ist ein Anfänger – kein Talent – keine Methode –«

Schön! schön! alles sehr schön – aber der Javane wird mißhandelt!

Denn eine Widerlegung der Tendenz meines Werkes ist unmöglich!

Je lauter übrigens der Tadel, die Mißbilligung meines Buches, je lieber soll es mir sein, desto größer wird ja die Aussicht, gehört zu werden – und das will ich. 

Doch ihr, die ich störe in eurer »Überlastung« und in eurer »Ruhe,« Minister und General-Gouverneure! rechnet nicht so stark auf die Ungeübtheit meiner Feder. Sie kann sich vielleicht noch üben, und mit einiger Anstrengung kann sie es vielleicht zu einer Fertigkeit bringen, die dem Volk selbst die Wahrheit glaubhaft machen könnte. Dann werde ich vielleicht das Volk um einen Sitz in der Volksvertretung bitten, und wäre es auch nur, um die Zeugnisse der Rechtschaffenheit zu beleuchten, die die indischen Spezialitäten und Autoritäten sich gegenseitig austeilen, vielleicht um sich schließlich den sonderbaren Gedanken einzuimpfen, daß sie selber auf diese Qualität Wert legen; – um zu protestieren gegen die endlosen Feldzüge und Heldenthaten gegen arme elende Geschöpfe, die man vorher durch Mißhandlung zum Aufstand zwang; – um zu protestieren gegen die schandbare Feigheit der Cirkulare, die die Ehre der Nation beflecken, indem sie die öffentliche Liebesthätigkeit aufrufen für die Opfer des chronischen Seeraubs!

Freilich, die Aufständischen waren arme verhungerte Gerippe und die Seeräuber sind wehrhafte Männer ...[293]

Und wenn man mir den Sitz verweigerte – wenn man mir fortgesetzt nicht glaubte? ...

Dann werde ich mein Buch übersetzen in die wenigen Sprachen, die ich kenne – und in die vielen, die ich noch lernen kann, und ich werde von Europa verlangen, was ich in Niederland vergeblich gesucht habe.

Und in allen Hauptstädten werden Lieder gesungen werden mit Refrains wie der:

»Es liegt ein Raubstaat an der See, zwischen Ostfriesland und der Schelde!«

Und wenn das auch nicht hülfe? ...

Dann werde ich mein Buch übersetzen in das Malayische, Javanische, Sundasche, Alfursche, Bugineesche, Battahsche ...

Und ich werde Klewang-wetzende Kriegslieder in die Gemüter der Märtyrer werfen, denen ich Hilfe zugesagt habe, ich, Multatuli.

Rettung und Hilfe, auf rechtmäßigem Wege, wenn es sein kann, – auf dem gesetzlichen Wege der Gewalt, wenn es sein muß.

Und das würde dann sehr nachteilig wirken auf die Kaffeeversteigerungen der Niederländischen Handelsgesellschaft!

Denn ich bin kein fliegenrettender Dichter, kein sanfter Träumer, wie der getretene Havelaar, der seine Pflicht that mit Löwenmut, und Hunger litt mit der Geduld eines Murmeltiers im Winter.

Dies Buch ist eine Einleitung ...

Ich werde zunehmen an Kraft und Waffen, je nachdem es nötig sein wird.

Gebe Gott, daß es nicht nötig sei! ...


* * *


Nein! es wird nicht nötig sein! Denn vor Dir lege ich mein Buch nieder, Willem der Dritte, König, Großherzog, Prinz – mehr als Prinz, Großherzog und [294] König: Kaiser des prächtigen Reiches Insulinde, das sich, wie ein Gürtel von Smaragd, um den Äquator schlingt! ...

Dich frage ich mit Vertrauen, ob es Dein kaiserlicher Wille ist:


Daß die Havelaar beschmutzt werden durch den Schlamm der Slijmeringe und Droogstoppel; –


und daß da drüben Deine mehr als dreißig Millionen Unterthanen mißhandelt und ausgesogen werden in Deinem Namen? ...[295]" (20. Kapitel)

"The Lebak Regency is the Regency to which the Dutchman Eduard Douwes Dekker, better known by his pseudonym (Multatuli), was appointed in 1856 as Assistant Resident. Douwes Dekker observed that the local regent exploited the local population and requested his removal. He made a few mistakes in this. He bypassed his direct chief and overlooked the size of abuse by the regent. The regent being of local nobility but paid the colonial government was regularly in poor circumstances having to keep up with demands of patronage for his large family, according to the adat, the traditional law. Bad practices were known and condoned to a certain extent by the colonial administration. Governmental research that same year showed however more serious abuse by the lesser local officials. The Governor-General disapproved of Dekker's tactless conduct and ordered his replacement, which Dekker refused. He resigned after three months of duty in Lebak. Home he published four years later 'Max Havelaar, or the Coffee Auctions of the Dutch Trading Company', a pamphlet-novel, which had great influence on later administrators, less by force of analysis than by the vigour of its language, setting a new standard for Dutch literature." (Lebak)


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