16 Januar 2022

Max Havelaar (Einführung sowie Kapitel 1-2)

Multatuli (Eduard Douwes Dekker) "<: span="">Unter dem Pseudonym Multatuli veröffentlichte er Bücher, die sich kritisch mit der Kolonialpolitik, aber auch – zum Teil sehr sarkastisch in Form von Parabeln – mit Autorität, Religion und Kirche auseinandersetzten. Er veröffentlichte unter diesem Pseudonym, da er infolge seiner sehr kritischen Schilderungen der Verhältnisse in den niederländischen Kolonien Repressalien fürchtete. Sein bekanntestes Werk ist der 1860 in Brüssel erschienene Roman Max Havelaar oder Die Kaffeeversteigerungen der Niederländischen Handelsgesellschaft." (WikipediaMultatuli))

Kurzkostprobe:

Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der Niederländischen Handels Gesellschaft (http://www.zeno.org/Literatur/M/Multatuli/Roman/Max+Havelaar+oder+die+Kaffee-Versteigerungen)

"Buch und Hauptfigur sind in den Niederlanden bis heute sehr populär; der „Max Havelaar“ gilt heute als das wichtigste niederländische Buch seiner Zeit. Seinen literarischen Rang verdankt der „Havelaar“ paradoxerweise dem Umstand, dass er nicht nur Literatur ist: Indem Multatuli die Form des Romans auf den letzten Seiten durchbricht, wächst er über die Nachahmung literarischer Vorbilder und über seine Zeit hinaus" (Wikipedia: Max Havelaar).

Der ungewöhnliche Roman beginnt mit einer Rahmenerzählung, deren Erzähler in satirischer Übertreibung deutlich macht, dass er mit der Haupterzählung nichts zu tun hat. Sie sei ihm von einem ehemaligen Klassenkamerad zugespielt worden, zu dem er keinerlei Verständnis mehr habe (obwohl er ihm damals geholfen hat), weil er arm geworden sei. Denn für sein Schicksal sei man immer selber schuld.

"Ich bin Makler in Kaffee, und wohne auf der Lauriergracht Nummer 37. Es ist eigentlich nicht mein Fall, Romane zu schreiben oder dergleichen, und es hat auch ziemlich lange gedauert, bis ich mich entschloß, ein paar Ries Papier extra zu bestellen und das Werk anzufangen, das ihr, liebe Leser, soeben zur Hand genommen habt, und das ihr lesen müßt, ob ihr Makler in Kaffee seid, oder ob ihr irgend etwas anderes seid. Nicht allein, daß ich niemals etwas geschrieben habe, was nach einem Roman aussah – nein, ich bin sogar nicht einmal ein Freund davon, solches Zeug zu lesen, denn ich bin ein Geschäftsmann. Seit Jahren frage ich mich, wozu so etwas gut sein kann, und ich stehe verwundert über die Unverschämtheit, mit der die Dichter und Romanerzähler euch allerlei weißmachen dürfen, was niemals geschehen ist, und was überhaupt niemals vorkommen kann. Wenn ich in meinem Fach – ich bin Makler in Kaffee und wohne auf der Lauriergracht Nummer 37 – einem[13] Prinzipal – ein Prinzipal ist jemand, der Kaffee verkauft – eine Deklaration machte, in der nur ein kleiner Teil der Unwahrheiten vorkäme, die in Gedichten und Romanen die Hauptsache sind, er würde zur Stunde sicher Büsselinck & Waterman nehmen. Das sind auch Makler in Kaffee, doch ihre Adresse braucht ihr nicht zu wissen. Ich passe deshalb wohl auf, daß ich keine Romane schreibe oder andere falsche Angaben mache.

Ich habe auch die Erfahrung gemacht, daß Menschen, die sich mit so etwas einlassen, meistenteils schlecht wegkommen. Ich bin dreiundvierzig Jahre alt, seit zwanzig Jahren besuche ich die Börse, und ich kann daher wohl vortreten, wenn man jemand ruft, der Erfahrung hat. Ich habe schon etwas von Häusern fallen sehen! Und meistens, wenn ich der Sache nachging, kam es mir vor, daß der Grund in der verkehrten Richtung lag, die die meisten in ihrer Jugend empfingen.

Ich sage: Wahrheit und gesunder Menschenverstand, und dabei bleib ich. Für die heilige Schrift mache ich natürlich eine Ausnahme. Der Unsinn beginnt schon mit van Alphen, und gleich bei der ersten Zeile über die »lieben Kleinen«. Was Teufel kann den alten Herrn veranlassen, sich für einen Anbeter meiner Schwester Trude auszugeben, die schlimme Augen hatte? Oder meines Bruders Gerrit, der immer die Finger in der Nase hatte? – und doch sagte er: »daß er die Verschen sang, durch Lieb' dazu gedrungen.« Ich dachte mir oft als Kind: »Mann, ich möchte dich gern einmal treffen, und wenn du mir dann die Marmeln abschlägst, um die ich dich bitten will, oder meinen Namen in Zuckergebäck – ich heiße Batavus – dann halte ich dich für einen Lügner.« Aber ich habe van Alphen niemals gesehen.[14] Er war, glaube ich, schon tot, als er uns erzählte, daß mein Vater mein bester Freund wäre, – ich hielt Paulchen Winser mehr dafür, der in unserer Nähe wohnte, in der Batavierstraat; – und daß mein kleiner Hund so dankbar wäre, – wir hielten keine Hunde, weil sie so unreinlich sind.

Alles Schwindel. So geht nun die Erziehung weiter. [...] (1. Kapitel)


Kurzinhalt: Herr Batavus Droogstoppel thut einen großen Schachzug gegen die Konkurrenz. Er trifft einen alten Bekannten, der sich gern in Sachen mischte, die ihn nichts angingen z.B. das Abenteuer mit dem Griechen.


Es war flau auf der Börse, die Frühjahrsversteigerung muß es wieder gutmachen. Denkt nicht, daß bei uns kein Umsatz ist – bei Büsselinck & Waterman ist es noch flauer. Es ist eine sonderbare Welt; man erlebt schon was, wenn man so an zwanzig Jahre die Börse besucht. Denkt euch, daß sie danach getrachtet haben – Büsselinck & Waterman, meine ich – mir Ludwig Stern abzunehmen. Da ich nicht weiß, ob ihr an der Börse Bescheid wißt, will ich euch sagen, daß Stern ein erstes Haus in Kaffee ist, in Hamburg, welches stets durch Last & Co. bedient worden ist. Ganz zufällig kam ich dahinter – ich meine hinter die Pfuscherei von Büsselinck & Waterman. Sie würden ein Viertel Prozent von der Courtage fallen lassen – Schleicher sind sie, weiter nichts – und nun seht, was ich gethan habe, im diesen Schlag abzuwehren. Ein anderer an meiner Stelle hätte vielleicht an Ludwig Stern geschrieben, daß er auch etwas ablassen wolle, und daß er auf Berücksichtigung hoffe wegen der langjährigen Dienste von Last & Co. (ich habe ausgerechnet, daß die Firma, seit rund fünfzig Jahren, vier Tonnen an Stern[20] verdient hat: die Beziehung datiert von der Kontinentalsperre her, als wir die Kolonialwaren von Helgoland einschmuggelten) und solche Dinge mehr. Nein, schleichen thue ich nicht. Ich bin nach »Polen« gegangen, ließ mir Feder und Papier geben, und schrieb:


»Daß die große Ausbreitung, die unsere Geschäfte in der letzten Zeit genommen haben, besonders durch die vielen geehrten Aufträge aus Norddeutschland« (es ist die reine Wahrheit), »eine Vermehrung des Personals nötig machte;« (es ist die Wahrheit, – gestern noch war der Buchhalter nach elf auf dem Kontor, um seine Brille zu suchen); »daß vor allem sich das Bedürfnis geltend mache nach anständigen, wohlerzogenen jungen Leuten für die Korrespondenz im Deutschen. Daß zwar viele deutsche junge Männer in Amsterdam vorhanden wären, die auch die gewünschten Fähigkeiten besäßen, daß aber ein Haus, das auf sich hält« (es ist die reine Wahrheit), »bei dem zunehmenden Leichtsinn und der Leichtlebigkeit der Jugend, bei dem täglichen Anwachsen der Zahl der Glücksjäger, und mit Rücksicht auf die Notwendigkeit eines soliden Lebenswandels, um Hand in Hand zu gehen mit der Solidität in der Ausführung erteilter Aufträge« (es ist wahrhaftig alles die lautere Wahrheit), »daß solch ein Haus – ich meine Last & Co., Makler in Kaffee, Lauriergracht Nr. 37 – nicht umsichtig genug sein könne beim Engagieren von Personen ...«


Das ist alles die reine Wahrheit, Leser. Weißt du wohl, daß der junge Deutsche, der auf der Börse bei Pfeiler 17 stand, mit der Tochter von Büsselinck & Waterman davongelaufen ist? Unsere Marie wird im September auch bereits dreizehn.


»Daß ich die Ehre gehabt hätte, von Herrn Saffeler« – Saffeler reist für Stern – »zu vernehmen, daß der geschätzte Chef der Firma Stern einen Sohn habe, den Herrn Ernst Stern, der zur Vervollständigung seiner kaufmännischen Kenntnisse einige Zeit in einem holländischen Hause arbeiten möchte.«

»Daß ich mit Rücksicht auf« – (hier wiederholte ich die Sittenlosigkeit und erzählte die Geschichte von Büsselinck &[21] Watermans Tochter; es kann nicht schaden, wenn man das weiß;) »daß ich mit Rücksicht darauf nichts lieber sehen würde, als Herrn Ernst Stern mit der deutschen Korrespondenz unseres Hauses betraut zu sehen.«


Aus Zartgefühl vermied ich alle Anspielung auf Gehalt oder Salair, ich fügte aber bei:


»Daß, falls Herr Ernst Stern mit dem Aufenthalt in unserem Hause – Lauriergracht Nr. 37 – vorlieb nehmen wollte, meine Frau sich bereit erklärte, wie eine Mutter für ihn zu sorgen, und daß seine Wäsche im Hause besorgt werden würde.« (Das ist die reine Wahrheit, denn Marie stopft und strickt ganz nett. Und zum Schlusse:) »Daß bei uns dem Herrn gedient wird.«


Das kann er in seine Tasche stecken, denn die Sterns sind lutherisch.

Und den Brief schickte ich ab. Ihr begreift, daß der alte Stern nicht gut zu Büsselinck & Waterman übergehen kann, wenn der junge bei uns auf dem Kontor ist. Ich bin sehr neugierig auf die Antwort.

Um nun wieder auf mein Buch zurückzukommen. Vor einiger Zeit komme ich des Abends durch die Kalverstraat, und ich blieb vor dem Laden eines Krämers stehen, der sich gerade beschäftigte mit dem Sortieren einer Partie »Java, ordinär, schön, gelb, Sorte Cheribon, etwas gebrochen und Kehricht dabei,« was mich sehr interessierte, denn ich merke auf alles. Da fiel mir auf einmal ein Herr ins Auge, der in der Nähe vor einem Buchladen stand und mir bekannt vorkam. Er schien mich auch zu erkennen, denn unsere Blicke begegneten sich fortwährend. Ich muß bekennen, daß ich zu sehr vertieft war in die Betrachtung des Kehrichts, um sofort zu merken, was ich später sah, daß er nämlich ziemlich ärmlich in den Kleidern stak, sonst hätte ich die Sache laufen gelassen; aber mit einem Male schoß mir der Gedanke durch den Kopf, es könnte ein Reisender eines deutschen Hauses sein, das einen soliden Makler sucht. Er hatte wohl auch etwas von einem Deutschen an sich, und von einem Reisenden auch; er war sehr blond, hatte blaue Augen, und[22] in Haltung und Kleidung etwas, was den Fremden verriet. Anstatt eines gehörigen Winterüberziehers hing ihm eine Art von Shawl über die Schulter, als ob er so von der Reise käme. Ich meinte einen Kunden zu sehen und gab ihm eine Geschäftskarte, Last & Co., Makler in Kaffee, Lauriergracht Nr. 37. Er hielt sie an die Gasflamme und sagte:

»Ich danke Ihnen, aber ich habe mich geirrt; ich dachte das Vergnügen zu haben, einen alten Schulkameraden vor mir zu sehen, indessen ... Last, das ist der Name nicht ...«

»Pardon,« sagte ich, denn ich bin stets höflich, »ich bin Mijnheer Droogstoppel, Batavus Droogstoppel ... Last & Co. ist die Firma, Makler in Kaffee, Lauriergr ...«

»Gut, Droogstoppel, kennst du mich nicht mehr? Sieh mich einmal gut an.«

Je mehr ich ihn ansah, je mehr erinnerte ich mich, ihn öfter gesehen zu haben; aber merkwürdig, sein Gesicht hatte auf mich die Wirkung, als ob ich fremde Parfümerien röche. Lach nicht darüber, Leser, du sollst später sehen, wie das kam. Ich bin sicher, daß er keinen Tropfen Räucherwerk bei sich trug, und doch roch ich etwas Angenehmes, etwas Starkes, etwas, das mich erinnerte an ... da hatte ich's!

»Sind Sie es,« rief ich, »der mich von dem Griechen befreit hat?«

»Natürlich,« sagte er, »und wie geht es Ihnen?«

Ich erzählte ihm, daß wir insgesamt dreizehn auf dem Kontor wären, und daß viel zu thun wäre. [...] (2. Kapitel)

Der Klassenkamerad des Erzählers lässt ihm Manuskripte in großem Umfang zukommen in der Hoffnung, dass der Erzähler einen Verlag dafür findet und er (der Klassenkamerad. den der Erzähler immer nur "Schalmann" nennt) dadurch die Möglichkeit erhält, etwas für die Erhaltung seiner Familie zu tun.

Der Text des Romans wird im wesentlichen nach der Übersetzung von Karl Mitschke bei Zeno.org zitiert, zum Teil nach der von Erich M. Lorebach 1927 im Verlag Die Brücke, die mir in der elektronischen Ausgabe von Kindle vorliegt.

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