27 Mai 2013

Uhland über Heldengeschlechter

Unter den Königen unseres Sagenkreises erscheinen mehrere als Beherrscher ausgebreiteter Reiche. Etzels Herrschaft ist bereits bei der Betrachtung des Geschichtlichen nach den Liedern geschildert worden. Dem mächtigen Ermenrich dient das römische Reich; er wird darum auch Kaiser oder König von Rom genannt. Ähnlicher Glanz fällt auf Rother, Otnit, Wolfdietrich, der zur römischen Krone sein Erbreich in Griechenland erobert, und auf Dietrich von Bern).
 Vor allem aber ist darauf zu achten, welche Gestalt und Stellung ihnen im Leben und Wesen der Heldensage gegeben sei. Dann wird eben die ausgedehnteste Macht zum leeren Raume, zum verneinenden Gegensatz, zum Schatten im großen Bilde. Der Völkerfürst Etzel gewinnt nirgends eine kräftige Persönlichkeit, er ist leidend und willenlos, seine Herrschaft ist nur darin vergegenwärtigt, daß er einen weiten, reichen Hof eröffnet zum Sammelplatz für alle Helden der Welt, welche nebst den Frauen des Königs die handelnden Personen sind. Ermenrich ist ein Werkzeug in der Hand des treulosen Ratgebers Sibich; seine Gewalt und seine Schlechtigkeit sind bestimmt, die sittliche Kraft seines Gegners Dietrich in das vollste Licht zu heben. Auch unter den burgundischen Königsbrüdern ist der eigentliche Machthaber, Gunther, der unselbständigste. Kreuz, Krone, Königsmantel sind hier fremdartiger Staatsprunk. Die Liebe, die Phantasie der Dichtung zeigt uns jugendliche Edelinge an der Spitze ihrer Gefolgschaften. [...]. Den Ursprung solcher Geschlechter und gleichmäßig den ihrer berühmtesten Heldensöhne hüllt die Sage in fabelhaften Glanz, aus dem sie mit wundersamen Eigenschaften begabt und verherrlicht hervorgehen. Am besten zeigt sich dieses in der nordischen Wölsungensage. Von Odin abstammend, haben die Wölsunge Sicherheit vor Gift (Grimm, Edd. 126), ungemessene Stärke und den durchdringenden Glanz der Augen; Helgi verkleidet sich vor seinen Feinden als Magd und treibt die Handmühle, aber die Steine brechen, die Mühle zerspringt und die scharfen Augen verraten edle Art (Grimm, Edd. 91). Swanhilde schlägt die Augen auf, und die Rosse, die sie zertreten sollen, scheuen zurück, bis ihr Haupt verhüllt wird (Vols. S. Kap. 49, S. 201). Der Augenglanz, als königliches Abzeichen, spielt auch sonst in den Sagen des Nordens. Regner und Thorald, schwedische Königssöhne, sind durch den Haß ihrer Stiefmutter gezwungen, nachts die Herde zu hüten, und werden von Gespenstern umschwärmt; da naht ihnen Swanhwita (die schwanweiße Walküre) und obgleich Regner sich für einen Knecht des Königs ausgibt, erkennt sie am leuchtenden Auge seinen Ursprung und reicht ihm als Brautgeschenk ein Schwert zum Kampfe mit den nächtlichen Unholden. Sie kämpft hierauf selbst die Nacht hindurch gegen die Ungetüme und erlegt sie, unter ihnen die Stiefmutter Thorilde. Sie heiratet Regner, erscheint in einer Seeschlacht und stirbt aus Trauer über Regners Tod. Das Ganze, ursprünglich in Liedern, erinnert durchaus an die Verhältnisse von Helgi und Swawa, Helgi und Sigrun: Erwecken des Jünglings durch die leuchtende Walküre, Schwertgabe, Verlobung, nächtlicher Schutz vor Zauberweibern, Tod aus Kummer und Sehnsucht. Svanhvit ist auch eine der Walküren, welche Schwanenfittiche trägt, im Wölundsliede zugenannt. (Grimm, Edd. 2. 4. 6. Edda III, 246 f.) Müller, Sagnhist. weiß nichts Näheres über die Sage. Olo, von königlicher Abkunft, sitzt in Bauernkleidung zu unterst im Saale eines wermischen Königs, dessen Tochter durch Kampf vor übermütiger Werbung gerettet werden soll. Die Jungfrau läßt forschend den Schein des Lichtes auf des Fremden Antlitz fallen, als sie plötzlich, von der Schärfe seiner Augen getroffen, zu Boden sinkt. Sie hat in ihm einen Abkömmling von Königen erkannt, durch den sie Rettung hofft. Der Gast wirft die Verhüllung ab, glänzende Locken rollen von seinem Scheitel, aber die schreckenden Augensterne deckt er mit den Wimpern. Denselben Olo, später Dänenkönig, will Starkather im Bad erstechen, aber der vielversuchte Kämpe schrickt zurück vor dem Augenfunkel des Wehrlosen.  [...]

Die Wunder des Ursprungs setzen sich fort in den Schicksalen der ersten Kindheit, welche unsern Helden mit denen vieler Völker gemein sind. Wolfdietrich hat kaum das Licht erblickt, als der Wolf ihn zu seinen Jungen in die Höhle trägt, die jedoch, nicht klüger als das Kind, ihm keines Leides tun. [Fußnote: Wolfd. 37d: Der wölff witz und des kindes waren geleich gestalt.] Nach der andern Erzählung wird er am Waldbrunnen den wilden Tieren ausgesetzt, von den Wölfen aber nicht beschädigt, sondern gehütet. [Fußnote: Kasp. v. d. R. Wolfd. 40: Die wolf sasen geringe vnd hüten des kindes wol.] Der neugeborne Siegfried wird, nach der Wilkinensage (Kap. 139, II, 20; Kap. 142, II, 23 f.), bei dem Tode seiner verfolgten Mutter, dadurch gerettet, daß er, in ein gläsernes Gefäß verschlossen, in die See treibt; dann säugt eine Hindin ihn zwölf Monden lang, daß er so groß und stark wird, als andre Knaben vier Winter alt. Derlei Sagen können in mehrfacher Bedeutung aufgefaßt werden: als Beweis, daß der Göttersohn im Schütze höherer Macht gestanden, als Erklärung der gewaltigen Körperkraft des von Waldtieren großgesäugten Wunderkindes, besonders aber als Verherrlichung des Helden, der aus dem Zustande der Verwerfung und tiefsten Erniedrigung um so glänzender in der Kraft und Schönheit seiner erhabenern Natur hervorgeht. Gleichwie die altdeutsche Poesie in der Darstellung der Natur den Frühling liebt, so denkt sie ihre Heldenkönige sich überall in der Blüte jugendlicher Schönheit, Diese Voraussetzung findet durchaus statt, sie ist, wenn auch ausgeführte Gemälde nicht leicht vorkommen, schon in der allgemeinen Farbe der epischen Bezeichnungen angedeutet, die Schönheit ist überhaupt weniger beschrieben, als in Handlung gesetzt, und erscheint oft überraschend in lichten Punkten der Geschichte. Hugdietrich kann sich wohl als Jungfrau verkleiden, denn sein Antlitz ist rosenfarb, gelbe Locken schwingen sich ihm über die Hüfte nieder, und als er in Frauengewand zur Kirche geht, fragen die Leute, wer die Minnigliche sei. Soviel schöne Jungfrauen an Helkens Hofe sind, doch wird der junge Dietleib noch schöner gefunden; goldfarbe, magdliche Haare hängen ihm über die Schwertfessel herab, mit denen er sich vor Regen decken kann, wie ein Falke mit den Fittichen.

Ludwig Uhland: Geschichte der deutschen Poesie im Mittelalter. Die Könige

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