20 Mai 2013

Aus Uhlands Studententagen

Ausschnitte aus Ludwig Uhlands Briefen
Das Heldenbuch in der ächten Gestalt wird für eine künftige Bearbeitung um vieles leichter, da die Hälfte der Reime wegfällt und in dem größeren Zwischenraume von einem Reime zum andern sich weit ungezwungener diese oder jene Wendung nehmen läßt. Meiner Meinung nach sollten die Bemühungen der Literatoren sich zuerst und vorzüglich auf das Heldenbuch selbst und auf mit dem Heldenbuch und den Nibelungen verwandte Gedichte richten, wie Dietrich von Bern, der getreue Eckard, hörnerne Siegfried, König Etzel. Sie umfassen doch wohl die älteste Heldenwelt, die ächte Mythologie unserer und der mit ihr verwandten Nationen und sind wahrscheinlich Originalgedichte. Mir ist daher auch das lateinische Gedicht von Walther von Aquitanien werth, das doch wahrscheinlich auf einem altdeutschen Original beruht, dessen Auffindung zu wünschen wäre. In den Nibelungen (S. 115, V. 9179 f.) ist auf die in jenem Gedichte erzählte Begebenheit angespielt – – Wenn Sie mich zu Bearbeitung altdeutscher Gedichte tüchtig glauben, so trauen Sie mir vielleicht zu viel Fleiß und Geduld zu. Ueberdieß haben solche Bearbeitungen, wie man sie jetzt geben kann, nur ephemeren Werth und sollen nur solchen haben, denn je mehr das Publikum mit altdeutscher Sprache und Art bekannt wird, desto ächter kann man ihm das Denkmal der Vorzeit überliefern. Wenn daher, will's Gott, das Publikum in zehn Jahren hierin um ein Merkliches vorgerückt ist, so kann man ihm schon eine dem Original um vieles nähere Bearbeitung in die Hände geben, als man jetzt wagen dürfte. [...]

Vor etwa zwei Jahren begann ich eine Tragödie zu entwerfen: Achilleus Tod. Sie sollte die Idee darstellen: wenn auch das Schicksal die Ausführung unserer Entschlüsse hindert, haben wir sie nur ganz und fest in uns gefaßt, so sind sie doch vollendet. Was in der Wirklichkeit Bruchstück bleibt, kann in der Idee ein großes Ganzes sein. (Die Idee bleibt unberührt vom Schicksal.) Verschiedene Ursachen, besonders aber meine Vorliebe für das Romantische, dem der griechische Boden nicht angemessen war, hielten mich von der Ausführung ab. Ich hatte seitdem mehrere andere Entwürfe, aber ein gewisser Kampf in mir ließ keinen zur Vollendung kommen. Ueberdieß habe ich sehr wenig Neigung zum Gedichte-Schreiben. Ich komme schwer dazu, Gestalten, die ich in begeisterten Momenten gesehen und entworfen, in ruhigen auszumalen. Wenn ich mich nach poetischem Stoff umsehe, so geschieht es vorzüglich darum, weil bloß idealische Gestalten nicht so leicht vollkommene Objectivität erhalten, wie solche, die dem Dichter schon lebendig entgegentreten, aber ihr höheres Leben erst von ihm erwarten. Er wird durch die letztern in angenehme Selbsttäuschung versetzt, sein unbestimmtes Schweifen erhält eine Begrenzung, seine peinigende Willkür wird gebunden, zwar nicht mit Fesseln, aber durch die Arme der Geliebten. Ihre Beurtheilung meiner Gedichte war mir willkommen. Sie sind größtenteils lyrische Ergüsse eines jugendlichen Gemüthes. Ueber diese sei mir erlaubt einiges zu sagen. Die ersten Gefühle und Lebensansichten einer erwachenden Seele, sie bilden die erste Periode meiner Poesie. Sollte der Dichter alles darstellen dürfen, nur sich nicht? Ich glaube, daß es dabei sehr auf die Dichtungsart ankommt, die er wählt. Die lyrische Stimmung steht der Subjectivität offen. Aber selbst im Drama, dünkt mir, kann er sich selbst, oder vielmehr seine ideale Individualität einführen, wenn er ihr nur Leben und Objectivität für Andere zu geben weiß. Die meisten Erstlinge dramatischer Dichter sind auch von dieser Art. Freilich hat er sich dabei wohl zu hüten, daß nicht alle Personen nur verschiedene Modificationen des Hauptcharakters werden. Will er sich selbst auftreten lassen, so wisse er sich auch von andern zu unterscheiden.
Es ist, wie ich schon gesagt, als wäre mit der Sammlung in Ihrem Almanach eine gewisse Periode meiner Poesie geschlossen. Unlängst habe ich ein Blatt ausgearbeitet, das ganz der alten Poesie geweiht ist. Es enthält ein Bruchstück aus den Nibelungen mit Beziehungen auf das Ganze, welche letztere ich Ihnen hier mittheile, obgleich unvollständig entworfen. Dann folgen einige altenglische Balladen, wovon ich zwei im vorigen Spätjahre auf einer Fußreise in der Schweiz aufgetrieben habe. In einem künftigen Sonntagsblatt will ich auch meine Ansichten über das Romantische zur Prüfung ausstellen.
Die Romantik und das Drama schlägt bei mir überall dem antiken Epos vor, denn als solches betrachte ich auch die antike Komödie. Schön ist es, daß Ihr Brief meinen werdenden schon in einigen Punkten beantwortete. So wollte ich Sie beschwören bei dem heiligen Mutternamen Deutschlands, gehen Sie, wann Sie immer können, in die Bibliotheken von Paris, suchen Sie hervor was da vergraben liegt von Schätzen altdeutscher Poesie. Da schlummern sie, die bezauberten Jungfrauen, goldene Locken verhüllen ihr Gesicht; wohlauf ihr männlichen Ritter, löset den Zauber! sie werden heißathmend die Locken zurückwerfen, aufschlagen die blauen träumenden Augen.
Allein sehen Sie nicht ausschließend auf deutsche Alterthümer, achten Sie auf die romantische Vorwelt Frankreichs. Ein Geist des Ritterthums waltet über ganz Europa. Wo Sie in einem alten Buche eine schöne Kunde, Legende u. s. w. finden, lassen Sie die nicht verloren gehen, wir haben ja so großen Mangel an poetischem Stoff, an Mythen.
Mein poetisches Leben ist jetzt ein Umherschweifen von einem Entwurfe zum andern. Dringend fühle ich dabei den Mangel an Stoff zu poetischer Bearbeitung. Ich kann mir kein größeres Glück denken, als nach wohl entworfenem Plane, in einer sich selbst gegebenen Grenze, aus dem unendlichen Gebiete des Schönen und Großen, der inneren und der äußeren Welt, Gestalten aller Art wie in einem Zauberkreis hervorzurufen. Ein Drama, ein Roman, welches Entzücken muß es sein, so was vollendet vor sich zu sehen, ein höheres Leben, ein gestaltendes Gemüth!
Brief an Uhland:
– – »Der deutsche Codex, den Tieck benützte, ist beinahe der einzige deutsche poetische der kaiserlichen Bibliothek. Ungefähr 200 alte Romane, theils im Romanzo, theils schon in der langue d'oui (der Quelle des heutigen Französischen) liegen da. Ich fange, wie billig, meine Lectüre bei dem Romane von der Rose an. Jede Entdeckung werde ich mit meinen Freunden theilen. Um Gotteswillen kommen Sie nach dem Examen sogleich hierher! Man lebt hier wohlfeil, und auch abgesehen davon, für äußere und innere Bildung ist Paris einzig, und es müßte schlecht gehen, wenn Sie nicht bald etwas liefern könnten, was Sie in den Stand setzt, auf eigenem Fuß hier zu leben.«
Brief Uhlands:
Zwar sind wir, denke ich, auch jetzt noch nicht gealtert, und es liegt noch Vieles vor uns; aber dennoch sind mehrere Jahre, die man zu den schönsten des Lebens zählt, die damals noch Zukunft waren, jetzt Vergangenheit; und wie Manches blieb ungenützt, ungenossen! Sind wir, was wir hätten werden können? Wie mancher schöne Wahn hat sich uns in kaltes Besserwissen aufgelöst. Im Menschenleben ist doch wohl im Ganzen die Blüthe schöner als die Frucht! (Zitiert nach: Emma Uhland: Ludwig Uhlands Leben)

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