Die Zauberei im Herbste. Ein Märchen, wohl Eichendorffs früheste Prosadichtung (1808), ist das Werk eines Zwanzigjährigen. Da ich diese romantische Erzählung als letztes seiner Prosawerke kennenlernte, bin ich erstaunt, wie viele charakteristische Elemente von Eichendorffs Lyrik und Prosa schon hier auftauchen. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und werde einige Elemente zumindest für einige Zeit hier farbig abheben.
Ich hoffe diese Auszüge regen zur Lektüre des vollständigen Textes und des Wikipediaartikels von Hedwig Storch an.
Rahmenerzählung:
Ritter Ubaldo war an einem heiteren Herbstabend auf der Jagd weit von den Seinigen abgekommen und ritt eben zwischen einsamen Waldbergen hin, als er von dem einen derselben einen Mann in seltsamer, bunter Kleidung herabsteigen sah. Der Fremde bemerkte ihn nicht, bis er dicht vor ihm stand. Ubaldo sah nun mit Verwunderung, daß derselbe einen sehr zierlichen und
prächtig geschmückten Wams trug, der aber durch die Zeit altmodisch und unscheinlich geworden war. Sein Gesicht war schön, aber bleich und wild mit Bart verwachsen.
Beide begrüßten einander erstaunt, und Ubaldo erzählte, daß er so unglücklich gewesen, sich hier zu verirren. Die Sonne war schon hinter den Bergen versunken, dieser Ort weit entfernt von allen Wohnungen der Menschen. Der Unbekannte trug daher dem Ritter an, heute bei ihm zu übernachten; morgen mit dem frühesten wolle er ihm den einzigen Pfad weisen, der aus diesen Bergen herausführe. Ubaldo willigte gern ein und folgte nun seinem Führer durch die öden Waldesschluften. [...]
Es war schon Abend geworden, als sie auf der Burg anlangten. Der Ritter ließ daher ein wärmendes Kaminfeuer anlegen und brachte von dem besten Wein, den er hatte. Der Einsiedler schien sich hier zum ersten Male ziemlich behaglich zu fühlen. Er betrachtete sehr aufmerksam ein Schwert und andere Waffenstücke, die im Widerscheine des Kaminfeuers funkelnd dort an der Wand hingen, und sah dann wieder den Ritter lange schweigend an. »Ihr seid glücklich«, sagte er, »und ich betrachte Eure feste, freudige, männliche Gestalt mit wahrer Scheu und Ehrfurcht, wie Ihr Euch, unbekümmert durch Leid und Freud, bewegt und das Leben ruhig regieret, während Ihr Euch demselben ganz hinzugeben scheint, gleich einem Schiffer, der bestimmt weiß, wo er hinsteuern soll, und sich von dem wunderbaren Liede der Sirenen unterwegens nicht irremachen läßt. Ich bin mir in Eurer Nähe schon oft vorgekommen wie ein feiger Tor oder wie ein Wahnsinniger. – Es gibt vom Leben Berauschte – ach, wie schrecklich ist es, dann auf einmal wieder nüchtern zu werden!«
Der Ritter, welcher diese ungewöhnliche Bewegung seines Gastes nicht unbenutzt vorbeigehen lassen wollte, drang mit gutmütigem Eifer in denselben, ihm nun endlich einmal seine Lebensgeschichte zu vertrauen. Der Klausner wurde nachdenkend. »Wenn Ihr mir versprecht«, sagte er endlich, »ewig zu verschweigen, was ich Euch erzähle, und mir erlaubt, alle Namen wegzulassen, so will ich es tun.«
[Der Klausner erzählt:]
»Die Herbstsonne stieg lieblich wärmend über die farbigen Nebel, welche die Täler um mein Schloß bedeckten. Die Musik schwieg, das Fest war zu Ende und die lustigen Gäste zogen nach allen Seiten davon. Es war ein Abschiedsfest, das ich meinem liebsten Jugendgesellen gab, welcher heute mit seinem Häuflein dem heiligen Kreuze zuzog, um dem großen christlichen Heere das Gelobte Land erobern zu helfen. Seit unserer frühesten Jugend war dieser Zug der einzige Gegenstand unserer beiderseitigen Wünsche, Hoffnungen und Pläne, und ich versenke mich noch jetzt oft mit einer unbeschreiblichen Wehmut in jene stille, morgenschöne Zeit, wo wir unter den hohen Linden auf dem Felsenabhange meines Burgplatzes zusammensaßen und in Gedanken den segelnden Wolken nach jenem gebenedeiten Wunderlande folgten, wo Gottfried und die anderen Helden in lichtem Glanze des Ruhmes lebten und stritten. – Aber wie bald verwandelte sich alles in mir!
Ein Fräulein, die Blume aller Schönheit, die ich nur einigemal gesehen und zu welcher ich, ohne daß sie davon wußte, gleich von Anfang eine unbezwingliche Liebe gefaßt hatte, hielt mich in dem stillen Zwinger dieser Berge gebannt. Jetzt, da ich stark genug war, mitzukämpfen, konnte ich nicht scheiden und ließ meinen Freund allein ziehen.
Auch sie war bei dem Feste zugegen, und ich schwelgte vor übergroßer Seligkeit in dem Widerglanze ihrer Schönheit. Nur erst, als sie des Morgens fortziehen wollte und ich ihr auf das Pferd half, wagte ich, es ihr zu entdecken, daß ich nur ihretwillen den Zug unterlassen. Sie sagte nichts darauf, aber blickte mich groß und, wie es schien, erschrocken an und ritt dann schnell davon.« [...]
Da
hörte ich plötzlich mehrere Waldhörner, die in einiger Entfernung
von den Bergen einander Antwort zu geben schienen. Einige Stimmen
begleiteten sie mit Gesang. Nie noch vorher hatte mich Musik mit
solcher wunderbaren Sehnsucht erfüllt als diese Töne, und noch
heute sind mir mehrere Strophen des Gesanges erinnerlich, wie sie der
Wind zwischen den Klängen herüberwehte:
Über gelb und rote
Streifen
Ziehen hoch die Vögel fort.
Trostlos die Gedanken
schweifen,
Ach! sie finden keinen Port,
Und der Hörner dunkle Klagen
Einsam nur ans Herz dir schlagen.
Siehst du blauer Berge Runde
Ferne
überm Walde stehn,
Bäche in dem stillen Grunde
Rauschend nach der
Ferne gehn?
[…]
Ich aber konnte nicht widerstehen und folgte dem verlockenden
Waldhornsliede immerfort, das sinnenverwirrend bald wie aus der Ferne klang, bald wieder mit dem Winde näherschwellte.
Schöner,
unglücklicher Jüngling, wie lieb ich dich! Schon lange liebt ich
dich, und wenn der Herbst seine geheimnisvolle Feier beginnt, erwacht
mit jedem Jahre mein Verlangen mit neuer, unwiderstehlicher Gewalt.
Unglücklicher! Wie bist du in den Kreis meiner Klänge gekommen? Laß
mich und fliehe!› Mich schauderte bei diesen Worten, und ich
beschwor sie, weiter zu reden und sich näher zu erklären. Aber sie
antwortete nicht, und wir gingen stillschweigend nebeneinander durch
den Garten. Es war indes dunkel geworden. Da verbreitete sich eine
ernste Hoheit über ihre ganze Gestalt. ‹So wisse denn›, sagte
sie, ‹dein Jugendfreund, der heute von dir geschieden ist, ist ein
Verräter. Ich bin gezwungen seine verlobte Braut. Aus wilder
Eifersucht verhehlte er dir seine Liebe. Er ist nicht nach Palästina,
sondern kommt morgen, um mich abzuholen und in einem abgelegenen
Schlosse vor allen menschlichen Augen auf ewig zu verbergen. – Ich
muß nun scheiden. Wir sehen uns nie wieder, wenn er nicht stirbt.›
Bei diesen Worten drückte sie einen Kuß auf meine Lippen und
verschwand in den dunklen Gängen. […]
Ein
stiller Weiher lag im Kreise der hohen Felsen, an denen Efeu und
seltsame Schilfblumen üppig emporrankten. Viele Mädchen tauchten
ihre schönen Glieder singend in der lauen Flut auf und nieder. Über
allen erhoben stand das Fräulein prächtig und ohne Hülle und
schaute, während die anderen sangen, schweigend um die wollüstig um
ihre Knöchel spielenden Wellen wie verzaubert und versunken in
das Bild der eigenen Schönheit, das der trunkene Wasserspiegel
widerstrahlte. […]
So
gejagt, geängstigt und halb sinnlos, rannte ich durch die Wildnis
über die Gartenmauer hinweg zu dem Schlosse des Fräuleins. Mit
allen Kräften riß ich dort an den Angeln des verschlossenen Tores.
‹Mach auf›, schrie ich außer mir, ‹mach auf, ich habe meinen
Herzensbruder erschlagen! Du bist nun mein auf Erden und in der
Hölle!› Da taten sich die Torflügel schnell auf, und das
Fräulein, schöner als ich sie jemals gesehen, sank ganz hingegeben
in flammenden Küssen an meine von Stürmen durchwühlte, zerrissene
Brust. Laßt mich nun schweigen von der Pracht der Gemächer, dem
Duft ausländischer Blumen und Bäume, zwischen denen schöne Frauen
singend hervorsahen, von den Wogen von Licht und Musik, von der
wilden, namenlosen Lust, die ich in den Armen des Fräuleins -» […]
Als
ich erwachte, war es Nacht geworden und alles still im Schlosse. Der
Mond schien sehr hell. Meine Geliebte lag auf seidenem Lager
schlafend neben mir hingestreckt. Ich betrachtete sie mit Erstaunen;
denn sie war bleich wie eine Leiche, ihre Locken hingen verwirrt und
wie vom Winde zerzaust um Angesicht und Busen herum. Alles andere lag
und stand noch unberührt umher, wie es bei meinem Entschlummern
gelegen; es war mir, als wäre das schon sehr lange her. – […]
‹Was
ist das? Wo bin ich denn?› rief ich erstaunt und wußte nicht, wie
mir geschehen. ‹Herbst und Winter sind vergangen, Frühling ists
wieder auf der Welt. Mein Gott! wo bin ich so lange gewesen?› So
langte ich endlich auf dem Gipfel des letzten Berges an. Da ging die
Sonne prächtig auf. Ein wonniges Erschüttern flog über die Erde,
Ströme und Schlösser blitzten, die Menschen, ach! ruhig und
fröhlich kreisten in ihren täglichen Verrichtungen wie ehedem,
unzählige Lerchen jubilierten hoch in der Luft. Ich stürzte auf die
Knie und weinte bitterlich um mein verlorenes Leben. Ich begriff und
begreife noch jetzt nicht, wie das alles zugegangen; aber
hinabstürzen mocht ich noch nicht in die heitere, schuldlose Welt
mit dieser Brust voll Sünde und zügelloser Lust. In die tiefste
Einöde vergraben, wollte ich den Himmel um Vergebung bitten und die
Wohnungen der Menschen nicht eher wiedersehen, bis ich alle meine
Fehle, das einzige, dessen ich mir aus der Vergangenheit nur zu klar
und deutlich bewußt war, mit Tränen heißer Reue abgewaschen
hätte. […]
Es
war wieder ein heiterer Herbstmorgen wie damals, als er vor vielen
Jahren das Schloß verlassen hatte, und die Erinnerung an jene Zeit
und der Schmerz über den verlorenen Glanz und Ruhm seiner Jugend
befiel da auf einmal seine ganze Seele. Die hohen Linden auf dem
steinernen Burghofe rauschten noch immerfort; aber der Platz und das
ganze Schloß war leer und öde, und der Wind strich überall durch
die verfallenen Fensterbogen. […] Da
sprengte plötzlich unten auf einem schlanken Rosse das schöne
Zauberfräulein, lächelnd, in üppiger Jugendblüte, vorüber.
Silberne Sommerfäden flogen hinter ihr drein, die Aster von ihrer
Stirne warf lange, grünlichgoldene Scheine über die Heide. In allen
Sinnen verwirrt, stürzte Raimund aus dem Garten, dem holden Bilde
nach. Die seltsamen Lieder des Vogels zogen, wie er ging, immer vor
ihm her. Allmählich, je weiter er kam, verwandelten sich diese Töne
sonderbar in das alte Waldhornlied, das ihn damals verlockte.
«Golden
meine Locken wallen,
Süß mein junger Leib noch blüht –»
hörte
er einzeln und abgebrochen aus der Ferne wieder herüberschallen.
«Bäche in dem stillen Grunde
Rauschend nach der Ferne gehen.»
–
Sein Schloß, die Berge und die ganze Welt versank dämmernd hinter
ihm. «Reichen, vollen Liebesgruß
Bietet dir der Hörner
Schallen.
Komm, ach komm! eh sie verhallen!»
hallte es wider –
und, im Wahnsinn verloren, ging der arme Raimund den Klängen nach in
den Wald hinein und ward niemals mehr wiedergesehen.
(Joseph Freiherr von Eichendorff: Die Zauberei im Herbste)
Hier noch zwei Strophen aus Eichendorffs Gedicht "Die zwei Gesellen" von 1818:
Dem zweiten sangen und logen
Die tausend Stimmen im Grund,
Verlockend’ Sirenen, und zogen
Ihn in der buhlenden Wogen
Farbig klingenden Schlund.
Und wie er auftaucht’ vom Schlunde,
Da war er müde und alt,
Sein Schifflein das lag im Grunde,
So still war’s rings in die Runde,
Und über die Wasser weht’s kalt.