30 April 2016

Der Übersetzer fragt sich, ob noch der echte Sancho Pansa spricht

Von der verständigen und kurzweiligen Zwiesprach, die zwischen Sancho Pansa und seinem Weib Teresa Pansa geschehen, benebst andern Vorgängen, so eines seligen Gedächtnisses würdig sind (Indem der Übersetzer dieser Geschichte an die Niederschrift dieses fünften Kapitels kommt, bemerkt er, er halte es für unecht, weil Sancho Pansa darin in einer ganz andern Art spricht, als man von seinem beschränkten Geist erwarten durfte, und so scharfsinnige Dinge sagt, daß man deren Kenntnis unmöglich bei Sancho annehmen könne. Indessen wollte er, um seiner Pflicht zu genügen, es doch nicht unübersetzt lassen und fährt daher folgendermaßen fort:) Sancho kam so wohlgemut und vergnügt nach Hause, daß seiner Frau sein vergnügtes Wesen schon auf Büchsenschußweite auffiel und sie zu der Frage veranlaßte: »Was bringst du, lieber Sancho, daß du so vergnügt bist?« Darauf antwortete er: »Liebes Weib, wenn Gott es so wollte, so würde ich mich freuen, nicht so heiter zu sein, wie mein Aussehen zeigt.« »Mann, ich versteh dich nicht«, entgegnete Teresa, »und weiß nicht, was du damit meinst, daß du dich freuen würdest, wenn Gott es so wollte, nicht heiter zu sein; denn bin ich auch ein dummes Ding, so kenne ich doch keinen, der Vergnügen daran haben könnte, daß er keines hat.« »Sieh, Teresa«, erklärte Sancho, »ich bin vergnügt, weil ich den Entschluß gefaßt habe, wieder in den Dienst meines alten Herrn Don Quijote zu treten, der zum drittenmal auf Abenteuer ausziehen will, und ich will abermals mit ihm hinaus, denn so erheischt es meine bedrängte Lage sowie die Hoffnung, die mich heiter stimmt, ob ich vielleicht noch einmal hundert Goldtaler wie die bereits ausgegebenen finden kann; obwohl es mich traurig macht, daß ich mich von dir und meinen Kindern trennen soll. Und wenn es Gott gefiele, mir mein Stückchen Brot zu geben, ohne daß ich nötig hätte, aus dem Hause zu gehen und mir die Füße naß zu machen und mich über Stock und Stein und auf Kreuzwegen herumzuschleppen – und das könnte ich von Gott sehr wohlfeil haben, weil er es nur zu wollen brauchte –, dann hätte doch natürlich meine Fröhlichkeit weit mehr Bestand und einen ganz andern Wert, denn jetzt ist sie vermischt mit der Betrübnis, dich verlassen zu müssen. Und darum hab ich mit Recht gesagt, ich würde mich freuen, wenn Gott wollte, daß ich nicht vergnügt wäre.« »Nun sieh, Sancho«, versetzte Teresa, »seit du dich zum Glied eines fahrenden Ritters gemacht hast, sprichst du auf eine so verblümte Manier, daß dich keiner versteht.« »Es ist schon genug, wenn mich Gott versteht, Weib«, entgegnete Sancho, »er ist's, der alles versteht. Lassen wir's dabei bleiben, und merk dir, daß du die nächsten drei Tage den Grauen wohl zu pflegen hast, so daß er imstande ist, aufs Waffenwerk zu ziehen. [...]
Es gibt genug Leute in der Welt, die ohne Statthalterei leben, und sie sind geradeso am Leben und zählen unter den andern mit. Hunger ist der beste Koch; und da der dem Armen nie fehlt, so schmeckt ihm immer sein Essen. Aber schau nur, Sancho, wenn du im glücklichen Falle doch zu einer Statthalterschaft kommen solltest, so vergiß mich und deine Kinder nicht, bedenke, daß Klein-Sancho schon volle fünfzehn Jahre alt ist, und da gehört es sich, daß er in die Schule geht, wenn nämlich sein Oheim, der geistliche Herr, ihn für die Kirche bestimmen will. Denk ferner daran, daß deine Tochter Marisancha auch nicht dran sterben wird, wenn wir sie verheiraten; denn sie läßt schon durchblicken, daß sie sich ebensosehr einen Mann wünscht wie du eine Statthalterei, und zuletzt und am Ende gilt's doch für ein Mädchen: Besser ein Ehemann mit Hunger und Not als ein Liebhaber mit Zuckerbrot.« »Wahrlich«, entgegnete Sancho, »wenn mir Gott so was wie eine Statthalterei beschert, dann, liebes Weib, werde ich Marisancha so vornehm verheiraten, daß keiner an sie hinaufreicht, als wer sie mit gnädige Frau anredet.« [...]
»Nein, nicht so«, widersprach Teresa; »verheirate sie mit ihresgleichen, das ist das richtigste; denn wenn du sie aus ihren Holzschuhen nimmst und in Hackenschuhe steckst und aus ihrem grauen Barchentkittel in einen Puffrock mit einem Überkleid von Seide und aus einem Mariechen mit Du zu einer Doña Soundso und Euer Gnaden machst, so findet sich das Mädel nicht zurecht und wird bei jedem Schritt in tausend Fehler verfallen und den groben Faden ihres derben Stoffes jeden Augenblick merken lassen.« »Schweig still, alberne Törin«, sprach Sancho; »es handelt sich nur darum, daß sie sich zwei, drei Jahre dran gewöhnt, und nachher wird ihr das herrschaftliche Wesen und das Vornehmtun sitzen wie angegossen; wenn aber auch nicht, was liegt daran? Wenn sie nur gnädige Frau wird, dann mag's gehen, wie es will.« »Nimm dein Maß nach deinem Stande, Sancho«, entgegnete Teresa, »und begehre nicht höher hinauf und denk an den Spruch: Kommt deines Nachbars Sohn, so schneuz ihm die Nase und nimm ihn ins Haus auf. Das wäre schon was Schönes, unsre Maria mit einem Lümmel von einem Grafen oder Ritter zu verheiraten, der, wenn's ihm einfällt, ihr aufs ärgste mitspielt und sie eine Bäuerin nennt und sie ein Kind vom Ackerknecht und von der Flachszupferin schimpft. Nie, solang ich lebe, Mann! Jawohl, zu so was hab ich meine Tochter erzogen! Schaff du nur Geld ins Haus, Sancho, und für ihre Verheiratung laß mich sorgen. [...]
»Weißt du warum, Mann?« antwortete Teresa, »weil das Sprichwort sagt: Wer dir was schenkt, zeigt, daß dir was fehlt. Von dem Armen wendet jeder die Augen in aller Eile ab, auf dem Reichen läßt er sie lange haften; und wenn solch ein reicher Mann eine Zeitlang ein armer gewesen, da kommt die üble Nachrede und das Lästern, und was ärger, die Lästerer lassen nicht mehr vom Lästern ab, und deren gibt es auf allen Gassen haufenweise wie Bienenschwärme.« »Gib acht, Teresa«, entgegnete Sancho, »und höre, was ich dir jetzt sage; vielleicht hast du's all dein Lebtag nicht gehört, und jetzt rede ich nicht aus mir, denn alles, was ich dir zu sagen gedenke, sind Sprüche des Paters vom Predigerorden, der im verflossenen Jahr in unserm Dorf die Fastenpredigten hielt. Der hat gesagt, wenn ich mich recht entsinne, daß alle Dinge, die unser Auge in der Gegenwart erschaut, weit besser und mit gewaltigerer Kraft sich in unsrem Gedächtnis darstellen, haften und verbleiben als das Vergangene.« (Was Sancho hier alles sagt, ist die zweite Stelle, um derentwillen der Übersetzer dieses Kapitel für untergeschoben hält, weil es über Sanchos Fassungskraft hinausgeht. Er fuhr folgendermaßen fort:) »Davon kommt es her, daß, wenn wir jemanden stattlich angetan und mit reichen Kleidern geschmückt sehen, wir das Gefühl haben, als ob er uns mit Gewalt dazu treibe und nötige, ihm Ehrerbietung zu bezeigen, obwohl unser Gedächtnis uns im nämlichen Augenblick die niedrigen Umstände vorstellt, in denen wir selbige Person gesehen haben; denn da diese Schmach, ob sie nun von Armut oder von niederer Geburt herkommt, schon eine vergangene ist, so besteht sie nicht mehr, und es besteht nur, was wir als Gegenwärtiges sehen. Und wenn der Mann, den das günstige Geschick aus den rohen Anfängen seiner Niedrigkeit hervorzog bis zur Höhe seines Glücks – mit denselben Worten hat das der Pater gesagt –, wenn der Mann also sich wohlgesittet, freigebig und höflich gegen jedermann benimmt und sich in keine Nörgeleien mit denen einläßt, die von altem Adel sind, so kannst du sicher glauben, Teresa, es wird kein einziger daran denken, was er gewesen, sondern jeder ehrt in ihm, was er ist, ausgenommen die Neidhammel, vor denen keines Menschen glückliches Geschick sicher ist.«
(Cervantes: Don Quijote 2. Teil 6. Buch 5. Kapitel)

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