Christine Brückner:
Jauche und Levkojen (Leserrezension der Poenichen-Trilogie)
Als Fontanefan habe ich das Buch mit Genuss gelesen. Fontaneanspielungen (in diesem Fall vornehmlich auf Effi Briest) gefallen mir wie in "Weites Feld" von Grass natürlich immer.
Sprechende Namen wie bei Blaskorken (S.96), dem Waldhornspieler und Jäger - auch Schürzen -, nicht immer, aber als Huldigung auf Ziegenhals und Bomst lese ich sie gern. Später mehr über die Zweit- oder Drittlektüre.
Neulektüre Januar 2023:
Auf Seite 135 entdecke ich ein Zitat, das mir in abgewandelter Form in den 60er Jahren (mit der Frage nach dem Verfasser) vorgelegt wurde. Seitdem habe ich immer wieder versucht, es zu finden.
"Der du gebietend schreitest durch Sichelklang und Saat. Sich mühen heißt dir beten, und Andacht ist die Tat."
* Es stammt von
Lulu von Strauß und Torney, die 1956 gestorben ist. (Jauche und
Levkojen) wurde 1975 veröffentlicht. Bei früheren Lektüren habe ich das Zitat übersehen.
Ich kannte es in der Form: "Der du gelassen schreitest ...". Kein Wunder, dass ich dies im Netz nicht gefunden habe. Kein Wunder auch, dass ich nicht auf den Gedanken gekommen bin, dass der Fragende es frei erfunden haben könnte, um mich zu foppen. Denn diese Blut- und-Boden-Sprache beherrschte man damals nicht mehr.
Nach Jahrzehnten ein Ergebnis.
Der Name
Lulu von Strauß und Torney ist mir seit meiner Jugend geläufig; meiner Einschätzung nach sie ist zu Recht vergessen. So eigentlich auch dieses Zitat. Christine Brückner hat es über die Zeit hin aufbewahrt. (Wie sang doch Wolf Biermann: "im Bernstein der Balladen".) Und so kann ich nun endlich dies weihevolle Pathos einordnen.
*Der
Tag hing grau in Wolken und war doch schwül und schwer,
Die
blauen Blitze flammten nachts über die Gärten her,
Das
Korn stand reif im Felde, und goldner war es nie, –
Ich
bog dem Gott der Liebe mit Zittern meine Knie.
Die
Sommernelken blühten und prangten purpurrot,
die
ich mir damals pflückte, sind nun verdorrt und tot.
Der
Gott, vor dem ich kniete, er schritt an mir vorbei,
ihm
nach durch graue Leere ging meiner Sehnsucht Schrei. –
In
gelbe Lindenwipfel stößt nun der nasse Wind,
ich
gehe stille Wege, die menschenferne sind;
die
Stirne, die ich senkte in Tränen und im Traum,
streift
wieder eines Gottes dunkler Mantelsaum.
Und
zwischen letzten Garben, die goldener Herbst beschert,
im
Dampf gepflügter Scholle, die junger Saat begehrt,
das
strenge Haupt erhoben in freier Winde Wehn,
seh'
ich mit starken Füßen den Gott der Arbeit gehn.
Der
du gebietend schreitest durch Sichelklang und Saat,
sich
mühen heißt dir beten, und Andacht ist die Tat!
Im
Werke meiner Hände hör' meiner Sehnsucht Schrei:
Du
Gott, zu dem ich bete, – Herr, geh' mir nicht vorbei!
Lulu
von Srauß und Torney
Doch welche Sprachbeherrschung, welcher Formwille und was für ein Ethos, das Arbeit über die Liebe stellt. Es wird seine Gründe gehabt haben, weshalb Christine Brückner ihre Heldin Maximiliane diese Verse im Gedächtnis haben lässt.
Nun die ganze Stelle, in der Brückner sie anführt:
Man versucht ihr beizubringen, wie eine einfache Mehlschwitze nach einem komplizierten Rezept herzustellen sei, nicht mit 'zwei Esslöffeln' Mehl, sondern mit '50 Gramm Mehl', nicht 'ein Stich Butter', sondern 20 Gramm Pflanzenmargarine; Anna Riepe hatte sie bereits für Rezepte verdorben. sie blieb im Kochunterricht und auch in anderen Fächern eine mittelmäßige, jedoch willige, oft begeisterte und im ganzen beliebte Schülerin.
Man bringt ihr bei, dass Gedichte und Choräle für den Menschen ebenso wichtig sind wie das tägliche Brot. Sie nähert sich in diesen Jahren vornehmlich von Gedichten und Äpfeln, Letztere treffen von August bis April alle zwei Wochen im Schließkorb aus Poenichen ein, vom Klarapfel bis zum Boskop, von Anna Riepe sorgfältig in Heu verpackt. Das Apfelessen verschafft ihr kräftige weiße Zähne und rosiges Zahnfleisch. Wenn sie später Äpfel ist, überfällt sie ein Verlangen nach Gedichten, die dann mühelos aus ihrem Gedächtnis aufsteigen: 'Der du gebietend schreitest durch Sichelklang und Saat, sich mühen heißt dir beten, und Andacht ist die Tat!'
Wenn es nur irgend anging, zog sie sich mit einem Buch zurück, entweder auf eine der Bodentreppen oder hinter die Rhododendronbüsche im Park, wo es duftete wie auf Poenichen. Sie las, was ihr unter die Hände kam, wahllos, auch die Blut-und-Boden Literatur. Sie war ein Kind ihrer Zeit und stellte ihren Lesehunger mit den Erzeugnissen ihrer Zeit. Auf ihr späteres Denken wird es wenig Einfluss haben, aber: wenn sie irgendwo auf ein Gedicht stößt, streckt sie unbewusst die Hand nach einem Apfel aus." (Seite 135/136)
Aus der Kriegszeit: Maximiliane hat inzwischen einen Quint ohne d, einen Nazi geheiratet, weil der mitbekommen hat, dass sie Erbin von Poenichen sein wird. Der ist an ihr als Person nicht interessiert, auch als Frau nicht, nicht erotisch, nicht sexuell, schon gar nicht als Partnerin, kommt aber regelmäßig aus Berlin nach Poenichen, um das neuste Kind anzusetzen. Als eine Frau mit Tochter in Poenichen auftaucht und die Tochter Edda da lässt, weil Quint als Vater auch an dem Kind nicht interessiert ist und Hinterpommern nicht von Flugzeugen heimgesucht wird, nimmt sie auch dies Kind auf, interessanterweise zum Missfallen seines Vaters.
Als er - lange Zeit u k geschrieben - nach seinen mehrfachen Meldungen zur Panzertrupp schließlich eingezogen und in Russland eingesetzt wird, weiß sie ihm nichts zu schreiben, weil er sich für seine Kinder und das Geschehen zu Hause nicht interessiert. So schreibt sie ihm Gedichte ab. Die gibt er an einen Gefreiten ab, einen Schullehrer, weil er mit Gedichten nichts anzufangen weiß. Als der Gefreite fällt, wird seinen Eltern diese Gedichtsammlung geschickt. Sie fühlten sich[...] ein wenig getröstet im Gedanken daran, dass er jemanden gefunden hatte, der ihn liebte und ihm schrieb." (S.262) Sie bewahrten die Briefe auf.
"Auf nichts kann man sich so verlassen wie auf die Wirksamkeit und Unvergänglichkeit eines Gedichts." (S.262)
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