07 Mai 2018

Gerd Gaiser: Schlußball

Zur Erinnerung an eine fast vergessene Lektüre, die mir heute in die Hand fiel: Gerd Gaiser: Schlußball, 1958

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41759625.html

  • "Diese Welt, dachte ich, wäre kaum auszuhalten. Aber diese Welt, in der unaufhörlich nach Glück gestrebt wird, die voll ist von Glücks-Offerten, lauter Glücksartikeln zu Tagespreisen und von erster Marke, Glück durch Nagelpflege und Klangmöbel, Glück durch Busen, Ventilation und Vitamine, durch Wunscherfüllungen, Rasierwasser und seelische Entschlackung - sie läßt sich ertragen von einem Augenblick an, in dem man den Wahn besiegt hat, des Morgens müsse ein Glück neben der Uhr auf dem Tisch liegen." - Schlußball, Carl Hanser Verlag, München 1958, S. 272
  • "Trotzdem warte ich und stehe morgens auf. Ich weiß nicht, was ich bin und wozu, und worauf ich warte. Aber ich warte noch." - Gerd Gaiser, Schlußball, Carl Hanser Verlag, München 1958, S. 273

Mir gefiel damals (1974/75??) die Sicht aus verschiedenen Perspektiven. Damal noch nichtzigmal durchgespielt gelesen.

Romananfang:
"Für tot erklärt",sagte jemand. ...

Romanschluss:
Weinen ist nicht so einfach. (S.212)  (vgl. "Aber weinen ist nicht einfach.", S.42)

Der Prolog beginnt:
"Nicht die Nacht, in der Neu-Spuhl verworfen wurde, nicht die Nacht, in der es unterging. Gesund in seiner Wirtschaft, kann Neu-Spuhl noch lange stehen."

und schließt:
"Solche Nächte kommen viele. Jeder bekommt seine Schuld. Die Welt ist eng, aber im Pfuhl rühren sich die Larven. Larve, Puppe, Imago. Einmal bleibt die Hülle zurück. Imago; die Flügel zittern. Sie straffen sich. Was wird sein? Aber: was ist gewesen?"

Walsers Ehen in Philippsburg habe ich 1963/64 gelesen und weit besser und als weit besser in Erinnerung. In meinem Lektüretagebuch keine Notiz zum Schlußball.
Etwas in mir sträubt sich gegen die Vorstellung, dass über 11 Jahre nach der Lektüre der Mutmaßungen über Jakob, gut 10 Jahre nach der der Ehen in Philippsburg nachdrücklich vom Schlußball beeindruckt gewesen sein. Ein im Taschenbuch liegender Zettel und handschriftliche Notizen im Buch sprechen für Behandlung im Unterricht. Hilfreich meldet sich die vage Vorstellung, die Erstlektüre habe in einem gebundenen Buch stattgefunden. 
Aber die Neugier auf das Buch ist geweckt. 

Jetzt habe ich es mir angesehen. Es ist nicht das Geschehen, nicht die klischeehafte Gesellschaftskritik, nicht die Edelmenschen, was mir peinlich ist. Es ist die spezifische Art, wie sie präsentiert werden, die mich an Blut-und-Boden Edelmenschen erinnert. Auch Böll hat seine Charaktere, deren Empfindlichkeit und Selbstansprüche ihnen zur Ehre gereichen sollen (vgl. "Die verlorene Ehre ... oder Uwe Johnson); aber das heute schwer erträgliche auf germanische Tugenden getrimmte Pathos. 

Dabei weiß Gaiser Interesse und Einfühlung zu wecken, die Charaktere sind nur eingeschränkt klischeehaft. 

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