Quint
streichelte plötzlich seine Hand, als habe er etwas von dem, was
Kurt Simon bewegte, erraten: »Mein Joch ist sanft; meine Last ist
leicht! Und es ist und bleibt eine frohe Botschaft«, sagte er dann
mit dem Klange froher Zuversicht und Fröhlichkeit, ohne daß seine
Stimme die melodiöse Ruhe verlor oder heftig und laut wurde.
Der
Bruder, als er zurückkam, kniete ins Gras – ein Beispiel, dem
Quint und Kurt Simon nachfolgten –, faltete seine Hände und
betete: »Komm, Herr Jesu, sei unser Gast und segne, was du uns
bescheret hast!« – Hierauf brach er das Brot, und während sie
aßen, wurde erörtert, wie das Sakrament des Abendmahls den Sinn
einer täglichen Handlung habe, nicht nur zu einer Erinnerung. Sogar
das kleine Gebet besage dies schon. Jede Mahlzeit sei ein tierisches
Mahl, wo Jesus, der Herr, nicht zugegen wäre. Sofern er aber zugegen
sei, werde es eine heilige Handlung, man genieße dann Himmelsbrot
und Himmelswein. [...]
Und so genossen sie
wirklich himmlisches Brot und himmlischen Wein in jener Verklärung,
darin schon Quint und die Brüder Scharf miteinander gegessen hatten,
nur daß diese Verklärung im Lichte des Frühlings unter dem
ehrfürchtigen Flüstern und im Schatten des weitverbreiteten
Eichenwipfels diesmal eine noch hochgestimmtere war als bei tiefer
Nacht in dem Hüttchen der Brüder. Wer will entscheiden, ob diese
drei mit ihren Gedanken und Taten Unrecht begingen und schwere
Sündenschuld auf sich luden, indem sie die Kirche gemieden hatten,
deren Glocken soeben in der Ferne zu läuten begannen, und dadurch,
daß sie etwas vom Regiment der Kirche Verbotenes aus kindlicher
Liebe zu Jesu und ganz einfältiger Gläubigkeit unternommen hatten?
Jedenfalls bemächtigte sich der drei eine reine und gleichsam
bebende Fröhlichkeit, die sie weit über alles Gemeine erhob, ja
fast zu weit von dem nüchternen Grunde der Erde entrückte. Das Wort
des Herrn: »Wenn zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, so
bin ich mitten unter ihnen« vereinte sie; denn sie zweifelten nicht
an diesem Wort, und es kam ihnen auch der Gedanke nicht, es wäre
irgend dahin zu deuten, als müßte der Heiland, um zu seinen
verirrten Schäflein zu kommen, durchaus erst den Weg über eine
Kanzel, eine Abendmahlszeremonie und durch den Mund eines Bischofs,
Pastors oder besonders geprüften Gottesgelahrten gehn. Sie waren
einig, und dieses Gefühl der Einigkeit war zugleich ein Gefühl
verbindender Wärme. Die Liebe in ihren Herzen war befreit, die Liebe
zu einem unsichtbar Gegenwärtigen, darin sie sich trafen und
genugtaten. [...]
Es muß gesagt werden, daß der zu Taufende gleichwie der Täufer
– denn eine Taufe sollte vollzogen werden –, weit entfernt von
jeglicher Frivolität, ein Gefühl erhabenster Weihe empfanden. Es
ist nicht zu billigen, ganz gewiß, daß sie sich hier verleiten
ließen, etwas Unerhörtes zu tun, eine Blasphemie, die das Gesetz
unter Strafe stellt. Aber wenn man bedenkt, wie Jesus die Armen an
Geist und die Einfältigen, wenn sie nur reines Herzens waren,
besonders liebte, so wird man nicht ohne Nachsicht sein. Die
Absichten der Männer waren lautere. Sie weinten in tiefer
Ergriffenheit: der Täufling bis zur Ohnmacht verzückt und verzehrt.
Nur freilich, sie waren in einem Irrtum. Das Gottesreich, welches die
große und gewaltige, wenn auch zerspaltete christliche Kirche
verwirklicht hat, sahen ihre verblendeten Augen als Babel an. Sie
glaubten ein anderes Gottesreich und meinten, es ahnend zu begreifen.
Ringsum lag die Welt. Diese, wußten sie, war die Feindin des Reichs.
Darüber hinaus war sie ihnen fremd, und sie kannten sie kaum vom
Hörensagen; aber sie wollten mit ihr nichts gemein haben und einzig
Bekenner des Wortes Jesu und seines zukünftigen Reichs auf Erden
sein. [...](Gerhart Hauptmann: Der Narr in Christo Emanuel Quint - Kapitel 2)
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