14 Juli 2018

Gerhart Hauptmann: Der Narr in Christo Emanuel Quint - Die Taufe


Quint streichelte plötzlich seine Hand, als habe er etwas von dem, was Kurt Simon bewegte, erraten: »Mein Joch ist sanft; meine Last ist leicht! Und es ist und bleibt eine frohe Botschaft«, sagte er dann mit dem Klange froher Zuversicht und Fröhlichkeit, ohne daß seine Stimme die melodiöse Ruhe verlor oder heftig und laut wurde.
Der Bruder, als er zurückkam, kniete ins Gras – ein Beispiel, dem Quint und Kurt Simon nachfolgten –, faltete seine Hände und betete: »Komm, Herr Jesu, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast!« – Hierauf brach er das Brot, und während sie aßen, wurde erörtert, wie das Sakrament des Abendmahls den Sinn einer täglichen Handlung habe, nicht nur zu einer Erinnerung. Sogar das kleine Gebet besage dies schon. Jede Mahlzeit sei ein tierisches Mahl, wo Jesus, der Herr, nicht zugegen wäre. Sofern er aber zugegen sei, werde es eine heilige Handlung, man genieße dann Himmelsbrot und Himmelswein. [...]
Und so genossen sie wirklich himmlisches Brot und himmlischen Wein in jener Verklärung, darin schon Quint und die Brüder Scharf miteinander gegessen hatten, nur daß diese Verklärung im Lichte des Frühlings unter dem ehrfürchtigen Flüstern und im Schatten des weitverbreiteten Eichenwipfels diesmal eine noch hochgestimmtere war als bei tiefer Nacht in dem Hüttchen der Brüder. Wer will entscheiden, ob diese drei mit ihren Gedanken und Taten Unrecht begingen und schwere Sündenschuld auf sich luden, indem sie die Kirche gemieden hatten, deren Glocken soeben in der Ferne zu läuten begannen, und dadurch, daß sie etwas vom Regiment der Kirche Verbotenes aus kindlicher Liebe zu Jesu und ganz einfältiger Gläubigkeit unternommen hatten? Jedenfalls bemächtigte sich der drei eine reine und gleichsam bebende Fröhlichkeit, die sie weit über alles Gemeine erhob, ja fast zu weit von dem nüchternen Grunde der Erde entrückte. Das Wort des Herrn: »Wenn zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, so bin ich mitten unter ihnen« vereinte sie; denn sie zweifelten nicht an diesem Wort, und es kam ihnen auch der Gedanke nicht, es wäre irgend dahin zu deuten, als müßte der Heiland, um zu seinen verirrten Schäflein zu kommen, durchaus erst den Weg über eine Kanzel, eine Abendmahlszeremonie und durch den Mund eines Bischofs, Pastors oder besonders geprüften Gottesgelahrten gehn. Sie waren einig, und dieses Gefühl der Einigkeit war zugleich ein Gefühl verbindender Wärme. Die Liebe in ihren Herzen war befreit, die Liebe zu einem unsichtbar Gegenwärtigen, darin sie sich trafen und genugtaten. [...]
Es muß gesagt werden, daß der zu Taufende gleichwie der Täufer – denn eine Taufe sollte vollzogen werden –, weit entfernt von jeglicher Frivolität, ein Gefühl erhabenster Weihe empfanden. Es ist nicht zu billigen, ganz gewiß, daß sie sich hier verleiten ließen, etwas Unerhörtes zu tun, eine Blasphemie, die das Gesetz unter Strafe stellt. Aber wenn man bedenkt, wie Jesus die Armen an Geist und die Einfältigen, wenn sie nur reines Herzens waren, besonders liebte, so wird man nicht ohne Nachsicht sein. Die Absichten der Männer waren lautere. Sie weinten in tiefer Ergriffenheit: der Täufling bis zur Ohnmacht verzückt und verzehrt. Nur freilich, sie waren in einem Irrtum. Das Gottesreich, welches die große und gewaltige, wenn auch zerspaltete christliche Kirche verwirklicht hat, sahen ihre verblendeten Augen als Babel an. Sie glaubten ein anderes Gottesreich und meinten, es ahnend zu begreifen. Ringsum lag die Welt. Diese, wußten sie, war die Feindin des Reichs. Darüber hinaus war sie ihnen fremd, und sie kannten sie kaum vom Hörensagen; aber sie wollten mit ihr nichts gemein haben und einzig Bekenner des Wortes Jesu und seines zukünftigen Reichs auf Erden sein. [...]
(Gerhart Hauptmann: Der Narr in Christo Emanuel Quint - Kapitel 2)


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