Die Polizisten hegten Emanuels wegen Fluchtverdacht. Wahrscheinlich war ihnen das Auftauchen und Verschwinden Quints und sein Entweichen mit dem böhmischen Josef von preußischer Seite mitgeteilt worden. Deshalb wurden dem armen Sünder, den man mit den Worten: »Da ist der Verführer!« in der Kammer gegriffen hatte, Handschellen angelegt. Den beiden Scharfs, die mit großer Heftigkeit forderten, daß man sie ebenfalls binden möge, gelang es indessen nicht, Fluchtverdacht zu erwecken, und sie mußten, mit Qualen im Herzen, ohne Fesseln und in großem Abstand von Quint, der vorangeführt wurde, mit dem zweiten Polizisten den Weg nach der preußischen Grenze antreten. [...]
In der Seele des Narren regte sich eine schwere und qualvolle Bitterkeit. Er war von dem reinen Geiste der Schrift und nebenher von reiner Menschenliebe erfüllt gewesen, und wiederum brach, wie so oft, die ganze Verachtung der Welt über ihn herein. Sie war diesmal für ihn noch unbegreiflicher, je weniger die Entehrung, in die man ihn durch die Fessel gestoßen hatte, irgendeinen begreiflichen Sinn zu enthalten schien. Man führte ihn wie ein reißendes Tier. Seine Empörung wollte aufwallen, wenn er hinter sich Getrappel, Gespräch und Geschrei vernahm und Worte, die Vermutungen ausdrückten, ob Diebstahl, Totschlag oder Raubmord die Ursache seiner Verhaftung sei. Die Mitläufer nahmen kein Blatt vor den Mund, und der arme Quint, dessen ärgster Fehler – man weiß allerdings, daß Müßiggang aller Laster Anfang ist – vielleicht eine gewisse Scheu vor der Arbeit war, mußte Proben eines Freimuts mit jeder Minute hinnehmen, die seine etwas zu hohe Stirn, seine spitze Nase, seinen roten Bart, seine langen Arme und Beine, ja sogar seine Sommersprossen betrafen. Einige meinten, er sei ein Giftmörder. Da aber fühlte er, sofern er schreien wollte: ich bin es nicht!, würde der Schrei wie von Steinen zurückhallen. [...]
Es kam ihm vor, als wanderten hinter ihm Gebilde aus Erz, aus Stein oder aus Ton, Tote, die in sich kein Leben hatten! Vergessene, Verlassene und Begrabene, die irgendwann einmal vielleicht dazu bestimmt sein könnten, durch den Liebesodem des Schöpfers geweckt und zu dem gemacht zu werden, was er war. Und immer heller strahlte in seiner Seele ein göttliches Glück, bis er manchmal unwillkürlich den bläulichen Gottestischrock an sich zog, wie um das innere Leuchten zu verbergen. Und dann dachte er sich: Ich bin ein Licht! Warum sehen sie eigentlich nicht, daß ich leuchte? Doch wohl, weil sie unrettbar mit dem schwarzen Star des Todes behaftet sind. Warum sehen sie eigentlich nicht, daß sie mir in unaussprechlicher Weise Gutes tun, indem sie mir Ähnliches zu erfahren geben wie ihm, dem Heiland, dem ich nachleben, den ich von innen her immer besser ergründen will? Machen sie mich nicht mit ihrer Härte, mit ihrem Hohn, mit ihrer Unwissenheit und Gleichgültigkeit dem Heiland ähnlicher, so daß ich in einem Gebiet meines Wesens, meiner Erfahrung, meiner Schmerzensempfindung ihm gleich geworden bin? [...]
Der deutsche Gendarm, dem Quint in der Nähe der Pichlerbaude übergeben werden sollte, brach, als er seiner ansichtig wurde, in ein joviales Gelächter aus, in das sogleich die Herren aus Böhmen sowie die Menge der Mitläufer einstimmten. Er sagte dabei mit Bezug auf das lange Haar des Toren, das in der Zeit des Einsiedlerlebens nicht gekürzt worden war, es sei aber nun wirklich die allerhöchste Zeit für das Haareschneiden, und diese Worte riefen deshalb eine noch lautere humoristische Wirkung hervor, weil es fast so schien, als ob der vierschrötige Kavallerist als Barbier und nur zum Zwecke gekommen wäre, Emanuel Quinten das Haar zu schneiden, und dieser wiederum nur zu dem Zweck, eben diese Arbeit von ihm verrichten zu lassen. Noch war das Gelächter nicht gänzlich verstummt, als plötzlich ein Knabe, der etwa elf Jahre alt sein mochte, sich dicht vor Quint hindrängte und ihm einen Keil Roggenbrotes, der mit Fett bestrichen war, zureichte. Der grübelnde Tor sah ihn an und, wie es schien, erwachte nun erst ins Leben zurück. Als er die Absicht des blassen, hager aufgeschossenen Jungen begriffen hatte, vergaß der Narr, daß er Handschellen um die Knöchel trug, und wollte, merklich gerührt, wie segnend die Rechte auf seinen Scheitel tun. Die somit entstandene Bewegung, die kläglich genug zu sehen war, konnte von dem Jungen nicht anders gedeutet werden, als habe der arme Sünder das Brot entgegenzunehmen vergeblich versucht, und es ward ihm zugleich zu Gemüte geführt, daß er in seiner herzlichen Aufwallung gerade den Umstand, nämlich die Fessel um Menschenhände, vergessen hatte, durch den sein Mitleid besonders erregt worden war. So erlitt die gute Tat eine unerwartete, kurze Verzögerung und erregte das von dem Jungen gefürchtete Aufsehen. Jäh schoß ihm das Blut ins Angesicht. Aber nur einen Augenblick beherrschte ihn Ratlosigkeit, dann hatte er bereits die zerlumpte Seitentasche im Rock des Sträflings bemerkt und blitzschnell den Kanten Brot dort festgesteckt. Jetzt sah man zwei braune, nackte Füße, eiligen Laufs, die Sohlen nach rückwärts geworfen, über die Kammwiese sich entfernen und schließlich verschwinden. [...]
(Gerhart Hauptmann: Der Narr in Christo Emanuel Quint - Kapitel 7)
Während des Abstiegs ins Hirschberger Tal hinunter hatte Emanuel die Brüder Scharf neben sich. Der Gendarm hegte kein Mißtrauen. Er hatte sich eine von den Zigarren angezündet, die er aus freundlichst präsentierten Zigarrentaschen zu sich gesteckt hatte, und indem er sein schweres Pferd behaglich am Zügel mit sich zog, ließ er die Häftlinge unbesorgt voranschreiten. Natürlich waren die Brüder froh, wieder mit Quint vereint zu sein, zugleich aber zitterten sie vor großer Entrüstung über das, was ihnen, und vor allem, was Quint widerfahren war. [...]
Die Nachfolge Jesu, sagte Quint hierauf, müsse ein jeder für seinen Teil aufnehmen und durchführen und es könne und müsse hierbei nur einer, der Heiland selbst, der Führer sein. Er aber, Quint, werde sich niemals so weit vermessen und vergessen, irgendwo in der Welt der Erste zu sein, wo der Heiland der Letzte gewesen wäre. Sie waren bis an eine Stelle gelangt, wo der Gendarm auszuruhen beabsichtigte, und plötzlich erklang sein donnerndes: »Halt!« Die Häftlinge standen still und erwarteten den Beamten, der prustend und gutmütig fluchend näherkam, um sich auf einer Bank niederzulassen, die man zum Gebrauch fremder Touristen hier aufgestellt hatte. »Ruht euch aus, Kerls«, sagte er, »wir haben noch weit! Wenn euch nun nicht der Teufel geritten hätte, so brauchte ich jetzt, an den Feiertagen, nicht in den Bergen herumkriechen, was bei meinem Speck nämlich kein Vergnügen ist. – Na, ihr macht allerdings auch Gesichter wie neun Meilen schlechter Weg. Das weiß Gott!« Dies sagte er mit einem seltsam forschenden Blick seiner kleinen Augen, zugleich breit lächelnd und seinen behelmten Kopf schüttelnd. »Wenn man nur wüßte, was euch in die Kaldaunen gefahren ist? Ich glaube, ihr seid verrückt geworden. Ich hab' auch mal einen Kerl transportiert, der kam aber wirklich später ins Irrenhaus, der wollte mir immer einreden, daß er es schwarz auf weiß, ich weiß nicht von wem, bescheinigt in Händen habe, er werde lebendigen Leibes mit Wagen und Pferden gen Himmel kutschieren. Schließlich sollte der Wagen ja wohl, hol' mich dieser und jener! noch feurig sein. – Was ist denn los? Was habt ihr denn? Hol' mich dieser und jener! Glaubt ihr vielleicht, daß in drei Tagen die Welt untergeht? Bis dahin, o weh! da wird noch mancher Kognak getrunken werden! – Macht doch die Menschen nicht verrückt! Ihr macht ja das Gesindel in den Häusern da oben richtig wahnsinnig! Wer redet euch denn solchen Unsinn ein? Ich war doch wahrhaftig oft genug in der Garnisonskirche. Was Religion und was unser Herr Christus ist, weiß ich doch wahrscheinlich besser als ihr! Aber so 'n Blödsinn ist mir doch noch nicht vorgekommen.« »Herr Gendarm«, sagte Martin Scharf, »wir haben nichts getan, als wozu der Geist des Herrn uns getrieben hat. Wir sollen Zeugnis ablegen von Christo! Wir sollen es heute tun und nichts auf morgen verschieben, Herr Gendarm! Ja, wenn wir es eine Stunde verschieben wollten, wer weiß, die wäre vielleicht versäumt für die Ewigkeit.« – »Herr Gott ja, Mensch, glaubt ihr, wir haben auf euch gewartet? Wird nicht in allen Kirchen Sonntag für Sonntag für Jesum Christum Zeugnis abgelegt? Sonntag für Sonntag, in allen Kirchen! Bin ich ein Heide? Bin ich denn nicht ebensogut wie du ein Christ?«
Anton Scharf aber, der die Zähne zusammenbiß, sah den Wachtmeister grimmig an, bevor er etwa dieses unüberlegt und heftig hervorbrachte:
»Es gibt auch solche, die falsch Zeugnis reden von Christo Jesu, es gibt solche genug und zu viel, die Christen heißen und andere Christen nennen und sind doch nichts als eitel Kinder der Welt.« Quint aber winkte ihm mit der Hand. Er sagte, als er des Wachtmeisters Auge nicht ohne Interesse auf sich gerichtet sah und Anton verstummt war, mit ruhiger Stimme: »Wir wollen uns lieber nicht vermessen, keiner von uns, zu sagen, er sei ein Christ. Der Christ ist der Christ. Es ist nur ein Christ: Christus der Heiland, wo aber sonst Christus ist, dort ist er verborgen! Was wäre die Welt, wenn Christus in dir, in Tausend und Hunderttausend, ja in Millionen anderer wäre? Sie wäre das Reich! Christ heißt nichts anderes als Christus sein. Wer kann sich vermessen und sagen: ich bin es?«
»Vorwärts, keine Müdigkeit vorschützen«, sagte nicht ohne eine gewisse Betretenheit der Gendarm, den sein Pferd schon mehrmals ungeduldig mit der Schnauze gestoßen hatte, stand auf und gab das Zeichen zum Aufbruch. »Ihr redet verkehrtes Zeug durcheinander, und was ihr quatscht, wißt ihr selber nicht. Steckt eure Nase in euer Handwerk hinein und macht die einfachen Leute nicht aufsässig! Es wird euch auch niemand hindern, wenn ihr Sonntag für Sonntag zweimal meinethalben – mir wär's zuviel! – zur Kirche geht.« [...]
Den Rest des Weges legten sie in der alten Ordnung zurück. Wieder versuchten die Brüder Scharf, Quint für eine Gemeinschaft zu gewinnen, die sie begründen wollten. Emanuel aber, der durch die seltsame Flamme des Glaubens, die aus den Augen Antons wiederum aufgeleuchtet hatte, beunruhigt war, sträubte sich mehr wie je wider den Gedanken, das Haupt irgendeiner Gemeinde zu sein. Er wurde sogar überaus zornig, indem er betonte, daß ihm nichts ferner liege, als die Legionen von Wortmachern um einen zu vermehren oder irgendeinem Aberglauben dieser Welt Nahrung zu geben. »Ich bin versöhnt mit Gott. Durch Jesum Christum bin ich versöhnet. Und wenn ich etwas durch die Tat zu bezeugen auf dieser Erde gehalten bin, so ist es eben diese Versöhnung mit meinem Gotte und dann die Versöhnung mit den Menschen. [...]
Die Häftlinge wurden für diese Nacht im Polizeigewahrsam zu Hainsdorf untergebracht, die Brüder gemeinsam in einem Raum, der Narr in Christo dagegen allein. Und als dieser nun bei Wasser und Brot in der feuchten und dunklen Zelle lag, hatte er einen Traum, aus dem er nach kurzer Zeit erwachte, um dann, bis zum Morgen, in einem Zustande tiefer Beseligung zu verharren. Quint hatte geträumt, der Heiland selber sei in sein Gefängnis zu ihm gekommen. [...]
Er wußte: so und nicht anders sah der Heiland, der Menschensohn, der Sohn Mariens, der König unter der Dornenkrone aus, der weder Gestalt noch Schöne hatte und für den gehalten werden mußte, der von Gott geschlagen und gemartert würde. Er kannte in seinem Gesicht jeden einzelnen Zug: so blickten die eingesunkenen Augen, so waren die rötlichen Brauen darüber gelegt, so saßen um die Winkel der Lider und um den Ansatz der feinen Nase, deren Flügel leise bebten, die Sommersprossen. [...]
Und auch auf den rauhen und bestaubten Füßen des Heilands, der barfuß von einer langen Wanderung zu kommen schien, waren die Male zu erkennen. Es ging eine Kraft von ihnen aus, die Quint wie ein Sturm des Mitleids und der Liebe zur Erde riß. Er konnte nicht anders, als immer wieder unter einer Sintflut von Tränen die beiden geliebten Füße küssen. Und nun war es, daß über Emanuel Quint eine weiche und ernste Stimme erscholl: »Bruder Emanuel, hast du mich lieb?« – »Ja«, sagte Emanuel, »mehr als mich selber!« [...]
Und wieder erklang die Stimme, genau wie vorher: »Bruder Emanuel, hast du mich lieb?« Und als der Träumende es beteuerte, setzte die Stimme weiter hinzu: »Emanuel Quint, so will ich für immer bei dir bleiben!« Hatte Quint vor einigen Augenblicken gemeint, als das Schloß des Gewahrsams sich knirschend umdrehte und auch als Hand und Kopf des Kommenden im Türspalt erschien, daß ein neuer armer Sünder hereingeführt würde, so fand er sich jetzt, kaum daß Sekunden verstrichen waren, bis in den siebenten Himmel verzückt, und indem er sich aufrichtete und seine Arme weit ausbreitete, geschah endlich das, was seinem Traume für ihn die Weihe des Wunders gab. Nämlich, indem Quint und die Gestalt des Heilands, wie Brüder, die sich lieben und lange vermißt haben, mit geöffneten Armen einander entgegenkamen, schritten sie ganz buchstäblich einer in den andern hinein, derart zwar, daß Quint den Körper des Heilands, das ganze Wesen des Heilands in sich eintreten und in sich aufgehen fühlte. Dieses Erlebnis war zugleich so unbegreiflich und wunderbar durch seine vollkommene Realität: denn es schien nicht anders, als daß wirklich fühlbar in jedem Nerven, jedem Pulsschlag, jedem Blutstropfen zuinnerst und innigst die mystische Hochzeit stattfand und Jesus in seinen Jünger einging und in ihm sich auflöste. [...]
Als jener schwieg, erhob sich Martin Scharf von der Erde, auf die er sich, gleichwie sein Bruder, der böhmische Josef und Schwabe, geworfen hatte, und sprach in einem so neuen Ton, daß die ganze Gemeinde aufmerkte. Er ward nicht laut, aber was er sagte, geschah im Ton einer sicheren Mitteilung. »Singet«, sagte er, »jubilieret! der Herr, der Heiland ist unter uns! Es ist nicht mehr Zeit, die Brust zu schlagen, zu seufzen, zu wimmern und um Erhörung zu bitten. Die Verheißung erfüllet sich! Haben wir nicht seine Stimme gehört? Haben wir den Bräutigam nicht mit Augen gesehen? Die Braut, solange der Bräutigam ferne ist, hat sie Traurigkeit! Ist aber der Bräutigam nahe, so wird sie voll Freudigkeit. Ich bringe euch eine frohe Botschaft. Es ist nie irgend jemand zu euch gekommen mit einer solchen Botschaft wie wir: Jesus Christus ist auferstanden!« Es war niemand in der kleinen Gemeinde, den der Inhalt seiner Rede verwundert hätte. Zu oft war ihnen die frohe Botschaft verkündigt worden. Was sie indessen alle erbeben ließ, war die bebende Überzeugung in der Stimme des Redenden. Sie war so stark, daß man sich dadurch, wie von einer ungeheueren Neuigkeit, bei den altbekannten Worten erschüttert fand. »Fraget nicht weiter«, sagte Scharf, seine Mitteilung abbrechend, »aber halte sich ein jeder bereit! Jeder ziehe ein hochzeitlich Kleid an! Jeder horche bei Tag und Nacht und sorge, damit er nicht etwa im Schlafe liege, wenn der Ruf des Gerichts erschallt!« Und er hieß Kinder und Frauen heimgehen und behielt die verständigsten Männer zurück, um sich mit ihnen über jenes Geheimnis auszusprechen, das er bisher nur andeutungsweise verraten hatte. Bald saß er mit den Zurückgebliebenen um den Tisch herum und eröffnete ihnen nicht ohne Feierlichkeit, wie seiner Meinung nach in Emanuel Quint ein Mann, mit der vollen Kraft des apostolischen Geistes ausgestattet, auf der Erde erschienen sei. [...]
Nach Verlauf einer Stunde war es in diesem Kreise ausgemacht, Quint habe den Vater Scharf durch bloße Berührung von seinen argen Schmerzen befreit und den Teufel vertrieben, der Martha Schubert gepeinigt hatte. Es war erwiesen, daß eine gelähmte Frau vor der Hütte der Schubertleute seinen Rock berührt und darauf mit beweglichen Gliedern, frisch und gesund den Heimweg genommen hatte. Niemand zweifelte, daß die hundertjährige Greisin, die mancher kannte, durch Quint Vergebung der Sünden erhalten hatte und vom Leben erlöst worden war. [...]
Wie mit der Geißel erbarmungslos vorwärtstreibend, steht hinter diesen Leuten das grausenvolle Gespenst der Not. Sie sehen Fremde und Feinde ringsum, die meistens drohend, bestenfalls mit kaltem und hämischem Blick der Überanstrengung ihrer Kräfte zuschauen. Und also nimmt schließlich die Angst ungeheure, mystische Formen an. Überall, nicht mit Unrecht, sehen die Armen raubtiermäßig verderbliche Mächte lauern und des Augenblicks warten, wo die Belauerten etwa auch nur vorübergehend Müdigkeit überfiele, wo denn sogleich immer ihr Schreckensschicksal entschieden ist. Angstvoll also, willenlos und gejagt, waren die Leutchen den überspannten Einbildungen der Brüder Scharf vollkommen preisgegeben und hatten ihren starken Beteuerungen weder im Guten noch im Bösen Widerstand entgegenzusetzen. Sie, die gewohnt waren, beständig um ein Leben zu ringen, das schon verloren war, unterließen es ebensowenig jemals, nach dem Strohhalm zu greifen, sooft er ihnen, statt des rettenden Balkens, geboten wurde, in ihrer dunklen Lebensflut. Jemand sagt, daß Hoffnung die andere Seele des Menschen ist. Wer dieser zweiten, höheren, lichteren Seele solcher Menschen Nahrung bot, war ihnen stets – wie konnte es anders sein? – aufs höchste willkommen: sogar der Verbrecher, der Lügner, der Scharlatan! Hier aber standen zwei Männer auf, die mit wilder Kraft und einem unverkennbaren heimlichen Freudenrausch von einem Ereignis zu reden wußten, das beinahe die Erfüllung aller Hoffnung selber war. [...]
In diesen markanten alten Weberköpfen war Glaube noch Glaube, seinem innersten Wesen nach: das heißt etwas anderes als Forschung, Zweifel oder Erkenntnis. Und zu den Dingen, auf die sich ihr Glaube fest bezog, gehörte auch die Wiederkunft Jesu auf diese Erde und die Errichtung eines tausendjährigen, irdischen Gottesreichs: es sollte nun also wahrhaftig und wirklich nach den überzeugenden Worten der beiden fremden Brüder nahe bevorstehen. [...]
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