19 Dezember 2025

Günter Wallraff: Ganz unten

 "Ich möchte zu denen gehören, die nicht dazugehören" ZEIT Nr.54, 16.12.2025

"[...]  Es ist immer derselbe Mann: Ali. In 38 Sprachen redet er von den Buchcovern zu uns, hier im Haus dieses Mannes, der mal dieser Ali gewesen ist. 40 Jahre ist das her.

Günter Wallraff war neben Ali, dem Gastarbeiter, schon vieles: Hans Esser zum Beispiel, als er Mitte der Siebzigerjahre als vermeintlicher Boulevardjournalist die unwürdigen Recherchemethoden der Bild-Zeitung aufdeckte. Er war undercover unterwegs als iranischer Arbeitsmigrant in Japan (Anfang der Neunzigerjahre) und als Somalier in Deutschland (Ende der Zweitausenderjahre). Er recherchierte auch verdeckt für das ZEITmagazin. Er wurde der bekannteste Investigativjournalist Deutschlands.

Heute ist Wallraff 83 Jahre alt, und an diesem Herbsttag in Köln sagt er, dass er sich damals, als Ali und in all den anderen Rollen danach, viel mehr zu Hause gefühlt habe, dass er viel mehr er selbst gewesen sei als in seinem wirklichen, unverkleideten Leben als Günter Wallraff.

Ganz unten heißt das Buch, für das er zwei Jahre lang als Ali in Deutschland lebte. Fünf Millionen Mal hat sich das Buch über den türkischen Gastarbeiter und das Elend und die Ausbeutung, die er erlebt hat, bis heute verkauft. Die Verbandszeitung des Buchhandels, das Börsenblatt, schrieb: "In der Geschichte des deutschen Verlagswesens hat es noch nie einen sensationelleren Erfolg gegeben." Was bleibt von so einem Buch? [...]

Sie blieben. Aber es dauerte, bis sie wirklich angekommen waren. Als dann Ganz unten erschien, habe sich etwas verändert, sagt Özdemir. "Meine Eltern hatten die türkische Fassung, En Alttakiler, natürlich zu Hause. Wie so viele türkeistämmige Familien damals. Es stand neben dem Fernseher, dem prominentesten Platz in einer türkischen Wohnung!"

Vergangene Nacht habe er einen Traum gehabt, sagt Günter Wallraff: "Ich stand vor einer eingezäunten Manege mit einem fauchenden Tiger darin. Plötzlich entdeckte ich ein Loch im Zaun. Zum Glück fand ich eine Matratze, mit der ich das Loch stopfen konnte. Doch dann sieht der Tiger mich an und richtet den Blick auf ein anderes Loch, und dann seh ich, dass da lauter Löcher im Zaun sind. Der Tiger guckt mich gebannt an und deutet mit dem Kopf von einem Loch zum nächsten. Ich eile von Loch zu Loch und versuche, sie zu stopfen. Und irgendwann fällt mir auf: Der Tiger will gar nicht raus. Der macht dich nur auf die Löcher aufmerksam."

Er frage sich, was der Traum bedeute. [... ]

ZEIT: Kann ein Buch etwas verändern? Was kann es verändern?

Wallraff: Nach Ganz unten wurden Thyssen und andere Konzerne zu Bußgeldern in Millionenhöhe verurteilt, Dauerschichten wurden unterbunden, Schutzhelme und Staubmasken zur Verfügung gestellt, zahlreiche Sicherheitsingenieure mussten neu eingestellt werden, und Leiharbeiter erhielten Festanstellungen. Das Wichtigste aber war die Anteilnahme der Menschen an dem Schicksal der türkischen Arbeiter, eine große Solidarisierung, insbesondere im Ruhrgebiet. Ein Buch kann und sollte also auch an Ort und Stelle etwas verändern und vor allem denen eine Stimme geben, die nichts zu sagen haben, obwohl sie viel zu sagen hätten. [...]"

Wikipedia über Ganz unten

Das Werk schildert, wie Günter Wallraff in der Rolle des Türken Levent (Ali) Sigirlioğlu (in späteren Ausgaben Sinirlioğlu genannt) in Deutschland verschiedene Arbeiten annimmt und dabei vielerorts Ausbeutung, Ausgrenzung, Missachtung und Hass erfährt.

Wallraff schreibt im Vorwort zu seinem Buch, für das er ab März 1983 zwei Jahre lang recherchierte:

„Sicher, ich war nicht wirklich ein Türke. Aber man muß sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren, muss täuschen und sich verstellen, um die Wahrheit herauszufinden.
Ich weiß immer noch nicht, wie ein Ausländer die täglichen Demütigungen, die Feindseligkeiten und den Haß verarbeitet. Aber ich weiß jetzt, was er zu ertragen hat und wie weit die Menschenverachtung in diesem Land gehen kann.
Ein Stück Apartheid findet mitten unter uns statt – in unserer ‚Demokratie‘.
Die Erlebnisse haben alle meine Erwartungen übertroffen. In negativer Hinsicht. Ich habe mitten in der Bundesrepublik Zustände erlebt, wie sie eigentlich sonst nur in den Geschichtsbüchern über das 19. Jahrhundert beschrieben werden.“

Wallraff musste als Ali Sinirlioğlu bei verschiedenen bekannten Unternehmen schwerste Arbeiten für geringe Stundenlöhne ausführen, schikaniert von deutschen Kollegen, ohne Sicherheitsvorkehrungen, bisweilen ohne Papiere, Sozial- oder Krankenversicherung, nicht selten mehrere Schichten hintereinander. Wo deutsche Kollegen Schutzkleidung bekamen (zum Beispiel bei Kanalarbeiten bei Temperaturen unter null Grad), erhielt er keine; Wallraff schildert in diesem Zusammenhang auch, wie türkische Arbeiter in Atomkraftwerken bei ihren Tätigkeiten gefährlich hohe Strahlendosen in Kauf nehmen sollten. Hierzu führte ein von Wallraff engagierter Schauspieler als angeblicher Vertreter des Kernkraftwerks Würgassen ein fingiertes Gespräch mit einem der Arbeitgeber Wallraffs. Dabei wurde von einer (fiktiven) Panne gesprochen, die nur mit erheblicher Strahlenbelastung der Arbeiter zu beseitigen sei. Wallraffs Arbeitgeber sagte trotzdem zu, entsprechende Kräfte zu beschaffen.[2]

Viele türkische Arbeiter hatten kaum eine Chance, sich gegen solche Unmenschlichkeiten zu wehren, hielten sie sich doch illegal in Deutschland auf oder standen vor der Ausweisung. Der Autor berichtet von sich selbst, seine Gesundheit sei noch lange Zeit nach den Recherche-Arbeiten durch die Tätigkeiten, die er als Ali Sinirlioğlu, wenn auch nur kurzzeitig, durchführen musste, stark angegriffen gewesen. Hinzu kamen auch die Nachwirkungen von Medikamentenversuchen, an denen er gegen Bezahlung teilgenommen hatte, wobei die durchführenden Institute den Probanden die Nebenwirkungen teilweise verschwiegen.

Nicht nur auf seinen verschiedenen Arbeitsstellen, auch im täglichen Leben, selbst wenn er fließend Deutsch sprach und selbst noch wenn er bei einem Fußballspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die Türkei nur die deutschen Spieler anfeuerte, musste Wallraff mit seinem südländischen Erscheinungsbild Demütigungen wie „Sieg-Heil“-, „Deutschland-den-Deutschen“- und „Türken-raus“-Anfeindungen ertragen, es wurden ihm Zigaretten ins Haar geworfen und Biere über den Kopf gegossen.

Auch bei weiteren Gelegenheiten, die nicht unbedingt etwas mit der Arbeitswelt zu tun hatten, erfuhr er Ausgrenzung als Türke, beispielsweise, indem er bei katholischen Pfarrern um die Taufe nachsuchte oder in einem Bestattungsinstitut die eigene Beerdigung – wegen einer tödlichen Erkrankung durch mangelnden Arbeitsschutz – organisieren wollte.

Aus seinem Inhalt erklärt sich die Titelwendung des Buches, [...]"




07 Dezember 2025

Louis Bromfield: Der große Regen (Film)

 An den Titel des Romans erinnere ich mich aus meiner Jugend. Offenbar habe ich ihn nie gelesen.

Aber es war ein Buch, über das man irgendwann in meiner Jugend sprach.

Stilprobe:

Während er den Schlamm der Anfahrtstraße durchstapft, fällt der Sonnenball hinter den Horizont und lässt die reglose Luft schwer dunstig und dunkelgrün, geschwängert von Fruchtbarkeit, wie immer während der Regenzeit. Die Luft ist so trächtig und reich und feucht, als lebten Kräuter, Sträucher und Bäume von ihr allein, zögen aus ihr alle Nahrung und brauchten weder Wurzeln noch Erdreich. Als er vor der Veranda an langt, ist die gelbe Beleuchtung verschwunden. Das düstere, alte Haus liegt in der Dunkelheit. Im Licht der Fenster erblickt er die Gestalten [Namen einiger Personen: Sie] trinken Cocktail und plaudern.
Er steigt die Stufen empor und bemerkt, dass die kahlen Gummibäume und Aspidistren, die die Veranda garnieren, gar wunderliche Blüten getrieben haben. Aus ihrem stumpfen Grün drängt sich wie durch Hexerei, ein kunterbunter Tumult von Dotterblumen, Zinnien, Rosenmalven, Begonien und Nelken. Ihm ist, als sei die Pflanzenwelt plötzlich wahnsinnig geworden. Sein gärtnerische Geschmack fühlt sich beleidigt, doch schon versteht er: dies dekadente Schauspiel kann nur das Werk des alten Bannerji sein, welcher das heutige Fest augenscheinlich als ein für den Sohn hochwichtiges gesellschaftliches Ereignis ansah und darum, wie schon an früheren Galaabenden, an anspruchslose Gummipflanzen und Aspidistren die Blüten bunt prangender Gewächse zur Verzierung mit Garn fein säuberlich anband." (S. 286)

Louis Bromfield: Der große Regen, Roman 1937, dt. 1939 (Handlung im Film von 1955)

Der Film "Der große Regen" von 1955 (The Rains of Ranchipur), bei dem es sich um die zweite Verfilmung von Louis Bromfields Roman "The Rains Came" (1937) handelt, weicht in einigen wesentlichen Punkten vom Roman ab, insbesondere in Bezug auf die Charakterisierung und das Ende der Hauptfiguren.


🎭 Charakterveränderungen

  • Tom Ransome: Im Roman ist Tom Ransome ein zynischer englischer Maler; in der Verfilmung von 1955 wird er zu einem zynischen amerikanischen Ingenieur (gespielt von Fred MacMurray). Dies ändert seine Rolle und seine Funktion in der Katastrophe.

  • Major Rama Safti: Im Roman ist Major Safti ein Brahmane und Schützling des Maharadschas. Im Film von 1955 wird er, um die verbotene interrassische Liebesbeziehung radikaler zu gestalten, als "Unberührbarer" dargestellt, der zudem eine Gefängnisstrafe wegen seiner Beteiligung am Unabhängigkeitskampf verbüßt hat. Dies verschärft den sozialen Konflikt seiner Liebe zu Lady Edwina.


Änderung des Endes

Der wohl bedeutendste Unterschied liegt im Schicksal von Lady Edwina Esketh und ihrem Mann Lord Albert Esketh:

  • Roman (und Verfilmung von 1939):

    • Lord Esketh stirbt infolge der Naturkatastrophe.

    • Lady Edwina (die im Film von 1955 Lana Turner spielt) findet während der Katastrophe Erlösung, indem sie sich um die Kranken kümmert. Sie stirbt schließlich selbst an der Cholera-Epidemie, die nach der Flut ausbricht, weil sie versehentlich aus dem Glas eines Patienten trinkt. Dieses tragische, aber sühnende Ende war ein zentrales Element von Bromfields ursprünglicher Konzeption.

  • Film von 1955 (The Rains of Ranchipur):

    • Lady Edwina und Lord Esketh überleben beide.

    • Lord Esketh überlebt, und Lady Edwina beschließt, zu ihm nach Hause zurückzukehren, da ihre Affäre mit Major Safti beendet ist.

Die Filmemacher von 1955 eliminierten somit den tragischen Tod der "ausschweifenden" Lady Edwina, was die ursprüngliche Sühne und die moralische Aussage des Romans über die Läuterung in der Krise abschwächte.


Erzählstruktur und Fokus

  • Der Roman zeichnet sich durch eine breite Perspektive auf das Land aus und nimmt sich viel Zeit für die Vorgeschichte sowie die detaillierte Beschreibung der sozialen Hierarchien im Indien vor der Unabhängigkeit.

  • Die Filme (1939 und 1955) straffen die Handlung, um sie für das Kinoformat zu beschleunigen. Sie beginnen früher mit dem Besuch der Eskeths und Edwinas Verliebtheit in Major Safti, wobei der Fokus stärker auf die romantischen Verwicklungen und die Katastrophenszenen (Erdbeben, Dammbruch, Flut und Seuche) gerichtet wird, um sie als dramaturgischen Höhepunkt zu nutzen.

  • Die Verfilmung von 1955 konzentriert sich noch stärker auf das zentrale Liebesdreieck (Edwina - Safti - Ransome) und lässt Nebengeschichten, wie die Romanze zwischen Tom Ransome und Fern Simon (die im Roman und im Film von 1939 wichtig ist), stärker in den Hintergrund treten.

Stilprobe:
Da er [Major Safti] ihr [Edwina]  hilfreich zur Seite tritt und der Zögernden den Krug entwindet, berührt seine Hand, die ihre. Wie betäubt von Glück muss sie sich am Tisch anlehnen, doch nur eine Sekunde, dann dankt sie gefasst und mit Haltung: "Ja, er ist schwer."
In dieser Sekunde zitterten ihre Hände wie damals im Sommerpalast, als sie nach dem Weggang von Elisabeth Hodge in dem geschmacklosen Salon mit ihm allein war. Die Haltung jedoch, in der sie vor ihm steht, ist stramm und so respektvoll, als sei sie um kein Haar mehr als die pockennarbige Gupta. Lächelnd bemerkt er, es sei wohl Zeit zum ersten Rundgang, "ich begleite Sie", füllt eine zweite Kanne und nimmt beide auf.
"Geben Sie mir die eine! bittet sie, ich tue es doch gern. Ein leichtes Schmunzeln geht über sein Gesicht, sie fühlt, es, ist kein spöttisches Grinsen, sondern herzlich und warm; es ist fast, als sehe er einem Kind zu, das Doktor spielt, und sie sagt etwas gekränkt: "Sie brauchen mich gar nicht so anzusehen!"
Er hat auch dafür Verständnis, denn er entgegnet nichts, sondern drückt ihr die zwei von der Oberschwester geschriebenen Merkzettel in die Hand: "Die brauchen Sie jedenfalls", worauf sie ihm die Kanne abnimmt und stillschweigend ihren Rundgang antritt.
Aber sie ist nicht gekränkt. Sie lässt ihm den Vortritt und geht mit gelehriger Mine hinter ihm her. Selbst die bis zum Überdruss gedrillte Schwester Gupta könnte nicht braver, nicht andächtiger zu ihm aufblicken. Er widmet ihr auch keine größere Aufmerksamkeit, als er in der gleichen Situation der guten, hässlichen Gupta zuwenden würde. Er geht von Bett zu Bett, und sie gießt die Emaillebecher voll, die neben jedem auf einem kleinen Gestell stehen. Nur ein kleiner Teil der Kranken schläft, etwa zwölf delirieren; die meisten liegen geduldig da. Ihre großen, weit geöffneten Augen folgen den beiden, wie die die Reihen entlanggehen.
Bei den vier, die auf der Liste "Stirbt" stehen, bleibt der Arzt etwas länger. Er fühlt den Puls und legt die Hand auf die glühende Stirn, ohne dabei von Edwina Notiz zu nehmen. Nur einmal sagt er ihr beinahe entschuldigend: "Das Handauflegen hat an sich keinen Zweck, es soll Ihnen nur etwas Mut geben, / denn sie wissen, dass ich Brahmane bin, und seit Jahrhunderten ist diesen Unberührbaren, Ausgestoßenen eingeimpft, sie müssten vor unsereinem beiseite treten, damit ihr Schatten nicht auf uns falle und uns dadurch beflecke. (S. 526/27 - Übersetzung Dr. Rudolf Frank). 

03 Dezember 2025

George Packer: Die Abwicklung: Eine innere Geschichte des neuen Amerika

 George PackerDie Abwicklung: Eine innere Geschichte des neuen Amerika Cop. 2013 engl., dt. 2015

Packer stellt von einigen zentralen Figuren davon, wie die Globalisierung und die Machtzusammenballung bei einigen weltweit tätigen Firmen die auf ihrem Sektor eine Monopolstellung haben, dafür sorgt, dass die Gewinne für Arbeiten, die in einzelnen Regionen geleistet werden, primär in den zentralen  Firmen anfallen.

Wie sich das am Anfang dieses Jahrtausends in den USA im einzelnen abspielte, erläutert Packer auf gut 500 Seiten. 

Ich versuche das Prinzip, wie Profit bei einzelnen Firmen konzentriert wird, an aktuellen Beispielen erklären: Airbnb lässt sich dafür bezahlen, dass es zwischen Touristen und Schlafplatzanbietern vermittelt, Uber vermittelt zwischen Touristen und privaten Autofahrern für Taxidienste.  Die Arbeit wird von Privatleuten geleistet, bezahlt wird die Firma, die lediglich Vermittlungsdienste leistet.

Bei den neuen Sprachmodellen wie ChatGTP, bei denen gegenwärtig die schnellste Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) stattfindet, ist das nicht ganz so leicht zu durchschauen. Am Anfang steht die Entwicklung eines Programms, für die Ausführung sorgen mit ihrer Rechenkapazität einerseits hochentwickelte Rechenzentren und andererseits Lieferanten von Speicherplatz. Beide werden gut bezahlte. Den "Rohstoff", menschliche Texte, liefert das Internet den Suchmaschinenanbietern kostenlos, z.B. auch die Wikipedia in über 200 Sprachen.  Denn die Texte des Internets sind sozusagen Abfallprodukte menschlicher Kommunikation.  Doch die Arbeit, diese Texte mit Gegenständen in unserer Welt in Verbindung zu bringen, müssen Menschen in Akkordarbeit (ohne Mindestlohngarantie!) im Globalen Süden leisten, z.B., indem sie zu Filmen zu jedem Teil aller gezeigten Gegenstände  (Von der Landwirtschaft kennen wir das schon, und die Eine-Welt-Läden, die versuchen mit Fairem Handel zu mehr Gerechtigkeit in den Handelsbeziehungen zwischen den Ländern des Globalen Südens und des Nordens beizutragen, können die Ungerechtigkeit kaum abmildern, aber sie können Bewusstsein dafür schaffen, dass diese Ungerechtigkeit besteht. 

Doch zurück zu Packers Darstellung, wie sich der Profit für Erwerbsarbeit bei multinationalen Konzernen konzentriert. Das erste Beispiel ist der Unternehmer Dean Price. Er stammt aus einer Familie von Tabakfarmern in North Carolina und  beweist sein Unternehmergeist in ständig neuen Unternehmen.  Zunächst erlebt er den Zerfall der traditionellen, für seine Region wichtigen Industriezweige wie Tabakanbau und -verarbeiten, Textil und Möbelindustrie. Er unternimmt es wiederholt, sich als Unternehmer zu etablieren, indem er Fast-Food-Restaurants, Läden und Tankstellen betreibt. Doch er scheitert daran, dass  die Preise seiner Rohstoffe ihm von multinationalen Konzernen vorgegeben werden. Als er bei Biodiesel die Möglichkeit sieht, in der Region den Treibstoff vor Ort herzustellen, der vor Ort gebraucht wird, scheitert er trotz seines Optimismus und seiner unermüdlichen Anstrengungen scheitert einerseits daran, dass er für seine Investitionen auf Kredit angewiesen ist und andererseits, dass es ihm nicht gelingt, seine Arbeit der Werbung für das neuartige Produkt und die Überwachung  der einzelnen Betriebe miteinander zu verbinden.

Das Versprechen von Wohlstand für alle gilt nicht mehr und der Einzelne kämpft vergeblich gegen die internationalen Konzerne und die von ihnen aufgebauten Strukturen. (vgl. auch Wikipedia und   Antworten einer KI)

Man sieht hier, wie ich sowohl die Arbeit der Wikipedianer und der KI, die mir beide kostenlos zur Verfügung gestellt werden, nutze. Immer in der Hoffnung, dass es nicht nur meinem eigenen Lernvorgang (Lernen durch Lehren), sondern auch Lesern meines Blogs dient. Dass Internetnutzung als solche nicht umweltfreundlich ist, nehme ich dabei notgedrungen in kauf.

Das zweite Beispiel ist Jeff Connaughton:

In George Packers „Die Abwicklung“ (Originaltitel: The Unwinding) dient die Biografie von Jeff Connaughton als zentrales Beispiel für die Verflechtung von politischem Idealismus und dem Einfluss des großen Geldes in Washington (der sogenannten „Drehtür“ zwischen Politik und Lobbyismus).

Sein Karriereweg im Buch verläuft über mehrere markante Stationen, die den Wandel des politischen Systems der USA widerspiegeln:

1. Der idealistische Beginn („The Biden Guy“) Connaughtons Laufbahn beginnt Ende der 1970er Jahre. Als Student an der University of Alabama ist er fasziniert von dem damals jungen Senator Joe Biden. Er wird zu einem „Biden Guy“ – jemandem, der seine politische Identität und Karriere fast gänzlich an den Erfolg dieses einen Politikers knüpft. Er arbeitet zunächst im Finanzteam für Bidens erste Präsidentschaftskampagne (1988) und später in dessen Stab im Justizausschuss des Senats sowie im Weißen Haus unter der Clinton-Regierung.

"Die Regeln, nach denen das ultimative Spiel gespielt wurde, änderten sich gerade. Als George Romney 1968 im Fernsehen erklärte, dass ihn die Generäle in Vietnam einer Gehirnwäsche unterzogen hätten, war seine Kandidatur zu Ende. 1972 stand Ed Muskie auf einer Lastwagenpritsche vor der Redaktion von William Loebs Union Leader und  vergoss wütende Tränen, weil der Herausgeber seine Frau Jane beleidigt hatte – und das war das Ende von Ed Muskie. 1980 legte Ronald Regen den Kopf zur Seite, kicherte und sagte: 'Da, Sie tun es schon wieder. 'Womit Jimmy Carter Präsidentschaft auf eine Amtszeit zusammenschrumpfte. 1984 schließlich, zitierte Walter Mondale, den Werbespruch einer Burgerkette. 'Where's the beef?' und Gary Hart sah plötzlich aus wie ein Schuljunge. Zehn Sekunden im Fernsehen genügten, um einen Politiker für immer zu definieren, um ihn zu krönen oder zu zerstören. Präsidenten und Bewerber begingen Selbstmord, eifrige Medien leisteten Beihilfe." (S.84)

Biden hatte die Kennedys  zitiert, ohne die Zitate zu kennzeichnen. Das bedeutete das Ende seiner Kampagne um die Präsidentschaft.

" 'Nimm es nicht persönlich, Jeff', sagte er, 'Biden lässt jeden im Stich. Er diskriminiert nicht, wenn es darum geht, seine eigenen Leute im Stich zu lassen.'

Connaughton sollte es Biden auch später nie verzeihen. Er war nie mehr wirklich überrascht von ihm oder enttäuscht. Er sollte noch viele Jahre mit Biden verbunden bleiben, er sammelte Spenden für ihn und arbeitete hart für seine Wiederwahl, er war und blieb einer der Biden-Jungs, aber die romantische Phase ihrer Beziehung endete mit Bidens Weigerung, diesen Anruf zu machen. Connaughtons Begeisterung für Biden, seine Besessenheit, hatte immer auch einen Kosten-Nutzen-Aspekt gehabt, und der rückte nun ins Zentrum des Verhältnisses. Biden hatte ihn benutzt, und er hatte Biden benutzt. Und dieses Verständnis würde weitergehen. Und mehr nicht. Es war jetzt eine politische Beziehung, wie sie in Washington gang und gäbe war." (S.132/133)

2. Der Wechsel ins Lobbying (Der „Ausverkauf“) Desillusioniert von den niedrigen Gehältern und der Mühsal des öffentlichen Dienstes – und frustriert darüber, dass Biden seine Loyalität kaum zu würdigen scheint – wechselt Connaughton die Seiten. Er geht zur „K Street“ (dem Zentrum der US-Lobbyisten) und gründet später mit dem Republikaner Ed Gillespie die Lobbyfirma Quinn Gillespie & Associates. In dieser Phase wird er finanziell extrem erfolgreich und wohlhabend, fühlt sich aber zunehmend innerlich leer. Packer beschreibt diesen Abschnitt als symptomatisch für eine politische Klasse, die sich vom Gemeinwohl entfernt hat, um sich persönlich zu profitieren.

3. Die Rückkehr und der letzte Kampf Im Jahr 2009 kehrt Connaughton überraschend in den Senat zurück, nicht für Biden, sondern als Stabschef für dessen Nachfolger Ted Kaufman. Hier versucht er, seinen früheren Idealismus noch einmal zu beleben. Sein Hauptziel wird der Kampf für eine strenge Finanzmarktreform nach der Krise von 2008 (konkret arbeitet er am Brown-Kaufman Amendment, das Großbanken zerschlagen sollte).

4. Endgültige Desillusionierung und Ausstieg Connaughton muss feststellen, dass die Macht der Bankenlobby und der Einfluss der Wall Street auf Washington (und auch auf die Obama-Regierung) zu groß sind. Das Brown-Kaufman Amendment scheitert. Connaughton kommt zu dem Schluss, dass das System fundamental korrupt ist („The blob“).

Am Ende des Buches zieht er die Konsequenzen: Er verkauft seine Anteile, verlässt Washington D.C. endgültig, zieht nach Savannah (Georgia) und schreibt ein Enthüllungsbuch über die Mechanismen Washingtons (Titel: The Payoff: Why Wall Street Always Wins).

Zusammenfassend: Connaughtons Weg in „Die Abwicklung“ ist der Bogen vom naiven Idealisten zum zynischen Profiteur und schließlich zum desillusionierten Reformer, der das System verlässt, weil er es für nicht mehr reparierbar hält.

(Dieser leicht ergänzte Text der KI wird ergänzt durch Zitate und ein Link zu dem betreffenden Abschnitt aus Parker: Die Abwicklung.)

Tampa (S.221-243)

"In den 1950er Jahren erfuhr Tampa ein nie dagewesenes Bevölkerungswachstum, was insbesondere zu einem enormen Ausbau der Infrastruktur führte. In dieses Jahrzehnt fiel unter anderem auch die Eröffnung des Lowry Park Zoo (1957) und der Busch Gardens (1959). 1956 wurde im Stadtteil North Tampa die University of South Florida eröffnet, die viele neue Arbeitsplätze entstehen ließ. Viele Firmen und Einrichtungen zogen im Laufe der Zeit von ihrem traditionellen Standort im Stadtzentrum in weiter außerhalb gelegene Bezirke um.[31]

Von 1967 bis 1973 wurden insgesamt fünf Versuche unternommen, die Stadtverwaltung von Tampa mit der Verwaltung des Hillsborough County zusammenzulegen. Diese scheiterten jedoch alle an der Wahlurne. Bei der letzten Entscheidung stimmten 33.160 (31 %) der wahlberechtigten Einwohner für und 73.568 (69 %) gegen diese Reform.[32]

Zuletzt wurde das Stadtgebiet 1988 durch die Erschließung eines zuvor ländlich geprägten Gebietes zwischen den Interstates 75 und 275 nördlich von Tampa um etwa 62 km² erweitert, das zum Bezirk New Tampa ernannt wurde." (Wikipedia)

Das unkontrollierte Wachstum führte dazu, dass natürliche Lebensräume wie Kiefernwälder, Zwergpalmenstrände, Orangenhaine, Mangroven und Erdbeerfelder dem Bau von immer mehr Wohnungen zum Opfer fielen. 

"Kein Ort war zu abgelegen oder ungeeignet, um erschlossen zu werden. In Gibsonton, einem kleinen Dorf an der Ostseite der Bucht von Tampa, überwinterte regelmäßig eine Gruppe von Karnevalsfanatikern, ansonsten sah der Ort aus, wie das ländliche Florida einst ausgesehen hatte: an jeder Ecke konnte man Anglerbedarf und Munition kaufen, die schmalen Straßen säumten moosbehangene Eichen. Hier kaufte Lennar Homes, eine Baufirma, eine alte Tropenfischzucht, schaufelte sie zu und begrub sie unter einer Betonplatte. Eine Siedlung aus 382 Häusern sollte / entstehen. Die einzigen Schulen, die es in der Nähe gab, bestanden aus Containern, die einzige Einkaufsmöglichkeit war ein wenige Meilen entfernter Wal-Mart. Arbeit gab es im Umkreis von dreißig Meilen keine. Aber die Siedlung war Wachstum, weshalb die Bezirksverwaltung die Warnungen der eigenen Fachkommission in den Wind schlug und Lenar alle erdenklichen steuerlichen Vergünstigungen ein räumte. 2005 war alles fertig, Carriage Pointe öffnete die Tore.

Da nirgends eine Ortsmitte zu finden war, da überhaupt keine Orte zu erkennen waren und kein einziger Hügel die Monotonie der flachen Landschaft brach, war es beinah unmöglich, sich ohne GPS zu orientieren. Wer seine Uhr einmal vergessen hatte, verlor im immer gleichen tropischen Licht schnell das Zeitgefühl. Man konnte nur versuchen, sich die Kreuzungen zu merken, an denen die immer gleichen Supermärkte, der Großmarkt Sam's Club, die Drogeriekette, Walgreens und eine Shell-Tankstelle die vier Ecken besetzen. […/...]
Anita, die die Sparsamkeit ihres Vaters nach St. Petersburg mitbrachte, wurde die Königin der Schnäppchenjagd. Sie arbeitete bei der Wachovia-Bank, die sich mit der Übernahme der kalifornischen Sparkasse World Savings in das Geschäft mit den Schrotthypotheken gestürzt hatte. Ihr besonderes Kreditangebot hieß Pick-a-Pay: Kunden waren eingeladen, Kreditverträge nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten, Zinssätze zu wählen und Ratenzahlungen festzulegen. Diese Hypotheken wurden zu einem spektakulär profitablen Saft gepresst, der in die Tanks der Wachstummaschine floss. 
Da war Jennifer Formosa, ebenfalls aus Michigan, die aber bei ihrer Mutter in Florida aufgewachsen war. Nach der High School arbeitete sie als Bankangestellte in Cape Coral und heiratete den Vater ihres Babys, einen Mann namens Ron, der zwar keinen Schulabschluss hatte, aber mit dem Gießen von Fundamenten ganz ordentlich verdiente. Ron und Jennifer nahmen einen Kredit von 110 000 Dollar auf und bauten ein Haus mit drei Schlafzimmern. Nach einiger Zeit refinanzierten sie die Hypothek, um die laufenden Rechnungen zu bezahlen, dann beliehen sie das Haus, um ein neues Dach zu bezahlen, dann refinanzierten sie noch einmal, um ihre Autos abzuzahlen, eine Terrasse zu bauen, ein Boot zu kaufen. Was übrig blieb, verschleuderten sie auf Kreuzfahrten und – mit den Kindern in Disney World." 
(Packer, S.223- 225)
"Aus dem ganzen Land kamen Spekulanten, die Häuser kauften, um sie möglichst schnell wieder abzustoßen. 50.000 Dollar in sechs Monaten galt als realistischer Profit, es gab Sekretärinnen mit einem Jahresgehalt von 35.000 $, die fünf oder zehn Häuser besaßen und mit Millionenkrediten jonglieren, und Autohändler, die ihr erstes richtiges Geld verdienten, als sich die Immobilienpreise innerhalb von zwei Jahren verdoppelten. 2005 auf dem Höhepunkt des Wahnsinns, wechselte am 29. Dezember in Fort Myers ein Haus für 399 600 Dollar den Besitzer, das einen Tag später, am 30. Dezember, für 589 900 Dollar weiter verkauft wurde. Es waren die Spekulanten, so genannte Flippers, die die Preise in die Höhe trieben." (S.227)
Ende 2005, Anfang 2006, auf dem Gipfel der Spekulation, brach plötzlich das Vertrauen weg, der Grund gab nach, auf den Floridas Wirtschaft gebaut war, sie stürzte, wie Bugs Bunny, der noch kurz in der Luft schwebte und in die Tiefe blickte, bevor er abwärts rauschte. Die Preise taten etwas, das Schuldner und Kreditgeber, Flipper, Wall-Street-Broker mit Überbeständen, Kreditausfallversicherer, die Hypothekenbank, Fannie Mae, asiatische Banker, die acht Prozent erwarteten, groteske Preistreiber im Kabelfernsehen und Alan Greenspan für undenkbar gehalten hatten: sie begannen zu fallen. (Packer, S.235). 
"Die Hälfte, vielleicht zwei Drittel der Häuser in der Siedlung standen leer, und wer versuchte, sich in Country Walk zu halten, parkte weiterhin brav in der Einfahrt und mähte den Rasen des Nachbarn mit, um die Verwahrlosung zu verbergen. Es gab Abschnitte, die schneller verkamen als andere. Hier wuchs das Gras bereits kniehoch, das Unkraut schoss zwischen den Platten hervor, aus Klimaanlagen waren die Kupferdrähte herausgerissen, grüner Schimmel wuchs auf altweißem Stuck wie Ausschlag, hier und da klebte an einer Haustür ein Zettel: LEERSTEHEND, AUFGEGEBEN. [...] So schnell, wie die Preise in die Höhe geschossen waren, waren sie auch wieder gefallen. Bunnys Haus in Twin Lakes, wenige mal nördlich von Country Walk, dessen Wert sich in kürzester Zeit von 114.000 Dollar auf 280.000 Dollar mehr als verdoppelt hatte, War zwei Jahre später noch 160.000 Dollar wert (S. 236)