Das Fest des Königs
"Ernst August, der sein Quartier auf der Domäne Weende aufgeschlagen, gab in den Räumen der Paulinerkirche unter dem sogenannten historischen Saale der Bibliothek an allen drei Fasttagen Diners, zu denen neben Diplomaten und hohen Herrschaften, Abgesandten auswärtiger Universitäten, göttinger Hofräthen und Professoren, auch jeden Tag an funfzig bis sechzig Studenten – aus der Zahl der Offiziere und Fahnenträger – eingeladen waren. Dem jungen Nordamerikaner als Träger des Sternenbanners traf die Einladung für den zweiten Tag. Ernst August war splendid, er ging den Gästen mit gutem Beispiele voran, und alt wie jung hatte man den Weinen der königlichen Tafel etwas reichlich zugesprochen; man konnte es den vielen Herren, »die über Leichen dinirt hatten«, wie Dahlmann sagte, im Ballsaale der Reitbahn deutlich ansehen, daß sie Gäste des Königs gewesen waren. [...]
Studenten pflegen nun aber weder Freunde von Thee noch von Mandelmilch zu sein und von Sodawasser nur am Morgen nach einem Commerse. Man begehrte also Wein, der alte Schröder, der Hofkellermeister, weigerte sich aber lange standhaft, Wein vor Beginn des Souper zu verabfolgen; als indeß der Sohn des Hofpredigers kam und für seinen Vater um eine Flasche Wein bat, machte er eine Ausnahme und holte sogar eine Flasche Steinberger Cabinet herbei, die beste Sorte, welche Ernst August im Keller führte. Wehe, dreimal wehe dieser Ausnahme, die von vielen neidischen Augen gesehen war. Es traten nun verschiedene alte Herren an das Weinbüffet und begehrten Wein, darunter Leute bei Hofe wohlbekannt und angesehen. Man konnte ihnen nicht abschlagen, was man dem Sohne des Hofpredigers gewährt hatte. Bald trat einer nach dem andern heran und man sagte: »Wir alle sind Gäste des Königs, und was dem einen recht ist, ist dem andern billig!« Es wurde nach und nach jedem, der es forderte, eine Flasche Wein gereicht, wenn auch nicht Steinberger Cabinet, Gläser standen auf der Tafel. Da bot der Eßsalon nun einen sonderbaren Anblick, mehr als fünfhundert Personen saßen mit den Rücken gegen die Tafeln, jede mit einer Flasche Wein zu ihren Füßen oder zwischen den Beinen, das Glas in der Hand. Es wurde fortwährend eingeschenkt und nach burschikoser Manier vor- und nachgetrunken, und ob auch ein Generalsuperintendent ein freundlich saueres Gesicht machte, wenn ein Bursch, ihm unbekannt, zu ihm trat und sagte: »Altes Kamel, es kommt dir eins«, so mußte er doch Bescheid thun und nachtrinken. [...]
Im Banketsaal wurden inzwischen die Kronleuchter angezündet, die Studenten, welche Wein- und Küchenbüffet erobert hatten, zwangen, den Säbel in der Hand, die goldbetreßten Diener und eine Menge in Uniform gesteckter Stiefelputzer und Aufwärter, aufzutragen, was zu haben war, während andererseits die Köche zu retten und zu verstecken suchten, was zu retten war, und der alte Schröder die ordinärsten Weine massenhaft auf die Tafeln schickte. [...]
Das Tanzen hatte aufgehört, man stand in Gruppen, um zu berathen, was zu thun sei, Magnificus hatte die nüchtern gebliebenen Senioren und Consenioren um sich gesammelt, um zu berathen, was geschehen könne; Baumann zog einen der letztern beiseite und gab den Rath: »Laßt die Musikbande der Dragoner von dort oben kommen, zieht in geordnetem Zuge in den Banketsaal, macht dort an drei Orten halt und laßt, während die Musik schweigt, laut verkünden: alle braven Burschen würden aufgefordert, dem Hofrath Mühlenbruch, der wegen Krankheit zu Hause geblieben und dort seinen Geburtstag feiere, ein Vivat zu bringen, und ziehen dann unter Blasen des »Gaudeamus igitur« durch den Tanzsaal im Polonaisenstil ins Freie; ich wette, kein halbes Dutzend bleibt sitzen, und wer sitzen bleibt, der wird durch die Scheuerweiber, die nöthig sein werden, hinausgescheuert und hinausgefegt.« Der Rath fand Beifall, der Cordon wurde aufgelöst, die Offiziere, die ihn gebildet hatten, zogen an der Tête des Zuges in den Banketsaal, in der Mitte wurde halt gemacht, die Musik schwieg, ein Herold forderte zu dem Zuge nach Mühlenbruch auf. Inzwischen hatten sich im Tanzsalon alle Anwesenden aus dem einen Theile in den andern gezogen, sodaß man, als die Tête und nach ihr die Musik wieder erschien, in der freien Hälfte des Saales einen halben Kreis beschreiten konnte. Die Damen, welche in dem Banketsaale wider ihren Willen bis dahin festgehalten waren, schlichen sich, als der Cordon geöffnet war, zum größern Theil in den Tanzsaal, andere wurden von ihren Tischnachbarn befreit, sobald der Zug den Tanzsalon verließ. Es waren höchst komische Gestalten, die sich hier im Zuge durch den Saal bewegten, alt und jung. Der Banketsaal wurde aber leer, er konnte gereinigt und von neuem gedeckt werden, und wenn auch manche delicate und seltene Speise verschwunden war, so war doch noch so viel übrig, um die Tanzlustigen, welche sich wieder nach dem Anfange des Tanzes sehnten, zu befriedigen. Die ältern Freunde eilten nach Hause, um zur Ruhe zu kommen, nur Hermann Baumgarten blieb zum Schutze der Damen, die bis zum Morgen tanzten."
Heinrich Oppermann: Hundert Jahre, 6. Buch, 5. Kapitel
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