02 Dezember 2012
Goethes Mutter über die Erfahrungen der Reichsstadt Frankfurt mit der französischer Besetzung 1797
Goethes Mutter schreibt in einer Zeit vor der strikten Rechtschreibnormierung. Dennoch war ihre Rechtschreibung selbst für einen Privatbrief unterdurchschnittlich normiert. Keinesfalls darf man allerdings die Rechtschreibung heutiger Goetheausgaben für die Norm halten, an der Goethe selbst sich orientierte.
Zeichenerklärungen: f = Gulden |: = ( :| = ) [díe damals gültige Normschreibweise]
Frankfurt war im Ersten Koalitionskrieg schon 1792 für knapp einen Monat besetzt gewesen. 1797 (Preußen hatte 1795 einen Sonderfrieden mit Frankreich geschlossen) wurde es wieder französischen Truppen besetzt, dann wieder von österreichischen Truppen befreit/besetzt. Größere Plünderungen wurden durch die beschriebene "freiwillige" Zahlung abgewendet.
"Unser Liebes Franckfurth komt wieder nach und nach ins alte Gleiß – Gott sey ewig danck, daß unsere Verfaßung geblieben ist – davor war mir am bängsten – mit den Schulden – und was die Bürger am Ende werden beytragen müßen wird sichs auch geben – von dem Gelde das vom Kirchen und Bürger Silber ist geschlagen worden, soll Augst auch einen Convensthaler zum Andencken in seine Spaarbüsse haben – es sind doch 80 000 f zusammen getragen worden – von Maleberth – und die alte Frau Leerse haben keinen Silbernern Löffel mehr – und der Pfarrer Starck |:der nun gestorben ist:| hat sein schönes Müntzcabinet auch dazuhergegeben – genung jeder hat gethan was ihm möglich war – die ärmsten Leute haben die Patengeschencke ihrer Kinder dargebracht – auch haben die Frantzsosen gesagt so eine Einigkeit zwischen Magisterrath und Bürgerschaft wäre ihnen noch in keinem Lande in keinem Orte vorgekommen. Es wird dir bewußt seyn daß alles was mann beygetragen hat auf 6 Jahre zu 4 procent verintresirt wird – nun ginge mir es sehrsonderbahr – den 1ten Juli legte Pfeil 7200 f an mich ab die wurden denn sogleich wieder angelegt und zwar recht gut zu 5 procent – den 16ten kammen die Freitheits Männer da war nun bey mir große Noth – ich hatte nur so viel als ich zum täglichen Leben brauchte – geben mußte ich – auch hätte ich mich zu Tode geschämt und gekrämt – also Geld herbey! Aber woher! Jeder brauchte das seine vor sich selbst – ich war nicht allein in diesem Fall – Frau Schöff Schlosser – Herr Hoffrath Steitz – Jungfer Steitz und mehrre – wir schickten den Lippoldt nach Hanau – es war nichts – Endlich erbarmte sich ein unbeschnidner Jude aber zu 9 procent und nach Versatz von 3 Kayerlichen Obligationen!! Ich überlegte und da fiel mir ein – daß dieser Wucher bey mir nur 8 Monathe dauern durfte – indem ich stipulirter maßen das andre Jahr vom Hirschgräber Hauß 2000 f abgelegt bekomme – die doch wieder angelegt werden müßen – also ist der Verlust nicht groß – ich bekomme so zu sagen doppelte Intereßen – einmahl vom Hauß und von der Stadt – also nahm ich das Geld – und im May kriegt er es wieder – So habe ich mich durchgedrückt. Heute habe eine sehr gute Nachricht gehört – |: wenn sie wahr ist:| die Stadt ist vom Convent vor Neuterahl erklährt, und die Geißlen kommen in 14 Tagen wieder – das wäre herrlich. [...]
Neues pasirt hir weiter nichts – als daß die polickticker die Frantzosen jetzt nach Norden marschiren laßen – [...]
Die letzte |:Gott gebe daß sie es war:| Geschichte drohte unserer Stadt mehr Unglück und Schaden, als alles vorhergegangne – denn wir gliechen Leuten die in guter Ruhe und größter Sicherheit in tiefem Schlaf liegen – weil sie Feuer und Licht ausgelöscht glauben – so was glaubten wir auch – und wie mann eine Hand umwendete war Vorsicht und Mühe unnütz und wir waren im größten Unglück. Senator Milius brachte schon am 2ten December voriges Jahres vom Nationahl Confent die Neutralität vor unsere Stadt von Paris |:wo Er sich 6 Wochen aufgehalten hatte:| mit – die Declaration vom Confent war vortreflich zu unsern gunsten abgefaßt besonders wurden wir über den letzten Rückzug vom 8ten September 1796 sehr gelobtet und geprießen – wer hätte da nun nicht ruhig seyn sollen? Das waren wir auch – kein Mensch emigrirte – niemandt schickte etwas weg – die meisten Meßfremden |: besonders die Silberhändler von Ausspurg:| hatten ihre Buten ofen und blieben ruhig hir – die Frantzsosen waren nahe an der Stadt – wir erwarteten sie in einer Stunde – die Kayerlichen waren zu schwach um sich zu halten – wir sind Neuterahl erklährt – also ist von keinem Bompatemant die Rede – genung ich kuckte zum Fenster hinaus und wolle sie ankommen sehen – das war Mittags um 2 uhr – aufeinmahl kommt die Fritz Metzlern mit Sturm in meine Stube ruft schir auser Odem Räthin es ist Friede! Der Commendant von Milius hat einen Courir vom Bononaparte – es ist ein jubel – Gott befohlen ich muß weiter die gute Nachricht verbreiten u. s. w. Gleich daraus kommt der Burgemeister Schweitzer – und Syndicus Seger in einer Kusche um ins Frantzöische Lager zum le Feber zu fahren und Ihm zu gratuliren – wie Sie an die Hauptwache kommen – werden Sie von den Bürgern umringt die Kusche muß stillhalten – Sie versichern die gute Nachricht vom Frieden – Alt und jung schwingt die Hüte ruft Vivat es ist ein Jubel der unaussprechlich war – wem in aller Welt fält es jetzt ein an Unglück zu dencken!! Keine 6 Minuten nach dieser unbeschreiblichen Freude, kommt die Kayerliche Cavaleri zum Bockenheimerthor herein gesprengt |:so etwas muß mann gesehen haben beschreiben läßt sichs nicht:| der eine ohne Hut – dort ein Pferd ohne Reuter – und so den Bauch auf der Erde gings die Zeile hinunter – auch hörte mann schißen – alles gerithe in Erstaunen was ist das vor ein Friede so rief immer eins dem andern zu – nun zu unserer Errettung. Ein Kayerliger Leutenant hatte |: und zwar ohne Order :| die Gegenwart des Geistes in wehrender galopate den Gattern am Thor zu und die Zugbrücke auf zuziehen – ohngeachtet noch nicht alle Kayerliche in der Stadt waren – das war nun unser Glück, denn wären die Frantzosen nachgestürmt; so wäre die Masacker in der Stadt loßgegangen – und hätte ein Bürger sich nur der Sache angenommen; so war Plünderung und aller Greuel da – und am Ende hätte es geheißen wir hätten die Neutralität gebrochen – die Frantzosen Tod geschlagen u. s. w. Burgemeister Schweitzer und Seeger wurden geplündert le Feber wolte durchaus nicht glauben daß Friede wäre – Er hätte noch keinen Courir – von unserer Neutralität wüßte Er kein wort – Endlich überredete der Kayerliche Commandant den Generahl le Feber mit in die Stadt zu kommen – versicherte auf sein Ehren wort – daß Friede wäre und daß freylich der Courir nicht bey allen Generahls zugleich ankommen könte – darauf ging Er mit – der Burgemeister Schweitzer auch und mehrere vom Magisterath gingen alles in Römischen Kayser trancken – und alles endigte sich zu unserm Glück. Dem braven Leutenant – und dem Wirth im weißen Lamm in Ausburg haben wir allso unsere Rettung zu dancken – der erste macht das Thor ohne Order zu haben zu – der andre weißt dem Courir einen kürtzern Weg nach Franckfurth er kommt auf diesem weg 6 Stunden früher – Gott hat wohl schon durch geringre Mittel aus großen Nöthen geholfen – und solte mein Glaube an die Ewige Vorsehung wieder einmahl schwach werden – so will ich mir zurufen: decke an den 22ten April."
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