27 Januar 2013

In der neuen Welt: Sklaverei und Freiheit

Flüchtige deutsche Demokraten von 1848 unterhalten sich in Amerika mit amerikanischen Verwandten. 

[...] Auf eine nochmalige demokratische Erhebung in Deutschland, auf welche die meisten Flüchtlinge hier ihre Hoffnung setzen, rechne ich nicht; aber was ich von euerm vielgerühmten, gloriosen Amerika gesehen, zieht mich nicht an. Diese ewig rastlose, krampfhaft angespannte Thätigkeit der Leute hier widert mich an, da die Menschen blos des Erwerbes wegen geschaffen scheinen und gleich euern Hohöfen und Dampfmaschinen nur Geld und abermals Geld knirschen. Ich habe hier in Nordamerika noch keine Spur deutscher Gemüthlichkeit gefunden und bin zweifelhaft, ob ich nicht nach Deutschland zurückgehe. Finde ich doch dort noch immer vier- bis fünfunddreißig Vaterländchen, wo ich kein Hochverräter bin.«
»Verstehst du, junger Vetter, unter deutscher Gemüthlichkeit, auf den Bierbänken herumzuliegen, zu kneipen und zu singen, umherzuschlendern, sorglos in den Tag hineinzuleben, so ist dafür bei uns allerdings der Boden nicht. Hier heißt es arbeiten und durch eigene Arbeit frei und selbständig werden. Denn das weiß bei uns jedes Kind, daß nur Besitz und Reichthum die wahre Freiheit gibt, und darum strebt jedermann danach. Auch die Romantik fehlt. Statt verfallener Thürme alter Raubburgen siehst du Dampfessen, hörst den Schmiedehammer statt Rappier- oder Degengerassel. Aber was beschaffen wir auch!«
»Was ihr beschafft?« fiel der Bärtige dem Vetter heftig in die Rede; »wahrlich nichts Großes, nichts von ethischer und idealer Bedeutung.« Er sprang vom Wiegenstuhle auf und schleuderte das Cigarrenende weit über den Söller hinaus.
»Man sieht in der That, daß du nur Neuyork und die Congreßstadt gesehen«, entgegnete der Freund ruhig, »und noch wenig oder nichts von unserm Leben und Treiben begriffen hast. Du hast nicht die entfernteste Ahnung, wie es scheint, daß wir im Begriff stehen, den größten Kampf, der je für ein ethisches Princip gekämpft ist, zu beginnen, den Kampf um die Gleichberechtigung der Menschen ohne Ansehen der Farbe. Es tritt der Bruderkrieg, der Krieg zwischen Norden und Süden, stündlich näher an uns heran, es handelt sich darum, die Sklaverei nicht weiter um sich greifen zu lassen in den neueroberten Staaten, wie in den sich aus Territorien zu neuen Staaten heranbildenden Regionen des Westens, die südlich der Compromißgrenze liegen. Demnächst wird es sich geradezu um die Aufhebung der Sklaverei handeln. »Leider ist es nicht nur möglich, sondern wie Grant, das Congreßmitglied, glaubt, sogar wahrscheinlich, daß unsere Staatsmänner, die seit Jahren von den Sklavenbaronen beherrscht sind, auch in diesem Jahre vor einem offenen Bruche zurückschrecken und abermals zu Compromissen ihre Zuflucht nehmen. Die Sklavenhalter wollen nämlich nicht, daß Californien nur unter der Bedingung als Staat aufgenommen werde, kein sklavenhaltender Staat zu sein; sie spielen mit dem Rechtssatze, daß nicht der Congreß, sondern jeder einzelne Staat selbst zu bestimmen habe, ob er Sklaven dulden wolle oder nicht. Ferner steht die Frage der Sklavenjagden auf der Tagesordnung, die leider durch den unglückseligen Vergleich von 1793 zum Gesetz geworden sind. Nach unserer Constitution soll kein freier Staat ›den Flüchtling von gezwungener Arbeit‹ schützen. Freilich wir in Pennsylvanien haben unsern Beamten trotzdem verboten, flüchtige Sklaven einzufangen. Ein Sklave, der Pennsylvanien betritt, ist so gut wie frei. Aber die Sklavenbarone überschreiten mit ihren Bluthunden unsere Grenzen und schießen die entflohenen Sklaven lieber todt oder lassen sie von Bluthunden zerreißen, bevor sie unter den Schutz einer Stadt oder eines Ortes kommen, hinreichend bevölkert, um die Baumwolljunker mit Flintenschüssen über die Grenze zurückzutreiben.«

»Das ist mir allerdings neu«, sagte unser Freund aus Hannover, »und ein solcher Kampf gegen die Sklavenhalter würde mir schon erwünscht sein.«
»Willst du dich der großen Sache widmen, der Aufgabe, die schon Franklin einleitete, mit ganzer Seele und Gemüth widmen, so hast du ein Lebensziel so schön und reich, wie du es nur verlangen kannst, denn es wird viel Arbeit geben. Ich kann dir in diesem Falle die beste Unterstützung schaffen. Du mußt dich in unsere Loge zu den Cedern des Libanon aufnehmen lassen, es trifft sich das gut, in nächster Zeit ist große Aufnahmeloge. Wir arbeiten hauptsächlich für die Gleichheit und Freiheit der schwarzen und andern Menschenrassen und sehen unsere gefährlichsten Feinde in den Afterlogen des Südens, in den Rittern vom Goldenen Zirkel und wie sie sich sonst nennen.«
[...]

»Lieben Freunde«, unterbrach Georg Baumgarten den Redenden, »das Wort der Bibel: Man sieht den Splitter im fremden Auge leichter als den Balken im eigenen, bewährt sich jenseit wie diesseit des Oceans, und wird sich auch wol hinter dem Pacific bewähren. Ich bin über vierzig Jahre hier und glaube in dieser Zeit das, was den Nordamerikaner vor andern Völkern charakterisirt, herausgefunden zu haben; ihr habt nur auffallende Nebenzüge, wenn ich so sagen darf, entdeckt. Das Charakteristische Nordamerikas ist die Idee der Freiheit, der Freiheit in jeder Form, im Staate wie in der Kirche. Das Streben nach Reichthum muß, wie ich heute schon zu Schulz sagte, aufgefaßt werden als Streben, sich die Mittel zur völligen Freiheit und Unabhängigkeit zu schaffen.«
»Aber wie reimt sich damit der Besitz von drei Millionen Sklaven?« entgegnete Oskar.
»Die Sklavenfrage ist der faulste Punkt im Leben der Union, das haben schon Washington, Jefferson, Madison und alle Denker gesagt. Sie war durch die historische Entwickelung, durch gegebene Verhältnisse des Südens, mit denen man nicht zu brechen wagte, namentlich bei den Verdiensten der Virginier um Schaffung der Unabhängigkeit, bedingt. Durch die Ueberlegenheit der südlichen Staatsmänner, durch ihre Ungesetzlichkeit, ihr Drohen mit Secession und Nullification, durch den Ausfall der Präsidentenwahlen für die Demokraten, durch den Anschluß neuer südlicher Sklavenstaaten ist das Uebel verstärkt. Wir wollen über dieses Kapitel erst weiter reden, wenn ihr, lieber Oskar und Hellung, euch überzeugt haben werdet, wie groß die Anzahl der Männer im Norden ist, welche gegen diese Schmach ankämpfen. Laßt die Beurtheilung amerikanischer Zustände vorläufig beruhen. Du, lieber Hellung, der du zuletzt von Europa herübergekommen bist, berichtest wol von den Aussichten in Deutschland, Freiheit und Einheit zu schaffen, von den deutschen Flüchtlingen in London und ihrem Treiben, wie du, Oskar, uns über Hannover das Nähere mittheilst.«

Heinrich Oppermann: Hundert Jahre, 8. Buch, 7. Kapitel

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