»Lewin und Marie Kniehase. Des Schulzen Kniehase Pflegetochter.«
Bamme riß den Shetländer herum, daß er im rechten Winkel zu Vitzewitz stand, und sah diesen aus seinen kleinen Augen mit allen Zeichen aufrichtigsten Erstaunens an.
»Sie verwundern sich?« sagte dieser.
»Ja.«
»Und mißbilligen es?«
»Nein, Vitzewitz. Au contraire. Ich habe seit zehn Jahren, wenn ich das Neunundzwanzigste Bulletin und den großen Diebstahl bei Krach ausnehme, nichts gehört, das mich so erfreut hätte als das. Das ist das reizendste Geschöpf, und ich verlange nach dieser Seite hin etwas, wie alle, die selber nicht viel einzusetzen haben. Also nochmals: gratulor! Wetter, Vitzewitz, das gibt eine Rasse.«
Berndt wollte antworten, aber der Alte, der sich unerwartet einem Lieblingsthema gegenübersah, hatte wenig Lust, das Wort so schnell wieder aus der Hand zu geben.
»Frisches Blut«, fuhr er fort, »frisches Blut, Vitzewitz, das ist die Hauptsache. Meine Ansichten sind nicht von heute und gestern, und Sie kennen sie. Ich perhorresziere dies ganze Vettern- und Muhmenprinzip, und am meisten, wenn es ans Heiraten und Fortpflanzen geht. Ihre Schwester, die Gräfin, dachte ebenso, und ich habe sie sich mehr als einmal zu Grundsätzen bekennen hören, die selbst mir imponierten. Ehre ihrem Andenken! Es war eine superbe Frau. Ja, Vitzewitz, wir müssen mit dem alten Schlendrian aufräumen. Weg damit. Wie ging es bisher? Ein Zieten eine Bamme, ein Bamme eine Zieten. Und was kam schließlich dabei heraus? Das hier!« Und dabei schlug er mit dem Fischbeinstock an seine hohen Stiefelschäfte. »Ja, das hier, und ich bin nicht dumm genug, Vitzewitz, mich für ein Prachtexemplar der Menschheit zu halten.«
Berndt schwieg, weil er mehr hören wollte, und Bamme ließ auch nicht lange auf sich warten.
»Wir sind unter uns, Vitzewitz«, fuhr er fort, »und können uns ohne Gefahr unsere Geständnisse machen. Mitunter ist es mir, als wären wir in einem Narrenhaus großgezogen. Es ist nichts mit den zweierlei Menschen. Eines wenigstens glaubten wir gepachtet zu haben: den Mut, und nun kommt dieser Kakerlaken-Grell und stirbt wie ein Held mit dem Säbel in der Hand. Von dem Konrektor sprech' ich gar nicht erst; ein solcher Tod kann einen alten Soldaten beschämen. Und woher das alles? Sie wissen es. Von drüben; Westwind. Ich mache mir nichts aus diesen Windbeuteln von Franzosen, aber in all ihrem dummen Zeug steckt immer eine Prise Wahrheit. Mit ihrer Brüderlichkeit wird es nicht viel werden, und mit der Freiheit auch nicht; aber mit dem, was sie dazwischengestellt haben, hat es was auf sich. Denn was heißt es am Ende anders als: Mensch ist Mensch. Ich darf so sprechen, Vitzewitz, denn die Bammes sterben mit mir aus, ein Ereignis, um das der Vorhang des Tempels nicht zerreißen wird, und nicht einmal ein Namensvetter ist da, den ich in seinem Standesbewußtsein kränken oder schädigen könnte. Denn im Vertrauen gesagt, das Kränken fängt bei uns immer erst mit der Schädigung an.«
Damit waren sie bis an die Parkmauer gekommen und hielten eine Minute später vor dem Drosselsteinschen Gartensaal.
Während dieses Gespräch auf dem Wege nach Hohen-Ziesar hin geführt wurde, plauderten auch Renate und Marie, die sich in den Hintergrund des Zimmers zurückgezogen und auf dem großblumigen Sofa Platz genommen hatten. Lewin kam herzu, war aber ersichtlich zerstreut und saß schon minutenlang zwischen ihnen, ohne daß er Maries Hand genommen oder einen Blick für sie gehabt hätte.
Marie selbst, ihrer ganzen Natur nach unbefangen und anspruchslos, schien es nicht zu bemerken; aber Renate sagte: »Sonderbares Brautpaar ihr, ihr seid ja nicht einmal zärtlich.«
»Gib uns nicht auf«, lachte Marie, und Lewin setzte hinzu: »Wir waren zu lange Geschwister. Aber es findet sich wohl noch. Was meinst du, Marie?«
Und das Rot, das über ihre Wangen flog, überhob sie jeder anderen Antwort.
Nach diesem – es war wieder ein Sonnabend – gingen Lewin und Hirschfeldt in die Pfarre, um von Seidentopf Abschied zu nehmen. Sie fanden ihn über Bekmann, und nicht bloß die Schranktüre seines Arcus triumphalis stand weit offen, sondern auch das Mittelbrett war vorgezogen, auf dem die drei Hauptstücke der Sammlung ihren Platz hatten und seit dem zweiten Weihnachtstage auch der Wagen Odins. Wer die Seidentopfsche Wocheneinteilung kannte, konnte durch diesen Anblick nicht überrascht werden. Er gehörte nämlich zu den klugen Predigern, die schon freitags mit ihrer Predigt abschließen, um dann den zwischenliegenden Tag zur Erfrischung ihrer Seele verwenden zu können. Und was hätte sich besser dazu geschickt, als die Ultima ratio Semnonum! Eine Störung bei diesem Erfrischungsprozesse galt denn auch im allgemeinen als unstatthaft, aber heute, wo Lewin und Hirschfeldt kamen, um ihm Lebewohl zu sagen, konnte von einer solchen Störung nicht wohl die Rede sein. Um neun Uhr früh, so hieß es im Laufe des Gespräches, gedächten sie nach Frankfurt hin aufzubrechen, um daselbst in der Mittagsstunde schon mit Berliner Freunden zusammenzutreffen. Es wurde dies alles nur leicht hingeworfen, Seidentopf aber verstand sehr wohl, daß mit Hilfe dieser genauen Zeitangaben nur ihr Nichterscheinen in der Kirche entschuldigt werden sollte. Es verdroß ihn ein wenig, hatte er doch die Empfindlichkeit aller Pastoren; aber sich schnell wieder fassend, gab er seinen Wünschen für Lewin einen allerherzlichsten Ausdruck. Dann wandte er sich zu dem Rittmeister, um von den »zurückliegenden, gemeinschaftlich durchlebten Tagen« zu sprechen.
»Es waren stürmische Tage«, so schloß er.
»Und doch Tage vor dem Sturm!« antwortete Hirschfeldt.
Und nun war es neun Uhr früh. Hektor hatte sich mühsam bis an die Sandsteinstufen geschleppt, und zum letztenmal in diesem Buche fuhren die Ponies vor. Ihre Schellen klangen hell, und an Krists altem Hut mit der alten Kokarde flatterte heut ein langes grünes Band. Seine Frau hatte rot nehmen wollen, aber er hatte auf grün bestanden.
Und nun nichts mehr von Abschied.
Über den Forstacker hin flog der Schlitten, in dem Lewin und Hirschfeldt saßen, an Hoppenmariekens Häuschen vorbei, und als sie gleich darauf wieder hügelab und am Flußufer hinfuhren, rollte plötzlich ein Ton wie dumpfer Donner herauf und verhallte in weiter Ferne.
»Das Eis birst«, sagte Hirschfeldt. »Ein gutes Zeichen, unter dem wir ausziehen.«
Und in demselben Augenblicke begannen auch die Hohen-Vietzer Glocken zu klingen, und beide Freunde wandten sich unwillkürlich noch einmal zurück.
»Was bedeutet uns ihr Klang?« fragte Lewin.
»Eine Welt von Dingen: Krieg und Frieden und zuletzt auch Hochzeit; Hochzeit, der glücklichsten eine, und ich, ich bin mit unter den Gästen.«
»Sie sprechen, Hirschfeldt, als ob Sie's wüßten«, antwortete Lewin bewegten Herzens.
»Ja, Vitzewitz, ich weiß es, ich seh' in die Zukunft.«
An demselben Sonntagnachmittag saßen auch die Frauen in dem Eckzimmer, darin wir ihnen so oft begegnet. Ihre Tränen waren getrocknet, die Schorlemmer hatte sich mit einem Kraftspruch über Abschied und Rührung hinweggeholfen, und nur an Mariens langen schwarzen Wimpern hingen noch einzelne Tropfen.
Renate küßte sie und sagte: »Laß, Marie, denn du mußt wissen, ich glaube an dreierlei.«
»Das tun alle vernünftigen Menschen«, sagte die Schorlemmer. »Das heißt alle Christen.«
»Und zwar glaub' ich«, fuhr Renate fort, »erstens an den Hundertjährigen Kalender, zweitens an Feuerbesprechen und drittens an Sprüchwörter und Volksreime. Und weißt du, an welchen ich am meisten glaube?«
»Nun?«
»Und eine Prinzessin kommt ins Haus.«
Marie lächelte.
Die Schorlemmer aber sagte: »Torheit, ich will euch einen bessern Spruch sagen.«
»Und?«
»Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.«
Und eine Prinzessin kommt ins Haus, Da löscht ein Feuer den Blutfleck aus, Der auseinander getane Stamm Wird wieder eins, wächst wieder zusamm', Und wieder von seinem alten Sitz Blickt in den Morgen Haus Vitzewitz. |
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