05 Juli 2020

Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen IX - Otto und Kordelchen, Fortunat und Fiametta, Walter

Zweiundzwanzigstes Kapitel 
Auf der Donau glitt bei dem heitersten Wetter ein Schiff zwischen den schönen, waldigen Bergen und Burgen hinab. Von Zeit zu Zeit erschallte ein so herzhaftes Lachen von dem Schiffe, daß die Vorübergehenden am Ufer stehenblieben und vor Lust mitlachen mußten, ohne zu wissen warum. Es waren reisende Kaufleute, Studenten und Jäger, die auf dem Verdeck im Kreise umherlagen, in ihrer Mitte ein kleiner, stämmiger Mann mit Reisetasche und breitkrempigem Pilgerhut [Dryander], der ihnen aus seinem eigenen Leben die unerhörtesten Abenteuer erzählte und jedesmal ganz entrüstet war, wenn sie lachten und ihm nicht glauben wollten. Abgesondert aber von dem lustigen Häuflein stand mitten im Schiff ein wunderschöner Jüngling in zierlicher Jägertracht an den Mast gelehnt, er hatte eine Zither im Arm, die er in der Kajüte gefunden, ihm zu Füßen saß ein anderer hübscher Junge. Beide konnte man für Schüler halten, die zur Vakanz reisten, und es war anmutig zu sehen, wie die fröhlichen Bilder, bald im kühlen Schatten der Felsen, bald von der Abendsonne hell beschienen, zwischen den wechselnden Landschaften dahinflogen. Der eine am Mast blickte frisch unter seinem Reisehut in das Grün hinaus und sang: 
»Sie stand wohl am Fensterbogen Und flocht sich traurig ihr Haar, 
Der Jäger war fortgezogen, Der Jäger ihr Liebster war. 
Und als der Frühling gekommen, Die Welt war von Blüten verschneit, 
Da hat sie ein Herz sich genommen Und ging in die grüne Heid. 
Sie legt das Ohr an den Rasen, Hört ferner Hufe Klang – 
Das sind die Rehe, die grasen Am schattigen Bergeshang. 
Und abends die Wälder rauschen, Von fern nur fällt noch ein Schuß, 
Da steht sie stille, zu lauschen: »Das war meines Liebsten Gruß!« 
Da sprangen vom Fels die Quellen, Da flogen die Vöglein ins Tal, 
»Und wo ihr ihn trefft, ihr Gesellen, Grüßt mir ihn tausendmal!«

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Als Otto – von dem strengen Vitalis verstoßen – so einsam von dem Gebirge der Einsiedler hinabstieg, weinte er sich recht von Herzensgrunde aus. Dann wurde ihm erst leichter. Er fühlte wieder einen rechten Trieb und Mut, nach dem Höchsten in der Welt zu streben, er wollte endlich ehrlich Frieden stiften in seiner Seele und so neugeboren zu dem Einsiedler zurückkehren, ja es kam ihm in diesen glücklichen Stunden gering vor, selbst sein Dichten zu lassen, wenn es ihn wieder in Eitelkeit verstricken wollte. Die stille Nacht sah ihn dabei von den Bergen, wie eine milde Mutter, fast wehmütig an. – Indessen verloschen nach und nach die Sterne am Himmel, und wie nun die Morgenkühle über die Felder kam und unten der Strom und von drüben die Spiegelfenster eines Schlosses lustig aufblitzen: da erschien dem Verweinten die Erde wieder so jung und frisch wie nach einem Gewitterregen, in den tröpfelnden Bäumen über ihm dehnten die Vögel erwachend die Flügel und sahen ihn neugierig an, als wollten sie fragen: Gesell, wo bist du so lange gewesen? – Er wanderte fröhlich den ganzen Tag, und als er endlich auf dem letzten Berge aus dem Walde trat, erblickte er auf einmal in der Ferne mitten zwischen Gärten die alte, braune Stadt, wie eine von Efeu übergrünte Ruine. [...]
Das nächtliche Wandern in einer unbekannten, großen Stadt hat etwas Märchenhaftes, die Häuser und Türme stehn wie im Traum im Mondschein, auf den Straßen schwärmt es noch laut und behaglich in der Maskenfreiheit der lauen Nacht, dann plötzlich alle wieder still im engen, dunklen Gäßchen, nur die Dachluken klappen im Wind, eine Nachtigall schlägt wehmütig am Fenster. – 
[...]
Ganz erschöpft sank er [Otto] unter dem Baume hin. »O stille, alte Zeit«, rief er aus, »wie liegst du so weit, weit von hier!« – Die Kleine [Kordelchen] hatte sich zu seinen Füßen ins Gras gesetzt. »Nein, nein«, sagte sie, »so ist es nicht, ich will dich's lehren.« Und bei dem Vogelschall selbst wie ein Waldvöglein, sang sie mit dem kindischen Stimmchen: 
Waldeinsamkeit, Du grünes Revier, 
Wie liegt so weit Die Welt von hier! 
Schlaf nur, wie bald Kommt der Abend schön, 
Durch den stillen Wald Die Quellen gehn, 
Die Mutter Gottes wacht, Mit ihrem Sternenkleid 
Bedeckt sie dich sacht In der Waldeseinsamkeit, 
Gute Nacht, gute Nacht! 

Otton dunkelte es vor den Augen, da ging auf einmal ein Leuchten über die Gegend wie ein Blitz in der Nacht: stille Abgründe fernab, Gärten und Paläste wunderbar im Mondglanz, er erkannte unten die goldenen Kuppeln und hörte durch die stille Luft herüber die Glocken wieder gehen und die Brunnen rauschen in Rom, und das Kind sang wieder dazwischen: 

O du stille Zeit! Kommst, eh wir's gedacht, 
Über die Berge weit Nun rauscht es so sacht 
In der Waldeinsamkeit, Gute Nacht 

»Still, still«, lachte die Kleine, »er schläft « aber der müde Wandersmann wachte nimmer auf. 

Vierundzwanzigstes Kapitel
[...] Und fern im Gebirg, wo der Mond so hell über die Waldwiese scheint, gewahren wir plötzlich zwei Wanderer, die fröhlich niedersteigen: es sind die beiden Liebesleute auf ihrer abenteuerlichen Fahrt. Fortunat hat soeben die Pferde in einem Dörfchen untergebracht und wendet sich mit Fiametta auf einem Fußsteig zwischen die leise bewegten Kornfelder hinein, die Nacht kühlt sich am Horizont mit Wetterleuchten, eine Wachtel schlägt fern im Feld. Vor ihnen aber breiten sich dunkle Höhen aus, der Mond beleuchtet nur einzelne Abhänge, da erkennt er nach und nach Lauben und Gänge, zuweilen blitzt ein Springbrunnen auf, aus den duftigen Gebüschen hören sie schon die Nachtigallen über das Feld herübertönen. Auf einmal hält Fortunat still und schwenkt voll Freuden seinen Hut. »Grüß dich Gott, du kühler Wald!« ruft er aus Herzensgrunde. Fiametta sieht ihn einen Augenblick fragend an, dann schwenkt auch sie jubelnd ihr Hütchen, ohne zu wissen warum. – Es ist Hohenstein, das vor ihnen liegt.
Er kannte noch aus alter Zeit den Steg im Gartenzaun, sie schwangen sich hinüber und stiegen mit klopfenden Herzen den Waldberg hinan. Fortunat blickte oft seitwärts zwischen die Bäume hinein nach den stillen Gängen, wo er so oft gewandelt, es war alles so fremd und unheimlich im Mondschein. »Das ist Jakobs Traumleiter«, sagte er fröhlich, »wie sie der liebe Gott zuweilen in solchen Frühlingsnächten herunterläßt, nur frisch! wir steigen ins Himmelreich, ich seh' schon die Sterne durch die Wipfel flimmern.« – Jetzt hatten sie die letzten Stufen erreicht, auf einmal traten sie zwischen dem dunklen Laub, wie Bergleute aus einem Schacht, ins Freie hinaus. Da sahen sie rechts das alte Schloß und vor ihm die weiten, duftigen Blumenplätze, stille Lauben und Büsche, ein Springbrunnen plätscherte schläfrig dazwischen, weiterhin dämmerte eine unermeßliche Aussicht im Mondglanz durch die wunderbare Einsamkeit herauf. Fortunat schaute schweigend in die Runde, und eh' die kleine Marchesin sich noch besinnen konnte, hatte er schon eine weitgebreitete Linde bestiegen, die am äußersten Abhang über den schimmernden Abgrund. »Fiametta!« rief er von oben, »wär's nicht um dich, ich möchte alles wach schreien vor Freude! Sieh, da unten blickt der Strom manchmal so heimlich auf, drüben grasen Damhirsche am mondbeschienenen Abhang, nun seh' ich auch das Dorf, wo die lustigen Mädchen wohnen, mit denen ich hier oben getanzt, das schläft nun alles, alles – nur eine Turmuhr schlägt dort von fern herüber, ich hört' sie damals oft bei stiller Nacht. Und Gott Vater fährt über die Saiten seiner Harfe, wie eine leise Musik zieht's gnadenreich über die stille Gegend.«
Fiametta aber sah sich nach allen Seiten um wie ein scheues Reh. [...]

 Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen Kapitel 22 bis 24

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