05 Juli 2020

Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen XII - Die Suche

So war es unter den munteren Gesprächen fast völlig Tag geworden, als auf einmal Walter, einen erbrochenen Brief in der Hand, eilig aus dem Hause trat. »Das ist heut ein wahrer Wundermorgen!« rief er lachend aus, »denkt euch, da schreibt mir eben unser Rechtsfreund aus der Stadt, ich möchte ihm kollegialisch beistehen, eine junge adelige Dame auszukundschaften, die mit ihrer Kammerjunfer ihrer alten Tante entflohen und deren Spur zwischen unsern Bergen verlorengegangen sein soll.« – »Kurios«, sagte der Amtmann, »ja, wilde Wasser lieben die Berge.« – »Was!« – rief der Förster, der eben eine neue Pfeife gestopft und nur halb hingehört hatte. – »eine alte, wilde Tante ist im Wasser verlorengegangen?« – »Ja«, fiel Fortunat ein, »und der Rechtsfreund mit ihrer Kammerjungfer entflohen.« – Walter hatte Mühe, die Konfusion zu berichtigen. »Ein angesehener Mann«, fuhr er dann fort, »verfolgt nun die Flüchtlinge im Auftrag der Tante und hat in der Stadt amtliche Hülfe in Anspruch genommen. Da bist du uns eben zur rechten Stunde gekommen, Fortunat.« – »Ich? wieso?« fragte dieser betroffen. – »Ich meine, als Dichter in solchen romantischen Fällen.« – »Ach teurer Freund«, entgegnete Fortunat, »ich wollte, die Romantik wäre lieber gar nicht erfunden worden! Solche romantische Verliebte – und das ist die adlige Dame gewiß samt der alten Tante und dem Rechtsfreund und seiner Kammerjungfer – die machen zusammen an einem Morgen mehr dumme Streiche, als ein gesetzter Autor im letzten Kapitel jemals wiedergutmachen kann!« – Da hatte er nun eben recht das Kapitel der Frau Amtmannin getroffen. Sie nickte ihm freundlcih zu, klagte über den jetzigen Leichsinn der Jugend und schob alles auf die Poesie. Fortunat stimmte ihr in seiner Not gern bei und hetzte noch immer mehr gegen die Poeten. Der Förster aber, nachdem er endlich alles begriffen, saß währenddes wie in Konvulsionen des heftigsten Nachdenken, bald starrte er in den Himmel, bald wieder in die dicken Tabakswolken vor sich hin. – »Topp, sie ist's«, rief er plötzlich aufspringend aus und schlug mit der Hand auf den Tisch, daß die Gläser klirrten. »Wer?!« – wandte sich Fortunat erschrocken herum. Über den Lärm war Fiametta aus dem Schlafe aufgefahren, Florentine sah ihr wieder scharf in die verträumten Augen – es hing alles an einem Haar.
Aber der Förster legte schnell die Pfeife hin und setzte martialisch seinen dreieckigen Hut auf. »Jetzt kommt nur mit«, sagte er, »alle, die ihr hier seid, zur Mühle dort am Wald, aber sogleich, damit wir die Vögel noch im Nest erwischen.« [...]
Nach einem kurzen Gange erblickten sie die Mühle in einer einsamen Waldschlucht. Von einem Bergeshange tief verschattet, war in dem kühlen Grunde kaum noch der Tag angebrochen, die Vögel erwachten eben erst in dem stillen Gärtchen, nur die Tauben schimmerten vom Dach, das schon von der Morgensonne beleuchtet war. Hier verteilte der Förster seine Begleiter vorsichtig an allen Ausgängen und gebot ihnen, sich still zu halten, er selbst aber ging eilig in die Mühle. Da sahen sie, wie sich im Hause ein Dachfenster halb und leise öffnete, sie glaubten oben ein junges Mädchen zu bemerken, das bei ihrem Anblick schnell den Laden wieder zuschlug. »Was ist denn das?« – flüsterte Fiametta ängstlich Fortunaten zu. – »Ich glaube«, erwiderte dieser, »der ganze Morgen ist toll geworden und spiegelt unsere eigene Geschichte närrisch in der Luft.« – Jetzt entstand ein Tumult im Hause, der Waldbach stürzte plötzlich brausend über das Mühlrad, zwischen dem Rauschen hörten sie rennen, klappen und zanken. Auf einmal sprang die Haustür auf und der Förster trat mit triumphierendem Anstande hervor, er führte feierlich eine fremde, wohlgekleidete Dame am Arm, der Morgenwind schlug ihren grünen Schleier zurück und zeigte ein junges, schönes Gesicht. – Da besann sich Fortunat nicht lange. »Welche Überraschung, mein Fräulein!« – rief er schnell hinzuspringend aus – »als ich das Glück hatte, Sie bei Ihrer verehrungswürdigen Tante zu sehen, wer hätte da an diese verwünschte Mühle gedacht! Ich bedaure nur, wenn dieser vorwitzige Morgenwind zu früh den Schleier gelüftet und das harte Gebirg manchen Stein des Anstoßes -« Nun war auch Fiametta dazugekommen und drückte die Hand der Dame zärtlich an ihr Herz. »Himmlisches Mädchen«, sage sie, »und das alles um mich! – Aber wie war es möglich? wie erfuhrst du, wo ich Unglücklicher umherschweife? Ja, leugne nur nicht länger, ich weiß es ja doch, du Liebe, Arme! um mich verließest du Schloß und Tante – o es geht mir alles wie ein Mühlrad im Kopfe herum!« – Die Dame sah in höchster Verwirrung bald den einen, bald den andern an und wußte nicht, was sie erwidern sollte. Die beiden ließen sie aber nicht mehr los, sie führten sie in ihrer Mitte so rasch der Amtmannswohnung zu, daß die andern kaum folgen konnten, dabei sprachen sie unterwegs oft heimlich untereinander. Walter war ganz verdutzt, auch der Amtmann schüttelte bedenklich den Kopf, der Förster aber schimpfte voller Zorn. »So eine schöne Dame«, sagte er, »und einem solchen Milchbart nachzulaufen, dem die Eierschalen noch am Schnabel hängen! Da ist keine Gerechtigkeit in dem Handel, ebensogut könnte sich der Herr Amtmann da in mich verlieben.« Dann pfiff er mit großem Lärm auf dem Finger nach seinen Hunden, warf die Büchse auf den Rücken und schritt ohne Abschied in den Wald.
Unterdes waren die andern zu Hause angelangt, wo Fiametta sehr fröhlich den erstaunten Frauen ihre unverhofft wiedergefundene Freundin vorstellte. Walter wollte folgen, aber Fortunat faßte ihn am Arm und führte ihn rasch in den Garten hinein. »Nun hilf aus der Konfusion!« rief er aus, da sie allein waren, »denn die gefangene Dame ist eigentlich die Kammerjungfer meines Vetters, und mein Vetter ist meine Geliebte, und meine Liebste ist die entsprungene Nichte der alten Tante.« Er erzählte nun kurz den ganzen Hergang der Sache und wie die Kammerjungfer, plötzlich so verlassen in der Fremde, heimlich ihre Spur im Gebirge verfolgt und gestern abends – was der Förster zufällig erfahren haben müsse – in der Waldmühle eingekehrt sei, um erst das Terrain auszuforschen und sich des Morgens auf eine geschickte Art wieder mit ihnen zu vereinigen.
Als er geendigt hatte, hüllte er sich in sich selbst, um den Hagelschauer freundschaftlicher Vorwürfe geduldig abzuwarten. Walter aber, aus seiner einförmigen Einsamkeit so auf einmal mitten in das romantischste Abenteuer mit hineingeworfen, rief zu seinem Erstaunen: »Die kleine Marchesin will ich mit Gut und Blut wie meinen Augapfel beschützen« und rannte dann voll Begeisterung sogleich nach dem Hause zu. Unterwegs begegnete ihnen Florentine und fragte, was sie vorhätten? Walter in seiner Freude erwischte sie bloß beim Kopf, küßte sie tüchtig ab und wollte weiter. Aber sie hielt ihn fest. »Tut mir nur nicht so wichtig und geheimnisvoll«, sagte sie, »merkt' ich's doch längst!« – Walter sah sie groß an. – »Dieser Herr Vetter aus Italien« – fuhr sie fort – »wie er sich gleich anfangs vorsichtig auf den Stuhl setzte, als wollt' er sich die Röcke nicht zerknittern – sein Gang, die Stimme – dann -« hier stockte sie plötzlich – »Nun?« fragte Fortunat. – »Dann sah er Sie einmal lange, lange an, als Sie eben mit den andern sprachen und niemand achtgab.« – Jetzt standen sie eben auf einer freien Anhöhe. Jenseits von den Waldbergen leuchtete die alte Burg in der Morgensonne herüber, wo Florentine ihm auf jener Spazierfahrt einmal flüchtig einen Kuß gegeben hatte – sie dachten beide daran. Die schöne Frau schlug verwirrt und errötend die Augen nieder – dann reichte sie ihm freundlich lächelnd ihre Hand, in die er recht herzlich einschlug. Währenddes ging Walter eifrig auf und nieder und zerbrach sich den Kopf. »Wär' nur der fremde Herr nicht, der euch verfolgt!« rief er ärgerlich aus. – »Ei was!« entgegnete Fortunat lustig, »ich hab' das Mädchen und er die Tante, laß ihn die heiraten!«
Sie setzten sich nun auf die Bank unter der Linde und beratschlagten miteinander, was jetzt zunächst zu tun sei. Nach vielem Hin- und Hersinnen wurde endlich einmütig beschlossen, vor dem Förster und den andern das einmal eingeleitete Mißverständnis zu benutzen und die Kammerjungfer für die entflohene Geliebte des Vetters auszugeben, beide aber einstweilen im Hause zu verwahren. Fortunat dagegen sollte schleunigst zu der Tante aufbrechen und dort, bevor er ihr den Aufenthalt Fiamettas entdeckte, nach den Umständen alles selbst vorsichtig ins rechte Geleis zu bringen suchen. »Du hast Rang, Vermögen«, sagte Walter, »und bist eine so gut Partie für die Marchesin als irgendeine im Lande, es müßte wahrlich mit dem Eigensinn eines Romanschreibers zugehen, wenn ihr euch zuletzt nicht noch kriegtet.« [...]
Fiametta aber, da die Männer ihr jetzt ihren Plan mitteilten, war von der Aussicht einer endlichen, baldigen Entscheidung ihres verwickelten Liebeshandels wie berauscht. Und als nun Florentine noch in aller Eile anfing, Kuchen zu backen, die sie morgen Fortunaten auf die Reise mitgeben wollten, half sie ihr mit großer Geschäftigkeit und naschte die schönsten Rosinen weg. Zuletzt aber, da sie selbst den Teig angefaßt, mußte auf ihr klägliches Geschrei alles zu Hülfe eilen, um ihre Finger wieder rein zu machen. – Nun ließ sie das Backen ganz und gar und zeigte Fortunaten die Wohnung, die sie ihr oben angewiesen hatten. Es war die schönste Stube im ganzen Hause, sie lag nach dem Walde zu, der durch alle Fenster hereinsah. Da ging es nun lustig ans Einpacken für morgen, die Vögel sangen draußen in den Wipfeln, Fiametta kniete in der grünen Dämmerung vor Fortunats Felleisen und plauderte vergnügt von den schönen Bergen, über die er kommen würde, von dem prächtigen Schloß und dem Garten der Tante, dabei packte sie heimlich allerlei Kleinigkeiten von sich unter seine Wäsche und wurde über und über rot, als er's bemerkte.
So war unter munteren Verabredungen und Vorbereitungen der Tag verflossen. Walter hatte, die Müdigkeit seiner Gäste vorschützend, für den Abend jeden Besuch entfernt gehalten, die Hausgenossen selbst, nach der halbdurchwachten Nacht, waren schon früh zur Ruh gegangen. Nur Fortunat und Fiametta saßen noch vor der Haustür und hörten zu, wie die Mädchen unten im Dorfe vor dem Johannesbilde und die Heimchen von der fernen Wiese sangen. Fiametta saß zu seinen Füßen im Gras, sie hatte die Gitarre auf ihren Knien uns sah still in die mondbeschienene Gegend hinaus, er hatte sie noch nie so nachdenklich gesehen. – Da erklang auf einmal weiter oben ein Waldhorn. Es war der verliebte Förster, der den Herrschaften ein Ständchen blies. Und als nun allmählich Waldhorn und Johanneslieder verklangen und alles still geworden war im Hause und im Tal, da nahm Fiametta ihre Gitarre und sang:
Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!


Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.


Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht.
Fiametta legte die Gitarre schnell weg, verbarg ihr Gesicht an Fortunats Knien und weinte bitterlich. – »Wir reisen wieder hin!« flüsterte ihr Fortunat zu. Da hob sie das Köpfchen und sah ihn groß an. »Nein«, sagte sie, »betrüg mich nicht!«

Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen Kapitel 24

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