18 Juli 2020

Georg Forster: Parisische Umrisse

Georg Forster hat noch in der Zeit, als die Französische Revolution in die Schreckensherrschaft umschlug die Entwicklung damit gerechtfertigt, dass es bei einer Auseinandersetzung um Leben und Tod nicht mehr möglich sei, die Beweggründe beider Seiten gegeneinander abzuwägen, sondern nur noch das Ausfechten des Kampfes dazu führen könne, dass nachher in Ruhe entschieden werden könne, wer recht gehabt habe.

"Es gab eine Zeit, wo man sich in Deutschland mit einer Art von Siegwarts-Empfindsamkeit über die Harmlosigkeit unsrer Revolution hoch erfreute; alles schien so gelassen, so friedlich abzulaufen, daß man Frankreich für das glückliche Schlaraffenland hielt, wo einem die – Freiheit? von selbst in den Wurf käme. Ein Paar Köpfe, auf Piken gespießt, ließ man uns hingehen; ja, man verzieh uns sogar die Aufknüpfung des armen Schluckers Favras, wodurch einer vornehmeren Kehle geschont wurde. Als nun gar unsre Verfassung von 1791 zu Stande kam: wer hätte da noch an der Wiederkehr des goldenen Zeitalters gezweifelt? Diese utopischen Träume mußten bei der Wendung, die hernach die Sachen nahmen, eine höchst nachtheilige Wirkung thun; man ließ es uns entgelten, daß man sich in seinen Hoffnungen so verrechnet hatte. Als am 10ten August die Absetzung des Königs Blut kostete, da kündigten uns Eure Revolutionsfreunde schon Hut und Weide auf; und bald hernach verglichen sie unsre unseligen Septembernächte mit Karls des Neunten und seiner Mutter Bartholomäusnacht. Seitdem ist es so revolutionsgemäß bei uns hergegangen, daß man von dem ersten Vorurtheil endlich zurückgekommen ist. Man hat Zeit gehabt, die Geschichte andrer Revolutionen mit der unsrigen zu vergleichen. Ihre Würgengel mögen sich unter einander um den Vorrang streiten; und da unsre Rechnung vielleicht nicht so bald abgeschlossen werden kann, so müssen jetzt die Revolutionen überhaupt, und ohne Rücksicht auf ihren Zweck, vorläufig ihr Verdammungsurtheil empfangen. – O über die Kinder, die sich die Nase an einer Stuhlecke stoßen, und den Stuhl dafür peitschen! – O über die Klügler, die, wenn das Gewitter, das die Saaten erquickte, zugleich Dörfer in Brand steckt, Menschen und Heerden erschlägt, nicht wissen, ob sie es Wohlthat oder Plage nennen sollen!
Den Weibern, deren gutmüthige Schwärmerei so gern eine Unschuldswelt hervor zaubern möchte, ist es zu verzeihen, wenn sie über den Punkt das All vergessen. Sie sind gewohnt, das Schauspiel der Weltbegebenheiten nur in dem Einen Gegenstande, der ihr Herz erfüllt, zu erblicken; und alles um sie her ist Nacht, wenn dieser Spiegel zerbricht. »Die Guillotine«, sagte mir neulich eine Pariserin, »wird noch alle Regungen der Menschlichkeit ersticken. Selbst meine Kinder sprechen schon davon in ihren Spielen und die Straßenjungen haben längst manche Katze guillotinirt; ja, es heißt sogar, daß sie in einem gewissen Städtchen das Experiment an einem aus ihrer Mitte hätten probiren wollen.« – Mir machten diese Beispiele von angeblicher Verwilderung um so weniger bange, da ich wußte, daß diesmal einige der neuesten Auftritte die gute Frau außer Fassung gebracht hatten. Am wenigsten durfte sie für ihre eigenen Kinder besorgt seyn, bei denen man den glücklichsten Übergang kindlicher Triebe in das zarte sittliche Gefühl unmöglich verkennen konnte. Warum sollte auch Fühllosigkeit gerade das Hauptresultat einer Revolution seyn, worin so manche Triebfedern wirken? Wer hält die Engländer darum für fühlloser als andre Menschen, weil man in London wöchentlich ganze Galgen voll Diebe, Räuber und Mörder aufhängen sieht? Wahr indessen oder nicht; jene Besorgniß verräth immer ein schönes Gefühl, und der echte Bürger, der Mensch im größten Sinne des Worts, leidet tief bei der traurigen Erfahrung daß ohne ganze Ströme Bluts die Vortheile der Revolution deren die Welt so nothwendig bedarf, ihr nicht zu Gute gekommen wären. Ja es trifft sich zuweilen, (und dies ist unstreitig das Niederschlagendste von Allem) daß der Verbrecher im politischen Sinn, als Mensch, als Hausvater und Freund, von Hunderten die ihn kannten, betrauert wird. Bei Ihnen dürfte mancher auch noch fragen: ist denn das politische Verbrechen allemal so ausgemacht? Eigentlich sind wir zur Beantwortung dieser Frage noch nicht hinlänglich unterrichtet. Welcher Dritte kann jetzt noch darüber urtheilen, ob die Systeme und Regierungsplane der einen oder der andern Parthei den Vorzug verdienten? Allein, so bald es zwischen ihnen so weit gekommen war, daß keine Aussöhnung mehr möglich blieb und es einen Kampf auf Tod und Leben galt; so konnte nur der Ausgang über die Straffälligkeit entscheiden und die siegende Parthei fand ihre Rettung einzig und allein in der Vertilgung der andern. Was die Leidenschaften hier unter dem Mantel der unerbittlichen Nothwendigkeit gewirkt haben mögen, wird der Vergeltung nicht entgehen, wenn es auch eben kein Thurm von Siloah wäre, der über den Schuldigen zusammenstürzte; aber die Moralität jener blutigen Rache gehört wenigstens für jetzt vor keinen menschlichen Richterstuhl.
Es ziemt uns, wenn wir kaltblütig forschen wollen, die Ursachen nicht zu übersehen, die allem Thun der Menschen so viel Unwillkührliches beimischen, daß das Wenigste zuletzt, sey es lobens- oder tadelnswerth, ihnen eigen gehört. Die gewaltsamsten Erscheinungen unserer Revolution entsprangen aus dem Widerstand und Aneinanderreihen der Kräfte. Die konstituirende Nationalversammlung wurde durch kleine Hindernisse gereitzt, die ihr der Blödsinn in den Weg legte; und täglich gewann sie dadurch ein vollkommneres Bewußtseyn ihrer Überlegenheit. In der zweiten ward die Reibung stärker: der Hof strebte nach seiner alten Macht; die Minorität gönnte ihm auch die nicht, die er vermöge der neuen Verfassung hatte, und in dieser Minorität lag eine andere noch ungeborne, die auf kürzerem aber halsbrechendem Wege, per saxa, per ignes, zur Republik gelangen wollte. Dessen ungeachtet blieben die furchtbarsten Krämpfe noch für die jetzige Versammlung aufbewahrt. In den Waffenkreis der auswärtigen Mächte gebannt, stürmten die los gebundenen Leidenschaften durch einander, und die Wuth der Partheien entbrannte in lichten Flammen. Unstreitig hat der gewaltsame Druck, womit man unsere Gährung dämpfen wollte, die Hitze auf den höchsten Punkt gebracht, und die heftigsten Anstrengungen in uns hervorgerufen.
Jetzt haben wir indessen unter einander ausgekämpft; alles kommt gegenwärtig darauf an, jenen zusammendrückenden, ehernen Kreis zu zersprengen. Wie mag es aber gekommen seyn, daß Europa so gegen uns sein ganzes Spiel auf Eine Karte setzt? Wer hat die Elasticität des gährenden Stoffes so genau berechnet, daß man von seiner Kraft nichts zu befürchten haben sollte? Wer kennt den Grad der Verstärkung, den unsere Gährung durch die von außen hinein gemischten Mittel noch erhalten kann? Wenn die Bombe zerplatzt, wird sie nicht alles umher zertrümmern? Ist überhaupt ein überlegter, ruhiger, fester Gang der Vernunft in diesem Plane zu suchen, oder ist es überall Leidenschaft gegen Leidenschaft, und Würfel gegen Würfel? Führen Könige und Republikaner nur Krieg mit einander, oder schlägt ein Gott die Menschengattung in Scherben, um sie im Tiegel neu umzugießen? –"
Georg Forster: "Parisische Umrisse"

Forster ist nach einer glänzenden Karriere als Wissenschaftler verarmt und verlassen an Lungenentzündung gestorben. Daran, dass die Revolution die gerechte Sache vertreten hat, hat er festgehalten. 

In der Wikipedia heißt es dazu:
"Forster wurde sich nun des Widerspruchs bewusst zwischen dem Anspruch der Revolution, das Glück der Menschheit zu befördern, und der revolutionären Praxis, die über das Glück und das Leben des einzelnen Menschen grausam hinweggehen konnte. Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Befürwortern der Revolution, wie etwa Friedrich Schiller, wandte sich Forster aber selbst unter dem Eindruck des Terrorregimes nicht von den revolutionären Idealen ab. Er verglich die Ereignisse in Frankreich mit einem Naturereignis, das man nicht aufhalten könne. Kurz vor seinem Tod schrieb er:
„Die Revolution ist ein Orkan. Wer kann ihn hemmen? Ein Mensch, durch sie in Tätigkeit gesetzt, kann Dinge tun, die man in der Nachwelt nicht vor Entsetzlichkeit begreift.“
Bevor die Terrorherrschaft ihren Höhepunkt erreichte, starb Georg Forster im Januar 1794, noch nicht 40-jährig, an einer Lungenentzündung in einer kleinen Dachwohnung in der Rue des Moulins in Paris."

Keine Kommentare: