05 Juli 2020

Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen XI - Rückkehr nach Hohenstein

[...] Fortunat hatte sich schon im voraus alles klug ausgesonnen. Fiametta sollte fürs erste sich in der Nähe der Amtmannswohnung noch im Grün verborgen halten, er selber wollte underdes in der Morgenglut wie ein Falke das Haus umkreisen und auf Waltern, den er als einen frühen Vogel kannte, wo er sich blicken ließe, sogleich niederstoßen, um mit ihm das Weitere zu verabreden, bevor die andern dazukämen.
Aber der Mensch denkt, und Gott lenkt. Als sie so unter den feierlich rauschenden Wipfeln des Buchwaldes fortgingen, zupfte und rückte Fiametta mit klopfendem Herzen ihr Wämschen zurecht wie ein Vöglein, das sich im Morgenschein die Flügel putzt, und fing italienisch zu plaudern an, das klang wie ein Glöckchen durch die Stille. Fortunat aber gedachte des schönen Frühlingsmorgens, als er mit Waltern zum erstenmal hier eingestiegen. Da war alles wieder so kühl und frisch wie damals. Bald erblickte er seitwärts die duftigen Blumenplätze, den Sitz unter der Linde, lauter alte Bekannte, nun guckten auch schon die weißen Schornsteine herüber – auf einmal standen sie unter den hohen Bäumen vor dem Hause. Da lag noch alles in tiefer Ruh', durch das Weinlaub am Fenster konnte er die untere Stube übersehen, den bunten Teppich im ungewissen Schimmer und die vergoldeten Rahmen der Bilder gegenüber an der Wand, die alte Stockuhr schlug drin soeben vier. Unter den Bäumen aber stand noch der große runde Tisch mit den Stühlen umher, wie in der alten Zeit, der Amtmann hatte seine Pfeife draußen vergessen, auch Florentinens Gitarre hing wieder über dem Stuhl. Da überkam Fortunaten unwiderstehlich seine alte Reiselustigkeit, der kluge Plan, Vorsicht, Geheimnis und alles war vergessen, er ergriff die Gitarre, sprang auf den Tisch hinauf und sang recht aus Herzensgrunde:
Wer steht hier draußen? – Macht auf geschwind!
Schon funkelt das Feld wie geschliffen,
Es ist der lust'ge Morgenwind,
Der kommt durch den Wald gepfiffen.
Ein Wandervöglein, die Wolken und ich
Wir reisten um die Wette,
Und jedes dacht: nur spute dich,
Wir treffen sie noch im Bette!
Da sind wir nun, jetzt alle heraus,
Die drin noch Küsse tauschen;
Wir brechen sonst mit der Tür ins Haus:
Klang, Duft und Waldesrauschen.
Bei den letzten Klängen öffnete sich oben leise ein Fenster. Florentine fuhr mit dem verschlafenen Köpfchen hervor, er hätte sie beinah nicht wiedererkannt, so prächtig, voll und blühend war sie geworden. »Herr Jesus! sind Sie's, Herr Baron?« rief sie ganz erschrocken und schlug schnell das Fenster wieder zu, denn der Morgenwind wollte ihr das leichte Halstuch nehmen. Nun hörte er im Hause die Türen gehen, rufen und rumoren. Draußen aber kletterte das Morgenrot fix über die Spaliere und Weinranken das stille Haus bis zu den Schornsteinen hinan und guckte neugierig über die Bäume und Fortunat sang von neuem:
Ich komme aus Italien fern
Und will euch alles berichten,
Vom Berg Vesuv und Romas Stern
Die alten Wundergeschichten.
Da singt eine Fei auf blauem Meer,
Die Myrten trunken lauschen
Mir aber gefällt doch nichts so sehr,
Als das deutsche Waldesrauschen!
Als Walter von Italien hörte, zweifelte er nicht länger. Eilig in hohen Schmierstieflen, die er gegen den beißenden Tau zu gebrauchen pflegte, kam er atemlos aus dem Hause gestürzt. »Mein Gott! du, Herzensbruder!« rief er schon von weitem und flog, außer sich vor Freude, in Fortunats Arme und stach ihn tüchtig mit seinem schlecht rasierten Bart. Fortunat war im ersten Augenblick ganz verblüfft, denn Walter kam ihm so verbauert vor, altmodisch beim Reden schreiend und gebräunt im Gesicht; aber die treuen Augen machten gleich alles wieder gut, man sah bis in den Grund der Seele, er war doch durch und durch noch der alte. Jetzt fiel plötzlich ein Schuß hinter ihnen, daß alle zusammenfuhren. Auf der Anhöhe wurde der tolle Förster sichtbar, der von dem Besuche schon Wind bekommen. Er drehte den dünnen, flechsenreichen Hals weit aus der schmalen, engen Binde, und als er nun wirklich Fortunaten recht erkannt hatte, feuerte er aus seiner Doppelbüchse geschwind noch einmal über ihre Köpfe weg und stürzte mit großem Vivatgeschrei zu ihnen herab. Dann erwischt er unversehens Fiametta, die gar nicht wußte, wie ihr geschah, und walzte wütend mir ihr unter den Bäumen herum, seine langen Rockschöße, die weit im Rade umherflogen, schleuderten einen von den Gartenstühlen soeben in die Haustür, als die Frau Amtmannin feierlich heraustreten wollte. »Nun Gott behüt' uns, Herr Nachbar«, rief sie empfindlich, »was ist das wieder für eine Aufführung!« – »Einführung, Frau Muhme«, entgegnete der Förster, »hohe Reisende, bal à la fourchette, St. Veits-Tanz, Apfelsinen und Italien! da hat mich so eine verfluchte Tarantul in die Füße gebissen.« – Nun schwenkte auch der Amtmann seine schneeweiße Schlafmütze, hinter der das hübsche Gesichtchen Florentinens hervorguckte, alle schrien und fragten durcheinander, [...]

 Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen Kapitel 24

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