Erst als Preußen mit seinen Bundesreformvorschlägen hervortrat, schien man in Hannover aufzuwachen und sich darüber klar zu werden, daß der Bund kein Ding sei, welches einen ernsthaften Antagonismus zwischen Oesterreich und Preußen ertragen könne; und als nun Preußen anfragen ließ, welche Partei Hannover ergreifen würde, wenn es zu einem Bruche zwischen den beiden deutschen Großmächten käme, oder wenn gar Preußen von Oesterreich angegriffen würde, da mußte der Welfennebel, der die Köpfe umdüsterte, wol etwas schwinden. Graf Platen erklärte dem preußischen Gesandten: Hannover werde sich in einem solchen Falle auf den Bundesstandpunkt, auf den Boden stricter Neutralität, zurückziehen. »Gegen Oesterreich kämpfen wir nicht«, sagte der Graf Anfang April zu dem Prinzen Ysenburg, »aber auch nicht gegen Preußen; wir werden weder mit Oesterreich noch mit Preußen eine Allianz schließen; wir stehen auf dem Bundesstandpunkte, und wenn eine deutsche Großmacht mit einem auswärtigen Staate oder mit einem zum Deutschen Bunde gehörigen Staate Krieg führen will, so bleibt der Bund selbst neutral.« Prinz Ysenburg machte bemerklich, daß das Zurückgehen auf den Bundesstandpunkt einem Bündnisse mit Oesterreich ziemlich gleichbedeutend sei, da der Bund seit seinem Wiederauferstehen nur österreichischen Augenwinken nachgelebt habe. Indeß war man damals noch der Meinung, daß ein Bruch vermieden werde, und Frauenhände arbeiteten in Wien, Berlin wie München gar emsig an dem Frieden. Dieser lag niemand mehr am Herzen als der Königin Marie; sie glaubte ihn erbeten zu können, und verdoppelte ihre Betstunden, denn der Herr Gemahl fühlte sich sehr empört, daß Preußen durch die Bundesreform, namentlich die der Militärverfassung, die Sphäre seines Machteinflusses augenscheinlich zu vergrößern suchte. [...]
»Es ist Zeit«, sagte der General in vertraulicher Unterredung, »daß man den Preußen den alten Raub abnimmt; hat Se. kaiserliche Majestät die Waffen ergriffen, so wird er sie nicht niederlegen, bis Schlesien wieder an Oesterreich, die Provinz Sachsen an den König von Sachsen abgetreten ist, und stände Hannover treu zu dem Kaiser, so würde Westfalen Ew. Majestät keine unliebsame Vergrößerung sein. Wie große Stücke mein kaiserlicher Herr auf königliche Majestät hält, davon sei Ihnen, königlicher Bruder, dieses eigenhändig Schreiben des Kaisers ein Beweis, welches dem Feldmarschallieutenant von Gablenz befiehlt, die Brigade Kalik zu Ew. Majestät vollkommenster Disposition bereit zu halten. »Es sind Vorbereitungen getroffen, daß in kürzester Zeit auch holsteinische Truppen mobil gemacht werden können, und ein gemeinsames Lager der Brigade Kalik mit den Truppen Ew. Majestät und den Holsteinern an der Niederelbe würde die Preußen in Schleswig nicht nur in Respect halten, sondern die preußischen Combinationen geradezu umstoßen.« [...]
Dem Könige fehlte jeder Begriff von der Staatsidee, er fühlte sich nur als souveräner patriarchalischer Herr, dessen Eigenwille über alles entschied. So hatte er nach dem Conseil bis zum Diner am Nachmittage einer Menge Personen Audienzen ertheilt und viele Kleinigkeiten nach selbsteigenen Beschlußnahmen erledigt, als nach dem Diner der Generalconsul Zimmermann sich in dringenden Angelegenheiten zur Audienz melden ließ. Der König, noch zornig darüber, daß dieser Mann es gewagt hatte, zur Neutralität mit Preußen und zur Abstimmung gegen den Antrag der Königreiche zu rathen, weigerte die Audienz.
Heinrich Oppermann: Hundert Jahre, 9. Buch, 9. Kapitel
22 Februar 2013
Hannover vor dem preußisch österreichischem Krieg 1866
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