Christiane berichtet Apollonius von dem Mordplan, den ihr Mann, sein Bruder, gegen ihn geschmiedet hat und davon, dass er ihn betrogen hat, da sie in Wirklichkeit Apollonius geliebt hat.
Aber es folgt nicht das Happy End, auf das die Erzählung hier zuzulaufen scheint.
"Er wollte machen, daß du stürzen müßtest. Es wär' nur Scherz; aber sagt' ich's dir, dann wollt' er's im Ernste tun. Seitdem hab' ich keine Nacht geschlafen; die ganzen Nächte hab' ich aufgesessen im Bett und bin voll Todesangst gewesen. Ich hab' dich in Gefahr gesehen und durft' es dir nicht sagen und durfte dich nicht retten. Und er hat die Seile zerschnitten mit der Axt in der Nacht, eh' du nach Brambach gingst. Der Valentin hat mir's gesagt, der Nachbar hat ihn in den Schuppen schleichen sehen.
Ich hab' dich tot gemeint und wollte auch sterben. Denn ich wär' schuld gewesen an deinem Tod und stürbe tausendmal um dich.
Und nun lebst du noch, und ich kann's nicht begreifen. Und es ist alles noch, wie es war: die Bäume da, der Schuppen, der Himmel, und du bist doch nicht tot. Und ich wollte auch sterben, weil du tot warst. Und nun lebst du noch, und ich weiß nicht, ist's wahr oder träume ich's nur. Ist's denn wahr? Sag' du mir's doch: ist's wahr? Dir glaub' ich alles, was du sagst. Und sagst du, ich soll sterben, so will ich's, wenn du's nur weißt. Aber er kann kommen. Vielleicht hat er gelauscht, daß ich dir's sagte, was er will. Schick' den Valentin in die Gerichte, daß sie ihn fortführen und er dir nichts mehr tun kann!«
So schwärmte, lachte und weinte das fiebernde Weib in seinen Armen fort. Alles vergessend, wie ein Kind an einem Abgrund spielend, den es nicht sieht, ruft sie unbewußt eine Gefahr herbei, tödlicher als die, über deren Vorbeigehen sie jubelt, drohender als die, wogegen sie den Mann mit ihrem Leibe decken will. Sie ahnt nicht, was ihr leidenschaftlich Tun, die Süßigkeit ihrer unbekümmerten Hingebung, was ihre Liebkosungen, was ihr warmes schwellendes Umfangen in dem Manne aufregen muß, der sie liebt; daß sie alles tut, was den Mann, dessen Rechtlichkeit und Edelmut sie sich so unbekümmert anheimgibt, Rechtlichkeit und Edelmut im Tumulte des Blutes vergessen machen kann. Sie hat keine Ahnung, welchen Kampf sie in ihm entzündet und wie sie ihm den Sieg erschwert, wenn nicht unmöglich macht.
Und er weiß nun, das Weib in seinen Armen war sein; der Bruder hat ihn um sie und sie um ihn betrogen. Jetzt weiß er's, wo das Weib in seinen Armen ihm die Größe des Glückes zeigt, um das der Bruder ihn betrogen hat. Er hat sie geraubt und noch mißhandelt; und für alles, was er um ihn gelitten, getan, verfolgt er ihn noch und steht ihm nach dem Leben. Gehört das Weib dem, der sie ihm gestohlen, der sie mißhandelt, den sie haßt? oder ihm, dem sie schändlich gestohlen worden ist, der sie liebt, den sie liebt? Das alles waren nicht deutliche Gedanken: hundert einzelne Empfindungen, die in den Strom eines tiefen und wilden Gefühls hingerissen, durch seine Adern stürzten und die Muskeln seiner Arme spannten, etwas, das sein ist, an sein Herz zu pressen. Aber eine dunkle Angst drängt dem Strom entgegen und hält die Muskeln wie im Starrkrampfe fest. Das Gefühl, er will etwas tun, und er ist sich nicht klar, was es ist, wohin es führen kann; eine ferne Erinnerung, daß er ein Wort gegeben hat, das er brechen wird – er läßt sich fortreißen; die dunkle Vorstellung, als stehe er wie an seinem Tische und, bewege er sich, eh' er sich umgesehn, könne er etwas wie ein Tintenfaß auf etwas wie Wäsche oder ein wertvolles Papier werfen: alledem lag die angstvolle Vorahnung zugrunde, er könne mit einer Bewegung etwas verderben, was nicht wieder gutzumachen sei.
Er rang schon lange unter den berauschenden Tönen nach etwas, bevor er wußte, daß er rang und daß dies Etwas die Klarheit war, das Grundbedürfnis seiner Natur. Und nun kam sie ihm und sagte: »Das Wort, das du gegeben hast, ist, die Ehre des Hauses aufrecht zu erhalten, und was du tun willst, muß sie vernichten!« Er war der Mann und mußte für sich und sie einstehen. Die Klarheit brandmarkte den Verrat, den er mit einem Drucke, mit einem Blicke an dem rührenden unbedingten Vertrauen üben würde, das aus des Weibes Hingebung sprach, mit aller Schmach, die sie fand. Sie zeigte ihm die Reinheit des Gesichtes, das an seinem Herzen lag und schwärmend zu ihm aufsah, und wie er mehr an ihr und an sich selbst verderben würde, als das war, worüber er ihren und seinen Feind anklagte. Noch stand die heilige Scheu schützend zwischen ihm und ihr, die ein einziger Druck, ein einziger Blick für immer verscheuchen konnte.
Otto Ludwig: Zwischen Himmel und Erde, S.556-567
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