22 März 2013

Jean Paul: Ideengewimmel und Hesperus

Jean Paul war ein Vielschreiber mit einem unglaublichen Ideengewimmel, von dem er so viel, wie möglich, in seine Romane eingebracht hat.
Zu seinem 250. Geburtstag (21.3.) haben sich manche gemeldet:
WeltFRtaz, FAZ, Stern,  Gleimhaus, ZEIT und viele mehr.

Ich lese gelegentlich im Hesperus und setze hierher, was mir im dortigen Ideengewimmel bisher besonders auffiel:


unser geliebter Goethe wird, so sehr er auch » emergiert und eminiert«, am Ende in irgendeiner künftigen Auflage z. B. eben beide Wörter, die er in der letzten [Fußnote: Dessen sämtliche Werke. B. 3 S. 68. ] auf einer Zeile zum Worte kommen läßt, zum Buche hinauswerfen müssen.
Sonst übrigens wird die deutsche Sprache sogar durch die größte Gastfreiheit gegen Fremdlinge niemals verarmen und einkriechen. Denn stets zeugt sie (wie alle Wörterbücher beweisen) aus ihren immer frischen Stammbäumen hundertmal mehre Kinder und Enkel und Urenkel, als sie fremde Geburten an Kindes Statt annimmt; so daß nach Jahrhunderten die aus unsern forttreibenden Wurzelwörtern aufgegangne Waldung die nur als Flugsame aufgekeimten Fremd-Wörter ersticken und verschatten muß, zuletzt als ein wahrer Lianenwald aufgebäumt, dessen Zweige zu Wurzeln niederwachsen und dessen aufwärts gepflanzte Wurzeln zu Gipfeln ausschlagen.
Der spätere Mensch hält zu leicht das Ändern am jüngern für ein Bessern desselben; aber wie kein Mensch den andern ersetzen kann, so kann auch nicht einmal derselbe Mensch sich in seinen verschiedenen Alterstufen vertreten, am wenigsten der Dichter.
Diese Nachsicht der Kritiker für einen Bücherschreiber, der wie ein Katholik mehr gute Werke verübt, als er zur Seligkeit braucht, ...
das Publikum selber hat über ein Kapitel 45 Meinungen, wie Cromwell vier widersprechende Briefe an denselben Korrespondenten diktierte, bloß um seinen Schreibern den wahren zu verhehlen, den er fortschickte: – –
Die Kaplänin erzählte nun so viel von Viktor, als alle schon wußten. Aber dieses Wiederholen der alten Geschichte ist eben der schönste Reiz des häuslichen Gesprächs.
denn die Menschen soll keiner belachen als einer, der sie recht herzlich liebt.« – –
Nur ein Mensch, der nach einem Freunde gerade so wie nach einer Freundin schmachtet, verdienet beide.
so übernehm' ich das biographische Werk, unter der Bedingung, daß darin die Wahrheit nur meine Gesellschaftdame, aber nicht meine Führerin sei.
ein Satiriker kann sich Hoffnung machen, daß selten ein Leser seine Gemälde moralischer Krankheiten, seine anatomischen Tafeln von geistigen Mißgeburten auf sich anwenden werde; er kann froh und frei Despotismus, Schwäche, Stolz und Narrheit ohne die geringste Sorge malen, daß einer dergleichen zu haben sich einbilde; ja ich kann das ganze Publikum oder alle Deutsche einer ästhetischen Schlafsucht, einer politischen Abspannung, eines kameralistischen Phlegma gegen alles, was nicht in den Magen oder Beutel geht, beschuldigen; aber ich traue jedem, der mich lieset, zu, daß er wenigstens sich nicht darunter rechne, und wenn dieser Brief gedruckt würde, wollt' ich mich auf eines jeden inneres Zeugnis berufen. –
warum ist ein Mensch zuweilen so glücklich? Darum: weil er zuweilen ein Literatus ist. Sooft das Schicksal unter seinem Schleier das Lebenströmchen eines Literatus, das über einige Hörsäle und Bücherbretter rinnt, aus dem großen Weltatlas in eine Spezialkarte hineinpunktiert: so kann es so denken und sagen: »Wohlfeiler und sonderbarer kann man doch kein Wesen glücklich machen, als wenn man es zu einem literarischen macht: sein Freudenbecher ist eine Dintenflasche – sein Trommetenfest und Fasching ist (wenn es rezensiert) die Ostermesse – sein ganzer paphischer Hain geht in ein Bücherfutteral hinein – und in was anderm bestehen denn seine blauen Montage als in (geschriebnen oder gelesenen) Hundposttagen?«
Sie war bei der Vermählung mit dem Lord 22 Jahre alt, und ihr ganzes Wesen war (wenn ich den kühnen Ausdruck eines Londner Lobredners derselben nehmen darf) nichts als ein einziges zartes stilles blaues Auge. Das ist alles, was man dem Publikum zuwendet. –
Aber die Totenglocke warf ihre Mißtöne in diese Wohllaute des Lebens. Die Geliebte des Lords flog aus der rauhen Erde und ließ ihr seinen ersten Sohn als Andenken und Herzpfand zurück; sie starb im 23sten Jahr gleichsam am Leben des Kindes, einige Tage nach dessen Geburt, und der zarte dünne Zweig brach unter der reifen Frucht zusammen. Lord Horion schwieg vor dem Geschick. Er hatte sie fürchterlich geliebt, ohne es zu zeigen; er betrauerte sie ebenso, ohne sein tiefes schwarzes Auge zu benetzen. Der Fürst fand an der Nichte, d. h. an einer wahren Engländerin, darum Geschmack, weil er vorher einen ebenso großen an den Französinnen gefunden hatte; und aus diesem Grunde hätt' er umgekehrt diese geliebt, hätt' er vorher jene gekannt. Der nachherige Obrist-Kammerherr Le Baut hatte dieselbe Gesinnung, und was noch mehr ist, gegen dieselbe Person; und wie die indischen Hofleute alle Wunden ihres Herrn nachahmen, so machte Le Baut mit einem Amors-Pfeil die des seinigen nach und versetzte sich eine der stärksten damit.
Der Lord regierte den Regenten leicht, weil er ihn weder an eignen noch fremden Lastern zügelte, sondern an eignen Tugenden. Erstlich begehrte er nichts von ihm, nicht einmal Diät und Keuschheit. Zweitens hob er keine Vettern in den Sattel, sondern schlimme daraus; er trug ihn wie einen Habicht auf der beschuhten Faust, aber der Falkenierer tats nicht, um den Fürsten auf Tauben und Hasen zu werfen, sondern um ihn immer wach und zahm zugleich zu machen. Drittens machten seine Festigkeit und seine Feinheit einander wechselseitig gut; über Veränderliche regieret am besten der Unveränderliche. Viertens war er nicht der Günstling, sondern der Gesellschafter, blieb immer ein Brite und ein Lord und des Landes wohltätiger Bienenvater, indes Januar der Weisel und im Weiselgefängnis war. Fünftens gehörte er unter die wenigen Menschen, denen man gleich sein muß, um ihnen ungehorsam zu sein; und einer, der das Taschenspielerkunststück machen wollte, ihm ein Schloß unversehens an den Mund zu werfen, hatte leicht eines an Bein- und Handschellen der Seele. Sechstens hatt' er einen guten Käse. Das letzte braucht nicht weitläuftig erklärt zu werden; in Chester hatt' er einen Pachter, der einen Käse lieferte, dergleichen es weiter keinen in Europa gibt; Fürsten aber ist im ganzen ein außerordentlicher Käse lieber als eine außerordentliche Dankadresse des Landschaftsyndikus. –
Bei einem Zusammentreffen solcher Unsterne wurde freilich dem Kammerherrn der Absagebrief, der anfangs mit sympathetischer Dinte auf Jenners Gesicht geschrieben war, allmählich immer leserlicher – doch las er ihn wöchentlich etliche Male durch, um recht zu lesen – er konnte jetzo keinem Schoßhunde eine Stelle mehr verschaffen, nämlich einen Schoß – seine Empfehlschreiben wurden Uriasbriefe – als er nun gar durch den Lord die Charge eines Obrist-Kammerherrn erstand, hielt ers für hohe Zeit, gegen seine Kniegicht das Bad auf seinem Rittergut St. Lüne jahraus, jahrein zu brauchen, und zog ab, nachdem er vorher dem ganzen Hof geloben müssen, bald genesen zurückzukommen. –
wir loben es alle; nicht Kälte, sondern Abkühlung ist die größere Weisheit; und unser innerer Mensch soll, wie ein heißer Metallguß in seiner Form, nur langsam erkalten, damit er sich zu einer glättern Gestalt abründe: eben darum hat ihn die Natur – wie man für Bildmetall die Form erwärmt – in einen heißen Körper gegossen.
Agathe drückte ihre Freude bloß mit ihren Lippen aus, indem sie damit schwieg und sie an ihres Bruders seine drückte.
Dahore, sein unvergeßlicher Lehrer in London, der ihn so geliebt, so geschont, so veredelt hatte. »Ach,« dacht' er, »du unbelohntes, für die Erde zu warmes Herz, wo schlägst du jetzt, warum kann ich nicht meine Seufzer mit deinen vereinigen und zu dir sagen: Lehrer, Geliebter? O! der Mensch sieht es oft spät ein, wie sehr er geliebt wurde, wie vergeßlich und undankbar er war, und wie groß das verkannte Herz.« ..
weil zwar Mädchen oft wilde Männer lieben, aber die (durch die Ehe aufgeklärten) Frauen allemal sanfte.
die Säulenordnung des Schöpfers, die Schweizerberge,
Kutscher halten den Herrn nur für die Nebensonne und Nebenpartie des Pferds
Stumm gingen die Wirbel der Liebe um beide und zogen sie näher – sie öffneten die Arme für einander und sanken ohne Laut zusammen, und zwischen den verbrüderten Seelen lagen bloß zwei sterbende Körper – hoch vom Strome der Liebe und Wonne überdeckt, drückten sich auf eine Minute die trunknen Augen zu; und als sie wieder aufgingen, stand die Nacht erhaben mit ihren in ewige Tiefen versunknen Sonnen vor ihnen, die Milchstraße ging als der Ring der Ewigkeit um die Unermeßlichkeit, die scharfe Sichel des Erdenmonds rückte schneidend in die kurzen Tage und Freuden der Menschen. – Aber in dem, was unter den Sonnen stand, was der Ring umzog, was die Sichel angriff, war etwas höher, fester und heller als diese – es war die unvergängliche Freundschaft in den vergänglichen Hüllen.
wahrhaftig, wir achten eine Geschichte, die einmal die unsrige war, und welche die Hülse der verflognen Stunden ist, viel zu wenig, und doch werden die Zeittropfen, durch die wir schwimmen, erst in der Ferne der Erinnerung zum Regenbogen des Genusses.
Die Mönche haben, wie die Anzünder der öffentlichen Laternen, eine Leiter und viel Öl, aber mit dem Öl löschen sie die Lampen aus und den eignen Durst, und mit der Leiter reichen sie die, die wieder anzünden, dem – Galgen.

Keine Kommentare: