Der Junggesell und der Mühlbach
Wo willst du klares Bächlein hin,
Du eilst mit frohem, leichtem Sinn
Hinunter.
Was suchst du eilig in dem Tal?
So höre doch und sprich einmal!
Ich
war ein Bächlein, Junggesell;
Sie
haben
Mich
so gefaßt, damit ich schnell,
Im
Graben,
Zur
Mühle dort hinunter soll,
Und
immer bin ich rasch und voll
Du
eilest mit gelaßnem Mut
Zur
Mühle
Und
weißt nicht, was ich junges Blut
Hier
fühle.
Es
blickt die schöne Müllerin
Wohl
freundlich manchmal nach dir hin?
Sie
öffnet früh beim Morgenlicht
Den
Laden,
Und
kommt, ihr liebes Angesicht
Zu
baden.
Ihr
Busen ist so voll und weiß;
Es
wird mir gleich zum Dampfen heiß.
Kann
sie im Wasser Liebesglut
Entzünden,
Wie
soll man Ruh mit Fleisch und Blut
Wohl
finden?
Wenn
man sie einmal nur gesehn,
Ach!
immer muß man nach ihr gehn.
Dann stürz ich auf die Räder mich
Mit Brausen,
Mit Brausen,
Und
alle Schaufeln drehen sich
Im
Sausen.
Seitdem
das schöne Mädchen schafft,
Hat
auch das Wasser beßre Kraft.
Du
Armer, fühlst du nicht den Schmerz
Wie
andre?
Sie
lacht dich an und sagt im Scherz:
»Nun
wandre!«
Sie
hielte dich wohl selbst zurück
Mit
einem süßen Liebesblick.
Mir
wird so schwer, so schwer, vom Ort
Zu
fließen:
[133] Ich
krümme mich nur sachte fort
Durch
Wiesen;
Und
käm es erst auf mich nur an,
Der
Weg wär bald zurückgetan.
Geselle
meiner Liebesqual,
Ich
scheide
Du
murmelst mir vielleicht einmal
Zur
Freude.
Geh,
sag ihr gleich, und sag ihr oft,
Was
still der Knabe wünscht und hofft.
Der Müllerin Verrat
[133] Woher der Freund so früh und schnelle,
Da
kaum der Tag im Osten graut?
Hat
er sich in der Waldkapelle,
So
kalt und frisch es ist, erbaut?
Es
starret ihm der Bach entgegen;
Mag
er mit Willen barfuß gehn?
Was
flucht er seinen Morgensegen
Durch
die beschneiten, wilden Höhn?
Ach,
wohl! Er kommt vom warmen Bette,
Wo
er sich andern Spaß versprach;
Und
wenn er nicht den Mantel hätte,
Wie
schrecklich wäre seine Schmach!
Es
hat ihn jener Schalk betrogen
Und
ihm den Bündel abgepackt;
Der
arme Freund ist ausgezogen
Und
fast, wie Adam, bloß und nackt.
[134] Warum auch schlich er diese Wege
Nach
einem solchen Äpfelpaar,
Das
freilich schön im Mühlgehege,
So
wie im Paradiese, war.
Er
wird den Scherz nicht leicht erneuen;
Er
drückte schnell sich aus dem Haus
Und
bricht auf einmal nun, im Freien,
In
bittre, laute Klagen aus.
»Ich
las in ihren Feuerblicken
Nicht
eine Silbe von Verrat;
Sie
schien mit mir sich zu entzücken
Und
sann auf solche schwarze Tat!
Konnt
ich in ihren Armen träumen,
Wie
meuchlerisch der Busen schlug?
Sie
hieß den holden Amor säumen,
Und
günstig war er uns genug.
Sich
meiner Liebe zu erfreuen!
Der
Nacht, die nie ein Ende nahm!
Und
erst die Mutter anzuschreien,
Nun
eben als der Morgen kam!
Da
drang ein Dutzend Anverwandten
Herein,
ein wahrer Menschenstrom;
Da
kamen Vettern, guckten Tanten,
Es
kam ein Bruder und ein Ohm.
Das war ein Toben, war ein Wüten!
Ein
jeder schien ein andres Tier.
Sie
forderten des Mädchens Blüten
Mit
schrecklichem Geschrei von mir. –
Was
dringt ihr alle wie von Sinnen
Auf
den unschuld'gen Jüngling ein?
Denn
solche Schätze zu gewinnen,
Da
muß man viel behender sein,
[135] Weiß
Amor seinem schönen Spiele
Doch
immer zeitig nachzugehn.
Er
läßt fürwahr nicht in der Mühle
Die
Blumen sechzehn Jahre stehn. –
Sie
raubten nun das Kleiderbündel
Und
wollten auch den Mantel noch.
Wie
nur so viel verflucht Gesindel
Im
engen Hause sich verkroch!
Nun
sprang ich auf und tobt und fluchte,
Gewiß,
durch alle durchzugehn.
Ich
sah noch einmal die Verruchte,
Und
ach! sie war noch immer schön.
Sie
alle wichen meinem Grimme;
Es
flog noch manches wilde Wort;
Da
macht ich mich, mit Donnerstimme,
Noch
endlich aus der Höhle fort.
Man
soll euch Mädchen auf dem Lande
Wie
Mädchen aus den Städten fliehn.
So
lasset doch den Fraun von Stande
Die
Lust, die Diener auszuziehn!
Doch
seid ihr auch von den Geübten
Und
kennt ihr keine zarte Pflicht,
So
ändert immer die Geliebten,
Doch
sie verraten müßt ihr nicht.«
So singt er in der Winterstunde,
Wo
nicht ein armes Hälmchen grünt.
Ich
lache seiner tiefen Wunde;
Denn
wirklich ist sie wohlverdient.
So
geh es jedem, der am Tage
Sein
edles Liebchen frech betriegt
Und
nachts, mit allzu kühner Wage,
Zu
Amors falscher Mühle kriecht.
Der Müllerin Reue
Nur fort, du braune Hexe! fort
Aus
meinem gereinigten Hause,
Daß
ich dich, nach dem ernsten Wort,
Nicht
zause!
Was
singst du hier für Heuchelei
Von
Lieb und stiller Mädchentreu?
Wer
mag das Märchen hören!
Ich
singe von des Mädchens Reu
Und
langem, heißem Sehnen;
Denn
Leichtsinn wandelte sich in Treu
Und
Tränen.
Sie
fürchtet der Mutter Drohen nicht mehr,
Sie
fürchtet des Bruders Faust nicht so sehr
Als
den Haß des herzlich Geliebten.
Von Eigennutz sing und von Verrat,
Von Mord und diebischem Rauben;
Von Mord und diebischem Rauben;
Man
wird dir jede falsche Tat
Wohl
glauben.
Wenn
sie Beute verteilt, Gewand und Gut
Schlimmer,
als je ihr Zigeuner tut,
Das
sind gewohnte Geschichten.
»Ach!
weh! ach weh! Was hab ich getan!
Was
hilft mir nun das Lauschen!
Ich
hör an meine Kammer heran
Ihn
rauschen.
[137] Da
klopfte mir hoch das Herz, ich dacht:
O
hättest du doch die Liebesnacht
Der
Mutter nicht verraten!«
Ach
leider trat ich auch einst hinein
Und
ging verführt im stillen:
»Ach
Süßchen! laß mich zu dir ein
Mit
Willen!«
Doch
gleich entstand ein Lärm und Geschrei;
Es
rannten die tollen Verwandten herbei.
Noch
siedet das Blut mir im Leibe.
»Kommt
nun dieselbige Stunde zurück,
Wie
still mich's kränket und schmerzet!
Ich
habe das nahe, das einzige Glück
Verscherzet.
Ich
armes Mädchen, ich war zu jung!
Es
war mein Bruder verrucht genung,
So
schlecht an dem Liebsten zu handeln.«
So
ging das schwarze Weib in das Haus,
In
den Hof zur springenden Quelle;
Sie
wusch sich heftig die Augen aus,
Und
helle
Ward
Aug und Gesicht, und weiß und klar
Stellt
sich die schöne Müllerin dar
Dem
erstaunt-erzürnten Knaben.
Ich
fürchte fürwahr dein erzürnt Gesicht,
Du
Süßes, Schöner und Trauter!
Und
Schläg und Messerstiche nicht;
Nur
lauter
[138] Sag
ich von Schmerz und Liebe dir
Und
will zu deinen Füßen hier
Nun
leben oder auch sterben.
O
Neigung, sage, wie hast du so tief
Im
Herzen dich verstecket?
Wer
hat dich, die verborgen schlief,
Gewecket?
Ach
Liebe, du wohl unsterblich bist!
Nicht
kann Verrat und hämische List
Dein
göttlich Leben töten.
Liebst
du mich noch so hoch und sehr,
Wie
du mir sonst geschworen,
So
ist uns beiden auch nichts mehr
Verloren.
Nimm
hin das vielgeliebte Weib!
Den
jungen, unberührten Leib,
Es
ist nun alles dein eigen!
Nun,
Sonne, gehe hinab und hinauf!
Ihr
Sterne, leuchtet und dunkelt!
Es
geht ein Liebesgestirn mir auf
Und
funkelt.
Solange
die Quelle springt und rinnt,
So
lange bleiben wir gleichgesinnt,
Eins
an des andern Herzen.
JohannWolfgang Goethe Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827)
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